26 Es fragte Zaraθuštra den Ahura Mazdāh: „Allwissender Ahura Mazdāh! Soll ich den ašagläubigen Mann antreiben, soll ich die ašagläubige Frau antreiben, soll ich (sie) antreiben, (daß) sie der druggläubigen daëvaanbetenden . . . Menschen ahurageschaffenes Land sich aneignen, (ihr) fließendes Wasser, das Wachstum (ihrer) Getreide (und) ihr übriges Besitztum sich aneignen)?“ Da sagte Ahura Mazdāh: „Du sollst (sie dazu) antreiben, o ašagläubiger Zaraθuštra!“
27 „O Schöpfer (der stofflichen Welt, ašaehrwürdiger!) Wo finden die Buchungen statt, wo werden die Buchungen (mit einander) verglichen, wo werden die Buchungen zum Abschluß gebracht, wo werden die Buchungen gegen einander abgerechnet, (die) der Mensch im stofflichen Leben für seine Seele veranlaßt?“ (Wolff 1910: 430)
In den koranischen Schilderungen des Jüngsten Gerichtes findet sich die Vorstellung, dass die Taten der Menschen in einem Register erfasst sind, das Grundlage für ihre Beurteilung sein wird. Dieses Konzept, das im Koran stellenweise variiert wird, findet sich neben zahlreichen Belegen in der christlichen und jüdischen Tradition (vgl. TUK_0130, TUK_0892, TUK_0914, TUK_0915, TUK_1071) auch im Zoroastrismus (vgl. den Überblick bei Williams Jackson 1895). Bereits in Yasna 31:13–14, einem Teil der Zarathustra zugeschriebenen Ahunauuaitī Gāthā (zu den Hymnen Zarathustras siehe Humbach 2000), wird die Vorstellung artikuliert, dass die Taten derjenigen, welche dem Pfad der Wahrheit (Aša; vgl. Schlehrath and Skjærvø 1987) folgen, ebenso wie die derjenigen, die den Pfad der Lüge (Druj; vgl. Kellens 2011) beschreiten, vermerkt und zu ihrer Beurteilung herangezogen werden (TUK_1303). Auch in anderen gāthischen Passagen findet sich die korrespondierende Idee, wonach die guten Taten des Menschen im Himmel verzeichnet werden (Yasna 49:10, 45:8, 34:2 passim; siehe dazu auch Pavry 1926: 49–53); ebenso lassen sich im Jungawesta Belege finden (Yašt 10:32; Vīsparad 15:1, siehe dazu auch Pavry 1926: 60–71).
Das Vīdēvdād („Gesetz zur Verwerfung/Ablehnung der Dämonen“; siehe für verschiedene Deutungen der jungawestischen Wendung dāta vīdēuua Cantera 2006 und Skjærvø 2007: 106) bildet mit Yasna, Yašts, Visparad und Khorde Avesta das Corpus der heute erhaltenen awestischen Texte (siehe dazu Hintze 2009). Es stellte den 19. Teil (nask) des 21 Teile umfassenden sasanidischen Awesta dar (siehe dazu Cantera 2004; zum Vīdēvdād Malandra 2006, Skjærvø 2007 und Hintze 2009: 38–46). Hauptsächlich mit rechtlichen Fragen befasst, insbesondere Reinheitsvorschriften, bildet das Vīdēvdād zusammen mit sechs weiteren, heute verlorenen Büchern das Dād Nask, einen der drei Hauptteile des Awesta (Shaki 1993). Alter und Entstehungszeit wurden und werden kontrovers diskutiert: Während die ältere Forschung eine westiranische Provenienz annahm (siehe den Überblick bei Moazami 2014: 6–8), wird in jüngerer Zeit von der Kompilation verschiedener älterer und jüngerer Textschichten ausgegangen, die einen alten ostiranischen Kern und eine Kanonisierung zu Beginn der Achämenidenzeit wahrscheinlich erscheinen lassen (Skjærvø 2007: 112; Hintze 2009: 45–46).
Der Text gliedert sich in 22 Kapitel und ist vornehmlich als Dialog zwischen Zarathustra und Ahura Mazdā gestaltet. Der mit Abstand größte Teil des Textes (3–17) ist Reinheitsvorschriften und Angaben zum Umgang mit Verletzungen derselben durch die Menschen gewidmet. Die ersten zwei und letzten fünf Kapitel befassen sich mit mythologischen Themen: die Erschaffung der Welt durch Ahura Mazdā (1), die Herrschaft Yimas über die Welt (2), die Versuchung Zarathustras und das Schicksal der Seele nach dem Tode (19), Invokationen des Wassers, der Sonne, des Mondes, der Sterne und der Kuh (21) sowie die Erschaffung von Krankheiten und Leiden durch Aŋra Mainyu und Ahura Mazdās Abwehr, wobei er sich eines heiligen Mantra und der Hilfe Airyamans (22) bedient (für eine Zusammenfassung siehe Malandra 2006).
26 paragraphərəsat̰ zaraϑuštrō ahurəm mazdąm
vīspō vīδuuā̊ ahura mazda
haxṣ̌āne narəm aṣ̌auuanəm
haxṣ̌āne nāirikąm aṣ̌aonīm
haxṣ̌āne
druuatąm daēuuaiiasnanąm
mərəzujītīm maš́iiānąm
ząm ahuraδātąm nipāraiiaṇta
āpəm taciṇtąm
yauuanąm uruϑmąm
aniiąm hē auuarətąm nipāraiiaṇta
āat̰ mraot̰ ahurō mazdā̊
haxṣ̌aēša aṣ̌āum zaraϑuštra
27dātarə gaēϑanąm astuuaitinąm aṣ̌āum
kuua tā dāϑra bauuaiṇti
kuua tā dāϑra pāraiieiṇti
kuua tā dāϑra pairi bauuaiṇti
kuua tā dāϑra paiti haṇjasəṇti
maš́iiō astuuaiṇti aŋhuuō
hauuāi urune para daiδiiāt̰
Sebastian Bitsch