In Q 76 werden die Genüsse der Bewohner des Paradieses beschrieben. Auf Ruhebetten (Q 76:14) genießen die Gerechten mit Kampfer und Ingwer versetzten Wein (Q 76:5, 17), sie sind in Brokat und Seide gewandet (Q 76:21), Früchte sind ihnen dargeboten (Q 76:14) und Jünglinge warten dienstbeflissen auf (Q 76:19) während sie aus prächtigen Gefäßen trinken. Beschattet in der Nähe der Quelle Salsabīl erfahren sie weder Hitze noch Kälte: lā yarauna fīhā šamsan wa-lā zamharīrā (vgl. zur dieser Vorstellung auch TUK_0604). Der Terminus zamharīr, der hier Verwendung findet, ist ein hapax legomenon, das zumeist als eine "schneidende Kälte" aufgefasst wird (Ambros and Procházka 2004: 211; Lane 1863: 1255). Dagegen versteht Angelika Neuwirth im Anschluss an Josef Horovitz (Horovitz, Josef 1923: 14) zamharīr im Sinne eines intensivierenden Parallelismus als "sengende Hitze" (Neuwirth 2017: 512 vgl. auch TUK_0115). Roberto Totolli gibt mehrere mögliche Erklärungen, wonach zamharīr zunächst "Mond" meinen könne, was der koranische Parallelismus zu šams (Sonne) nahelege (Totolli 2008: 148-149). Des Weiteren verweist er auf Muqātil b. Sulaimān (gest. 150/767 n. Chr.), der zamharīr als Kälte auffasst, jedoch feststellt, dass diese die Paradiesbewohner nicht verletze (Totolli 2008: 143). Schließlich nennt Totolli zahlreiche andere Exegeten, die zamharīr als eine der Höllenstrafen auffassen (Totolli 2008: 149). Während sich Kälte als Höllenstrafe in der jüdisch-christlichen Tradition nach Totolli nicht finde (vgl. jedoch TUK_1274), ist darauf hingewiesen worden, dass sich diese Vorstellung im Zoroastrismus nachweisen lasse (Palacios 1919: 138-139; Gray, Louis H. 1902: 174).
Die Vorstellung eines ausgeglichenen Klimas als Charakteristikum des Paradieses findet sich bereits im Awesta (Yasna 9:5; Yašt 15:16; 19:33; 19:69 vgl. TUK_1272). Die Umkehrung, in welcher Kälte als eine Höllenstrafe dargestellt wird, ist im hier zitierten Ardā Wīrāz Nāmag ausgedrückt. Auffällig ist neben der Kälte als Strafe auch die Gegenüberstellung zur Hitze, wie sie, positiv gewendet, als Absenz klimatischer Extreme auch in Sure 76:13 vorkommt. Die Bestrafung mit Schneeregen (snēxr) findet sich an einer weiteren Stelle (AWN, 40:4), Kälte (sarmāg) wird ebenfalls noch mehrmals genannt (AWN 31:6; 50:2; 50:9). Schnee (wafr) und Kälte (sarmāg) erscheinen in Kombination nochmals in AWN 31:6, doch ist die hier zitierte Passage die einzige im Ardā Wīrāz Nāmag, in welcher Hitze und Kälte als Höllenstrafe auftauchen.
Das Ardā Wīrāz Nāmag (Das Buch des Ardā Wīrāz) stellt den bedeutendsten zoroastrischen Beitrag zur Gattung der apokalyptischen Literatur dar (vgl. allgemein Gignoux 1986). Strukturell gliedert sich das Werk in vier Teile: Auf eine kontextualisierende Einleitung (Kapitel 1-3) folgen die ausführlichen Beschreibungen des Paradieses (Kapitel 4-15) und der Hölle (Kapitel 16-100), sowie eine kurze Schlusssequenz (Kapitel 101), die eine zweite Begegnung des Ardā Wīrāz mit Ohrmazd im Paradies schildert (vgl. die ausführliche Zusammenfassung bei Haug and West 1872: LVII-LXII). In der Einleitung wird geschildert, wie Ardā Wīrāz auf Grund seiner Tugendhaftigkeit von den Priestern auserkoren wird, die zoroastrische Glaubenswahrheit durch eine Himmelsreise zu bestätigen. Nachdem die Priester ihm einen narkotisierenden Trank eingeflößt haben, fällt Ardā Wīrāz für sieben Tage und sieben Nächte in tiefen Schlaf, bevor er das Bewußtsein wiedererlangt. Bei der Schilderung der Jenseitsreise, die Ardā Wīrāz sodann gibt, beschreibt er detailliert die Freuden der Gerechten und Leiden der Sünder (vgl. TUK_1271). Die Beschreibung der Hölle nimmt dabei den größten Teil des Werkes ein: 84 der 101 Kapitel des Werkes beschäftigen sich mit den Sünden der Hölleninsassen und den korrespondierenden Strafen (Stausberg 2009: 238; Leurini 2002: 214-220). Alter und Entstehungszeit sind schwer einzugrenzen. In seiner heutigen Form wurde das Werk jedoch erst nach der arabischen Eroberung verschriftlicht, wie die angefügte Einleitung deutlich macht, in der von der Invasion Irans durch die Araber die Rede ist. Martin Haug und Edward W. West betonen die literarische Eigenständigkeit der Apokalypse, die weder jüdische noch christliche Einflüsse aufweise (Haug and West 1872: LVI-LVII) und verorten die Entstehung des Werkes in der Spätphase der Sāsānidenherrschaft (Haug and West 1872: LXXIII). Mary Boyce und Philippe Gignoux datieren die Endredaktion auf das 9. bzw. 10. Jahrhundert (Boyce 1968: 48; Gignoux 1969). Dabei geht Boyce von einem sehr alten Kern des Werkes aus, worauf auch der bereits in den Gāthās vorkommende Name Wīrāz (Yašt 13:101) hinweise (Boyce 1968: 48-49), und auch Faridun Vahman (Vahman 1981: 11) betont, dass die zentralen Teile des Werkes aus der sāsānidischen Zeit stammen. Das Genre der Jenseitsreise, während derer eine bedeutende Person Himmel und Hölle erblickt, und somit die zoroastrische Religion, durch eine transzendente Erfahrung legitimiert, bestätigt ist alt; schon Zarathustra soll nach Vizīdagīhā ī Zādspram 21 in den Himmel aufgefahren sein und auch über den legendären König Vištaspa wird ähnliches berichtet (Dēnkard 7.4:83-86). Der Hohepriester Kartīr (vgl. zu Leben und Wirken Kartīrs Skjærvø 2011), der in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts zu höchster Machtfülle im Sāsānidenreich aufstieg, rühmt sich, eine Jenseitsreise unternommen zu haben, wie aus seinen Inschriften in Naqš-e Raǧab (vgl. auch TUK_1323) deutlich wird (Skjaervø 1983). Im Gegensatz zu den Inschriften Kartīrs, die eine physische Jenseitsreise des Hohepriesters beschreiben, findet sich im Ardā Wirāz Nāmag eine Akzentverschiebung hin zu einer spirituellen Reise der Seele, während der Körper im Diesseits verharrt, statt.
- Ēg-im dīd ruwān ī druwandān kē-šān pādifrāh ī gōnag gōnag čiyōn war snēxr ud sarmāg ī saxt ud garmāg ī ātaxš ī tēz-sōzāg ud duš-gandagīh ud sang ud xākistar (ud) tagarg ud wārān ud abārīg was anāgīh pad ān bimgen tārīg gyāg frōd murr zaxm ud pādifrāh hamē barēnd.
- U-m pursīd: kū ēn tan čē wināh kard kē ruwān ōwōn garān pādifrāh barēd?
- Gōwēd srōš-ahlaw ud ādur-yazad kū: ēn ruwān ī ōy druwand mardōm kē-šān pad gētīg wināh ī marg-arzān was kard ud ātaxš ī wahrāmān *afsārd ud puhl ī rōd ī *nāwdāg kand ud zūr ud an-ast guft ud zūr-gugāyīh ī was dād,
- U-šān kāmag (ī) a-pādixšāīh ud āzwarīh ud
penīh ud waranīh ud xēšm ud areškanīh rāy abē-wināh mardōm ī ahlaw ōzad
ud was frēftārīhā raft hēnd nūn ruwān ōwōn garān zaxm ud padifrāh abāyēd
burdan
- Then I saw the souls of the wicked who were ever suffering punishments of different kinds such as: snow, sleet, severe cold, and the heat of a quick-burning fire, and stench, and stone and ashes, hail and rain, an many other evils in that horrible dark place (where) they died.
- And I asked: "What sins did these bodies commit whose souls are undergoing such heavy punishments?"
- Srōš, the pious, and the god Ādur said: "These are the souls of those wicked people, who in the world committed many mortal sins and extinguished the Fire of Wahrām, and destroyed the bridge of the *navigable river, and spoke falsely and untruthfully and have often given false testimony
- and because of their will to anarchy and greed and meanness and lust and anger and envy, they have killed pious people, and they have acted with much deceit. Now their souls suffer such heavy pain and punishment." (Vahman 1981: 209)