Unter des tapferen Yima Herrschaft
gab es nicht Kälte nicht Hitze
gab es nicht Altern und nicht Tod,
nicht den daeva-geschaffenen Neid.
Fünfzehnjährig dem äußeren Ansehen nach ginge der Vater und der
Sohn einher, jeder von beiden,
solange der schöne Herden besitzende
Yima, Sohn des Vivahant, die Herrschaft hatte. (Wolff 1910: 31)
In Q 76 werden die Genüsse der Bewohner des Paradieses beschrieben: Auf Ruhebetten (Q 76:14) genießen die Gerechten mit Kampfer und Ingwer versetzten Wein (Q 76:5, 17), sie sind in Brokat und Seide gekleidet (Q 76:21), ihnen werden Früchte dargeboten (Q 76:14) und Jünglinge warten dienstbeflissen auf (Q 76:19), während sie aus prächtigen Gefäßen trinken. Beschattet in der Nähe der Quelle Salsabīl erfahren sie weder Hitze noch Kälte: lā yarauna fīhā šamsan wa-lā zamharīrā (vgl. zur dieser Vorstellung auch TUK_0604).
Der Terminus zamharīr, der hier Verwendung findet, ist ein hapax legomenon, das den arabischen Lexikographen Deutungsschwierigkeiten bereitet hat und zumeist als eine „schneidende Kälte“ aufgefasst wird (Ambros and Procházka 2004: 211; Lane 1863: 1255). Dagegen versteht Angelika Neuwirth im Anschluss an Josef Horovitz (Horovitz, Josef 1923: 14) zamharīr im Sinne eines intensivierenden Parallelismus als „sengende Hitze“ (Neuwirth 2017: 512, vgl. auch TUK_0115). Roberto Tottoli wertet zahlreiche Korankommentare (tafāsīr) aus, welche zamharīr als „Mond“ (Tottoli 2008: 142, 149) verstehen, was der koranische Parallelismus zu šams („Sonne“) nahelege (Tottoli 2008: 148–149). Des Weiteren verweist er auf Muqātil b. Sulaimān (gest. 150/767 n. Chr.), der zamharīr als „Kälte“ auffasst, jedoch anmerkt, dass diese die Paradiesbewohner nicht verletze (Tottoli 2008: 143). Schließlich nennt Tottoli zahlreiche andere Exegeten, die zamharīr als eine der Höllenstrafen begreifen (Tottoli 2008: 149), und diskutiert die Möglichkeit, dass der Begriff im Sprachgebrauch der Ṭayyʾ die „Kälte des Mondes“ bezeichnet haben könnte (Tottoli 2008: 148–149). Während sich nach Tottoli Kälte als Höllenstrafe in der jüdisch-christlichen Tradition nicht finde (vgl. jedoch TUK_1274), ist darauf hingewiesen worden, dass sich diese Vorstellung im Zoroastrismus nachweisen lasse (Palacios 1919: 138–139; Gray 1902: 174). Möglicherweise handelt es sich bei zamharīr um ein Kompositum aus dem mittelpersischen Wort zam, das „Winter“ und „schneidende Kälte“ bedeutet (MacKenzie 1971: 97; Asbaghi 1988: 77), und der arabischen Wurzel h-r-r, die das „Winseln“ und „Heulen (eines Tieres)“ bezeichnet (Lane 1863: 2888).
Die Vorstellung eines ausgeglichenen Klimas als Charakteristikum des Paradieses findet sich bereits im Awesta (Yasna 9:5; Yašt 15:16; 19:33; 19:69); in mittelpersischen Texten (vgl. TUK_1271 und TUK_1302), ist Kälte als Höllenstrafe dem milden Klima des Paradieses antithetisch gegenübergestellt. Die genannten Stellen teilen die Vorstellung einer idealen Zeit im Paradies unter der Herrschaft des mythischen ersten Königs Yima (Humbach 2002: 68), die jedoch mit seinem Sündenfall (Yasna 32:8, dazu Humbach 2002: 70–72) und darauffolgender Flucht endete (Yašt 19:34).
Yimahe xṣ̌aθre auravahe
nōit̰ aotəm åŋha nōit̰ garəməm
nōit̰ zaurva åŋha nōit̰ mərəθyuš
nōit̰ araskō daēvō-dātō,
paṇca-dasa fracarōiθe
pita puθrasca raδaēṣ̌va katarascit̰
yavata xṣ̌ayōit̰ hvąθwō
yimō vīvaŋuhatō puθrō.