1 Tränen vergoss der Tod über die Scheol, da er ihre Schätze geplündert sah, und er sprach: „Wer hat deinen Reichtum geraubt? Giezi stahl und wurde enthüllt. Ich stehle jeden Tag und werde (dennoch) nicht beim Stehlen ertappt. Ich werde zu Königen geschickt in ihren Krankheiten. Ihre Wächter umgeben sie, Wächter (stehen) an der Tür. Das Leben der Könige raube ich und gehe (frei) weg“.
RESPONSORIUM: Gesegnet sei, der den Stachel der Scheol durch sein Kreuz brach!
2 Traurig sind alle unfruchtbaren (Frauen). Die Scheol freut sich über ihre Unfruchtbarkeit. Vereinsamt wird sie, wenn sie gebiert. Die alles bezwingende Macht hat den kalten, unfruchtbaren Schoss gezwungen, und trotz seiner Undankbarkeit gab er zurück. Rebekka, bedrängt von den Zwillingen, bat um den Tod. Wie gross muss der Schmerz der Scheol gewesen sein, geschüttelt von neuartigen Wehen: Tote erhoben sich, brachen durch und gingen aus ihr hervor.
3 Vielleicht ist das jenes Wort des Isaias, das ich gehört und nicht beachtet habe, als er dastand und sprach: „Wer hat (je) solches vernommen: an einem einzigen Tag wird die Erde kreissen und in einer Stunde ein neues Volk gebären“. Ist dies das, was geschah, oder ist es uns noch einmal aufbewahrt? Ist dies nur ein Schatten (des Kommenden), dann hab ich (falsch) geglaubt, ich sei ein König, ohne zu wissen, dass ich nur ein Unterpfand aufbewahre.
4 Zwei verschiedene Aussprüche hörte ich von jenem Isaias. Er sprach nämlich: „Die Jungfrau wird empfangen und gebären“. Anderseits sprach er: „Die Erde wird gebären“. Siehe die Jungfrau gebar ihn und die unfruchtbare Scheol gebar ihn, zwei Schosse gegen (ihre) Natur. Gegensätzliches erfuhren an ihm Jungfrau und Scheol, die beiden: die Jungfrau erfreute er durch seine Geburt, die Scheol dagegen betrübte und ängstige er durch seine Auferstehung.
5 Ich sah im Tal jenen Ezechiel, der die Toten erweckte, als die Frage an ihn erging. Und ich sah, wie die Gebeine in Unordnung waren und sich regten. Siehe ein Rauschen der Gebeine in der Scheol; ein Bein sucht das andre, ein Gelenk das andre. Niemand fragt dort, niemand wird gefragt: „Werden wohl diese Gebeine (wieder) leben?“ Ohne zu fragen hat ihnen Leben gegeben die Stimme Jesu, des Herrschers der Geschöpfe.
6 Die Scheol ward betrübt, da sie sah, wie die trüben Toten strahlten. Sie weinte über Lazarus, als er (das Grab) verliess: „Geh in Frieden, lebendiger Toter, Bejammernswerter, zweimal Beweinter. Drinnen und draussen Wehklagen; denn deine Schwestern weinten bei deinem Eintritt ins Grab, zu mir; und ich beweinte dich, als du (es) verliessest. Bei seinem Tod weinten die Lebenden, und in der Scheol herrschte grosse Trauer bei seiner Erweckung.
7 Jetzt hab ich selber verkostet, wie die Trauer dessen schmeckt, der über ein geliebtes (Kind) weint. Die Toten, die schon der Scheol so lieb sind, wie sehr (müssen) sie von ihren Vätern geliebt worden sein! Glieder, die ich abhieb und forttrug, die hieb man nun mir selber ab und trug sie fort. Wenn schon ich solchen Schmerz empfand über die Trennung von jenem Jüngling, der auferweckt wurde, dann sei gepriesen, der sich der Witwe erbarmte; durch ihr einziges (Kind) belebte er (wieder) das vereinsamte Haus.
8 Dieses Leid, das ich jetzt allen Menschen durch (den Verlust) ihrer Geliebten bereite, wird zuletzt vereint über mich (kommen). Denn wenn die Toten die Scheol verlassen haben, wird allen Menschen die Auferstehung und mir allein die Qual zuteil. Wer wird mir das alles ertragen (können): ich werde sehen (müssen), wie jene Stimme, die die Gräber spaltete, die Scheol allein veröden lässt und die Toten, die in ihr sind, herausführt.
9 Wenn einer in den Propheten liest, dann hört er dort von gerechten Kriegen. Versenkt er sich aber in die Erzählung von Jesus, lernt er (nur) Erbarmen und Liebe kennen. Und glaubt nun jemand von Jesus, er sei der Freude, dann gilt mir das als Lästerung. Ein andrer, fremder Schlüssel kann niemals in das Tür(schloss) der Scheol passen. Es gibt nur einen Schlüssel des Schöpfers, der sie öffnete und sie öffnen wird bei seinem Kommen.
10 Wer kann die Gebeine zusammenfügen? Nur jene Macht, die sie geschaffen hat. Wer wird den Lehm des Körpers (wieder) festigen? Nur die Hand des Schöpfers. Wer wird die Form wieder bilden? Nur der Finger des Erschaffers. Jener, der schuf und hinwieder zerstörte, (nur) dieser kann erneuern und erwecken. Kein andrer Gott kann auftreten und Geschöpfe, die ihm nicht gehören, wieder herstellen.
11 Wenn es eine andre (göttliche) Macht gäbe, dann wollte ich, dass sie zu mir käme, ins Innere der Scheol herabstiege und erführe, dass es nur einen Gott gibt. Die Sterblichen, die in ihrem Irrtum mehrere Götter verkündet haben, die hab ich in der Scheol eingeschlossen, und ihre Götter haben sich niemals darüber gegrämt. Ich weiss nur von dem einen Gott, (nur) seine Propheten und seine Apostel kenne ich.
Sowohl der hier vorliegende Text von Ephrem, als auch der Koran betonen die Unfähigkeit der 'vielen Götter' denen, die an sie geglaubt haben, beim endzeitlichen Gericht zu helfen. Die implizite Begründung liegt natürlich darin, dass die angebeteten Götter gar nicht existieren. Gemeinsam ist auch die rhetorisch wirkungsvolle Personifizierung dieser falschen Götter, die sich etwa in Q 10:28-29 vor Gott zu rechtfertigen versuchen: “Wir haben (überhaupt) nicht beachtet, daß ihr [sc. Götzendiener] uns verehrt habt” (ʾin kunnā ʿan ʿibādatikum la-ġāfilīna). Ephrem möchte dagegen die Götzen – gäbe es sie wirklich – darüber persönlich belehren, dass es einen einzigen Gott gibt, der wahre Propheten und Apostel entsendet. In beiden Fällen soll damit die Zwecklosigkeit der heidnischen Götzenverehrung bloßgestellt werden. Am Jüngsten Tag werden die Beigeseller (mušrikūn) daher ausgefragt, wo denn ihre Teilhaber (šurakāʾ) geblieben seien (Q 6:22-23), womit allein die Menschen dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie Gottes Macht auch anderen Wesen zugeschrieben haben (Q 10:30-34). Ähnlich sagt Ephrem, dass die falschen Götter der Sterblichen über die Verdammung der Letzteren sich nicht grämen und ihnen nicht helfen können. Das Kennzeichen des wahren Gottes ist dabei besonders die Gewalt über Leben, Tod und Wiederbelebung : “Sag: ‘Gibt es unter euren Teilhabern einen, der die Schöpfung ein erstesmal (zur Existenz im Diesseits) vollzieht (wörtl. beginnt) und sie hierauf (bei der Auferstehung zur Existenz im Jenseits) wiederholt?’ Sag: ‘Gott (allein) vollzieht die Schöpfung ein erstesmal und wiederholt sie hierauf’ […]” (Q 10:34). In diesem Sinne sind auch die Aussagen der irrgeleiteten Menschen in Q 17:97-99 zu verstehen, die überhaupt an die Möglichkeit der leiblichen Auferstehung zweifeln (weil sie die Macht Gottes nicht kennen). Dies entspricht der energischen Erklärung Ephrems, dass nur der Schöpfer die “Gebeine wieder zusammenfügen kann”, wobei für den syrischen Kirchenvater die eschatologische Auferstehung (in Anlehnung an die Ezekiel-Vision in Ezek 37) eng mit dem paschalen Sieg Christi über die Unterwelt zusammenhängt.