
In den Paradiesbeschreibungen der mekkanischen Suren nehmen exquisite Speisen und Getränke einen prominenten Platz ein (siehe Qian 2017): Während den Sündern in der Hölle ekelerregende und quälende Nahrung dargeboten wird, evozieren die Schilderungen des Paradieses das Bild eines himmlischen Gelages. Auf Ruhebetten (Q 76:14) genießen die Gerechten mit Kampfer und Ingwer versetzten Wein (Q 76:5, 17), sie sind in Brokat und Seide gekleidet (Q 76:21), Früchte werden ihnen dargeboten (Q 76:14) und Jünglinge bedienen sie (Q 76:19), während sie aus prächtigen Gefäßen trinken. Nach Geert J. van Gelder stellen Speisen und Getränke „important elements in contrasting the ultimate locus amoenus of Heaven with the dystopia of Hell“ dar (van Gelder 2011: 23). Im Anschluss an Josef Horovitz, der für die paradiesischen Gastmähler auf Parallelen in der altarabischen Dichtung verwiesen hatte (vgl. Horovitz 1923: 15–16), weist Angelika Neuwirth darauf hin, dass die „demütigende Bestrafung, wie die ehrende Auszeichnung, gleicherweise im Bild des Gastmahles eingefaßt sind“ (Neuwirth 2010: 424).
Eine ähnliche Vorstellung findet sich in zoroastrischen Schriften. Zahlreiche Texte emphasieren den strafenden Charakter schlechten Essens, welches die Sünder im Jenseits zu erwarten haben, wobei diese Vorstellung, die in den Gāthās nur angedeutet wird (Yasna 31:19–22, Yasna 49:11, Yasna 53:6; siehe TUK_1267 u. TUK_1269), in den mittelpersischen Texten eine elaborierte Form annimmt, die den koranischen Passagen ähnelt (TUK_1318, TUK_1346, TUK_1400). Kontrastiv sind dazu die vorzüglichen Speisen gesetzt, welche die Gerechten im Himmel erwarten (siehe auch TUK_1324). Idee und Gestaltung in Form eines eschatologischen Parallelismus weisen Übereinstimmungen mit den koranischen Schilderungen der paradiesischen Gastmähler auf. Im hier zitierten Dādestān ī Mēnōg ī Xrad wird beschrieben, wie einem Gerechten nach Überschreiten der Cinwad-Brücke auf Anordnung Ohrmazds wohlschmeckende Speisen dargereicht werden. Ähnlich der koranischen Szenerie evozieren feine Speisen und luxuriöse Sitzmöbel das Bild eines jenseitigen Gastmahles.
Das Dādestān i Mēnōg ī Xrad („Urteile des Geistes der Weisheit“) ist ein mittelpersischer zoroastrischer Text, welcher der Gattung der Weisheitsliteratur (Andarz) zugerechnet wird (vgl. Shaked and Safa 1985). Der Text selbst stellt die spätere Verschriftlichung einer zunächst mündlichen Tradition dar. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem Jahr 1589. Autor und Entstehungszeit sind unbekannt, jedoch gehen Edward W. West, Mary Boyce und Aḥmad Tafażżolī aufgrund stilistischer Besonderheiten und der Bezugnahme auf historische Ereignisse der späten Sasanidenzeit von einer schriftlichen Abfassung während der Regierungszeit des Ḫusraw I. Anūšīrwān (reg. 531–579 n. Chr.) aus (vgl. West 1885: X–XI; Boyce 1968: 54; Tafażżolī 1993). Für das Genre der Andarz-Literatur generell wird von einer schriftlichen Fixierung in der spät-sasanidischen Zeit ausgegangen (vgl. Stausberg 2002: 291–292).
Formal gliedert sich der Text in 63 Abschnitte, wobei auf eine den Rahmen bildende erzählerische Einleitung 62 Dialogsequenzen folgen. Die Einleitung unterrichtet über die Bemühungen eines gewissen Dānāg (der sprechende Name kann wörtl. übersetzt werden mit „der Wissende, der Weise“), der während seiner Suche nach Wissen und Erkenntnis viele Länder bereist und dabei Sitten, Bräuche und religiöse Überzeugungen kennenlernt (DMX 1:33–38). Am Ende seiner Reise wird ihm schließlich – nach Erkennen der für den Zoroastrismus zentralen Tugend der Weisheit (xrad) – die Ehre zuteil, Fragen an den göttlichen Geist der Weisheit (Mēnōg ī Xrad) stellen zu dürfen (DMX 1:57–60). Die darauf folgenden 62 Sektionen behandeln eine Fülle von Themen: Neben lebenspraktischen Fragen etwa über das maßvolle Weintrinken (DMX 16) werden Fragen der religiös korrekten Lebensführung, wie die nach der Einhaltung der drei Gebetszeiten (DMX 53), erörtet; des Weiteren werden Begräbnis-Vorschriften (DMX 6), das Tragen des heiligen Gürtels und Essenvorschriften (DMX 6) sowie dogmatische Themen wie der Antagonismus zwischen Ohrmazd und Ahriman (DMX 45; 45; 54), Fragen des Rituals (DMX 52) sowie Sünden- und Tugendkataloge (DMX 35; 36) besprochen. Vereinzelt wird auch auf eschatologische Themen, etwa die Anzahl der Paradiese und Höllen (DMX 7), eingegangen. Daneben finden sich auch kurze kosmogonische (DMX 44) und geographische (DMX 56) Passagen, Darlegungen über die Klassenstruktur der Gesellschaft (DMX 31; 32) und weitere Themengebiete. Wie der Titel des Werkes bereits andeutet, betont der Text die sittliche Überlegenheit des Strebens nach Weisheit und spiritueller Vervollkommnung vor materiellem Wohlstand und weltlicher Macht.
150 pas ōhrmazd ī xwadāy gōwēd
151 kū+š ma saxwan aziš pursēd, čē az ān ī grāmīg tan ǰudāg ud pad ān ī bīmgen rāh āmad ēstēd
152 u+š xwarišnān xwaštom, ān ī mēdyōzarm rōγn, awiš barēd,
153 kū+š āsāyēd ruwān az ān ī sē-šabag puhl ī+š az astwihād ud abārīg dēwān awiš mad,
154 u+š pad gāh ī harwisp-pēsīd abar nišānēd.
150. Then Ohrmazd, the lord, speaks
151 thus: “Ask ye from him no tidings; for he has parted from that which was a precious body, and has come by that which is a fearful road.
152. And bring ye unto him the most agreeable of eatables, that which is the mid-spring butter [Maidyozarem roghan],
153 so that he may rest his soul from that bridge of the three nights, unto which he came from Astwihad and the remaining demons;
154 and seat him upon an all-embellished throne.” ()