
Im Koran wird die Verehrung paganer Gottheiten und Idole nach traditionellem Verständnis scharf zurückgewiesen. Der Begriff Beigesellung (širk) wird dabei sowohl in Bezug auf trinitarische Christen als auch auf die arabischen Zeitgenossen des Verkünders gebraucht (zur Begriffsgeschichte vgl. Hawting 2002; kritisch zur Gleichsetzung von širk mit Polytheismus: Hawting 1999: 45–66). Eine ähnlich scharfe Verurteilung der Idolatrie findet sich in der spät-sasanidischen Apokalypse Ardā Wīrāz Nāmag (TUK_1382) und im hier zitierten Dādestān ī Mēnōg ī Xrad, worin die Verehrung von Idolen als achte Todsünde (DMX 36:11) verstanden wird. Während im Ardā Wīrāz Nāmag die Höllenpein derjenigen beschrieben wird, die sich der Idolatrie schuldig gemacht haben, wird im hier zitierten Abschnitt die Zerstörung von Götzenbildern durch den mythischen König Kay Ḫusraw heilsgeschichtlich als eine Voraussetzung des erwarteten Triumphs von Ohrmazd über Ahriman gedeutet (ähnlich in DMX 27:59–63). Allerdings korrelierte, wie Michael Shenkar zeigt, die formulierte Ablehnung und Verurteilung der Idolatrie nicht mit einer ikonoklastischen Politik vonseiten der sasanidischen Autoritäten (Shenkar 2015).
Das Dādestān i Mēnōg ī Xrad („Urteile des Geistes der Weisheit“) ist ein mittelpersischer zoroastrischer Text, welcher der Gattung der Weisheitsliteratur (Andarz) zugerechnet wird (vgl. Shaked and Safa 1985). Der Text selbst stellt die spätere Verschriftlichung einer zunächst mündlichen Tradition dar. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem Jahr 1589. Autor und Entstehungszeit sind unbekannt, jedoch gehen Edward W. West, Mary Boyce und Aḥmad Tafażżolī aufgrund stilistischer Besonderheiten und der Bezugnahme auf historische Ereignisse der späten Sasanidenzeit von einer schriftlichen Abfassung während der Regierungszeit des Ḫusraw I. Anūšīrwān (reg. 531–579 n. Chr.) aus (vgl. West 1885: X–XI; Boyce 1968: 54; Tafażżolī 1993). Für das Genre der Andarz-Literatur generell wird von einer schriftlichen Fixierung in der spät-sasanidischen Zeit ausgegangen (vgl. Stausberg 2002: 291–292).
Formal gliedert sich der Text in 63 Abschnitte, wobei auf eine den Rahmen bildende erzählerische Einleitung 62 Dialogsequenzen folgen. Die Einleitung unterrichtet über die Bemühungen eines gewissen Dānāg (der sprechende Name kann wörtl. übersetzt werden mit „der Wissende, der Weise“), der während seiner Suche nach Wissen und Erkenntnis viele Länder bereist und dabei Sitten, Bräuche und religiöse Überzeugungen kennenlernt (DMX 1:33–38). Am Ende seiner Reise wird ihm schließlich – nach Erkennen der für den Zoroastrismus zentralen Tugend der Weisheit (xrad) – die Ehre zuteil, Fragen an den göttlichen Geist der Weisheit (Mēnōg ī Xrad) stellen zu dürfen (DMX 1:57–60). Die darauf folgenden 62 Sektionen behandeln eine Fülle von Themen: Neben lebenspraktischen Fragen etwa über das maßvolle Weintrinken (DMX 16) werden Fragen der religiös korrekten Lebensführung, wie die nach der Einhaltung der drei Gebetszeiten (DMX 53), erörtet; des Weiteren werden Begräbnis-Vorschriften (DMX 6), das Tragen des heiligen Gürtels und Essenvorschriften (DMX 6) sowie dogmatische Themen wie der Antagonismus zwischen Ohrmazd und Ahriman (DMX 45; 45; 54), Fragen des Rituals (DMX 52) sowie Sünden- und Tugendkataloge (DMX 35; 36) besprochen. Vereinzelt wird auch auf eschatologische Themen, etwa die Anzahl der Paradiese und Höllen (DMX 7), eingegangen. Daneben finden sich auch kurze kosmogonische (DMX 44) und geographische (DMX 56) Passagen, Darlegungen über die Klassenstruktur der Gesellschaft (DMX 31; 32) und weitere Themengebiete. Wie der Titel des Werkes bereits andeutet, betont der Text die sittliche Überlegenheit des Strebens nach Weisheit und spiritueller Vervollkommnung vor materiellem Wohlstand und weltlicher Macht.
94 čē paydāy
95 kū, agar kay husraw uzdēszār ī pad war ī čēčist nē kand hād andar ēn sē-hazārag ī hušēdar ud hušēdarmāh ud šōšāns, ke ǰud ǰud pad hart hazārag sar az awēšān ēk āyēd kē hard kār ī gēhān abāz wirāyēd ud mihrōdruǰān ud uzdēs-paristān ī andar kišwar be zanēd, ēg petyārag ēdōn stahmagtar būd hād kū rist-āxēz ud tan ī pasēn kardan nē šayist hād.
93 Abstain far from the service of idols and demon-worship.
94 Because it is declared:
95 that: “If Kay Khosraw should not have extirpated the idol-temples which were on the lake of Chechast, then in these three millenniums of Usher, Ushedarmag and Shoshyant – of whom one of them comes separately at the end of each millennium, who arranges again all the affairs of the world, and utterly destroys the breakers of promises and servers of idols who are in the realm – the adversary would have become much more violent, that it would not have been possible to produce the resurrection and future existence.” (West 1885)