

Die Frage nach dem ideengeschichtlichen Ursprung der großäugigen koranischen Paradiesjungfrauen (Huris von arab. ḥūr ʿīn) ist in der Forschung kontrovers diskutiert worden (siehe den Überblick bei Jarrar 2002): George Sale hatte bereits 1734 eine zoroastrischen Provenienz vermutet (vgl. Sale 1734: 77), wogegen jedoch Reinhart Dozy mit dem Hinweis auf das Ṣad Dar-e Bohdaheš Einspruch erhob (dazu West 1885: XXXVI–XLV, der auf S. XXXVI–XXXVII den alten Kern der Prosa-Fassung von 1531 betont). Dieses sei nämlich ein Erzeugnis des 15. Jahrhunderts (vgl. Dozy 1879: 154; zur Diskussion der älteren Forschung siehe Berthels 1925: 263–265). Sowohl Tor Andrae (vgl. Andræ 1926: 146–150) als auch Edmund Beck (vgl. Beck 1948; Beck 1959) argumentieren dagegen für einen syrischen Hintergrund der koranischen Vorstellung. Mit zahlreichen Belegen aus der altarabischen Dichtung wiederum wartet Josef Horovitz auf; in den von ihm angeführten Stellen erscheinen die ḥūr als betörend schöne Frauen im Kontext üppiger Trinkgelage (vgl. Horovitz 1923: 12–13; siehe TUK_1410). Christoph Luxenberg schließlich möchte in ihnen Weintrauben erkennen (vgl. Luxenberg 2000: 225–242; zur Kritik an Luxenbergs Ansatz siehe: Wild 2010).
Nach Martin Haug (Haug and West 1872: LXI–LXII), Louis H. Gray (Gray 1902: 158) und William St. Clair Tisdell (St. Clair Tisdall 1905: 235–238) hat in Sonderheit Eugen Berthels einen möglicherweise zoroastrischen Ursprung der ḥūr zur Diskussion gestellt, wobei er zwar einräumt, dass die koranische Vorstellung von den Gerechten im Paradies zur Verfügung stehenden Jungfrauen wenig mit dem zoroastrischen Konzept der daēnā, der Schauseele, zu tun habe, gleichzeitig aber darauf hinweist, dass nur ein kleiner Teil des reichen zoroastrischen Schrifttums auf uns gekommen sei. Die rein geistige Vorstellung der daēnā könnte also etwa im Volksglauben eine handfestere Form angenommen haben (vgl. Berthels 1925: 266–267). In diesem Zusammenhang ist eine Beobachtung Gherardo Gnolis aufschlussreich, der eine ikonographische Darstellung der daēnā auf sasanidischen Siegeln belegen konnte, die diese als eine Frau darstellen (vgl. Gnoli 1993). Diese Anthropomorphisierung, welche die dēn häufig mit einer Blume als Symbol des mit ihr assoziierten Wohlgeruchs darstellt, wird durch eine Reihe von Formulierungen auf den sasanidischen Siegeln (z. b. ruwān wēnān, „möge ich die Seele sehen“) gestützt, die Allusionen an die dēn enthalten (vgl. Grenet 2013: 202–203, weitere Beispiele bei Shenkar 2014: 93–96). Arthur Jeffery (vgl. Jeffery 1938: 119–120) diskutiert die Möglichkeit, dass ḥūr auf das mittelpersische hurust (hwlwst', „schön, wohlgestalt“, MacKenzie 1971: 45) zurückgehen könnte, wobei er anmerkt, dass dieses Wort im Ardā Wīrāz Nāmag als Eigenschaft der die Taten des Gerechten verkörpernden dēn verwendet wird. Des Weiteren wurde vereinzelt darauf hingewiesen, dass die Farbe Weiß in Verbindung mit der Idee einer Paradiesjungfrau auch im Zoroastrismus vorkomme (Groß-Bundahišn 30:14, siehe Sundermann 1992: 169–170). Die Idee eines zoroastrischen Hintergrundes hat in jüngerer Zeit Jürgen Tubach wiederaufgenommen (vgl. Tubach 2010: 191-193), und auch Johnny Cheung verweist auf die einschlägige Belegstelle aus dem Hādōxt Nask (vgl. Cheung 2017: 324–326).
Im Zoroastrismus findet sich die Vorstellung, dass die „Atem-Seele“ (uruuan, mittelpersisch ruwān) eines Verstorbenen der Versinnbildlichung seiner Taten in Gestalt seiner Schauseele (daēnā, mittelpersisch dēn, siehe für verschiedene Aspekte Shaki 1994) begegnen, bereits in awestischen Texten (Vīdēvdād 19:30, Hādōxt Nask 2). In der mittelpersischen Literatur lassen sich komplementäre Passagen sowohl in den Inschriften des Hohepriesters Kartīr (TUK_1408), im Ardā Wīrāz Nāmag (TUK_1409) und Dādestān ī Mēnōg ī Xrad als auch in der späteren priesterlichen Literatur (Dēnkard 9:20) nachweisen (zu Idee und Entwicklung siehe Widengren 1983 u. Sundermann 1992). Daneben scheint eine ähnliche Vorstellung auch im Manichäismus existiert zu haben (vgl. Henning 1945: 476–477, Colpe 1981, Gershevitch 1984, Sundermann 1992: 166–169), so dass die Idee der die guten Taten des Menschen nach seinem Tode verkörpernden Jungfrau als „recurring pattern in der Geschichte der Religionen auf iranischem Boden“ (Sundermann 1992: 172) bezeichnet werden kann.
Im hier zitierten Abschnitt aus dem Dādestān ī Mēnōg ī Xrad wird die konzeptionelle Diskrepanz zwischen der zoroastrischen daēnā und den koranischen Paradiesjungfrauen besonders deutlich, entgegnet doch die daēnā der sie als Mädchen (kanīg) adressierenden Seele, dass diese eben nicht einem schönen Mädchen, sondern der Versinnbildlichung der eigenen guten Taten gegenüberstehe. Auf diesen Unterschied hatte bereits Louis H. Gray 1902 hingewiesen (Gray 1902: 158). Gleichwohl könnte eine bildhaftere Vorstellung der daēnā, wie sie Berthels für möglich hält, und in dieser Annahme durch die komplementäre Passage im Ardā Wīrāz Nāmag (TUK_1409) und der von Gnoli identifizierten ikonographischen Darstellung gestützt wird, Eingang in den koranischen eschatologischen Diskurs gefunden haben.
Das Dādestān i Mēnōg ī Xrad („Urteile des Geistes der Weisheit“) ist ein mittelpersischer zoroastrischer Text, welcher der Gattung der Weisheitsliteratur (Andarz) zugerechnet wird (vgl. Shaked and Safa 1985). Der Text selbst stellt die spätere Verschriftlichung einer zunächst mündlichen Tradition dar. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem Jahr 1589. Autor und Entstehungszeit sind unbekannt, jedoch gehen Edward W. West, Mary Boyce und Aḥmad Tafażżolī aufgrund stilistischer Besonderheiten und der Bezugnahme auf historische Ereignisse der späten Sasanidenzeit von einer schriftlichen Abfassung während der Regierungszeit des Ḫusraw I. Anūšīrwān (reg. 531–579 n. Chr.) aus (vgl. West 1885: X–XI; Boyce 1968: 54; Tafażżolī 1993). Für das Genre der Andarz-Literatur generell wird von einer schriftlichen Fixierung in der spät-sasanidischen Zeit ausgegangen (vgl. Stausberg 2002: 291–292).
Formal gliedert sich der Text in 63 Abschnitte, wobei auf eine den Rahmen bildende erzählerische Einleitung 62 Dialogsequenzen folgen. Die Einleitung unterrichtet über die Bemühungen eines gewissen Dānāg (der sprechende Name kann wörtl. übersetzt werden mit „der Wissende, der Weise“), der während seiner Suche nach Wissen und Erkenntnis viele Länder bereist und dabei Sitten, Bräuche und religiöse Überzeugungen kennenlernt (DMX 1:33–38). Am Ende seiner Reise wird ihm schließlich – nach Erkennen der für den Zoroastrismus zentralen Tugend der Weisheit (xrad) – die Ehre zuteil, Fragen an den göttlichen Geist der Weisheit (Mēnōg ī Xrad) stellen zu dürfen (DMX 1:57–60). Die darauf folgenden 62 Sektionen behandeln eine Fülle von Themen: Neben lebenspraktischen Fragen etwa über das maßvolle Weintrinken (DMX 16) werden Fragen der religiös korrekten Lebensführung, wie die nach der Einhaltung der drei Gebetszeiten (DMX 53), erörtet; des Weiteren werden Begräbnis-Vorschriften (DMX 6), das Tragen des heiligen Gürtels und Essenvorschriften (DMX 6) sowie dogmatische Themen wie der Antagonismus zwischen Ohrmazd und Ahriman (DMX 45; 45; 54), Fragen des Rituals (DMX 52) sowie Sünden- und Tugendkataloge (DMX 35; 36) besprochen. Vereinzelt wird auch auf eschatologische Themen, etwa die Anzahl der Paradiese und Höllen (DMX 7), eingegangen. Daneben finden sich auch kurze kosmogonische (DMX 44) und geographische (DMX 56) Passagen, Darlegungen über die Klassenstruktur der Gesellschaft (DMX 31; 32) und weitere Themengebiete. Wie der Titel des Werkes bereits andeutet, betont der Text die sittliche Überlegenheit des Strebens nach Weisheit und spiritueller Vervollkommnung vor materiellem Wohlstand und weltlicher Macht.
123 ud ka ruwān ī ahlawān pad ān puhl widerēd ēg frasang homānāg ān ī puhl pahnāy bawēd
124 ud ān ī ahlaw ruwān pad abāgīh ī srōš-ahlā be widerēd
125 u+š ān ī xwēš nēk-kunišn pad kanīg kirb ō padīrag āyēd,
126 ī az harw kanīg ī pad gēhān hučihrtar ud weh,
127 ud ān ī ahlaw ruwān gōwēd
128 kū: tō kē hē, kē+m hagriz kanīg ī az tō hučihrtar ud weh pad gētīg nē dīd.
129 pad passox paywāzēd ān kanīg kirb
130 kū: az* nē kanīg bē kunišn ī nēk ī tō ham, ǰuwān ī humenišn ī hugōwišn ī hukunišn ī hudēn
123 And when a soul of the righteous passes upon that bridge, the width of the bridge becomes as it were a league (parasang),
124 and the righteous soul passes over with the cooperation of Srosh the righteous.
125 And his own deeds of a virtuous kind come to meet him in the form of a maiden,
126 who is handsomer and better than every maiden in the world.
127 And the righteous soul speaks
128 thus: “Who mayst thou be, that a maiden who is handsomer and better than thee was never seen by me in the worldly existence?”
129 In reply that maiden form responds
130 thus: “I am no maiden, but I am thy virtuous deeds, thou youth who art well-thinking, well-speaking, well-doing, and of good religion!”