Ps 130:3 bringt in einer rhetorischen Frage die grundlegende Sündhaftigkeit des Menschen vor Gott zum Ausdruck. Wie eine Vielzahl von Gebeten bezeugt, war die Vorstellung, dass kein Mensch vor den Göttern schuldlos ist, allgemein im Alten Orient weit verbreitet (Hossfeld und Zenger 2008: p. 580-583), und scheint schließlich auch in Q 35:45 und Q 16:61 reflektiert zu sein. Dabei erinnert nicht nur der Gedanke, sondern auch die Formulierung an den Psalm. So könnte laut Ps 130:3 niemand bestehen (mi yaʿamod, "wer könnte bestehen?"), wenn Gott die Sünden aufbewahren (tišmor) würde. Q 35:45 und Q 16:61 zufolge würde Gott kein Tier auf der Erde übriglassen (mā taraka ʿala (ẓahri)hā min dābbatin), wenn er die Menschen gemäß ihrer Sünden belangen würde. Die koranische Ausdrucksweise klingt zwar an den Psalm an, der Gedanke wird aber anders weiterentwickelt. In Ps 130 vertraut der Betende auf Gottes Vergebung. In den genannten Koranversen dagegen wird die Strafe bis zum Jüngsten Gericht aufgeschoben (wa-lākin yuʾaḫḫiruhum ʾilā ʾaǧalin musamman). Dieser Unterschied zum Psalm erklärt sich in Q 35:45 als logische Konsequenz der vorhergehenden Verse, die diejenigen anklagen, die es immer wieder versäumt haben, auf die von Gott gesandten Warner zu hören. Ps 130 ist auch Teil des jüdischen Gottesdienstes am Versöhnungstag (Elbogen 1995: p. 152), sowie an Fasttagen bei Trockenheit (Trepp 2004: p. 202).