Die safaitische Originalschrift kann nicht digital dargestellt werden; siehe unten, Abbildung 2 mit einer Faksimilezeichnung der Felslinschrift und Abbildung 3 mit dem linear dargestellen safaitischen Text.
Der Text der Inschrift wird in lateinischer Transkription angegeben, s.u.




[Geschrieben von] Dādʾīl und er war [dort] anwesend und erkannte die Inschrift von seinem Bruder Naṣr. O Lat gewähre Sicherheit!
Hinweis: Die in dieser Übersetzung gegebenen Vokal sind Vorschläge aufgrund der vokalisierten Namensformen späterer Texte der arabischen Tradition.
In Q 62:5 erscheint das Wort ʾasfār („Bücher“) in einer polemischen Aussage, die sich gegen die Rechtspraxis der Juden richtet: Ihnen sei die Tora aufgeladen, die sie aber nicht erfüllen könnten. Die Juden seien mit einem Esel zu vergleichen, der Bücher trägt, womit gemeint ist, dass sie den Inhalt der Tora nicht verstünden. Das Wort, das im zitierten Text mit „Bücher“ übersetzt ist, erscheint originalsprachlich im Plural ʾasfār, das die arabischen Gelehrten auf eine Singularform sifr zurückführen. Ein zweites Wort im Koran leitet sich von derselben Wurzel ab, safara (Q 80:15), und bedeutet „Schreiber“. Diese arabische Pluralform in Q 80:15 safara, „Schreiber“, kann ebenfalls als arabische Bildung von sifr („Buch“) verstanden werden. Für „Buch“ verwendet der Koran in der Regel das Wort kitāb, „Buch; Schriftstück, Dokument; Urteil“, das mehr als 50-mal belegt ist; für „Schreiber“ das Wort kātib (Q 2:282–283 und Q 21:94). Warum in den beiden Versen mit ʾasfār und safara zwei für den Koran ungewöhnliche Wörter erscheinen, für die es gebräuchlichere Varianten gibt, ist unklar.
Linguistisch betrachtet, gehen die Begriffe ʾasfār (Q 62:5, Q 34:19) und safara (Q 80:15) beide auf die semitische Wurzel /s-f-r/ bzw. /š-p-r/ zurück. Diese Wurzel ist gemeinsemitisch und hat die Grundbedeutung „schreiben, zählen, abmessen, erzählen“ (vgl. Akkadisch: šapāru, „schicken, schreiben“ [AHw 1170]; Ugaritisch und Biblisch-Hebräisch: spr, „to count, number, write“; „to recite“; „to write, inform in writing“; „to calculate, reckon“; als Š-Stamm: „to make [someone] count“ [DUL 766ff., HAL 723–725, HAHAT 898]). Sowohl Verb spr, „to inscribe, write“ wie auch Nomen spr, „writing; inscription; letter; document, record; book“, die auf die Wurzel /s-f-r/ zurückgehen, finden sich in nordwestsemitischen Inschriften (DNWSI 798-801); daneben ist ebenfalls sfr, „Schreiber“, bezeugt (DNWSI, 799; vgl. dazu sepīru, sepirru, „Übersetzer-Schreiber“, aus aram. sfīrā, „gelehrt“, (AHw 1036). Im Altsüdarabischen lässt sich die Wurzel /s-f-r/ mit der Bedeutung „schreiben“ nicht nachweisen, mit Ausnahme eines sabäischen Holzstäbchen. Das Verb sfr kommt aber in der Bedeutung von „reisen“ in einem Minuskeltext vor (X.BSB 107/4 = Mon.script.sab. 80/4, Stein 2010: 380). Dazu kommt auch sabäisch s¹frt „Ausdehnung, Maß“ (Sab. Dict., 125). Inschriften wie die safaitische Felsinschrift HCH 134 aus Jordanien belegen wie zahlreiche andere altnordarabische Inschriften das Wort sfr mit der allerdings spezifischen Bedeutung von „Inschrift“ bei den arabischen Stämmen.
Diesen inschriftlichen Zeugnissen steht die traditionelle Sichtweise der arabischen und westlichen Gelehrten entgegen, die ʾasfār (Q 62:5) und safara (Q 80:15) für Entlehnungen wahlweise aus dem Aramäischen oder Hebräischen hielten. Da das hebräische Wort sefär, das übliche Wort für „Buch“, in der Hebräischen Bibel und im Syrischen sowie im Jüdisch-Aramäischen gut belegt ist, ging man bisher von einem Fremdwort im Koran aus: Ignaz Goldziher (1850–1921) betrachtet das Wort aus dem jüdischen Sprachgebrauch entlehnt (vgl. Goldziher 1878, p. 347) und auf das hebräische Wort sefär („Buch“) zurückgehen. Siegmund Fraenkel (1855–1909) sieht im koranischen sifr ein Lehnwort aus dem Aramäischen, wobei er darauf hinweist, dass aufgrund der Lautverschiebungsregel mit šfr zu rechnen wäre. Dies spricht nach Fraenkels Auffassung allerdings nicht gegen ein Lehnwort, da das Wort sifr im arabischen Lexikon nur schwerlich ableitbar sei (vgl. Fraenkel 1886, p. 247: „Durch die Lautverschiebungsregel lässt es sich allerdings nicht erweisen, ausser wenn man annimmt, dass hebr. sifr für ursprüngliches šifr steht. Dann wäre es denkbar, die Wurzel /sfr/ ‚schreiben‘ (sefär ‚Buch‘, sipper ‚erzählen‘) mit der [aramäischen] Wurzel sfr ‚schneiden, kratzen‘ jüd. tasfarat syr. masfartā Cast. 615 zusammenzustellen. Diese gehören deutlich zur [arabischen] Wurzel šafara ‚schneiden‘. Bei dieser Ableitung wäre sifr zweifellos als Entlehnung anzusprechen. Ich will diese Frage aber weder bestimmt bejahen, noch verneinen; sifr aber ist jedenfalls schon durch den Mangel einer Ableitung im Arabischen und den beschränkten Gebrauch als Fremdwort zu erkennen“). Auch Joseph Horovitz (1874–1931) hält das koranische Wort sifr für ursprünglich nicht arabisch (Horovitz 1925, p. 209). Arthur Jeffery (1892–1559), der 1938 die bis heute maßgebliche Studie zu Lehnwörtern im Koran publizierte, hält sifr für ein nicht-arabisches Wort (Jeffery 1938, p. 170: „quite unnatural in Arabic“) und stützt sich dabei auch auf arabische Philologen wie as-Suyūṭī (gest. 1505) und Ibn Duraid (gest. 933). Ibn Duraid sieht in sifr „das Buch vom Typ der Tora des Evangeliums und dergleichen“ (wa-s-sifru al-kitābu mina t-taurāti wa-l-ʾinǧīli wa-mā ʾašbahihimā, vgl. Ibn Duraid, Kitāb al-ištiqāq, p. 103), und erwähnt den Korankommentar des Abū ʿUbaida (gest. 825), der in diesem Sinne Q 60:5 interpretiert habe. In Abū ʿUbaids Schrift findet sich nur eine allgemeine Worterklärung: yaḥmilu ʾasfāran wāḥiduhā sifrun wa-huwa l-kitābu, „er trägt ‚Schriften‘ (ʾasfār), der Singular [lautet] sifr und dies [bedeutet] ‚Buch‘ (al-kitāb)“ (Abū ʿUbaida, Maǧāz al-Qurʾān, Bd. 2, p. 58).
Die zitierten Gelehrten konnten die altnordarabischen Texte in ihre Überlegungen nicht einbeziehen, da diese erst in den vergangenen Jahrzehnten erschlossen wurden. Allein die von Michael Macdonald (Oxford) publizierte Datenbank Online Corpus of the Inscriptions of Ancient North Arabia (OCIANA) verzeichnet mehr als 460 Inschriften und Graffiti für das Wort sfr in safaitischen Texten und Inschriften aus Dadān (al-ʿUlā). Die altnordarabischen Belege aus dem Safaitischen und dem Dadanischen (TUK_1559) legen nahe, das arabische Wort sifr als ein bei den arabischen Stämmen im Norden der Halbinsel bekanntes Grundwort zu betrachten, wobei nicht auszuschließen ist, dass das Wort in der zweiten Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrtausends von den arabischen Stämmen aus dem Aramäischen oder Akkadischen übernommen wurde. Die inschriftlichen Belege sprechen gegen die Vorstellung, dass das Wort erst im 6. oder 7. Jahrhundert in die arabische Sprache gelangte. Es ist sicher richtig, dass das Grundwort für „Buch“ bei den meisten arabischen Stämmen im 6. und 7. Jh. das Wort kitāb war. Die Tatsache, dass neue altnordarabischen Inschriften bereits im 4. Jh. nicht mehr nachzuweisen sind, schließt nicht aus, dass das Wort weiterhin im Sprachgebrauch einiger arabische Stämme verblieb. Dass arabische Philologen wie Ibn Duraid (gest. 933) oder as-Suyūṭī (gest. 1505) sifr als Fremdwort betrachteten, könnte damit zusammenhängen, dass zum einen in die arabische Gelehrtensprache nur einen Teil des Lexikons der verschiedenen Stämme eingeflossen ist und zum anderen, dass das Wissen von den vorislamischen Verhältnissen bei den irakischen Philologen recht fragmentarisch war. Da das aramäische Wort bei irakischen Juden und Christen gängig war, im klassisch Arabischen jedoch kitāb als Grundwort für „Buch“ verwendet wurde, erschien es naheliegend, die koranischen Wörter sifr („Buch“) und safara („Schreiber“) als Entlehnungen zu betrachten. Die altnordarabischen Inschriften wurden von den arabischen Gelehrten anscheinend nicht herangezogen, was sicher auch daran lag, dass das Alphabet der Inschriften in der islamischen Epoche nicht mehr verstanden wurde.
Zur Inschrift: Die Inschrift auf einem Basaltstein wurde von G. L. Harding in Ṣafāwī (H5), im Nordosten von Jordanien entdeckt (siehe Abbildung 4) und publiziert (Harding 1953). Sie ist heute als Inschrift HCH 134 im Bestand des Jordanischen Nationalmuseum in Amman (siehe Abbildung 1; Abbildung 2 enthält eine Abzeichnung des Inschriftensteins, der safaitische Text ist in Abbildung 3 als linearer Text wiedergegeben). Die altnordarabischen Texte werden in ein Corpus dadanischer, hismaitischer, safaitischer und thamudischer Texte aufgeteilt. Diese Einteilung richtet sich nach der Schriftform, nicht nach der Sprache, die in den vier Corpora sehr ähnlich ist. In der Semitistik wird die Sprache der vier Corpora als Sprache der arabischen Stämme in der Antike verstanden. Altnordarabische Inschriften werden in den Zeitraum zwischen dem 4. Jahrhundert v. Chr. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. datiert, wobei fast keine altnordarabische Inschrift ein Datum enthält. Anhand der Schriftform kann die Inschrift HCH 134 zwischen 400 v. Chr. und 200 n. Chr. datiert werden (die altnordarabische Inschrift JaL 161a [vgl. TUK_1560] aus Dadan [al-ʿUlā] in den Zeitraum zwischen dem 3. vorchristlichen Jahrhundert und dem 1. Jh. n. Chr.). Die Inschrift HCH 134 wurde von einer Person namens Dādʾīl verfasst, von der wir außer dem ungewiss zu vokalisierenden Namen nichts wissen. Die Lesung „Dādʾīl“ liest den Namensteil ʾl als Gottesnamen ʾīl (vgl. hebräisch: ʾel; altsüdarabisch: ʾīl) und dd als dād. Für die Lesung des zweiten Personennamens als „Naṣr“ würde das Vorkommen des gleichen Namens in altarabischen Texten sprechen. Die kurze Inschrift HCH 134 handelt davon, dass Dādʾīl die von seinem Bruder Naṣr geschriebene, in der Nähe befindliche Inschrift entdeckt hatte. Der Text endet mit der Anrufung der Gottheit Lt, womit wahrscheinlich Lāt gemeint ist, wie der Name der Gottheit in aramäischen Texten lautet. Die Gottheit Allāt wird in der Form /ʾlt/ in den palmyrenischen Inschriften geschrieben (Teixidor 1979, p. 53 ff.). In Palmyra und im Wadi Rum (Südjordanien) wurden Tempel der Gottheit Allāt ausgegraben (siehe Zayadine/Farès-Drappeau 1998, p. 255-258). Der bei den Nabätern nachgewiesene Name Al-Lāt enthält den arabischen Artikel /al-/, eine Form, die auch in Q 53:19 und in zahlreichen palmyrenischen Inschriften belegt ist; auch in Form von Namen wie ʿAbdallāt („Diener der Allāt“) oder Wahballāt („Geschenk der Allāt“) erscheint. Dass die bei Herodot (5. Jh.) erwähnte Gottheit ʾaliliat die Göttin Allāt bezeichnet, kann nicht als gesichert gelten (vgl. TUK_1547).
l ddʾl w gls¹ f ʿrf s¹fr nṣr ʾḫ -h f lt s¹lm
Im kritischen Apparat zur angegebenen Inschrift heißt es (vgl. Ociana zu HCH 134 [consulted on 11.2.2021]): „‚O Lt‘ for ‚So Lt‘ where the vocative particle is included in the translation by mistake. SIAM II p. 193: m of s¹lm is clear on the stone although it is missing from both the copies. MNH pp. 383-384 & n. 484“.
Hinweis: In der Umschrift des Altnordarabischen steht /s¹/ steht für den einfachen s-Laut, der für die anderen Sprachen der Texte aus der Umwelt des Korans mit /s/ translitereriert wird. Das Zeichen /s2/ steht für ein /š/ (= deutsches ‚sch‘, das arabische šīn) und s3 für /ś/, d.h. für den lateralen Zischlaut. Der Text der Inschrift markiert weder Vokale noch Wortgrenzen. In der angebenen Umschrift der Originalsprache wird die Wortgrenze so wie in der angegebenen Edition verzeichnet.
By Ddʾl and he stopped [there] and he recognized the letters of Nṣr his brother. So Lt [grant] security.
Mohammed Maraqten