
In Bearbeitung. Siehe die englische Übersetzung unten.
Im zoroastrischen Schrifttum und in den Inskriptionen der Sasaniden ist die Invokationsformel „Im Namen der Götter“ (pad nām ī yazdān) vielfach belegt. Philippe Gignoux weist darauf hin, dass die Basmala hier ihren Ursprung haben könnte (vgl. Gignoux 1979; Gignoux and Algar 1989, so auch Blochet 1898: 40). Bereits William St. Clair Tisdall hatte diese Möglichkeit am Beispiel des Groß-Bundahišn diskutiert, dessen Abfassung jedoch in die Zeit nach der arabischen Eroberung fällt (vgl. St.Clair Tisdall 1905: 255). Shaul Shaked dagegen rekurriert auf Ignaz Goldziher und sieht die Basmala in der jüdisch-christlichen Tradition verwurzelt, wobei er konzediert, dass die Invokationsformel zur gleichen Zeit auch im iranischen Kulturraum anzutreffen sei (Shaked 1993: 152–154).
Zweimal findet sich die Invokationsformel in der Paikuli-Inskription (TUK_1288), die aus der Regierungszeit des Narsē stammt (reg. 293–302 n. Chr.). Daneben steht die gleiche Formel auch in der Mašgīn-Šahr-Inschrift (TUK_1289) geschrieben. Vorangestellt findet sie sich auch den awestischen Yašts, wo die Abfassung der Formel in Pazand jedoch auf eine spätere Adjunktion schließen lässt. In der Funktion einer Doxologie kommt die Formel, zum Teil in leicht abgewandelter Form, im mittelpersischen Schrifttum vor; so zu Beginn des Ardā Wīrāz Nāmag, dessen Einleitung jedoch nach den islamischen Eroberungen verfasst worden ist. In struktureller Ähnlichkeit zur Basmala ist die Formel weiteren mittelpersischen Texten als Proömium vorangestellt (vgl. TUK_0418); eine solche Invokationsformel findet sich, um eine Lobpreisung des Gottes Ohrmazd erweitert, auch im mittelpersischen Dādestān ī Mēnōg ī Xrad.
Das Dādestān i Mēnōg ī Xrad („Urteile des Geistes der Weisheit“) ist ein mittelpersischer zoroastrischer Text, welcher der Gattung der Weisheitsliteratur (Andarz) zugerechnet wird (vgl. Shaked and Safa 1985). Der Text selbst stellt die spätere Verschriftlichung einer zunächst mündlichen Tradition dar. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem Jahr 1589. Autor und Entstehungszeit sind unbekannt, jedoch gehen Edward W. West, Mary Boyce und Aḥmad Tafażżolī aufgrund stilistischer Besonderheiten und der Bezugnahme auf historische Ereignisse der späten Sasanidenzeit von einer schriftlichen Abfassung während der Regierungszeit des Ḫusraw I. Anūšīrwān (reg. 531–579 n. Chr.) aus (vgl. West 1885: X–XI; Boyce 1968: 54; Tafażżolī 1993). Für das Genre der Andarz-Literatur generell wird von einer schriftlichen Fixierung in der spät-sasanidischen Zeit ausgegangen (vgl. Stausberg 2002: 291–292).
Formal gliedert sich der Text in 63 Abschnitte, wobei auf eine den Rahmen bildende erzählerische Einleitung 62 Dialogsequenzen folgen. Die Einleitung unterrichtet über die Bemühungen eines gewissen Dānāg (der sprechende Name kann wörtl. übersetzt werden mit „der Wissende, der Weise“), der während seiner Suche nach Wissen und Erkenntnis viele Länder bereist und dabei Sitten, Bräuche und religiöse Überzeugungen kennenlernt (DMX 1:33–38). Am Ende seiner Reise wird ihm schließlich – nach Erkennen der für den Zoroastrismus zentralen Tugend der Weisheit (xrad) – die Ehre zuteil, Fragen an den göttlichen Geist der Weisheit (Mēnōg ī Xrad) stellen zu dürfen (DMX 1:57–60). Die darauf folgenden 62 Sektionen behandeln eine Fülle von Themen: Neben lebenspraktischen Fragen etwa über das maßvolle Weintrinken (DMX 16) werden Fragen der religiös korrekten Lebensführung, wie die nach der Einhaltung der drei Gebetszeiten (DMX 53), erörtet; des Weiteren werden Begräbnis-Vorschriften (DMX 6), das Tragen des heiligen Gürtels und Essenvorschriften (DMX 6) sowie dogmatische Themen wie der Antagonismus zwischen Ohrmazd und Ahriman (DMX 45; 45; 54), Fragen des Rituals (DMX 52) sowie Sünden- und Tugendkataloge (DMX 35; 36) besprochen. Vereinzelt wird auch auf eschatologische Themen, etwa die Anzahl der Paradiese und Höllen (DMX 7), eingegangen. Daneben finden sich auch kurze kosmogonische (DMX 44) und geographische (DMX 56) Passagen, Darlegungen über die Klassenstruktur der Gesellschaft (DMX 31; 32) und weitere Themengebiete. Wie der Titel des Werkes bereits andeutet, betont der Text die sittliche Überlegenheit des Strebens nach Weisheit und spiritueller Vervollkommnung vor materiellem Wohlstand und weltlicher Macht.
1 Pad nām ud šnāyišn ī wispān-sūd dādār Ohrmazd
2 ud harwisp mēnōg ud gētīg dahišnān yazadān
3 ud frahangān ī dēn ī mazdēsn
4 kē+š ēd ast bun-xān ī dānāgīh frāz-wizdār.
5 Aziš, pad xwarrah ud kām ī dō axwān abzōnīgān, āfrāh ī dādār Ohrmazd
6 ud harwisp mēh-ōzān yazadān,
7 ud pad rayēnišn ud pardazišn ī yazadān-ēzišnīh ō čimīg-wazišnān dānāgān
8 pādāšnīhā nōg nōg ō-xwēšēnīdārīh ī xrad,
9 pad stabrīhā nirmad-windišnīh ī dō-axwānīg, ī ō tān ud ruwān bēšazgartom.
1 In the name and for the propitiation of the all-benefiting creator Ohrmazd,
2 all the angels and spiritual and worldly creations
3 and of the learning of learnings, the Mazda-worshipping religion
4 forth from this, which is such a source of wisdom, is a selector.
5 Through the glory and will of the creator Ohrmazd who is promoting the prosperity of the two existences
6 and of alle the greatly powerful angels,
7 and through the completely calm repose of the sacred beings, the princely, purpose-fulfilling sages,
8 presentations of various novelties for the appropriation of wisdom,
9 through largely acquiring reasoning thought, are most wholesome for the body and soul in the two existences. (West 1885: 3-4)