ܒܝܘܡܐ ܕܐܪܒܥܐ ܫܡܫܐ ܘܣܗܪܐ ܫܩܠܘ ܫܘܠܛܢܐ: ܥܠ ܐܝܡ̈ܡܐ ܘܠܝ̈ܠܘܬܐ ܡܢ ܒܪܘܝܐ܀ ܒܗܢܐ ܝܘܡܐ ܐܬܟܕܢܬ ܠܗ ܐܝܟ ܡܪܟܒܬܐ: ܕܢܘܗܪܐ ܠܫܡܫܐ ܘܢܦܩ ܢܣܥܘܪ ܠܐܪܥܐ ܟܠܗܿ܀ ܒܪܒܝܥܝܐ ܫܪ̈ܓܰܝ ܥܠܡܐ ܕܠܩܘ ܒܪܩܝܥܐ: ܘܢܗܪܬ ܡܢܗܘܢ ܟܠܗܿ ܒܪܝܬܐ ܕܚܶܫܘܟܐ ܗܘܬ܀
Am vierten Tag erhielten Sonne und Mond vom Schöpfer die Herrschaft über Tage und Nächte. An diesem Tag schirrte er die Sonne wie einen Wagen aus Licht an und es [das Licht] ging hinaus, um die ganze Erde zu besuchen. Am vierten [Tag] erstrahlten die Leuchten der Welt im Firmament und von ihnen wurde hell die ganze Welt (Schöpfung), welche dunkel (Dunkelheit) gewesen war.
An den genannten drei Textstellen spricht der Koran von einer Leuchte (arab. sirāǧ) am Himmel, die Teil der Schöpfung ist: In Q 71: 36 wird die Sonne als Leuchte und der Mond als Licht (arab. nūr) genannt; in Q 78: 13 ist lediglich von einer Leuchte die Rede, die von Gott geschaffen wurde (ohne dass explizit die Sonne genannt würde); in Q 25: 61 wird der Schöpfer gepriesen, der am Himmel Gestirnskonstellationen (arab. burūǧ), eine Leuchte (arab. sirāǧ) und einen leuchtenden Mond (arab. qamar munīr) geschaffen hat. Mit sirāǧ wird an zumindest zwei Stellen also explizit die Sonne bezeichnet. An einer Stelle ist dieses Verständnis zumindest wahrscheinlich. Ähnlich wie die Koranstellen spricht das Lehrgedicht des Jakob von Sarug davon, dass Gott Sonne und Mond in das Firmament gestellt hat. Beide Himmelskörper, hier also nicht nur (wie wahrscheinlich im Koran) die Sonne, werden mit syr. šrāgē ("Leuchten") bezeichnet. Ihr Zweck ist es, die Welt zu erhellen (im syrischen Wortlaut: w-nehrat menhōn kullāh brītā d-ḥešōkā (h)wāt "und von ihnen wurde hell die Ganze Welt (Schöpfung), welche dunkel (Dunkelheit) war"), dazu ist im Koran arab. munīr, wahhāǧ "erhellend, strahlend" zu vergleichen.
Interessant ist die semantische, morphologische und lautliche Übereinstimmung zwischen arab. sirāǧ und syr. šrāgā. Hier mag eine Lehnwortbeziehung vorliegen, bzw. eine Entlehnung aus einer dritten Sprache, wobei eine Vermittlung des Wortes über das Aramäische ins Arabische sehr wahrscheinlich ist, da aram. š in Lehnwörtern vor dem 8. Jh. durchgehend als arab. s erscheint (zur lautlichen Realisation vgl. Watson 2002: p. 15). Der aramäische Formtyp CCāC-ā entspricht in Lehnwörtern arabisch CiCāC-. Zudem entsprechen sich aram. g und arab. ǧ, während bei einer direkten Entlehnung aus dem Mittelpersischen ins Arabische ein Auslaut -q oder -ġ wahrscheinlicher wäre. Als Ursprung des Wortes ist daher wohl mittelpersisch čirāγ ("Lampe") anzusetzen, das zunächst ins Aramäische entlehnt wurde, von wo es dann ins Arabische gelangte. Vgl. etwa Jeffery 1938: p. 166f. und zuletzt noch Asatrian 2006: p. 90, 103f.. Für eine Entlehnung in die arabische Sprache spricht auch die Tatsache, dass die lexikalische Wurzel (arab. s-r-ǧ) im Arabischen sonst andere Bedeutungsbereiche bezeichnet (z.B. arab. saraǧa „flechten“ oder sarǧ „Sattel“). Für eine Entlehnung in vorislamischer Zeit sprechen einige (wenn auch nur wenige) Belegstellen von sirāǧ „Lampe, Leuchte“ in der altarabischen Dichtung (z.B. bei den Dichtern al-Kumail und an-Nābiġa). Zur Entlehnungsfrage allgemein, vgl. den Glossariumeintrag sirāǧ. Ein signifikanter Unterschied zwischen dem Koran und dem hier vorliegenden Text von Jakob von Sarug liegt möglicherweise, wie gesagt, darin, dass im Koran scheinbar nur die Sonne als sirāǧ bezeichnet wird, während der Mond zwar "Licht" nūr und "erhellend" munīr ist, aber selbst nicht als "Leuchte", d.h. sirāǧ bezeichnet wird; dabei ist jedoch zu bemerken, dass in der syrischen Literatur šrāgā ebenfalls üblicherweise mit "Sonne" (šemšā) parallelisiert wird, vgl. dazu Thesaurus Syriacus: s.v. šrāgā, z.B. šemšā šrāgāk "die Sonne, deine Leuchte". Mit dem Gebrauch des Wortes sirāǧ für die von Gott geschaffene Sonne steht der Koran also in einer weiteren Tradition, die vor allem in den monotheistischen Religionen betont wird; Sonne und Mond sind keine unabhängigen göttlichen Entitäten, sondern vielmehr vom Schöpfergott geschaffen und eingesetzt.
Die selbe Idee findet sich auch etwa in Q 67:5, wo allerdings ein anderes Wort für 'Lampen' verwendet wird: wa-laqad zayyannā s-samāʾa d-dunyā bi-maṣābīḥa... "und wir haben den untersten Himmel mit Lampen (maṣābīḥ) geschmückt". Im Koran findet sich also zum Einen ein (etymologisch) wörtlicher Anklang an frühere Traditionen, zum Anderen ein inhaltlicher Anklang mit nur semantisch übereinstimmendem Wortgebrauch.