

Im Gegensatz zu den in der islamischen Tradition kanonisch gewordenen fünf Gebeten werden im Koran lediglich drei Gebetszeiten explizit genannt. Neben dem Morgengebet (ṣalāt al-faǧr) und dem Abendgebet (ṣalāt al-ʿišāʾ) wird ein Gebet zur Mittagszeit (ṣalāt al-wusṭā) erwähnt (Böwering 2004). Diese drei Gebetszeiten entsprechen denen, die im hier zitierten Dādestān i Mēnōg ī Xrad genannt werden. Gleichwohl finden sich im Koran auch Hinweise, die die Vermutung zulassen, dass fünf Gebetszeiten intendiert gewesen sein könnten (Goitein 1923: 36–43). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass im Zoroastrismus der Einteilung des Tages in fünf Zeitabschnitte (Gāhs, vgl. Boyce 2000) fünf Gebete korrespondieren (zu Inhalt und Struktur siehe Hintze 2007). Mary Boyce argumentiert dahingehend, dass vor Zarathustra drei Gebete, zu Sonnenaufgang, Mittag und Sonnenuntergang, existierten und Zarathustra die Erweiterung auf die später üblichen fünf Gebete vorgenommen habe (Boyce 1992: 84–85).
Das Dādestān i Mēnōg ī Xrad („Urteile des Geistes der Weisheit“) ist ein mittelpersischer zoroastrischer Text, welcher der Gattung der Weisheitsliteratur (Andarz) zugerechnet wird (vgl. Shaked and Safa 1985). Der Text selbst stellt die spätere Verschriftlichung einer zunächst mündlichen Tradition dar. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem Jahr 1589. Autor und Entstehungszeit sind unbekannt, jedoch gehen Edward W. West, Mary Boyce und Aḥmad Tafażżolī aufgrund stilistischer Besonderheiten und der Bezugnahme auf historische Ereignisse der späten Sasanidenzeit von einer schriftlichen Abfassung während der Regierungszeit des Ḫusraw I. Anūšīrwān (reg. 531–579 n. Chr.) aus (vgl. West 1885: X–XI; Boyce 1968: 54; Tafażżolī 1993). Für das Genre der Andarz-Literatur generell wird von einer schriftlichen Fixierung in der spät-sasanidischen Zeit ausgegangen (vgl. Stausberg 2002: 291–292).
Formal gliedert sich der Text in 63 Abschnitte, wobei auf eine den Rahmen bildende erzählerische Einleitung 62 Dialogsequenzen folgen. Die Einleitung unterrichtet über die Bemühungen eines gewissen Dānāg (der sprechende Name kann wörtl. übersetzt werden mit „der Wissende, der Weise“), der während seiner Suche nach Wissen und Erkenntnis viele Länder bereist und dabei Sitten, Bräuche und religiöse Überzeugungen kennenlernt (DMX 1:33–38). Am Ende seiner Reise wird ihm schließlich – nach Erkennen der für den Zoroastrismus zentralen Tugend der Weisheit (xrad) – die Ehre zuteil, Fragen an den göttlichen Geist der Weisheit (Mēnōg ī Xrad) stellen zu dürfen (DMX 1:57–60). Die darauf folgenden 62 Sektionen behandeln eine Fülle von Themen: Neben lebenspraktischen Fragen etwa über das maßvolle Weintrinken (DMX 16) werden Fragen der religiös korrekten Lebensführung, wie die nach der Einhaltung der drei Gebetszeiten (DMX 53), erörtet; des Weiteren werden Begräbnis-Vorschriften (DMX 6), das Tragen des heiligen Gürtels und Essenvorschriften (DMX 6) sowie dogmatische Themen wie der Antagonismus zwischen Ohrmazd und Ahriman (DMX 45; 45; 54), Fragen des Rituals (DMX 52) sowie Sünden- und Tugendkataloge (DMX 35; 36) besprochen. Vereinzelt wird auch auf eschatologische Themen, etwa die Anzahl der Paradiese und Höllen (DMX 7), eingegangen. Daneben finden sich auch kurze kosmogonische (DMX 44) und geographische (DMX 56) Passagen, Darlegungen über die Klassenstruktur der Gesellschaft (DMX 31; 32) und weitere Themengebiete. Wie der Titel des Werkes bereits andeutet, betont der Text die sittliche Überlegenheit des Strebens nach Weisheit und spiritueller Vervollkommnung vor materiellem Wohlstand und weltlicher Macht.
- Pursīd dānāg ō mēnōg ī xrad
- kū: namāz ud stāyišn ī yazdān čiyōn kunišn?
- Mēnōg ī xrad passox kard
- kū: harw rōz sē bār padīrag xwarxšēd ud mihr, čiyōn pad āgenēn rawēnd, ēstād
- ud hamgōnag padīrag māh ud ātaxš ī wahrām ayāb ātaxš ī ādarōg bāmdād ud nēm-rōz ud ēbārag namāz ud stāyišn kardan
- ud spāsdār būdan.
- The sage asked the spirit of wisdom
- thus: “How are the homage and glorifying of the sacred beings to be performed?”
- The spirit of wisdom answered
- thus: “Every day three times, standing opposite the sun and Mihr, as they proceed together
- and the moon and fire of Wahram, or the fire of fires, in like manner, morning, noon and evening, homage and glorifying are performed
- and one has become grateful.”