20 Wer zu einem Wahrhaften kommt-Glanz (wird) ihm (zuteil werden) anstelle von Jammer. Lange/endlose Dauer der Finsternis, üble Speise und das Wort „Wehe“: Zu solcher Existenz wird euch, o Lügner, (eure) Anschauung/Schauseele auf Grund euer/ihrer Handlungen führen.
21 Von Seinem eigenen reichen Schutzschild/Schatz an Integrität und Unsterblichkeit, an Wahrsein und Macht gewährt der Weise Herr das Fett des guten Gedankens (demjenigen) der in Geist und Handlungen Sein Bundesgenosse (ist).
22 Glanzvolle (Gaben) sind dem Freigiebigen (bestimmt), der sie in seinen Gedanken bereits besitzt. Durch gute Macht/Herrschaft pflegt er das Wahrsein in Wort und Handlung. Lass ihn Deinen bestversorgten Gast sein, o Weiser Herr. (Humbach and Faiss 2010: 89–90)
In der koranischen Darstellung der Hölle erscheinen peinigende Speisen und Getränke als Strafe für die Sünder (zur Hölle im Koran siehe Jeschke 2012; Lange 2016: 37–56). Ihre anschaulichste Schilderung findet die grausame Speisung in Gestalt des am Höllengrund wurzelnden zaqqūm-Baumes (Q 37:62–67; Q 44:43–46; Q 56:52, siehe dazu Radscheidt 2010), dessen Früchte Teufelsköpfen gleichen (Q 37:65), die nach ihrem Verzehr wie geschmolzenes Metall und siedendes Wasser im Bauch wirken (Q 45:44–46). Daneben finden Feuer (Q 2:174; 4:10; 47:15), Dornensträucher oder ganz allgemein schlechtes Essen (Q 73:13) Erwähnung. Als Getränke werden kochendes Wasser (Q 6:70; Q 10:4; Q 18:29; Q 38:57; Q 47:15; Q 56:54; Q 78:25; Q 88:5), Wundflüssigkeit (Q 14:16–17) und Eiter (Q 38:57; Q 69:35–37; Q 78:35) dargeboten.
Angelika Neuwirth weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die „demütigende Bestrafung, wie die ehrende Auszeichnung, gleicherweise im Bild des Gastmahles eingefaßt sind“ (Neuwirth 2010: 424). Im Anschluss an Josef Horovitz, der für die paradiesischen Gastmähler auf Parallelen in der altarabischen Dichtung verwiesen hatte (Horovitz 1923: 15–16; siehe auch Qian 2017), deutet Neuwirth die Bewirtung mit peinigenden Speisen als „pervertiertes Bild der exzessiven Gastfreundschaft des altarabischen Helden“ (Neuwirth 2010: 427). In Q 56:56 werden die Früchte des zaqqūm-Baumes explizit als „[d]ies ist ihre Bewirtung am Tage des Gerichts“ (hāḏā nuzuluhum yauma d-dīni) benannt, während an einigen weiteren Stellen auf die Beschreibung der Höllenspeisen die zynische Aufforderung folgt, von diesen zu kosten (Q 51:14; Q 54:37, 39, 48; Q 78:30). Der Maßlosigkeit der Sünder im Leben steht somit die Maßlosigkeit gegenüber, mit der ihnen ekelerregende Speisen dargeboten werden. Die Parallele zu den Gelagen im Paradies ist zudem auffällig, da Höllen- und Paradiesbeschreibungen einander häufig antithetisch gegenübergestellt sind. Nach Geert J. van Gelder sind Speisen und Getränke „important elements in contrasting the ultimate locus amoenus of Heaven with the dystopia of Hell“ (van Gelder 2011: 23).
Im zoroastrischen Schrifttum existieren Vorstellungen, die möglicherweise als Präfigurationen der genannten koranischen Passagen fungiert haben könnten. Die Bedeutung zoroastrischer Ideen für die koranische Eschatologie ist früh betont worden (Haneberg 1871: 5; Rüling 1895: 62–63; Meyer 1901: 78; Goldziher 1901), allerdings hat erst Louis H. Gray eine umfassende Zusammenstellung koranischer Allusionen an zoroastrische eschatologische Vorstellungen vorgenommen (Gray 1902). Im Zoroastrismus scheint die Idee eines jenseitigen Lebens, in dem die Seelen der Menschen Belohnung bzw. Strafe für ihre guten und schlechten Taten zu erwarten haben, bereits sehr früh entwickelt worden zu sein (siehe dazu Stausberg 2009: 219–221, der auch auf Parallelen im Rig-Veda eingeht). Nach Mary Boyce ist dem Zoroastrismus die Entwicklung einer Konzeption der Unterwelt „not merely of negations, but of punishment, in fact as hell“ zuzuschreiben (Boyce 1975: 84 und zur Entwicklung zoroastrischer Eschatologie Boyce 1984).
In den Gāthās, den Hymnen Zarathustras, die den Kern der zoroastrischen Liturgie (Yasna) bilden, erscheint das Phänomen schlechten Essens als Strafe dreimal (Y 31:19–22; Y 49:11, Y 53:6). Nach Michael Stausberg kann „schlechtes Essen“ (akāiš xⱽarǝθāiš) als das bestimmende Charakteristikum der frühen zoroastrischen Vorstellung vom „Haus der Lüge“ (drūjō dǝmāna) gelten (Stausberg 2009: 223). In der mittelpersischen Literatur findet sich eine Fülle von Belegen für Speisen als Höllenstrafe, so im Weisheitstext Dādestān ī Mēnōg ī Xrad (TUK_1318) und an zahlreichen Stellen im Ardā Wīrāz Nāmag (TUK_1400), die weit elaborierter erscheinen und in den drastisch beschriebenen Strafen Parallelen zu den genannten Koranstellen aufweisen.
Im hier zitierten Yasna 31:20-22 stellt die üble Speisung neben der Dunkelheit (təmaŋhō) als Strafe für die Anhänger der Lüge ein Charakteristikum der Hölle dar. Daneben betont der Text die lange Dauer des Verharrens in diesem Zustand und das Rufen des „Wort[es] ‚Wehe‘“ (auuaētās vacō). Diese Interjektion ist möglicherweise als eine Betonung des Strafcharakters aufzufassen, oder aber als Hinweis darauf, dass, obwohl hier eine Individual-Eschatologie skizziert zu sein scheint, die Bewohner der Hölle der Leiden der anderen Sünder Gewahr werden. In koranischen Schilderungen der Hölle ist die lange Dauer des Leidens (Q 39:40, Q 4:169, Q 5:119, siehe dazu Abrahamov 2002: 94–95), wie auch das Wehklagen der Verdammten bedeutsam. In Y 31:21 ist in einem Parallelismus das Leiden der Anhänger der Lüge mit der reichen Gnadengewährung gegenüber den Rechtschaffenen kontrastiert, ein geläufiger Gedanke koranischer eschatologischer Szenen. In Y 31:22 wird neben einer weiteren Gnadenverheißung das Konzept eingeführt, dass das Individuum für seine Handlungen verantwortlich ist. Wer dem Pfade der Wahrheit folge, dem sei perspektivisch Gottes Gastfreundschaft verheißen.
20
yə̄ āiiat̰ aṣ̌auuanəm diuuamnəm hōi aparəm xṣ̌iiō
darəgə̄m āiiū təmaŋhō dušxvarəϑə̄m auuaētās vacō
tə̄m vā ahūm drəguuaṇtō š́iiaoϑanāiš xvāiš daēnā naēṣ̌at̰
21
mazdā̊ dadāt̰ ahurō hauruuatō amərətātascā.
būrōiš ā aṣ̌ax́iiācā xvāpaiϑiiāt̰ xṣ̌aϑrahiiā sarō
vaŋhə̄uš vazduuarə̄ manaŋhō yə̄ hōi mainiiū š́iiaoϑanāišcā uruuaϑō
22
ciϑrā ī hudā̊ŋhē yaϑanā vaēdəmnāi manaŋhā
vohū huuō xṣ̌aϑrā aṣ̌əm vacaŋhā š́iiaoϑanācā haptī
huuō tōi mazdā ahurā vāzištō aŋhaitī astiš
20 He who approaches a/the truthful one-splendor (will be) his instead of wailing. Long/endless duration of darkness, foul food and the word „woe“ to such an existence (your) view/viewsoul will lead you, O you deceitful, on account of your/its own actions
21 From his own rich shelter/treasure of integrity and immortality, of truth and power, the Wise Lord grants the cream of good thought (to that one) who (is) His ally in spirit and actions.
22 Bright (gifts) are (in store) for the munificent one who (already) possess them in his thought. Trough good power/rule he cultivates truth ind word and action. Let him be your best-provided guest, O Wise Lord. (Humbach and Faiss 2010: 89–90)