
Islamische Korankommentare beziehen Q 17:4-8 auf die Zerstörungen des Jerusalemer Tempels. Diese Deutung wird auch durch Textvergleiche mit spätantiken Quellen (siehe TUK_1338, TUK_1344 und TUK_1437) unterstützt. Der Herodianische Tempel war um die Zeitenwende nicht nur das zentrale Kultheiligtum der Juden (vgl. E. Otto, 2008), sondern galt auch als eines der prachtvollsten Bauwerke der antiken Welt schlechthin. Neben Flavius Josephus (37/38 n.Chr.-ca 100 n.Chr.; siehe Bellum Judaicum V, 184-247, vgl. TUK_1446; Antiquitates 15, 380-423) spricht der römische Historiker Tacitus (ca. 58 n.Chr.-120 n.Chr.) von "einem Tempel ungeheurer Pracht" (immensae opulentiae templum, Historiae V, 8). Plinius der Ältere (23/24 n.Chr.-79 n.Chr.) sieht Jerusalem als "die weitaus berühmteste unter den Städten des Ostens" (Hierosolyma, longe clarissima urbium Orientis, Plinius, Naturalis Historia V, 70). Ähnlich schildert der Babylonische Talmud (bSukka 51b) Jerusalems Pracht (siehe auch ySukka 55a oder bBaba Batra 4a).
Jerusalem gilt auch im Mittelalter uns bis in die Neuzeit als eine herausragende Stadt mit unvergleichbarer Opulenz. Im Gegensatz zur Mosaikkarte von Madaba (6. Jh.n.Chr.) ist es im Mittelalter auch die herausgehobene Bedeutung des Tempels, der Jerusalems Pracht ausmacht. Der Humanist und Historiker Hartmann Schedel (1440-1514) illustriert seine 1493 veröffentlichte Schedel'sche Weltchronik mit einer Stadtansicht Jerusalems, die die Pracht des Jerusalemer Temepls in die Mitte der Stadt erstrahlen lässt - auch wenn der Jerusalmer Tempel schon über ein Jahrtausend zerstört ist, so ist die Pracht des Temepsl auch bei Schedel noch noch deutlich Teil des kulturellen Gedächtnisses.
---
Der Babylonische Talmud [bT] (ha-talmud ha-bavli) zählt wie kein anderes Werk zum Traditionsschatz des rabbinischen Judentums (vgl. Günter Stemberger, Das klassische Judentum. Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit (70. n.Chr.-1040 n.Chr.), München: C.H. Beck, 1979) und damit zum Hauptzeugen der jüdischen Gedankenwelt klassischer Zeit. Der babylonische Talmud bezeugt eine Verhandlung von Themenfeldern und Einzelproblemen, die bereits in der Mischna [M] und der Baraita/ Tosefta [T] aufgeworfen worden sind. Es handelt sich aber nicht nur um eine Sammlung rechts-philosophischer und rechts-theologischer Diskussionen, sondern bewahrt eine Vielzahl haggadischer Materialien, welche uns Rückschlüsse auf die Theologie des rabbinischen Judentums geben (vgl. Salomon Schechter, Aspects of Rabbinic Theology, London: A & C Black, 1909; Ephraim E. Urbach, The Sages: Their Concepts and Beliefs, trans. I. Abrahams, Jerusalem: Magnes Press, 1979). Die Textgeschichte des Talmuds, der bisher häufig im frühen sechsten Jahrhundert n.Chr. zeitlich lokalisiert wurde, stellt sich schwieriger dar als bisher angenommen. Selbst wenn mit einer abschließenden Bearbeitung durch die Talmudredaktoren (Setammaʾim) erst zu Beginn des achten Jahrhunderts n.Chr. zu rechnen ist, so sind die mündlichen Überlieferungen älteren Datums (Moulie Vidas, Tradition and the Formation of the Talmud, Princeton: Princeton University Press, 2014). Damit werden die Traditionen des babylonischen Talmuds [bT] neben den frühen Auslegungsmidraschim – Genesis Rabba [BerR], Leviticus Rabba [WaR], Pesiqta de-Rav Kahane [PesK] – und den rechts-philosophischen und rechts-theologischen Midraschim – Mekhiltaʾ de-Rabbi Yischmaʾel [MekhY] und Sifre Deuteronomium [SifDev] – zu dem wichtigsten Bezugspunkt jüdischen Denkens der Spätantike.
Ausgabe: Talmud Babli (Wilna Edition), 20 Bde., Jerusalem: o.V., 1977 [= Wilna: Romm, 1880-1886]; Übersetzung: (Deutsch) Lazarus Goldschmidt, Der babylonische Talmud, 12 Bde., Berlin: Jüdischer Verlag, 1929-1936 [Nachdruck Berlin 1996]; (Englisch) Isidore Epstein (Ed.), The Babylonian Talmud. Translated into English with Notes, Glossary and Indices, 35 Bde., London: Soncino Press, 1935-1952 [Nachdruck in 18 Bde. London 1961]; Literatur: Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch. Neunte, vollständig neubearbeitete Auflage, München: C.H. Beck, 2011, S. 211-247; vgl. auch Günter Stemberger, Der Talmud: Einführung, Texte, Erläuterungen, München: C.H. Beck, 1982.