"Da schickte er den Raben aus." [Genesis 8:7] Reš Laqiš sagte: Eine treffende Antwort gab der Rabe dem Noah; er sprach nämlich zu ihm: Dein Herr hasst mich und du hasst mich ebenfalls; dein Herr haßt mich: von den Reinen je sieben und von den Unreinen je zwei; du hassest mich ebenfalls, denn du läßt die Arten, von denen je sieben vorhanden sind, und schickst, von denen nur je zwei vorhanden sind. Wenn mich der Fürst der Hitze oder der Fürst der Kälte anfährt, so fehlt ja ein Geschöpf auf der Welt; oder hast du vielleicht Verlangen nach meinem Weibe? Er erwiderte ihm: Ruchloser, wenn mir der [sonst] erlaubte [Verkehr] verboten worden ist, um wieviel mehr der mir [auch sonst] verbotene. - Woher, daß es ihm verboten war? - Es heißt: "Du sollst in die Arche kommen, du und mit dir deine Söhne, deine Frau und die Frauen deiner Söhne" [Genesis 6:18], und darauf folgt: "Geh heraus aus der Arche, du und mit dir deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne" [Genesis 8:16], und Rabbi Jochanan sagte, hieraus sei zu entnehmen, daß ihnen der Beischlaf verboten worden war. Die Rabbanan lehrten: Drei vollzogen den Beischlaf in der Arche und alle wurden bestraft, und zwar: der Hund, der Rabe und Cham. Der Hund wird angekettet, der Rabe spuckt, und Cham wurde an seiner Haut bestraft.
Sure 11:40-47 berichtet davon, wie Noahs Familie und die Gläubigen aufgefordert werden, die Arche zu betreten. Noah bittet seinen Sohn, einzusteigen und nicht mit den Ungläubigen zu sein (wa-lā takun maʿ al-kāfirīn). Noahs Sohn weigert sich aber und ertrinkt daher. Als Noah für seinen Sohn Fürsprache einlegt, wird er von Gott zurechtgewiesen, mit dem Hinweis, dass sein Sohn nicht zu seinen Leuten gehöre (laisa min ahlika). Wenngleich von der koranischen Erzählung inhaltlich verschieden, findet sich die Vorstellung vom Fehlverhalten eines der Nachkommen Noahs auch in der jüdischen und christlichen Literatur. Die dort zu findenden unterschiedlichen Behandlungen des Themas gehen letzlich auf Genesis 9:18-27 (TUK_0352) zurück, wo berichtet wird, dass Ham die Blöße seines Vaters Noah sieht, als dieser betrunken im Zelt liegt. Als Noah später davon erfährt, verflucht er Hams Sohn Kanaan. Diese Erzählung erfährt in der Folge verschiedene Interpretationen. So gehört laut dem hier zitierten Text aus dem babylonischen Talmud Ham zu denen, die den in der Arche verbotenen Beischlaf vollziehen und dafür bestraft werden. Die christlichen Interpretationen des Textes betonen dann nicht mehr nur das Fehlverhalten Hams, bzw. Kanaans, sondern heben vor allem dessen mangelnden Glauben hervor. So werden im Kommentar zum Buch Genesis des Origenes (TUK_0161) Kanaan und Ham als gottlos (ἀσεβὴς) bezeichnet und der Frömmigkeit der anderen Brüder gegenübergestellt. Bei Augustinus (TUK_0140), der Noahs Blöße typologisch als Andeutung des Leidens Christi versteht, wird Ham zum Sinnbild des Häretikers (significat nisi haereticorum genus). Solche Interpretationen finden sich nicht in der koranischen Version der Erzählung. Weder gilt Noahs Sohn als der Stammvater der Kanaaniter, dessen Fehlverhalten bereits die negative Charakterisierung der Kanaaniter in der Hebräischen Bibel vorwegnimmt, noch als Symbol der Häretiker. Das Verhalten von Noahs Sohn wird auch im Koran als Unglauben dargestellt (wa-lā takun maʿ al-kāfirīn) und reflektiert in dieser Hinsicht vielleicht die christlichen Interpretationen des Themas. Anders als in den genannten Texten besitzt die Geschichte von Noahs Sohn im Koran aber keine ätiologischen, typologischen oder symbolischen Züge. In dieser Hinsicht erinnert Q 11:40-47 an die auch an anderen Koranstellen zu findende Entmythisierung und Entallegorisierung (vgl. dazu Neuwirth 2010: p. 590-595 und Neuwirth 2000: p. 15-16, sowie TUK_0916).
And he sent forth a raven. Resh Lakish said: The raven gave Noah a triumphant retort. It said to him, 'Thy Master hateth me, and thou hatest me. Thy Master hateth me — [since He commanded] seven [pairs to be taken] of the clean [creatures], but only two of the unclean. Thou hatest me — seeing that thou leavest the species of which there are seven, and sendest one of which there are only two. Should the angel of heat or of cold smite me, would not the world be short of one kind? Or perhaps thou desirest my mate!' — 'Thou evil one!' he exclaimed; 'even that which is [usually] permitted me has [now] been forbidden: how much more so that which is [always] forbidden me!' And whence do we know that they were forbidden? — From the verse, And thou shalt enter into the ark, thou, and thy sons, and thy wife, and the wives of thy sons with thee; whilst further on it is written, Go forth from the ark, thou, and thy wife, and thy sons, and thy sons' wives with thee. Whereon R. Johanan observed: From this we deduce that cohabitation had been forbidden. Our Rabbis taught: Three copulated in the ark, and they were all punished — the dog, the raven, and Ham. The dog was doomed to be tied, the raven expectorates [his seed into his mate's mouth]. and Ham was smitten in his skin.
Heinrich Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, Gräfenhainichen 1931, S. 106.