بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
وَٱلتِّينِ وَٱلزَّيۡتُونِ |
11 Beim Feigenbaum und beim Olivenbaum, |
وَطُورِ سِينِينَ |
2 beim Berg Sinai |
وَ هَٰذَا ٱلۡبَلَدِ ٱلۡأَمِينِ |
3 und bei diesem sicheren Ort! |
لَقَدۡ خَلَقۡنَا ٱلۡإِنسَٰنَ فِیٓ أَحۡسَنِ تَقۡوِيمٍۢ |
24 Wir schaffen den Menschen auf die beste Weise |
ثُمَّ رَدَدۡنَٰهُ أَسۡفَلَ سَٰفِلِينَ |
5 und machen ihn dann zum Allerniedrigsten. |
إِلَّا ٱلَّذِينَ ءَامَنُوا۟ وَعَمِلُوا۟ ٱلصَّٰلِحَٰتِ |
6 Nicht so die, die glauben und gute Werke tun – |
فَلَهُمۡ أَجۡرٌ غَيۡرُ مَمۡنُونٍۢ |
ihnen wird ihr Lohn nicht vorenthalten. |
فَمَا يُكَذِّبُكَ بَعۡدُ بِٱلدِّينِ |
37 Was lässt dich da noch das Gericht leugnen? |
أَلَيۡسَ ٱللَّهُ بِأَحۡكَمِ ٱلۡحَٰكِمِينَ |
8 Ist Gott nicht der weiseste aller Richter? |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion ‚akkumulativer Schwurserien’ wie dem vorliegenden Passus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen.
Versabteilung: In seiner überlieferten Gestalt ist V. 1 für einen Einleitungsvers auffällig lang – üblich ist eher, dass sich die Verslänge nach dem Anfangsvers steigert. Zudem reimen die beiden in ihm aufgezählten Schwurgegenstände. Neuwirth erwägt deshalb eine Abteilung der beiden Halbverse analog zu 52:1 f., 89:1 f. und 93:1 f. vor, wo der erste Vers ebenfalls nur einen einzigen Schwurgegenstand umfasst ( Neuwirth, Studien, 33 ). Allerdings würde die vorgeschlagene Unterteilung von V. 1 nicht nur einen kurzen Anfangsvers, sondern auch einen genauso kurzen zweiten Vers ergeben, wofür es ansonsten im Koran keine Parallele gibt.
wa-ṭūri sīnīn] Vgl. den späteren Schwur beim Berg Sinai in 52:1 (wa-ṭ-ṭūr). Ṭūr ist aus aramäisch ṭūrā, „Berg“, entlehnt, vgl. Jeffery, Foreign Vocabulary, 206 f. Die Form sīnīn für „Sinai“ ist sicherlich reimbedingt, in 23:20 – wo der Berg Sinai explizit mit dem Olivenbaum (vgl. V. 1) assoziiert wird – steht ṭūr saināʾ.
wa-hāḏă l-baladi l-ʾamīn] Vgl. 90:1 (lā ʾuqsimu bi-hāḏă l-balad), 52:4 (wa-l-baiti l-maʿmūr), 106:4 (allaḏī ʾaṭʿamahum min ǧūʿin wa-ʾāmanahum min ḫauf). Friedrun Müller (1969, 54–59) weist darauf hin, dass die übrigen koranischen Vorkommnisse von ʾamīn in erster Linie im Sinne von „zuverlässig“ zu interpretieren sind, während „sicher“ im Bezug auf eine Ortschaft durch ʾāmin ausgedrückt wird (vgl. 14:35 und 2:126: balad + ʾāmin; im selben Sinne wird ʾāmin auch in 16:112, 28:57 und 29:67 verwendet). Die Verwendung von ʾamīn statt ʾāmin in 95:3 ist also wohl reimbedingt. Dasselbe gilt übrigens für 44:51, wo im Versschluss von einem maqām ʾamīn die Rede ist. – Die mekkanische Kaʿba wird als Schwurgegenstand auch in altarabischen Orakeln genannt, deren Authentizität jedoch vorerst noch nicht sicher zu beurteilen ist (s. Ibn Ḥabīb 1964, 96, Z. 7 , und Kandil 1996, 166–170 ; vgl. die Anmerkung zu 93:1.2).
la-qad ḫalaqnă l-ʾinsāna fī ʾaḥsani taqwīm] Vgl. 82:7 f. (allaḏī ḫalaqaka fa-sawwāka fa-ʿadalak / fī ʾayyi ṣūratin mā šāʾa rakkabak), 75:38 (ṯumma kāna ʿalaqatan fa-ḫalaqa fa-sawwā), 87:2 (allaḏī ḫalaqa fa-sawwā) sowie 91:7 (wa-nafsin wa-mā sawwāhā). Zur präsentischen Übersetzung von ḫalaqnā s. die Anmerkung zu V. 5 sowie zu 96:1.2. Taqwīm ist Verbalsubstantiv zu qawwama, „gerade machen, richten, in den rechten Zustand bringen“; Birkeland (1937, 211) verweist auch auf syr. qayyem. Das Verb ist hier wohl wenigstens zum Teil bedeutungsgleich mit dem vorangehenden ḫalaqnā, so dass die Präpositionalgruppe fī ʾaḥsani taqwīm funktional einem adverbialen Akkusativ ähnelt (etwa im Sinne von la-qad ḫalaqnă l-ʾinsāna ʾaḥsana ḫalqin). Zu taqwīm s. den (von Birkeland 1937 und Paret, Kommentar, ad loc. , zu Recht kritisierten) Deutungsvorschlag von Künstlinger 1936 , der V. 4.5 als Anspielung auf die in jüdischen Quellen bezeugte Erzählung versteht, dass Adam vor dem Sündenfall eine besondere Körpergröße besessen habe, derer er dann als Strafe für seine Verfehlung beraubt worden sei.
Obwohl man den Vers zunächst auf die Erschaffung Adams beziehen könnte, dürfte doch die Entstehung eines jeden Menschen im Mutterleib gemeint sein, die auch anderswo mit dem Verb ḫalaqa beschrieben wird, vgl. 86:5.6 (fa-l-yanẓuri l-ʾinsānu mimma ḫuliq / ḫuliqa min māʾin dāfiq), 80:18.19 (min ʾayyi šaiʾin ḫalaqah / min nuṭfatin ḫalaqahū fa-qaddarah) und 75:38 (ṯumma kāna ʿalaqatan fa-ḫalaqa fa-sauwā) noch 77:20 (ʾa-lam naḫluqkum min māʾin mahīn) und 70:39 (kallā ʾinnā ḫalaqnāhum mimmā yaʿlamūn). Zum Verb ḫalaqa s. a. die Anmerkung zu 96:1.2.
ʾasfala sāfilīn] Tradiert wird auch die determinierte Lesung ʾasfala s-sāfilīn ( Muʿǧam, ad loc. ). Die wörtliche Bedeutung von ʾasfal ist eine räumliche: „zuunterst, unten befindlich“. Im übertragenen Sinne kann das Wort dann auch Ohnmacht und Unterlegenheit beschreiben: In 37:98 werden die heidnischen Landsleute Abrahams, welche diesen auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollten, von Gott „zu ʾasfalīn gemacht“. In Q 41:29 fordern die Verdammten, Gott möge ihnen die Dschinn und Menschen ausliefern, durch welche sie irregeführt wurden, „damit wir sie mit den Füßen treten und sie zu den ʾasfalīn gehören“. Gemeint ist hier wohl die menschliche Altersschwäche (vgl. Bell, Commentary, ad loc. ; Neuwirth, „Horizont“, 15 und Anm. 34 ; auch Cuypers 2000, 114 scheint diese Deutung vorauszusetzen). Dagegen macht Birkeland zwar geltend, die durch den Ausdruck ʾasfala sāfilīn ausgedrückte „ganz außerordentliche Erniedrigung“ könne nur der Zustand der Verdammten in der Hölle und „keine normale Situation wie Altersschwäche“ sein ( Birkeland 1937, 206 ), doch erscheint die Formulierung in V. 5 angesichts der sehr negativen Wertung des Alterns in der altarabischen Dichtung keineswegs zu stark; auch die Verwendung von radda (s. u.) spricht gegen Birkeland. Auf jeden Fall schreibt der Einschub von V. 6 (s. o., Literarkritik) dann ein eschatologisches Verständnis von V. 5 fest, da die Gläubigen ja nicht von der menschlichen Altersschwäche, sondern von der Höllenstrafe ausgenommen sind.
radadnā] Bezieht man V. 4.5 auf Jugend und Alter des Menschen (s. o.), so sind die beiden Perfektformen ḫalaqnā (V. 4) und radadnā (V. 5) als aspektuelle Perfekta zu deuten, ähnlich wie ḫalaqa in 96:1.2. (vgl. Reuschel 1996, 140 ; s. ausführlicher die Anmerkung ebd.). Birkeland, der V. 5 als Anspielung auf die Lage der Verdammten in der Hölle verstehen will (s. o.), liest radadnā dagegen futurisch: „Daß ṯumma mit dem Perf. radadnāhū ein futurisches Verständnis nicht ausschließt, braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden. Es sollte an sich genügen, darauf zu verweisen, wie ganz und gar präsentisch der Charakter des Endgerichts in der Verkündigung Muhammeds ist.“ ( Birkeland 1937, 206 ). Doch spricht die Bedeutung von radda, „zurückbringen“, gegen Birkelands eschatologische Interpretation des Verses. Denn das Wort impliziert, dass die in V. 5 intendierte Befindlichkeit des Menschen als Umkehrung der zuvor angesprochenen „Schöpfung“ des Menschen angesehen werden kann bzw. als Retrogression zu einem ihr vorausgehenden Zustand der Ohnmacht. Da der Ausgangszustand der menschlichen Entwicklung, das Spermium, bereits frühmekkanisch als „verächtlich“ beschrieben wird (vgl. den allerdings etwas später als Sure 95 anzusetzenden Vers 77:20), so passt radda innerkoranisch eher auf den körperlichen Verfall im Alter als auf die Höllenstrafe.
ʾillă llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāti fa-lahum ʾaǧrun ġairu mamnūn] Zum Verb ʾāmana s. die Anmerkung zu 69:33. Zu der für spätmekkanische und medinensische Texte charakteristischen Formulierung allaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāt s. den Abschnitt Literarkritik im Kommentar zu Q 103. Zur Übersetzung von ʾillā s. die Anmerkung zu 70:22. Zu der Wendung ʾaǧrun ġairu mamnūn vgl. den mit 95:6 identischen Vers 84:25 (ʾillă llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāti lahum ʾaǧrun ġairu mamnūn) sowie 68:3 (wa-ʾinna laka la-ʾaǧran ġaira mamnūn). Paret übersetzt ʾaǧrun ġairu mamnūn als „Lohn …, der ihnen (dann) nicht als Wohltat vorgehalten wird (ihnen vielmehr von Rechts wegen zusteht).“ Wahrscheinlich bedeutet das Verb manna hier jedoch nicht „jemandem eine Wohltat erweisen“ o. Ä. (manna ʿalā), sondern „vorenthalten“ oder „vermindern“ (vgl. Lisān, s. v. m-n-n : mannahū = naqaṣahū); s. als Beleg hierfür V. 38 von Labīds Muʿallaqa: kawāsibu mā yumannu ṭaʿāmuhā, „ravenous beasts whose food cannot be withheld“ (nach Jones 1996, 181 ). Wörtlich wäre zu übersetzen: „die bekommen Lohn, der ihnen nicht vorenthalten wird“.
fa-mā yukaḏḏibuka baʿdu bi-d-dīn] Zu dīn vgl. die Anmerkung zu 107:1 (ʾa-raʾaita llaḏī yukaḏḏibu bi-d-dīn) mit weiteren Stellenangaben. Das Verb kaḏḏaba (vgl. a. die Anmerkungen zu 92:16 und 73:11 mit weiteren Parallelstellen und Überlegungen zum Zusammenhang mit syr. kaddeb) wird koranisch auf zweierlei Weise gebraucht: Zusammen mit einem Akkusativobjekt bedeutet es „jemanden zum Lügner erklären“ (vgl. 91:14 und mittelmekkanisch 54:9), zusammen mit der Präposition bi- bedeutet es „etwas zur Lüge erklären“ (vgl. 74:46: wa-kunnā nukaḏḏibu bi-yaumi d-dīn, und 107:1: ʾa-raʾaita llaḏī yukaḏḏibu bi-d-dīn; mit anderen Objekten als ad-dīn / yaum ad-dīn steht kaḏḏaba bi- in 92:9, 83:12.17, 78:28, 77:29, 69:4, 68:44, 55:13 und öfter, 55:43, 52:14). In dieser zweiten Verwendungsweise treten nach der Präposition unterschiedslos sowohl dīn als auch yaum ad-dīn auf, so dass dīn in solchen Kontexten allgemein mit „Gericht“ und nicht mit „Religion“ zu übersetzen ist. Deutlich wird dies z. B. in 82:9.15.17.18, wo abwechselnd dīn und yaum ad-dīn stehen. Auffällig am vorliegenden Vers ist nun, dass kaḏḏaba hier sowohl transitiv als auch mit der Präposition bi konstruiert wird. Eine Parallele hierzu liegt in 25:19 vor, wo das transitive kaḏḏaba zu Grunde liegt (kaḏḏabūkum bi-mā taqūlūn, „Sie haben euch hinsichtlich dessen, was ihr sagt, der Lüge geziehen“). Birkeland 1937 argumentiert deshalb dafür, 95:7 analog zu 25:19 zu übersetzen (mit kaḏḏaba = „jemanden zum Lügner erklären“ und bi- als zusätzlicher Bereichsangabe... "Was könnte dich danach hinsichtlich des Gerichts noch der Lüge zeihen?“). Die meisten modernen Übersetzungen geben den Vers im Gegensatz dazu mit „Was lässt dich da (d. h. nach den in V. 4 und 5 vergegenwärtigten Manifestationen von Gottes Allmacht) noch das Gericht leugnen?“ wieder. An diesem Verständnis moniert Birkeland insbesondere, dass das Verb kaḏḏaba in der dabei unterstellten Bedeutung „jemanden etwas leugnen lassen“ einen Kausativ zu sich selbst (d. h. zu kaḏḏaba im sonst üblichen Sinne von „etwas leugnen“) bilden würde. Zugunsten der traditionellen Lesart lässt sich aber vielleicht geltend machen, dass es im Arabischen schlichtweg keine morphologische Möglichkeit gibt, von einem Verb des II. Stammes noch einen gesonderten Kausativ abzuleiten. Möglicherweise ist kaḏḏaba + Akk. + bi- hier auch einfach im Sinne von „jemanden in Bezug auf etwas Lügen äußern lassen“ zu verstehen: „Was lässt dich da noch Lügen über das Gericht erzählen?“
ʾa-laisa llāhu bi-ʾaḥkami l-ḥākimīn] Allāh (s. allgemein Böwering, „God and his attributes“, EQ ) ist der im Koran insgesamt dominierende koranische Gottesname, doch ist in frühmekkanischer Zeit noch der Titel rabb, „Herr“ (s. allg. Chelhod 1958 ) – zumeist mit Possessivsuffix: rabbuka, „dein Herr“ – prominenter. Allāh erscheint frühmekkanisch neben 95:8 noch in 104:6, 96:14, 91:13, 88:24, 87:7, 85:9.20, 84:23, 82:19, 79:25, 53:23.25.26.31.58.62, 52:27.43, 51:50.51.58 (85:8, 81:29, 74:56 und 73:20 sind Einschübe), rabbuka steht in 108:2, 105:1, 99:5, 96:1.3.8, 94:8, 93:3.5.11, 89:6.13.14.22.28, 87:1, 85:12, 84:6, 82:6, 79:19.44, 78:36, 75:12.30, 74:3.7.31, 73:8.20, 69:17.52, 68:2.7.19.48, 56:74.96, 55:27.78, 53:30.32.42.55, 52:7.29.37.48 und 51:30.34. Da sowohl der Gottesname Allāh als auch der Titel rabb in zeitlich zusammengehörigen Suren, ja teilweise sogar intermittierend in ein und demselben Text gebraucht werden, ist davon auszugehen, dass sich beide Ausdrücke von Anfang an auf dieselbe Gottheit beziehen. Hirschfeld 1902, 30 will im koranischen Gebrauch von rabb + Suffix einen Nachhall des im Judentum als Lesung des Tetragrammatons üblichen ādônāy erkennen. Der Ausdruck rabb selbst entstammt dem Aramäischen und ist sowohl inschriftlich bezeugt als auch in der syrischen Literatur gebräuchlich, wo er wie im Koran für Gott verwendet wird ( Jeffery, Foreign Vocabulary, 136 ); das Wort ist bereits in vorislamischer Zeit ins Arabische eingegangen (s. Böwering, „God and his attributes“, EQ ).
Allāh kann etymologisch als Kontraktion aus al-ʾilāh, „die Gottheit“ gedeutet werden (vgl. Krone 1992, 63 ). Eine lange Reihe älterer Orientalisten geht zwar von einer – lange vor dem Koran anzusetzenden – Entlehnung aus syrisch allāhā aus (s. Jeffery, Foreign Vocabulary, 66 f. ), doch wäre, wie David Kiltz (s. ders. 2012) argumentiert hat, auch der umgekehrte Sachverhalt (Herkunft aus dem Arabischen) zu erwägen: Denn während eine innerarabische Transformation von al-ʾilāh zu ʾallāh linguistisch unproblematisch ist, lässt sich allāhā innerhalb des Syrischen nicht befriedigend herleiten, da das Wort „Gott“ im nordwestsemitischen Sprachraum sonst üblicherweise mit e statt mit a anlautet. Zu den vorkoranischen epigraphischen Belegen für Allāh und zu seiner wahrscheinlichen Herkunft aus dem safaitisch-nabatäischen Raum s. ausführlich Krone 1992, 457–487 mit zahlreichen weiteren Literaturverweisen. Anders als der in mittelmekkanischer Zeit prominente Gottesname ar-Raḥmān (s. die Anmerkungen zur Basmala in Q 93 sowie zu 55:1) war Allāh bereits im vorkoranischen Arabien als „transtribaler Hochgott“ bekannt (so Ammann 2001, 25–30 ; s. jedoch die Kritik am Hochgottbegriff in Crone 2010, 177 ff. ). Obwohl die auch von der islamischen Traditionsliteratur nahegelegte Annahme, an der mekkanischen Kaʿba sei neben niederen Gottheiten wie Hubal in erster Linie Allāh verehrt worden (vgl. Krone 1992, 475–481 ), in neuerer Zeit in Frage gestellt worden ist ( Pavlovitch 1998/9 ), spricht der sicherlich auf Allāh zu beziehende Titel „Herr dieses Hauses“ in Sure 106 (V. 3: rabb hāḏă l-bait) doch entschieden für sie. Im Gegensatz zu konventionellen Hochgöttern hatte Allāh offenbar also schon in vorislamischer Zeit einen beträchtlichen Anteil am Kultus (vgl. Wellhausen 1897, 221 ). Der islamischen Überlieferung zufolge fungierte er nicht nur als Vertragsbürge und Hüter der Gastfreundschaft (s. Wellhausen 1897, 223 f. ), sondern wurde, wie sich aus dem Koran erschließen lässt, auch als Nothelfer in Seenot angerufen (vgl. Q 6:63, 10:22, 17:67.68, 29:65.66, 31:32), ja galt sogar als Schöpfer (29:61: „Und wenn du sie fragst, wer Himmel und Erde geschaffen und Sonne und Mond dienstbar gemacht hat, so sagen sie: ‚Gott’“; vgl. im selben Sinne auch Q 31:25, 39:38, 43:9 und 43:87). Zum Gottesbild der in solchen Stellen angegriffenen Gegner, für die sich ab mittelmekkanischer Zeit die Bezeichnung mušrikūn, „Beigeseller“, einbürgert (zum Begriff Horovitz, Koranische Untersuchungen, 60 f. ), s. jetzt ausführlich Crone 2010, 177 ff. , die überzeugend dafür argumentiert, dass es sich dabei um eine inklusive Variante des Monotheismus (bzw. um Henotheismus) handelt, die Allāh – analog zur katholischen Heiligenverehrung – zwar verschiedene Lokalgottheiten als Fürsprecher unterordnet, seine einzigartige Stellung und Allmacht aber nicht grundsätzlich bestreitet. Crone gibt außerdem zu bedenken, dass die mušrikūn die koranische Gleichsetzung Allāhs mit dem Gott der biblischen Tradition nirgends im Koran in Frage zu stellen scheinen, diese Gleichsetzung also akzeptiert zu haben scheinen ( Crone 2010, 152 ).
Zu prüfen wäre, inwiefern der Gebrauch von Allāh und von rabbuka im Koran unterschiedliche Konnotationen vermitteln, ob Allāh etwa tendenziell eher in drohenden Kontexten erscheint, rabbuka dagegen eher in Verheißungen, Mahnungen zur Geduld, Aufrufen zum Gotteslob etc.
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Anders als etwa bei Q 100 lässt sich die Funktion des einleitenden Schwurs nicht als Setzung eines vom Surenschluss aufgelösten Enigmas beschreiben (so mit Einschränkung Neuwirth 1993, 101 ; zum Spannungsbogen der Sure insgesamt siehe jetzt aber Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 188 , wo der Anfang der Sure – mit den Themen Schöpfung und Offenbarung – und das Ende derselben – mit der Gerichtsthematik – als Gegenentwurf zu dem in der altarabischen Dichtung beklagten zyklischen Zeitrhythmus gedeutet werden). Die aus zwei Paaren bestehende Schwureinleitung hat wohl in erster Linie eine ikonische Valenz, die bereits an die späteren Passagen 52:1–6 und 37:1–3 erinnert: Anhand von keineswegs enigmatischen Bildsetzungen führt sie die beiden auch anderswo verknüpften Themenkomplexe Schöpfung und Offenbarung (vgl. den Kommentar zu Q 96) ein. Feigen- und Olivenbaum (V. 1), das erste Paar, fungieren naheliegenderweise als „Zeichen gottgeschenkter Fülle“ ( Neuwirth, „Horizont“, 14 ), die metonymisch für Gottes Schöpfertätigkeit und seine andauernde Sicherung menschlichen Lebensunterhalts stehen. Beide Arten sind, wie Neuwirth hervorhebt, auf der Arabischen Halbinsel nicht heimisch; sie repräsentieren insofern nicht nur die Schöpfungsthematik, sondern auch den zentralen Schauplatz früherer göttlicher Offenbarungen, das Heilige Land ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 193 ). V. 2.3 nennen dann zwei heilige Ortschaften, den ebenfalls auf die biblische Tradition verweisenden Berg Sinai (der aus der Optik von Q 95 vielleicht als im Heiligen Land liegend gedacht ist) und den in V. 3 deiktisch als „dieser sichere Ort“ bezeichneten mekkanischen ḥaram, der, wie bereits Q 105 und 106 dokumentieren, als Gegenstand besonderer göttlicher Gunstbezeigungen galt. Bemerkenswert ist, dass es sich bei 95:2 um die einzige Erwähnung eines biblischen Orts- oder Personennamens innerhalb von Gruppe I der frühmekkanischen Suren handelt; der Vers stellt damit die früheste explizite koranische Bezugnahme auf die biblische Tradition dar, obwohl allgemeine biblische Topoi (z. B. die Besitzkritik von Q 102 und 104 oder psalmische Reminiszenzen in Q 93 und Q 94) auch in anderen Texten von Gruppe I feststellbar sind. Gegenüber den wohl früheren ḥaram-Suren 105 und 106 deutet sich so bereits eine Erweiterung des historisch-geographischen Horizonts über das mekkanische Heiligtum hinaus an. Nicht auszuschließen ist, dass die Einbeziehung Mekkas in einen biblischen Deutungskontext, wie ihn die Zusammenstellung des ḥaram mit dem Berg Sinai impliziert, bereits durch eine vorkoranische Assoziierung der Kaʿba mit Abraham vorbereitet worden sein könnte, auch wenn ein abschließendes Urteil angesichts der Quellenlage schwierig ist (zur Existenz einer vorislamischen mekkanischen Abrahamlegende s. den Überblick bei Sinai 2009, Kap. 5 , zu Q 14; vgl. insb. die Stellungnahmen von Nöldeke/Schwally, GdQ, Bd. 1, 147, Anm. 3 ; Moubarac 1958 ; Rubin 1990, 91 ff., 101 ff. ). Eine Horizonterweiterung über das unmittelbare westarabische Umfeld der Korangenese ist übrigens auch in V. 1 feststellbar: Feigen- und Olivenbaum sind Gewächse, die nicht für Arabien, sondern für das Heilige Land charakteristisch sind und die insofern bereits den vom Berg Sinai repräsentierten Aspekt göttlicher Unterweisung antizipieren ( Neuwirth, „Horizont“, 14 ). Insgesamt erscheint an der einleitenden Schwurpassage bemerkenswert, wie hier die pagan-altarabische Form der Schwurserie mit biblischen Referenzen gefüllt wird ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 192 ).
Insofern die einleitende Schwurserie Gottes tätige Fürsorge für den Menschen in Schöpfung und Lehre beleuchtet (s. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 193 und 194 ), steht der Mensch (ʾinsān) implizit bereits in V. 1–3 im Mittelpunkt der göttlichen Aktivität. Ausdrücklich wird er dann in V. 4.5 genannt. Wie auch in anderen ʾinsān-Sprüchen erscheint der Mensch hier in besonderer Weise mit Ambivalenz behaftet: Obgleich er „auf die beste Weise“ geschaffen wurde – womit wohl nicht die Erschaffung Adams, sondern die „Erschaffung“ jedes einzelnen Menschen im Mutterleib gemeint ist –, überantwortet Gott ihn dennoch Gebrechlichkeit und Verfall. Vers V. 4.5 antizipieren damit den Gegensatz zwischen Gottes gütiger Fürsorge für den Menschen und seiner vor allem im eschatologischen Weltgericht zutage tretenden Strenge und Unerbittlichkeit ihm gegenüber. Obwohl V. 5 ursprünglich nicht auf die Höllenstrafe, sondern auf das menschliche Altern zielen dürfte (s. o.), stellt er also doch zumindest eine Präfiguration des in V. 7.8 thematisierten Jüngsten Gerichts dar. Durch den Einschub von V. 6 wurde V. 5 dann endgültig auf einen eschatologischen Sinn festgeschrieben.
V. 7 knüpft mit dem Wort baʿdu, „danach“, an die vorangehenden Verse an. Bezieht man mit Birkeland bereits V. 5 auf das Jüngste Gericht (s. o.), so nimmt baʿdu einen zeitlichen Sinn an: „Was kann dich, wenn die in V. 5 angesprochene Verdammung eingetreten ist, hinsichtlich des Gerichts noch der Lüge zeihen?“. Bezieht man V. 4.5 dagegen auf Jugend und Altersschwäche des Menschen, so ist baʿdu im Sinn von „nach diesen in V. 4 und 5 dargelegten Argumenten oder Zeichen“ zu verstehen: Angesichts der an der Folge von Jugend und Alter ablesbaren Dualität von göttlicher Fürsorge und göttlicher Strenge ist auch an der Realität von Auferweckung und Gericht nicht zu zweifeln. Der ʾinsān-Spruch in V. 4.5 steht insofern funktional den späteren ʾāyāt-Passagen nahe: Er beschreibt ein Phänomen der natürlichen Weltordnung, aus dem der Hörer eine die Natur transzendierende Wirklichkeit, nämlich das eschatologische Endgericht, ablesen soll.
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Sure 95 (durchschnittliche Verslänge ohne V. 6: 9,7 Silben) ist eine kurze, aus drei kleineren Versgruppen bestehende Schwurpassage, die im Hinblick auf Verslänge, Gesamtlänge und strukturelle Komplexität in Gruppe I der frühmekkanischen Suren einzuordnen ist.
Der Q 95 einleitende Schwur erinnert an Q 100, wo allerdings auf die Schwuraussage noch ein mit dem Schwur korrespondierender eschatologischer Temporalsatz (mit Nachsatz) (V. 9–11) folgt; die partizipiale Schwurserie aus Q 100, welche in V. 4.5 durch zwei satzwertige Verse fortgeführt wird, ist überdies deutlich komplexer als der listenartige Schwur in 95:1–3. Innerhalb von Gruppe I ist Q 95 deshalb den kürzeren Droh- und Scheltworten Q 90, 102, 103, 104, 107 und Q 111 zuzurechnen – prägnanten Ansagen einer fundamentalen Störung des Gott-Mensch-Verhältnisses, die man chronologisch wohl nach Q 105 und Q 106 und vor detaillierteren Ausmalungen des Jüngsten Gerichts wie Q 100 und 101 anzusetzen hat (vgl. die Einleitung zu Q 105). Für eine relativ frühe Datierung von Q 95 spricht auch, dass in der Bezeichnung Mekkas als „dieser sicheren Ortschaft“ in V. 3 noch der grundsätzlich positive Blick auf das mekkanische Gemeinwesen von Q 105 und 106 nachhallt.
V. 6 ist sehr wahrscheinlich ein späterer Einschub. Dies legen vor allem die gegenüber dem Rest der Sure hervorstechende Länge, die ansonsten für spätmekkanische und medinensische Suren charakteristische Wendung allaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāt (s. den Abschnitt Literarkritik zu Sure 103) sowie die Identität mit dem ebenfalls einschubverdächtigen Vers 84:25 nahe (vgl. GdQ, Bd. 1, 97 ). In ganz analoger Weise wird in Q 103:3 eine kategorische, „den Menschen“ insgesamt intendierende Gerichtsansage durch eine angehängte Einschränkung qualifiziert, wahrscheinlich um sie in die im Zuge der mekkanischen Gemeindebildung entstandene Dichotomie von „Gläubigen“ und „Ungläubigen“ einzupassen.
Der in drei Versgruppen gegliederte Text leitet in einer kontinuierlichen rhetorischen Bewegung von Gottes Fürsorge für den Menschen zu seiner zukünftigen Rechenschaftsforderung am Jüngsten Tag über. Die Sure verklammert damit die im Mittelpunkt der ḥaram-Suren 105 und 106 stehende Thematik der göttlichen Fürsorge (die in Q 95 allerdings nicht nur die Bewohner Mekkas betrifft, sondern auf die gesamte Menschheit ausgedehnt wird) mit dem eschatologischen Fokus der übrigen Gerichtsansagen Q 102, 103, 104 und 107. – Wie in zahlreichen anderen koranischen Passagen entdeckt Michel Cuypers auch in V. 4–8 eine konzentrische Struktur mit dem Zusatz V. 6 als Mittelpunkt ( Cuypers 2000, 115 ).