بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
أَلَمۡ نَشۡرَحۡ لَكَ صَدۡرَكَ |
11 Haben wir dir nicht die Brust geweitet, |
وَوَضَعۡنَا عَنكَ وِزۡرَكَ |
2 und haben wir nicht die Bürde von dir genommen, |
ٱلَّذِیٓ أَنقَضَ ظَهۡرَكَ |
3 die deinen Rücken niederdrückte, |
وَرَفَعۡنَا لَكَ ذِكۡرَكَ |
4 und haben wir nicht dein Ansehen erhöht? |
فَإِنَّ مَعَ ٱلۡعُسۡرِ يُسۡرًا |
25 Mit dem Schweren kommt Leichtes, |
إِنَّ مَعَ ٱلۡعُسۡرِ يُسۡرًۭا |
6 mit dem Schweren kommt Leichtes! |
فَإِذَا فَرَغۡتَ فَٱنصَبۡ |
37 Wenn du nun frei bist, so mühe dich |
وَإِلَىٰ رَبِّكَ فَٱرۡغَبۡ |
8 und strebe deinem Herrn zu! |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
ʾa-lam našraḥ laka ṣadrak] Der Vers verbindet sich in der islamischen Tradition mit der Legende von einer durch Engel vorgenommenen Öffnung von Muḥammads Brust zum Zwecke der Reinwaschung seines Herzens. Gegen die Annahme, dass sich hierin der ursprüngliche Sinn des Verses findet, sprechen einerseits traditionskritische Untersuchungen der betreffenden Überlieferung (s. Birkeland 1955 und Rubin 1995, 59–75 ), andererseits die Tatsache, dass das Verb šaraḥa, „weit öffnen“, in Verbindung mit dem Objekt ṣadr, „Brust“, auch an anderen Koranstellen einen idiomatischen Sinn hat: Es bedeutet entweder „jemandem Erleichterung verschaffen“ (vgl. die Bitte Moses’ in Q 20:25) oder aber, ergänzt um einen weiteren Präpositionalausdruck wie li-l-ʾislām, „jemandes Herz für den Glauben / Unglauben öffnen“ (Q 6:125, Q 16:106, Q 39:22; s. Ambros, Dictionary, s. v. š-r-ḥ ; vgl. auch Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 90 ). Wie auch in V. 2 und 4 könnte dabei eine psalmische Bildsprache im Hintergrund stehen, vgl. Psalm 4:2: בַּ֭צָּר הִרְחַ֣בְתָּ לִּ֑י, „In der Not hast du mir Weite geschaffen“ (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 90 , wo allerdings keine konkrete Psalmenstelle genannt wird). – Einen unmittelbaren Einsatz im Register göttlicher Wir-Rede weisen auch die verwandten Texte 97:1 und 108:1 auf.
wa-waḍaʿnā ʿanka wizrak] Auch die Entlastung des Rückens ist ein psalmisches Motiv, s. Psalm 81:7: הֲסִיר֣וֹתִי מִסֵּ֣בֶל שִׁכְמ֑וֹ כַּ֜פָּ֗יו מִדּ֥וּד תַּעֲבֹֽרְנָה, „Ich habe seine Schultern von der Last befreit, seine Hände sind vom Tragkorb erlöset.“ ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 90 )
wa-rafaʿnā laka ḏikrak] Neuwirth verweist wiederum auf eine psalmische Parallele, nämlich Psalm 145:14:סוֹמֵ֣ךְ יְ֭הוָה לְכָל־הַנֹּפְלִ֑ים וְ֜זוֹקֵ֗ף לְכָל־הַכְּפוּפִֽים „Der Herr stützt alle, die fallen, / und richtet alle Gebeugten auf“ ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 91 ; s. auch ebd. zur Frage, ob der vorliegende Vers eher das innerweltliche Ansehen des Angesprochenen oder seinen Status vor Gott meint).
fa-ʾinna maʿa l-ʿusri yusrā] Vgl. die Entgegensetzung von y-s-r und ʿ-s-r in 92:7.10 (fa-sa-nuyassiruhū li-l-yusrā / ... / fa-sa-nuyassiruhū li-l-ʿusrā) sowie die wie 94:5.6 an den Verkünder gerichtete Verheißung 87:8 (wa-nuyassiruka li-l-yusrā).
wa-ʾilā rabbika fa-rġab] Zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8. Schlussrufe mit Aufforderung zum Gottesdienst enthalten auch 96:19 und 69:52; in 93:11 wird zur Verkündigung der „Gnade deines Herrn“ aufgerufen. Im Hinblick auf die Diktion ist der im Kontext eines Gleichnisses stehende Vers 68:32 mit der Aussage ʾinnā ʾilā rabbinā rāġibūn zu vergleichen.
Literaturliste
Wie Q 108 autorisiert sich der Text durch den unvermittelten Einsatz im Register göttlicher Wir-Rede, die sich an einen individuellen Frommen richtet. Dieser wird traditionell mit Muḥammad identifiziert. Obwohl die Bildsprache des Textes psalmisch ist (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 91 ), dürfte es sich bei dem angesprochenen „Du“ nicht nur um einen allgemeinen religiösen Typus handeln, sondern tatsächlich um den koranischen Verkündiger, der allerdings zugleich eine exemplarische Funktion erhält (s. die Anmerkung zu 93:3). Aus einer solchen Identifikation des „Du“ mit Muḥammad folgt allerdings nicht, dass die gebrauchten Metaphern, etwa diejeniger einer „Weitung des Herzens“, biographisch zu entschlüsseln sind. Vielmehr artikuliert die einleitende Frageserie in Gestalt psalmisch geprägter Körpermetaphern allgemeine Erfahrungen göttlichen Beistands: Dem Angeredeten ist Erleichterung zuteil geworden (V. 1), er ist von drückender Bürde entlastet worden (V. 2.3) und hat eine Erhöhung seines gesellschaftlichen Ansehens erfahren (V. 4). Diese in der ersten Versgruppe beschriebene Entlastung des Angeredeten wird dann in V. 7.8 von einer ethisch-religiösen Neubelastung komplementiert (s. u.).
Das bereits in den ersten Versen anklingende Thema von Belastung und Erleichterung steht auch in dem gnomisch formulierten Zuspruch in V. 5.6 im Mittelpunkt, und zwar in Form eines pointierten Wortspiels, das auf dem Gebrauch zweier semantisch entgegengesetzter, jedoch sprachlich bis auf den Anfangskonsonanten identischer Wurzeln (ʿ-s-r und y-s-r) beruht. Indem V. 5.6 den abschließenden Auftrag zu ethisch-religiösem Mühen hinauszögert (vgl. im Gegensatz dazu Q 93, wo der normative Schlussaufruf unmittelbar auf den Rückblick folgt), verleihen sie ihm besonderes Gewicht. – Nicht als den eigentlichen Klimax in V. 7.8 retardierendes Moment, sondern als Mittelpunkt einer konzentrischen Struktur wird das Verspaar von Michel Cuypers verstanden (s. 2000, 107 und 109 ); da die benachbarten Versgruppen V. 1–4 und V. 7.8 jedoch weder strukturell noch terminologisch auf offensichtliche Weise miteinander korrespondieren, erscheint dies eher fraglich.
Wie bereits V. 5.6 operiert auch V. 7 mit Antonymen: Fariġa, „mit etwas fertig werden“, und naṣiba, „sich mühen“, sind semantisch konträr, auch wenn dieser Gegensatz weniger offenkundig ist als der zwischen ʿusr und yusr in V. 5.6. In V. 7 wird der Angeredete aufgefordert, nach der Gewährung göttlichen Beistandes neue Anstrengungen zu unternehmen, die V. 8 dann als „Streben zu deinem Herrn“ qualifiziert – im Gegensatz zu der eingangs evozierten und von Gott beendeten weltlichen, vielleicht durch eine materielle Notlage bedingten Mühsal sind die hier geforderten Bemühungen also religiös konnotiert; ihr konkreter Gehalt (soziale Solidarität, Verkündigungen der Gnadentaten Gottes, liturgisch-kultische Aktivität) wird in den Schlussaufrufen von Q 93 und 108 näher spezifiziert. Sure 94 beschreibt damit eine sukzessive Entlastung und Neubelastung: Der Angesprochene wird von einer – nicht genauer bestimmten – Last (V. 2.3: wizr) befreit und ihm wird die daraus resultierende Leichtigkeit (V. 5.6: yusr, V.7: faraġta) bewusst gemacht, was ihn sowohl dazu verpflichtet als auch befähigt (vgl. die ʾiḏā-Konstruktion aus V. 7, welche die Entlastung und Neubelastung des Angesprochenen syntaktisch korreliert), neue Anstrengungen – die jetzt jedoch religiös-ethischer Art und nicht durch profane Notlagen bedingt sind – auf sich zu nehmen.
Literaturliste
Q 93 bildet mit Q 94 und Q 108 eine Gruppe kurzer, an den Verkünder gerichteter Trostsuren (durchschnittliche Verslänge von Q 94: 8,1 Silben, Q 93: 10,4 Silben, Q 108: 9 Silben), die stilistisch zu Gruppe I der frühmekkanischen Suren gehören.
Birkeland will die drei Texte zusammen mit Q 105 und 106 an den Anfang der koranischen Textgenese stellen, da er in allen fünf Suren ein gemeinsames theologisches Profil zu erkennen glaubt: „The experience which became decisive for Muhammed’s whole future activity must have been the recognition of God’s merciful guidance in the life of himself and his people, that means in history. Before God could appear as a judge he had to be a reality, and the Surahs treated in this paper reveal a stage in which Muhammed had not yet severed from Arab paganism, but had only experienced the divine power as a historic force, which meant a force active in the historic life of Quraiš and the personal life of Muhammed himself.“ ( Birkeland 1956, 5 ; vgl. a. die Einleitung zu Q 105) Allerdings erweist sich die Gruppe der von Birkeland behandelten fünf Kurzsuren bei näherer Betrachtung als recht heterogen. Während Q 105 und 106 das Kollektiv der Quraiš in den Mittelpunkt rücken, steht in Q 93, 94, 108 der individuelle Zuspruch an die Person des Verkünders im Vordergrund: Gott erscheint hier nicht als Schirmherr des mekkanischen Gemeinwesens, sondern als eine in die Biographie des Einzelnen eingreifende Macht. Tatsächlich stehen die drei Trostsuren in erheblich größerer Kontinuität zu anderen frühmekkanischen Texten: 93:4 spielt auf das Jenseits und damit mittelbar auch auf das Jüngste Gericht an, und Anreden des Verkünders am Surenanfang finden sich auch in Q 73, 74, 87 und 96 (wobei es sich dort allerdings nicht um Trostreden, sondern um hymnische Aufrufe zum Gottesdienst o. ä. handelt). Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, Birkelands Vermutung einer chronologischen Vorgängigkeit der von ihm untersuchten fünf Suren auf Q 105 und 106 einzuschränken und die drei Trostsuren in ein späteres Stadium der frühmekkanischen Periode zu setzen (zu Angelika Neuwirths Übernahme von Birkelands These s. den Abschnitt zur Datierung von Q 108). Am ehesten wäre ihre Verkündigung im Anschluss an die kurzen Droh- und Scheltworte Q 95, 102, 103, 104, 107 und 111 denkbar, also gegen Ende von Gruppe I (s. ausführlicher Sinai 2010 ).
Die Sure bietet keine Handhabe für literarkritische Scheidungen. Wenig wahrscheinlich ist die jüngst von Michel Cuypers zustimmend aufgegriffene islamische Überlieferung, der Text hätte ursprünglich eine Einheit mit Q 93 gebildet, die Cuypers mit den vielfältigen motivischen und strukturellen Korrespondenzen zwischen den beiden Suren begründet ( Cuypers 2000, 107 mit Anmerkung 19 und 112 ). Typologische Parallelen zwischen zwei Texten sind prinzipiell kein hinreichendes Indiz für eine originäre Zusammengehörigkeit, sondern deuten allenfalls auf eine zeitnahe Entstehung bzw. Verkündigung der betreffenden Suren hin.
Alle Elemente des Textes haben Entsprechungen in den beiden verwandten Trostsuren Q 93 und 108: Der in Frageform gehaltene Rückblick auf göttliche Gnadenerweise korrespondiert 93:6–8 (ebenfalls als Frage formuliert) und 108:1; der gnomische Zuspruch in V. 5.6 – gleichsam eine erste „Konsequenz“ aus V. 1–4 ( Neuwirth, Studien, 230 ) – entspricht 93:3 und auf die Vergegenwärtigung erwiesener Wohltaten folgende ethische oder religiöse Aufrufe (V. 7.8) stehen auch in 93:9–11 und 108:2. Im Vergleich zu Q 93 fällt das Fehlen einer einleitenden Schwurpassage auf; 93:4.5 und 108:3 enthalten zusätzlich noch Verheißungen (108:3 als Drohwort gegen die Gegner des Verkünders stellt gleichsam eine invertierte Verheißung dar). Auffällig ist, dass die beiden Elemente Rückblick und Aufruf in allen drei Trostsuren in derselben Reihenfolge erscheinen, während die Position der jeweils nur in zweien der drei Texten vorhandenen Elemente Zuspruch (93:3, 94:5.6) und Verheißung (93:4.5, 108:3) variiert: In Q 93 etwa steht der Zuspruch vor Verheißung und Rückblick, in Q 94 dagegen folgt er auf den Rückblick; die Verheißung in Q 108 steht nach dem Schlussaufruf, die in Q 93 eher am Anfang, zwischen Zuspruch und Rückblick. Alle der genannten Strukturelemente lassen sich als Inversionen psalmischer Formen verstehen, s. dazu die Gegenüberstellung von Q 93 und Psalm 13 im Kommentar zu Q 93. Diese Tatsache steht u. U. damit im Zusammenhang, dass alle drei Trostsuren – wie auch Q 97 – an der Autorisierung des Koranverkünders zu arbeiten scheinen: Muḥammad wird mit Zügen des bedrängten psalmischen Beters ausgestattet, erhält jedoch im Unterschied zu diesem eine direkte göttliche Antwort und wird so mit beträchtlichem religiösen Prestige versehen.
Wie Q 93 und 108 zählt Q 94 zunächst bestimmte dem Verkünder zuteil gewordene göttliche Gnadenerweise auf und leitet aus ihnen dann abschließend ethisch-religiöse Verpflichtungen ab. Alle drei Suren deuten damit in Form einer direkten Anrede bestimmte, uns nicht näher fassbare Ereignisse im Leben Muḥammads als Resultate einer gnadenvollen Fürsorge Gottes; sie weisen so – wohl nicht nur für den angesprochenen Verkünder, sondern durchaus auch für eine über ihn hinausgehende Öffentlichkeit von Adressaten – nach, dass Gott in den Lebenslauf Einzelner eingreift und „Schweres“ zu „Leichtem“ wendet (94:4.5) bzw. (so Q 93:6–8) Mangel in Fülle verwandelt. Aus dieser gnadenvollen Involviertheit Gottes in menschliche Schicksale wird dann eine ethische und religiöse Verpflichtung des Menschen begründet (V. 7.8), wie sie ähnlich auch Q 106 aus Gottes Begünstigung der Quraiš folgert. Die Trostsuren individualisieren damit die Aussage von Q 105 und Q 106: Gott wacht in seiner gütigen Zuwendung nicht nur über das Wohlergehen des mekkanischen Kollektivs, sondern seine Gnade (niʿma, vgl. 93:11) manifestiert sich auch im Lebenslauf Einzelner (vgl. auch den Kommentar zu Q 93). – Vgl. zur Gliederung des Textes auch Cuypers 2000, 106 ff.