بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
وَٱلشَّمۡسِ وَضُحَىٰهَا |
I11 Bei der Sonne und beim hellen Morgen, |
وَٱلۡقَمَرِ إِذَا تَلَىٰهَا |
2 und beim Mond, wenn er ihr folgt; |
وَٱلنَّهَارِ إِذَا جَلَّىٰهَا |
3 beim Tag, wenn er sie erstrahlen lässt, |
وَٱلَّيۡلِ إِذَا يَغۡشَىٰهَا |
4 und bei der Nacht, wenn sie sie bedeckt; |
وَٱلسَّمَآءِ وَمَا بَنَىٰهَا |
25 beim Himmel und dem, was ihn erbaut hat, |
وَٱلۡأَرۡضِ وَمَا طَحَىٰهَا |
6 und bei der Erde und dem, was sie ausgebreitet hat; |
وَنَفۡسٍۢ وَمَا سَوَّىٰهَا |
7 bei einer jeden Seele und dem, was sie geformt hat |
فَأَلۡهَمَهَا فُجُورَهَا وَتَقۡوَىٰهَا |
8 und ihr Sünde und Gottesfurcht eingegeben hat! |
قَدۡ أَفۡلَحَ مَن زَكَّىٰهَا |
9 Es gedeiht, wer sie läutert; |
وَقَدۡ خَابَ مَن دَسَّىٰهَا |
10 zuschande wird, wer sie zugrunde richtet. |
كَذَّبَتۡ ثَمُودُ بِطَغۡوَىٰهَآ |
II311 Die Ṯamūd haben in ihrer Aufsässigkeit geleugnet, |
إِذِ ٱنۢبَعَثَ أَشۡقَىٰهَا |
12 als ihr unseliger Landsmann auftrat. |
فَقَالَ لَهُمۡ رَسُولُ ٱللَّهِ |
13 Der Gesandte Gottes sagte zu ihnen: |
نَاقَةَ ٱللَّهِ وَسُقۡيَٰهَا |
„Die Kamelstute Gottes! Tränkt sie!“ |
فَكَذَّبُوهُ فَعَقَرُوهَا |
414 Sie ziehen ihn der Lüge und zerschnitten ihr die Flechsen. |
فَدَمۡدَمَ عَلَيۡهِمۡ رَبُّهُم بِذَنۢبِهِمۡ فَسَوَّىٰهَا |
14 Da machte ihr Herr sie für ihre Schuld dem Erdboden gleich und ebnete sie ein, |
وَلَا يَخَافُ عُقۡبَٰهَا |
15 ohne die Folgen zu fürchten. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5. Zu Aufbau und Funktion ‚akkumulativer Schwurserien’ wie dem vorliegenden Passus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen.
wa-ḍuḥāhā] Wörtlich: „... und bei ihrem hellen Morgen“. Vgl. die übrigen koranischen Schwüre bei Tages- und Nachtzeiten in 93:1.2 (wo ebenfalls der Ausdruck ḍuḥā gebraucht wird), 92:1.2, 89:1.2.4, 81:17.18, 74:33.34. Wie Neuwirth bringt die Übersetzung die Paarigkeit der Schwüre in V. 1–6 dadurch zum Ausdruck, dass zu Beginn von V. 2.4.6 „und“ steht.
wa-l-qamari ʾiḏā talāhā] Vgl. die Schwüre beim Mond in 84:18 (wa-l-qamari ʾiḏă ttasaq) und 74:32 (kallā wa-l-qamar). Zu erwägen wäre vielleicht auch die Übersetzung von talā im Sinne von „zurückbleiben hinter“: „Und bei dem Mond, wenn er hinter ihr zurückbleibt“. Dagegen spricht, dass V. 3 parallel zu V. 1 zu laufen scheint; nimmt man entsprechend auch eine Parallelität zwischen V. 2 und V. 4 an, so dürfte es auch im zweiten Vers um das auf den Tag folgende Hereinbrechen der Nacht gehen.
wa-n-nahāri ʾiḏā ǧallāhā / wa-l-laili ʾiḏā yaġšāhā] Die beiden Verse stehen sprachlich in enger Verwandtschaft mit der bereits im Zusammenhang mit V. 1.2 angeführten Stelle 92:1.2 (wa-l-laili ʾiḏā yaġšā / wa-n-nahāri ʾiḏā taǧallā), wo ebenfalls lail und yaġšā sowie nahār und taǧallā / ǧallā kombiniert werden. – V. 3 bietet faktisch eine Umschreibung des bereits im ersten Vers der Sure genannten ḍuḥā.
Zu wa-mā banāhā / wa-mā ṭaḥāhā / wa-mā sawwāhā vgl. die analoge Verwendung des sächlichen wa-mā, „bei dem, was“, statt des eigentlich zu erwartenden wa-man, „bei dem, der“, in 92:3 (wa-mā ḫalaqa ḏ-ḏakara wa-l-ʾunṯā) und die Anmerkung dazu. Während man das Pronomen mā in 92:3 auch auf das Objekt des göttlichen Schaffens anstatt auf Gott selbst beziehen kann („Und bei dem, was er schuf, Männliches und Weibliches“; so Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 227 ), besteht diese Möglichkeit in 91:5–7 nicht: Das weibliche Suffix -hā stimmt im Genus mit as-samāʾ, al-ʾarḍ und nafs überein und dürfte sich folglich auf diese zurückbeziehen und nicht auf mā; in allen drei Versen ist mā banāhā deshalb mit „das, was sie (die Erde, die Seele) erbaut hat“ wiederzugeben.
wa-s-samāʾi wa-mā banāhā / wa-l-ʾarḍi wa-mā ṭaḥāhā] Auch andere frühmekkanische Suren beschreiben den Himmel als einen die Menschen überwölbenden Bau (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 220 ), s. 88:18 (wa-ʾilă s-samāʾi kaifa rufiʿat), 79:27.28 (ʾa-ʾantum ʾašaddu ḫalqan ʾami s-samāʾu banāhā / rafaʿa samkahā fa-sawwāhā), 78:12 (wa-banainā fauqakum sabʿan šidādā), 55:7 (wa-s-samāʾa rafaʿahā), 51:47 (wa-s-samāʾa banaināhā bi-ʾaidin wa-ʾinnā la-mūsiʿūn) und evtl. auch 52:5 (wa-s-saqfĭ l-marfūʿ). Ebenso wird die Ausbreitung der Erdoberfläche zu einem bewohn- und begehbaren Raum (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 220 ) frühmekkanisch mehrfach als göttlicher Gnadenerweis hervorgehoben; s. 88:20 (wa-ʾilă l-ʾarḍi kaifa suṭiḥat), 79:30 (wa-l-ʾarḍa baʿda ḏālika daḥāhā), 78:6 (ʾa-lam naǧʿali l-ʾarḍa mihādā), 71:19 (wa-llāhu ǧaʿala lakumu l-ʾarḍa bisāṭa), 55:10 (wa-l-ʾarḍa waḍaʿahā li-l-ʾanām), 51:48 (wa-l-ʾarḍa farašnāhā fa-niʿma l-māhidūn). Für weitere, vor allem spätere Stellen s. Paret, Kommentar, zu 13:3 . Zur psalmischen Prägung des koranischen Naturverständnisses s. den Kommentar zu Q 78, zu seinem Gegensatz zur altarabischen Wertung der Natur als feindlicher und heroische Bewährung verlangender Raum vgl. Neuwirth, „Geography“, EQ .
wa-nafsin wa-mā sawwāhā] Wörtlich: „Und bei einer Seele ...“, im Sinne von: „und bei irgendeiner bzw. jeder beliebigen Seele ...“ Vgl. noch 75:2 (bi-n-nafsi l-lawwāmah), wo ebenfalls bei der „Seele“ geschworen wird. Zu sawwā vgl. 75:38 (ṯumma kāna ʿalaqatan fa-ḫalaqa fa-sawwā), 87:2 (allaḏī ḫalaqa fa-sawwā) und 82:7 (allaḏī ḫalaqaka fa-sawwāka fa-ʿadalak).
fa-ʾalhamahā fuǧūrahā wa-taqwāhā] Das Verbum ʾalhama, „eingeben“ (eigentl.: „jmd. etwas zu verschlingen geben“; vgl. WKAS, s. v. l-h-m ) ist, wie Neuwirth hervorhebt, ein koranisches hapax legomenon; in 99:5 (bi-ʾanna rabbaka ʾauḥā lahā, über die Erde) steht in ähnlicher Bedeutung ʾauḥā ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 220 ), was in 53:1 und späteren Stellen dann zum terminus technicus für „offenbaren“ wird. Fuǧūr ist den Lexika zufolge Verbalsubstantiv zu faǧara, „sündigen“ (vgl. Lane, Bd. 6, 2340c ), vgl. in frühmekkanischer Zeit noch 75:5 (bal yurīdu l-ʾinsānu li-yafǧura ʾamāmah) sowie die Partizipien Plural fuǧǧār und faǧara in 83:7 (kallā ʾinna kitāba l-fuǧǧāri la-fī siǧǧīn), 82:14 (wa-ʾinna l-fuǧǧāra la-fī ǧaḥīm) und 80:42 (ʾulāʾika humu l-kafaratu l-faǧara). Obwohl diese moralische Verwendungsweise des Verbs durchaus von seiner konkreten Bedeutung „aufbrechen, aufschneiden“ abgeleitet werden könnte (vgl. 82:3: wa-ʾiḏă l-biḥāru fuǧǧirat; 17:90: wa-qālū lan nuʾmina laka ḥattā tafǧura lanā mina l-ʾarḍi yanbūʿā), vermuten Ahrens und Jeffery einen Einfluss von syr.-aram. pagrānā = „körperlich, fleischlich“, was im Kontext frühchristlicher Anthropologie gleichbedeutend mit „sündhaft“ ist ( Jeffery, Foreign Vocabulary, 220 f. ). Zum Verb ittaqā und dem zugehörigen Substantiv taqwā s. die Anmerkung zu 92:5.
qad ʾaflaḥa man zakkāhā] Die Formel qad ʾaflaḥa man erinnert an das psalmische אַ֥שְֽׁרֵי־הָאִ֗ישׁ אֲשֶׁ֤ר, „Wohl dem, der ...“ (Psalm 1:1; Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 221 ). Besonders nahe steht dem vorliegenden Vers Q 87:14 (qad ʾaflaḥa man tazakkā), ebenfalls eine mit ʾaflaḥa gebildete und ein Verb der Wurzel z-k-w/y verwendende Seligpreisung. Vgl. darüber hinaus noch 92:18 (allaḏī yuʾtī mālahū yatazakkā), 80:3 (wa-mā yudrīka laʿallahū yazzakkā), 80:7 (wa-mā ʿalaika ʾallā yazzakkā) und 79:18 (fa-qul hal laka ʾilā ʾan tazakkā); 73:20, wo von der zakāt die Rede ist, und 53:32 (fa-lā tuzakkū ʾanfusakum) sind spätere Zusätze.
Zur Semantik der Wurzelz-k-w/y: Zakā bedeutet im Arabischen ursprünglich „wachsen, gedeihen“; die koranische Bedeutung der Wurzel, die primär die Vorstellung moralischer Reinheit ausdrückt, ist am ehesten als semantische Angleichung an aramäisch דכא (syr. dḵā, vgl. hebr. זכא) zu erklären ( Nöldeke 1910, 25, Anm. 3 ; Jeffery, Foreign Vocabulary, 152 f. ), während die durch die Wurzel ṭ-h-r ausgedrückte Vorstellung kultischer Reinheit altarabisch ist ( Watt 1953, 100 ). Torrey nimmt an, dass der Bedeutungsangleichung von arab. z-k-w/y an sein aramäisches Homonym jüdischer Sprachgebrauch zugrunde liege ( Torrey 1933, 141 ), doch hat Andrae eine Reihe von Parallelstellen aus der syrischen Literatur beibringen können ( Andrae 1926, 200 ). Wie auch bei anderen semantisch vom Aramäischen bzw. Syrischen beeinflussten Begrifflichkeiten (z. B. ṣallā, „beten“) wird man dabei nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, dass die betreffende Sinnverschiebung erstmals im Koran auftritt. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass sie bereits in vorkoranischer Zeit im Zuge des kulturellen Kontakts mit der aramäischsprachigen Bevölkerung des Fruchtbaren Halbmonds stattfand (so Bell 1926, 51 ).
Umstritten ist darüber hinaus, inwieweit verbale Verwendungen der Wurzel z-k-w/y im Koran allgemein als denominale Ableitungen von zakāt, „Almosen“, aufzufassen sind: Horovitz etwa versteht bereits die frühesten koranischen Vorkommnisse der Wurzel im spezialisierten Sinn von „Almosen geben“ ( Horovitz, Proper Names, 206 ); vgl. auch Schulthess 1912 , der den vorliegenden Vers mit „Ein gutes Geschäft macht (für’s Jenseits), wer Almosen gibt“ übersetzt. Zwar scheint die spätmekkanische Stelle 35:18 (fa-man tazakkā fa-ʾinnamā yatazakkā li-nafsihī) diesen Sinn von tazakkā bereits vorauszusetzen, und spätestens in Medina werden die betreffenden Verben dann ganz zweifellos als Denominativa zu zakāt, „Almosen“, verwendet. Gleichwohl lassen sich frühe Vorkommnisse von tazakkā wie 80:3.7 und 87:14 eher im allgemeineren Sinn von „sich moralisch läutern“, „moralisch rein sein“ verstehen; vor allem in 91:9 bezeichnet zakkā ganz unzweifelhaft die moralische „Läuterung“ der Seele. Zugunsten einer konkretisierenden Gleichsetzung von tazakkā mit „Almosen geben“ könnte frühmekkanisch allenfalls 92:18 (allaḏī yuʾtī mālahū yatazakkā, „der seinen Besitz hingibt, um yatazakkā“) angeführt werden (so Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 221 , was jedoch nicht mit der von ihr ebd., 227 gewählten Übersetzung harmoniert). Doch auch hier ist die Deutung „der seinen Besitz hingibt, um Almosen zu spenden“ keineswegs zwingend; die allgemeinere Übersetzung „der seinen Besitz hingibt, um sich (moralisch) zu läutern“ ist zumindest genauso passend und wird hier angesichts des in etwa zeitgleich verkündeten Verses 91:9 vorgezogen. Doch stellt die enge Verknüpfung von tazakkā mit dem Spenden von Besitz in 92:18 sicherlich einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur semantischen Verengung des Verbes auf das Almosengeben dar.
dassāhā] Der Lisān bietet s. v. d-s-y zunächst eine offensichtlich von 91:10 abgeleitete Deutung von dasā als Antonym von zakā („unrein sein“); als Verwendungsbeispiel dient die koranisierende Wendung dassā nafsahū. Inhaltlich wenig Sinn ergibt die Erklärung von dassā als Variante zu dassasa = dassa, „verbergen“ oder „hineinstecken“ (vgl. Lane, Bd. 3, 878a ), wobei in diesem Sinne Schulthess 1912 übersetzt: „Verluste macht, wer sie [die Seele] versteckt“. Gegen Ende des Eintrags zu d-s-y führt der Lisān jedoch einen Gedichtvers an, in dem dassā im Sinne von „verderben“, „zu Grunde gehen lassen, zu Grunde richten“ (= ʾafsada) gebraucht wird (wa-ʾanta llaḏī dassaita ʿamran fa-ʾaṣbaḥat nisāʾuhum minhum ʾarāmilu ḍuyyaʿu). Für diese Erklärung spricht insbesondere, dass sie auf einer koranunabhängigen Belegstelle zu beruhen scheint und die Bedeutung von dassā nicht allein auf seine Antonymie zu zakkā reduziert.
Der Abschnitt gehört zu den insgesamt drei Passagen in Gruppe II der frühmekkanischen Suren, in denen Anspielungen auf die Ṯamūd, die ʿĀd und auf Pharao begegnen (vgl. noch Q 89 und 85) und die – zusammen mit der Vergegenwärtigung eines fehlgeschlagenen Angriffs auf Mekka in Q 105 – die frühesten narrativ geprägten Korantexte darstellen (vgl. die Anmerkung zu 89:6–13, wo auch weitere Literatur zu den ʿĀd und Ṯamūd genannt wird; s. a. den Abschnitt zu Aufbau und Inhalt von Q 89). Die Erzählungen über die Ṯamūd, ʿĀd und über Pharao machen folglich den Nukleus des später erheblich erweiterten koranischen Straflegenden-Repertoires aus.
Eine relativ ausführliche Darstellung der Ṯamūd-Legende findet sich in frühmekkanischer Zeit nur noch in der sicherlich später als Q 91 anzusetzenden Passage 54:23–31 (ebenfalls eingeleitet mit kaḏḏabat ṯamūdu ...). Anspielungen bieten 89:9 sowie 69:4.5 und 51:43. In dem ebenfalls Gruppe II zuzurechnenden Verspaar 85:17.18 wird die Ṯamūd-Legende in einem Atemzug mit der Vernichtung der Heerscharen Pharaohs genannt, in 89:6–14 treten noch die ʿĀd hinzu. Für eine Rekonstruktion der vorkoranischen Gestalt der Ṯamūd-Legende steht ein wahrscheinlich authentisches Gedicht Umayya b. abī ṣ-Ṣalts zur Verfügung (s. Sinai 2011b sowie TUK, Nr. 525), das sich von den koranischen Ṯamūd-Passagen in verschiedener Hinsicht unterscheidet: Es fehlt die Figur eines göttlich gesandten Warners, dessen expliziten Anweisungen die Ṯamūd zuwider handeln, und ihre Vernichtung wird durch einen Fluch ausgelöst, den das Jungen des getöteten Kamels ausstößt. Überdies wird der in V. 12 erwähnte „Unselige“ (ʾašqā) in dem Gedicht namentlich als Aḥmar identifiziert – wobei dieser Name allerdings in der Muʿallaqa des Zuhair und einem weiteren altarabischen Gedicht nicht den Ṯamūd, sondern den ʿĀd zugeordnet wird ( Horovitz, Koranische Untersuchungen, 105 ; s. die Anmerkung zu 89:6–13). Aus dieser verwirrenden Sachlage ist vielleicht mit Horovitz zu schließen, dass die Erzählung von der Kamelstute in vorkoranischer Zeit auch mit den ʿĀd verbunden wurde bzw. dass beide Völkernamen in mancher Hinsicht austauschbar waren. – Dass der Koran hier altarabisches Überlieferungsgut aufnimmt, wird auch dadurch nahegelegt, dass eine Weihung von Kamelen auch sonst im vorislamischen Arabien praktiziert worden sein soll, vgl. die Anmerkung zu V. 13.
kaḏḏabat ṯamūdu bi-ṭaġwāhā] Zu den verschiedenen Gebrauchsweisen von kaḏḏaba und dem mutmaßlichen syrischen Hintergrund der Begrifflichkeit vgl. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11. Im Gegensatz zu Stellen wie 95:7 (fa-mā yukaḏḏibuka baʿdu bi-d-dīn) oder 82:9 (kallā bal tukaḏḏibūna bi-d-dīn) gibt die Präpositionalgruppe bi-ṭaġwāhā im vorliegenden Vers jedoch nicht den Gegenstand des Leugnens an, sondern seine Ursache: Die Ṯamūd leugneten aus Aufsässigkeit. Müller 1969, 64–68 , will ṭaġwā als reimbedingte Variante für das gebräuchlichere ṭuġyān verstehen; auch wenn beide Begriffe sicher dasselbe meinen, ist dabei zu beachten, dass alle koranischen Vorkommnisse von ṭuġyān später als Q 91 sind (die frühesten Vorkommnisse dürften die mittelmekkanischen Stellen 23:75 und 18:80 sein). Zu Bedeutung und Etymologie des dem Substantiv ṭaġwā zugrunde liegenden Verbs ṭaġā s. die Anmerkung zu 96:6. Erwähnenswert ist, dass die Wurzel ṭ-ġ-w/y auch in dem etwas späteren Vers 69:5 (fa-ʾammā ṯamūdu fa-ʾuhlikū bi-ṭ-ṭāġiyah; Gruppe IIIb) im Zusammenhang mit den Ṯamūd erscheint, allerdings in einem anderen Sinn: aṭ-ṭāġiya bezeichnet dort das die Ṯamūd „überkommende“ Strafgericht (in diesem Sinne: Paret, Kommentar, zu 69:5 , gegen Müller 1969, 9–11, 16–20 ), nicht wie ṭaġwā im vorliegenden Vers ihren Ungehorsam gegen Gott.
ʾiḏi nbaʿaṯa ʾašqāhā] Zu ʾašqā als Bezeichnung für den Verdammten vgl. 87:11 und 92:15, die wie Q 91 zu Gruppe II der frühmekkanischen Suren gehören, sowie die Anmerkung zu 87:11.
rasūlu llāhi] Zum Gottesnamen Allāh vgl. die Anmerkung zu 95:8. Rasūl entspricht gr. apostolos bzw. syr. šlīḥā. Der Begriff erscheint bereits in Gruppe II der frühmekkanischen Suren; im vorliegenden Vers steht er im Zusammenhang mit der Vernichtung der Ṯamūd, also in einem nicht der biblischen Tradition entstammenden Erzählstoff, in 73:15.16 wird er auf Moses und auf Muḥammad angewandt, und in 81:19 bezeichnet er ein als Offenbarungsmittler fungierendes Engelwesen (vgl. den Kommentar zu Q 81); vgl. in Gruppe III noch 69:10.40 und 77:11. Das zugehörige Verb ʾarsala ist sogar noch früher bezeugt, nämlich in 105:3, wo als Subjekt bereits – wie auch sonst – Gott steht, der „Schwärme von Vögeln“ über die „Leute des Elefanten“ schickt (wa-ʾarsala ʿalaihim ṭairan ʾabābīl). Arsala erscheint dann noch mehrfach als Bezeichnung für von Gott ausgesandte Strafen (51:31.32.33.41, 55:35; s. a. 77:1, wo die mursalāt von Gott gesandte und als innerweltliche Prototypen des Weltendes fungierende Sturmwinde sind), bezeichnet aber auch Gottes Entsendung von Mahnern und Warnern (vgl. 51:38: wa-fī mūsā ʾiḏ ʾarsalnāhu ʾilā firʿauna bi-sulṭānin mubīn, und 51:52: ka-ḏālika mā atā llaḏīna min qablihim min rasūlin ʾillā qālū sāḥirun ʾau maǧnūn; vgl. noch die Negativaussage 83:33).
nāqata llāha wa-suqyāhā] Wörtlich: „Die Kamelstute Gottes und ihre Tränkung!“ (ausführlicher wird der Befehl des Gesandten u. a. in den späteren Versen 26:155.156 referiert). Von dem Brauch, innerhalb bestimmter Bezirke geweihte Kamelen von der Schlachtung und jeglicher anderweitigen Nutzung auszunehmen, berichten auch spätere islamische Werke über das alte Arabien (vgl. Wellhausen 1897, 106 f. ).
Versabteilung: V. 14 wirkt überlang, lässt sich jedoch nach ʿaqarūhā in zwei Einzelverse unterteilen, wie dies auch Ḥimṣ, Mekka b und Medina I tun ( Spitaler, Verszählung, 33 ); der Versschluss 2hā ist dabei als Variation des āhā-Reimes der übrigen Verse aufzufassen. Eine Unterteilung würde überdies der inhaltlichen Zäsur zwischen Verfehlung (V. 14a) und Bestrafung (V. 14b) der Ṯamūd entsprechen ( Neuwirth, Studien, 33, 228–229 ). Ḥimṣ setzt nach sawwāhā keinen Versschluss an, doch ist eine Abteilung schon aus reimlichen Gründen zwingend ( Neuwirth, Studien, 33 ).
fa-kaḏḏabūhu fa-ʿaqarūhā] Zu den verschiedenen Gebrauchsweisen von kaḏḏaba vgl. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11.
damdama ʿalaihim rabbuhum bi-ḏambihim wa-sawwāhā] Damdama ist wohl von damma abzuleiten, was u. a. „den Erdboden einebnen“ und „schlagen“ bedeutet ( Lane, Bd. 3, 910a–b ). Dagegen sind die ebenfalls von der islamischen Tradition angebotenen Erklärungen „erzürnen“ und „bestrafen“ wohl aus dem Koranvers herauskombiniert. Damdama ʿalaihim dürfte folglich ein Synonym zu sawwā sein.
wa-lā yaḫāfu ʿuqbāhā] „Die Schwierigkeit, die V. 15 dem Sinn bietet, indem ḫāfa von Allāh ausgesagt wird, während es sonst nur von Menschen, und zwar gegenüber Allāh und seinem Gericht gebraucht wird, ist m. E. nur dadurch zu lösen, daß man den Vers zwischen 14a und 14b stellt. Es wäre außerdem zu konjizieren: wa-lā yaḫāfu > wa-lā/mā ḫāfū bzw. lam yaḫāfū.“ ( Neuwirth, Studien, 229 ; vgl. im selben Sinne Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 223 ) Statt „er fürchtet die Folgen nicht“ (wa-lā yaḫāfu ʿuqbāhā) ergäbe sich somit „sie fürchteten die Folgen nicht“ (wa-lam yaḫāfū ʿuqbāhā). An der Stelle ist bereits vor Neuwirth Anstoß genommen worden: J. H. Kramers und Jacob Barth wollen den Vers – in seinem gegenwärtigen Wortlaut – hinter V. 12 platzieren ( Barth 1916, 119 ; vgl. Paret, Kommentar, ad loc. ). Allerdings erscheint der Versuch, eine inhaltliche Schwierigkeit mit textkritischen Mitteln zu eliminieren, argumentativ problematisch. Immerhin denkbar wäre, dass V. 15 lediglich kontrastiv hervorheben will, dass Gott, anders als die um die Konsequenzen ihres Ungehorsams unbekümmerten Ṯamūd, nicht die Folgen seines Handelns fürchten muss: ḫāfa wird eben gerade nicht von Gott ausgesagt, vielmehr wird seine Aussagbarkeit von diesem emphatisch verneint. Insofern ist die Hypothese einer Vertauschung von V. 15 und 16 nicht gesichert. Selbst wenn man akzeptiert, dass der vorliegende Wortlaut theologisch problematisch ist , so würde dies eher gegen eine nachträgliche Textveränderung sprechen: Frühe Korantradenten hätten kaum einen Anlass gehabt, eine theologisch unanstößige Passage in eine theologisch anstößige zu transformieren.
Literaturliste
Der erste Teil besteht aus einer achtversigen Schwurserie mit anschließender, antithetischer Schwuraussage (V. 9.10). Die Schwurserie – ein eigentlich altarabisches Genre, das insbesondere in V. 5–7 zum Vehikel von biblischen Schöpfungsvorstellungen refunktionalisiert wird (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 220 ) – gliedert sich in drei aus kontrastierenden bzw. komplementären Elementen aufgebaute Paare (V. 1.2: Sonne und Mond, V. 3.4: Nacht und Tag, V. 5.6: Himmel und Erde) und eine abschließende Nennung der menschlichen Seele (V. 7), der dann in einer – anders als die anaphorisch mit wa- beginnenden Verse 1–7 durch fa- eingeleiteten – Fortführung (V. 8) entgegengesetzte moralische Potentialitäten (fuǧūr vs. taqwā) attestiert werden (vgl. a. die kürzere, aber stilistisch ähnlich Schwurserie zu Beginn von Q 92, die auch Komplementärphänomene aufzählt). Ob das „Eingeben“ von Sünde und Gottesfurcht deterministisch zu verstehen ist oder meint, dass Gott den Menschen vor die Wahl zwischen beiden Polen stellt, macht der Text selbst nicht deutlich. Wichtig ist, dass sich die Gegensätzlichkeit moralischer Verhaltensweisen vor dem Hintergrund der vorangehenden Verse folgerichtig in den binären Aufbau der gesamten Schöpfung einfügt: Der Konflikt von Sünde und Gottesfurcht, der leicht Anlass zu Zweifeln an der göttlichen Güte und Allmacht geben könnte, wird als Teil eines größeren Ganzen erwiesen, ähnlich wie in 92:3 die binäre Organisation des Lebendigen in Männliches und Weibliches.
Zur Gesamtdisposition der Schwurserie ist noch zweierlei anzumerken. Zum einen verengt die Serie sukzessive den Fokus von der kosmischen Schöpfungsordnung (die vertikal, von Himmelskörpern bis zur Erde, durchlaufen wird) auf das moralische Subjekt des Menschen. Eine ähnliche Struktur weist etwa auch die ʾiḏā-Serie 81:1–14 auf, wo allerdings die eschatologische Auflösung der Schöpfung und nicht wie in Q 91 ihr zyklisches Funktionieren evoziert wird. Zum anderen besitzt die Serie eine deutliche Binnenzäsur nach V. 4, die eine Untergliederung in zwei Gesätze nahelegt: Die ersten beiden Verspaare schließen an den jeweiligen Schwurgegenstand eine für ihn charakteristische Wirkung (V. 1: Sonne > heller Morgen) oder Aktivität (V. 2–4: Mond: talāhā; Tag: ǧallāhā; Nacht: yaġšāhā) an, während die folgenden beiden Paare (V. 5–8) Verweise auf die göttliche Schöpfungstätigkeit enthalten, in denen der Schwurgegenstand grammatisch nicht Subjekt, sondern Objekt ist, nicht Wirkendes, sondern Bewirktes: ... wa-mā banāhā / ṭaḥāhā / sawwāhā, „und bei dem, was ihn / es erbaut / ausgebreitet / geformt hat“. Die gesamte Serie V. 1–8 weist so ein klimaktisches Moment auf: In den ersten beiden Doppelversen steht der Schöpfer noch gänzlich außerhalb des Blickfeldes, in den zweiten beiden Paaren tritt er mehr und mehr hervor, wobei seine volle Identität immer noch partiell durch das enigmatisierende Neutrum mā („und bei dem, was ...“) anstelle des personalen man (vgl. a. 92:3) verhüllt wird. Das dadurch aufgebaute Spannungsmoment löst im Grunde erst die explizite Nennung des „Herrn“ in V. 14 auf.
Die Liste gegensätzlicher Schöpfungsphänomene, die in V. 7.8 in den Bereich des Moralischen übergeht, endet schließlich mit einer ebenfalls kontrastiv gegliederte Schwuraussage, welche die – gleichfalls eine binäre Opposition bildenden – Konsequenzen der in V. 8 benannten moralischen Verhaltensmöglichkeiten benennt. Der enge sachliche Zusammenhang der Schwuraussage mit dem letzten Schwurelement, der Seele, zeigt sich dabei auch syntaktisch in dem pronominalen Rückbezug des femininen Suffixes -hā auf die nafs aus V. 7. Obwohl zahlreiche andere frühe Koransuren die in V. 9.10 behauptete Verknüpfung von Handeln und Ergehen aus explizit eschatologischer Perspektive verhandeln, verweist die vorliegende Sure nicht ausdrücklich auf eine jenseitige Vergeltung; allerdings dürfte der Gebrauch des Ausdrucks ʾašqā in V. 12 eschatologische Konnotationen transportiert haben (s. u.).
V. 11–15 bieten die älteste genuine koranische „Straflegende“: Zwar erzählt bereits die frühere Sure 105 von der göttlichen Vernichtung eines Menschenkollektivs, doch weist sie eine von späteren Straferzählungen deutlich verschiedene Akzentsetzung auf (s. den Kommentar zu Q 105). Die vorliegende Sure funktionalisiert die sicherlich bereits in vorkoranischer Zeit bekannte Ṯamūd-Legende als historisches Exempel für die Konsequenzen der zuvor formulierten Alternative von Gut und Böse bzw. von fuǧūr und taqwā (V. 8). Zugleich dürfte die Konfrontation zwischen dem „Boten Gottes“ und seinen ablehnenden Hörern bereits in diesem frühen Text die Situation des koranischen Verkünders spiegeln (vgl. allg. Horovitz, Koranische Untersuchungen, 11 ).
Aufschlussreich ist ein Vergleich der Ṯamūd-Perikope mit der Behandlung desselben Stoffes in einem Gedicht Umayya b. abī ṣ-Ṣalts (s. ausführlicher Sinai 2011b ). In Umayyas Darstellung fehlt die Figur eines Warners und Gottesboten, der seinen Landsleute einen ausdrücklichen Befehl Gottes übermittelt, die Kamelstute unversehrt weiden zu lassen. Das Vergehen der Ṯamūd wird bei Umayya als ein Kultfrevel geschildert, als Mißachtung der Unverletzlichkeit eines geweihten Kamels, nicht als Übertretung eines – durch einen prophetischen Boten überbrachten – göttlichen Verbots. Die in Umayyas Gedicht dokumentierte altarabische Ṯamūd-Legende wird also, nicht anders als im ersten Teil der Sure die altarabische Schwurform, theologisch rekonfiguriert. Dazu passt, dass Q 91:11–15 auch sonst deutliche Theologisierungssignale aufweist: Handlungen und Akteure werden nicht wie bei Umayya detailliert beschrieben, sondern lediglich skizzenhaft präsent gemacht und unter eindeutige ethische Wertungen subsumiert. So wird der bei Umayya mit den Namen Aḥmar bezeichnete Schuldige im Koran lediglich als „der Unselige“ (ʾašqā, V. 12) bezeichnet; seine historische Individualität verschwindet damit hinter dem durch ihn repräsentierten allgemeinen Typus des Übeltäters (da die beiden anderen frühmekkanischen Verwendungen des Ausdrucks, 92:15 und 87:11, jeweils im Zusammenhang mit dem Höllenfeuer stehen, ist die Bezeichnung wohl auch hier eschatologisch konnotiert). Dass der Schwerpunkt der Passage nicht wie bei Umayya deskriptiv, sondern wertend ist, macht darüberhinaus bereits die Einleitung deutlich, die den Ṯamūd (anders etwa als in der früheren Vernichtungsgeschichte Q 105) explizit „Leugnen“ und „Aufsässigkeit“ vorwerfen (V. 11: kaḏḏabat ṯamūdu bi-ṭaġwāhā). Ein zweites Mal erscheint das Verb kaḏḏaba – das offenbar bereits terminologischen Status hat und wohl mit syr. kaddeb in Verbindung zu bringen ist (vgl. die Anmerkung zu 92:16) – in V. 14a (fa-kaḏḏabūhu fa-ʿaqarūhā), der die „Leugnung“ der Verkündigung des Gottesboten als unmittelbare Ursache des Untergangs der Ṯamūd darstellt. Die theologische Zuspitzung der koranischen Version wird überdies daran sichtbar, dass hier das bei Umayya erzählte Nachspiel – eine lahme Magd der Ṯamūd überlebt als einzige das Unglück, berichtet den Bewohnern von Qurḥ von dem Geschehen und stirbt dann – fehlt: Für die allgemeine Botschaft, die das Schicksal der Ṯamūd exemplifzieren soll, ist dieser Nachtrag unerheblich.
An der Beschreibung der über die Ṯamūd hereinbrechenden Strafe in V. 14b ist bemerkenswert, dass das hier verwendete Verb sawwā in einem anderen (wenn auch auf dieselbe Grundbedeutung zurückgehenden) Sinn bereits in V. 7 gebraucht wurde („ebenmäßig formen“, im Gegensatz zu „eben machen, einebnen“ in V. 14). Die Sure charakterisiert also sowohl Gottes kreative Schöpfertätigkeit als auch seine destruktive Straftätigkeit mit demselben Verb. Das ist einerseits ein wirkungsvoller Sarkasmus, unterstreicht andererseits aber auch das gegenseitige Verweisungsverhältnis von Schöpfung (als eine Zuwendung Gottes, die eine moralische Verpflichtung des Menschen begründet) und Gericht (als Einforderung dieser Verpflichtung).
Literaturliste
Die Sure ist im Hinblick auf ihre Gesamtlänge und durchschnittliche Verslänge (9,9 Silben, sofern man – wie weiter unten begründet – V. 14 als Doppelvers ansieht) in Gruppe II der frühmekkanischen Texte einzuordnen. Sie gehört eng mit Sure 92 zusammen, die durch einen ähnlich gebauten Schwur eingeleitet wird (s. Stellenkommentar zu V. 1–10 und V. 1–8). Beide Texte lassen sich – wie auch Q 89 – bereits in Gesätze unterteilen, ja sogar in zusammenhängende Gesätzfolgen, welche die Gliederung späterer Texte in (allerdings deutlich längere) Hauptteile antizipieren. Q 91 und 92 gehen damit in ihrer strukturellen Komplexität über die zu Gruppe I gehörigen kurzen Droh- und Scheltworte Q 95, 102, 103, 104, 107 und 111 und die frühen eschatologischen Bilder 99, 100 und 101 hinaus – die anhand der Parameter Vers- und Textlänge getroffene Einordnung in Gruppe II wird insofern auch durch strukturelle Erwägungen gestützt. Q 91 weist dabei mit der Straflegende in V. 11–15 ein noch deutlich eigenständigeres zweites Gesätz auf als Q 92. S. a. den Kommentar zu Q 92 sowie zu Q 89. Ob Q 91 wirklich später als Q 89 ist, wie Neuwirth voraussetzt ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 223 ), oder das zeitliche Verhältnis der beiden Texte nicht vielmehr umgekehrt ist, lässt sich m. E. nicht schlüssig entscheiden: Die Ṯamūd-Erzählung in Q 91 könnte die knappe Anspielung in Q 89:9 entfalten, doch genauso gut könnte letztere diese auf jene zurückverweisen.
Die Sure bietet keine Handhabe für literarkritische Scheidungen. Zur Position von V. 15 vgl. die entsprechende Anmerkung.
Die Sure gliedert sich bereits in zwei mehrgesätzige Hauptteile, eine achtversige Schwurserie mit Schwuraussage (V. 9.10) und eine für frühmekkanische Verhältnisse relativ ausführliche Straflegende (V. 11–15). Der thematische Zusammenhang beider Teile ist transparent: Die ganz von Kontrast- bzw. Komplementärpaaren ausgefüllte Schwurserie leitet zu einer ihrerseits kontrastiven Schwuraussage hin; deren Grundgedanke – das diesseitige Handeln des Einzelnen hat Konsequenzen für sein (diesseitiges und jenseitiges) Wohlergehen – wird dann im zweiten Teil der Sure durch ein historisches Exempel belegt. – Die Vorstellung, dass die gesamte Schöpfung einen symmetrischen bzw. antithetischen Aufbau aufweist, ist auch noch in der gegen Ende der frühmekkanischen Zeit (Gruppe IIIb) anzusetzenden Sure 55 prominent (s. ebd., Analyse).
Der Aufbau des ersten Teils (V. 1–10) erinnert in seinen Grundelementen an Q 92:1–10: Zu Anfang eine Schwurserie mit Gegensatzpaaren (Q 91:1–8, Q 92:1–3), z. T. mit durch wa-mā (Neutrum!) angeschlossenen Verweisen auf den Schöpfer (in Q 91:5–8 und Q 92:3), dann als Schwuraussage eine antithetische Gegenüberstellung von Guten und Bösen (Q 91:9.10, Q 92:4–11). Q 91 weist allerdings eine gegenüber Q 92 deutlich längere Schwurpassage auf. Dafür wird die Gegenüberstellung von Guten und Bösen in Q 92 zu zwei ausführlichen Antithesen entfaltet.
Überblick
1–15 āhā (14a ūhā) | I 1 1–4 Schwüre: 1.2 Gestirne, 3.4 Tageszeiten |
2 5–8 Schwüre (mit Verweis auf Schöpfer): 5.6 Himmel und Erde, 7.8 Seele und Sündhaftigkeit / Gottesfurcht | |
9.10 Schwuraussage: kurze Antithese (Verheißung und Drohwort) | |
II 3 11–13 Straflegende (Ṯamūd): Exposition | |
4 14a.14b.15 Forts. Straflegende: Frevel und Bestrafung |
Proportionen: [4+6]+[3+3].