بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
وَٱلسَّمَآءِ وَٱلطَّارِقِ |
I11 Beim Himmel und beim Nachtgast! – |
وَمَآ أَدۡرَىٰكَ مَا ٱلطَّارِقُ |
2 Was lässt dich wissen, was der Nachtgast ist? |
ٱلنَّجۡمُ ٱلثَّاقِبُ |
3 Der durchdringende Stern! – |
إِن كُلُّ نَفۡسٍۢ لَّمَّا عَلَيۡهَا حَافِظٌۭ |
4 Es gibt keine Seele, über der nicht ein Hüter ist. |
فَلۡيَنظُرِ ٱلۡإِنسَٰنُ مِمَّ خُلِقَ |
25 Der Mensch möge schauen, woraus er geschaffen ist: |
خُلِقَ مِن مَّآءٍۢ دَافِقٍۢ |
6 Er ist geschaffen aus hervorquellendem Wasser, |
يَخۡرُجُ مِنۢ بَيۡنِ ٱلصُّلۡبِ وَٱلتَّرَآئِبِ |
7 das zwischen Lende und Brust austritt. |
إِنَّهُۥ عَلَىٰ رَجۡعِهِۦ لَقَادِر |
8 Er hat die Macht, ihn zurückzubringen. |
يَوۡمَ تُبۡلَى ٱلسَّرَآئِرُ |
9 Am Tag, da die Herzen geprüft werden, |
فَمَا لَهُۥ مِن قُوَّةٍۢ وَلَا نَاصِرٍۢ |
10 da hat er keine Kraft und keinen Helfer. |
وَٱلسَّمَآءِ ذَاتِ ٱلرَّجۡعِ |
311 Beim immer wiederkehrenden Himmel, |
وَٱلۡأَرۡضِ ذَاتِ ٱلصَّدۡعِ |
12 bei der sich spaltenden Erde! |
إِنَّهُۥ لَقَوۡلٌۭ فَصۡلٌۭ |
13 Es ist ein entscheidendes Wort |
وَمَا هُوَ بِٱلۡهَزۡلِ |
14 und kein Scherz! |
إِنَّهُمۡ يَكِيدُونَ كَيۡدًۭا |
15 Sie schmieden Pläne; |
وَأَكِيدُ كَيۡدًۭا |
16 auch ich schmiede Pläne! |
فَمَهِّلِ ٱلۡكَٰفِرِينَ أَمۡهِلۡهُمۡ رُوَيۡدًا |
17 So gewähre den Ungläubigen Aufschub, gewähre ihnen ein wenig Aufschub! |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion des hier vorliegenden Schwurtypus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen.
an-naǧmu ṯ-ṯāqib] Paret (Kommentar, ad loc.) verweist auf 37:10, wo es über die Satane, die versuchen, die „himmlische Ratsversammlung“ (37:8) zu belauschen, heißt: fa-ʾatbaʿahū šihābun ṯāqib. Die islamischen Exegeten haben sicher Recht mit der Annahme, dass ṯāqib (von ṯaqaba, „durchstechen, durchbohren“; vgl. Lane, Bd. 1, 341c ) in beiden Fällen „von durchdringender Helligkeit“ meint.
ʾin kullu nafsin lammā ʿalaihā ḥāfiẓ] Ein mit nafs gebildeter Warnspruch liegt auch in 74:38 (kullu nafsin bi-mā kasabat rahīnah) vor. Zu Sätzen der Form ʾin kullun / kullu ... lammā ... s. Bergsträßer 1914, 13 f. ; sie sind vermutlich sinngleich mit Sätzen der Form ʾin ... ʾillā, wie etwa Q 74:25: ʾin hāḏā ʾillā qaulu l-bašar (weitere ʾin-ʾillā-Stellen bei Bergsträßer 1914, 28 ). – Die Aufgabe der hier erwähnten „Hüter“ wird in 82:10–12 (wa-ʾinna ʿalaikum la-ḥāfiẓīn / kirāman kātibīn / yaʿlamūna mā tafʿalūn) präzisiert: Sie führen Buch über die menschlichen Taten. Die von ihnen erstellten Tatenregister sind dann Grundlage des Jüngsten Gerichts (vgl. 81:10: wa-ʾiḏă ṣ-ṣuḥufu nušširat mit Anmerkung). Vgl. a. die Anmerkung zu 82:10–12 mit weiteren Literaturangaben.
fa-l-yanẓuri l-ʾinsānu mimma ḫuliq / ḫuliqa min māʾin dāfiq / yaḫruǧu min baini ṣ-ṣulbi wa-t-tarāʾib] Verweise auf die Schöpfung des Menschen finden sich in Gruppe II der frühmekkanischen Suren sonst noch in 91:7 (Schwur), 87:2 (hymnischer Relativsatz) und 82:7.8 (ʾinsān-Rüge); in Gruppe IIIa und IIIb nehmen solche Verweise dann die Gestalt ausführlicher ʾāyāt-Passagen an: s. 75:37–39 und 53:45.46. Wie in V. 8 der vorliegenden Sure wird dabei auch in 75:37–40 am Ende die intendierte Schlussfolgerung gezogen: Da Gott den Menschen schafft, so hat er auch die Macht (q-d-r), ihn zum Zweck einer eschatologischen Rechenschaftsablegung wieder von den Toten aufzuerwecken (75:40: ʾa-laisa ḏālika bi-qādirin ʿalā ʾan yuḥyiya l-mautā). Zum Verb ḫalaqa s. die Anmerkungen zu 96:1.2. Die Anspielung auf den männlichen Samen (anderswo als nuṭfa bezeichnet; s. die Anmerkung zu 75:37; vgl. auch noch – ebenfalls ohne Verwendung des Ausdrucks nuṭfa – 77:20: ʾa-lam naḫluqkum min māʾin mahīn) in V. 6.7 schließt aus, dass hier die Erschaffung Adams gemeint sein könnte, vielmehr geht es um die gewöhnliche menschliche Fortpflanzung, der allerdings in späteren Stellen wie 23:12–14 und 40:67 die biblische Vorstellung einer urzeitlichen Erschaffung des ersten Menschen aus Ton vorangestellt wird (s. wiederum die Anmerkung zu 96:1.2).
Die Übersetzung deutet V. 9 als temporalen Vordersatz zu V. 10. Alternativ könnte V. 9 jedoch auch als Nebensatz zu V. 8 aufgefasst werden (so Paret): „Er hat die Macht ihn zurückzubringen, / am Tag, da die Herzen geprüft werden. / Er hat dann keine Kraft und keinen Helfer“.
yauma tublă s-sarāʾir] Sarīra kann neben „Herz“ auch „Geheimnis, geheime Handlung“ bedeuten ( Lane, Bd. 4, 1338a und 1339b ). Zirker: „Am Tag, da die Geheimnisse geprüft werden“; Paret: „Am Tag, da Herz und Nieren geprüft werden“.
S. die Anmerkung zu V. 1. Schwüre im Sureninnern stehen sonst noch in Q 51:23, 56:75, 69:38 f., 70:40, 74:32–34 und 81:15–18; bis auf 70:40 und 74:32–34 folgen auf diese Schwüre immer metatextuelle Aussagen, die deiktisch oder wie hier mit einem ‚frei schwebenden’, d. h. kein Antezedens aufnehmenden Personalpronomen (s. die Anmerkungen zu 87:18.19, 81:19 und 97:1) formuliert sind und zumeist den Offenbarungscharakter des Koran affirmieren. Dabei ist die vorliegende Stelle insbesondere mit 81:15 ff. (ebenfalls Gruppe II) zu vergleichen: Beide Passagen werden von einem Schwur beim Himmel (86:11) bzw. bei den am Nachthimmel sichtbaren Planeten (81:15.16: fa-lā ʾuqsimu bi-l-ḫunnas / al-ǧawāri l-kunnas) eröffnet, worauf mit einem frei schwebenden Personalpronomen gebildete Qualifikationen von Muḥammads Verkündigungen folgen (vgl. 86:13.14: ʾinnahū la-qaulun faṣl / wa-mā huwa bi-l-hazl mit 81:19 ff.: ʾinnahū la-qaulu rasūlin karīm ...).
wa-s-samāʾi ḏāti r-raǧʿ] Vgl. V. 1 (wa-s-samāʾi wa-ṭ-ṭāriq). Gemeint ist hier wohl die alljährliche Wiederkehr der Sternkonstellationen.
wa-l-ʾarḍi ḏāti ṣadʿ] Das Spalten der Erde in V. 12 ist angesichts der in V. 11 erwähnten zyklischen Wiederkehr der Sternkonstellationen wahrscheinlich nicht als eschatologischer Vorgang zu verstehen wie die u. a. in 84:1 erwähnte Spaltung des Himmels, sondern meint das – sich wie die Himmelskonstellationen zyklisch wiederholende – Hervorsprießen von Pflanzen (so mit islamischen Exegeten auch Bell, Commentary, ad loc. ).
ʾinnahū la-qaulun faṣl] Paret (Kommentar, ad loc.) verweist auf 81:19 = 69:40 (ʾinnahū la-qaulu rasūlin karīm) und den mittelmekkanischen Vers 38:20, wo es über David heißt: wa-ʾātaināhu l-ḥikmata wa-faṣla l-ḫiṭāb. Zum freischwebenden Personalpronomen (-hū) s. die Anmerkungen zu 87:18.19, 81:19 und 97:1.
ʾinnahum yakīdūna kaidā / wa-ʾakīdu kaidā] Vgl. den früheren Vers 105:2 (ʾa-lam yaǧʿal kaidahum fī taḍlīl). Eine Überbietung menschlicher „Machenschaften“ (kaid) durch göttliche wird etwas später noch in 52:42 (ʾam yurīdūna kaidan fa-llaḏīna kafarū humu l-makīdūn) impliziert.
Versabteilung: Medina I setzt nach yakīdūna kaidā keinen Versschluss ( Spitaler, Verszählung, 69 ), wodurch sich eine überzeugende strukturelle Entsprechung zu V. 17 ergibt: Auch dort folgen zwei Verbformen direkt aufeinander, und zwar innerhalb ein und desselben Verses. V. 15 und V. 16 sind deshalb trotz Reimpotenz wahrscheinlich zu einem einzigen Vers zusammenzuziehen ( Neuwirth, Studien, 32 ). Hierfür sprechen auch kompositionelle Gesichtspunkte: Folgt man Medina I, so besteht der dritte Abschnitt der Sure aus drei Zweiergruppen, die überdies auch reimlich voneinander abgesetzt sind: V. 11.12 Schwur, V. 13.14 Schwuraussage (Offenbarungsbestätigung), V. 15.16.17 Drohwort und Mahnung zur Geduld.
fa-mahhili l-kāfirīna ʾamhilhum ruwaidā] Vgl. 73:11 (wa-ḏarnī wa-l-mukaḏḏibīna ʾulĭ n-naʿmati wa-mahhilhum qalīlā). Zu kāfir vgl. die Anmerkung zu 84:22. Der vorliegende Vers gebraucht zuerst einen Imperativ des II., dann einen des IV. Stammes. Eine Ibn Masʿūd zugeschriebene Variante beseitigt diesen Wechsel, indem sie nicht ʾamhilhum, sondern mahhilhum (II. Stamm) liest ( Muʿǧam, ad loc. ), doch handelt es sich dabei sicher um einen nachträglichen Glättungsversuch. Paret (Kommentar, ad loc.) schlägt vor, ʾamhilhum zu ʾumahhilhum zu emendieren: „Deshalb gewähre den Ungläubigen Aufschub, dann werde auch ich ihnen ein klein wenig Aufschub gewähren“. Dieser Emendation liegt offenbar das Empfinden zugrunde, dass eine direkte Aufeinanderfolge zweier synonymer Verbformen eine Redundanz darstellt, die nicht ursprünglich sein kann, sondern durch Textverderbnis zu erklären ist. Es ist jedoch äußerst fraglich, ob die Stelle eine wie auch immer geartete Korrektur erfordert (zu Parets Emendationsvorschlag vgl. kritisch Leemhuis 1977, 107 ). Denn die Verwendung einer weitgehend synonymen Form derselben Verbalwurzel ist wohl einfach dadurch motiviert, dass der Schlussvers die Struktur der wohl zu einem einzigen Vers zusammenzuziehenden Verse 15 und 16 (s. o.) nachbildet, wo zweimal das Verb kāda verwendet wird. Auf diese Weise entsteht ein als Surenschluss sehr eingängiger Strukturparallelismus zwischen V. 15.16 und V. 17. Allerdings unterscheiden sich die Subjekte der beiden Verbformen in V. 15.16; doch ist dies noch kein hinreichender Grund, mit Paret auch für V. 17 einen Subjektwechsel zu statuieren.
Literaturliste
Die Sure beginnt mit einem Schwur beim Himmel und einem als „Nachtgast“ bezeichneten Stern, wobei das zweite Glied des Schwures in V. 2.3 noch einmal durch eine parenthetisch eingeschobene Lehrfrage erläutert wird. Dabei weist die erhöhte, Übersicht garantierende Position von Sternen am Himmel auf die in V. 4 ausgesagte, ebenfalls von oben her erfolgende (V. 4: ʿalaihā ḥāfiẓ, „über ihr ist ein Hüter“) und damit lückenlose Überwachung des Menschen durch engelhafte Beobachter voraus: „In einer gleichsam vom Himmel her ausgeleuchteten Szene ist die Überwachung des Menschen durch den himmlischen Hüter ein Leichtes“ ( Neuwirth, „Horizont“, 27 ). Vgl. a. den Kommentar zu 85:1–3.
Das zweite Gesätz stellt zusammen mit 88:17–20 eine der beiden frühesten koranischen ʾāyāt-Passagen dar. Es gliedert sich in zwei Dreiergruppen. Die erste (V. 5–7) beschreibt die Zeugung des Menschen als einen Akt göttlicher „Schöpfung“ (ḫalaqa, V. 5.6). Wie auch in anderen ʾāyāt-Passagen geht es dabei nicht um die anfängliche Erschaffung der Welt, sondern darum, einen weltimmanenten Prozess als einen Vorgang zu deuten, in dem Gott der eigentliche und primär Wirkende ist. Die folgende, durch einen Reimwechsel abgegrenzte Dreiergruppe zieht die intendierte Schlussfolgerung aus diesem Schöpfungsverweis: Wenn Gott der eigentliche Schöpfer jedes einzelnen Menschen ist, so ist er auch „imstande, ihn zurückzubringen“ (V. 8). Es folgt ein eschatologischer Temporalsatz mit Nachsatz (V. 9.10), welcher die irreduzible Eigenverantwortung des Menschen für sein Tun bekräftigt. Implizit kontrastiert die in V. 8 unterstrichene Macht Gottes mit der niedrigen Herkunft des Menschen (V. 5–7; vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 324 und 328 ) und seiner sich am Jüngsten Tag erweisenden Ohnmacht (V. 10: fa-mā lahū min quwwatin). Die in V. 9 angekündigte Offenlegung des gesamten Menschen greift die im Einleitungsgesätz ausgesagte lückenlose Überwachung des menschlichen Tuns und Sinnens auf.
Das dritte Gesätz setzt mit einem Schwur beim Himmel und bei den zyklisch an ihm ablaufenden Gestirnsbewegungen ein, der sicher als steigernde Reprise des gleichfalls den Himmel evozierenden Eingangsverses zu verstehen ist; es folgt ein zweiter Schwur, der das sich ebenfalls periodisch wiederholende Hervorsprießen von Pflanzen aus der Erde nennt. Als Schwuraussage steht eine Offenbarungsbestätigung. Die Schwurpassage verknüpft damit die auch anderswo miteinander verbundenen Themenkomplexe Schöpfung (V. 11.12 evozierten Naturprozesse setzt die als Schwuraussage stehende Offenbarungsbestätigung V. 13.14 einen scharfen Kontrapunkt: „Die nun angelaufene heilsgeschichtliche Zeit durchschneidet (f-ṣ-l, V. 13: faṣl) den Zyklus des gewohnten und eines Schein-Sicherheit bietenden Naturablaufs ...“ ( Neuwirth, „Horizont“, 27 ). Zugleich verknüpft die Schwurpassage die auch anderswo miteinander verbundenen Themenkomplexe Schöpfung (V. 11.12) und Offenbarung (V. 13.14) (vgl. den Kommentar zu 96:4.5). Für die Deutung des Passus erscheint aber vor allem die Beobachtung wichtig, dass sich die Sequenz von im Sureninnern stehender Schwurserie und anschließender Offenbarungsbestätigung noch in weiteren Texten der Gruppen II und III findet (vgl. insb. 81:15 ff., wo ebenfalls bei einem Himmelsphänomen geschworen wird). Die Sure ist damit wie Q 81 aus den beiden Elementen Gerichtsbotschaft und auf Status, Herkunft und Vermittlungsmodus dieser Botschaft reflektierendem Metadiskurs aufgebaut. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass der Gerichtsgedanke bereits ausführlich in Gruppe I der frühmekkanischen Texte entwickelt wird, eine offenbarungstheologische Autorisierung der koranischen Verkündigungen jedoch erstmals in der an der Schwelle zu Gruppe II stehenden Sure 97 stattfindet: Weil die Gerichtsbotschaft früherer Korantexte offenbar eine polemische Debatte um die Zuverlässigkeit des Verkünders und den bereits von den frühesten Korantexten implizierten Offenbarungsanspruch ausgelöst hat, kann sie in Texten wie Sure 81 und 86 nicht einfach nur reformuliert und variiert werden, sondern bedarf von nun an einer expliziten Autorisierung. Geleistet wird diese durch die auch später noch häufig am Surenende stehenden Offenbarungsbestätigungen, wobei die in frühmekkanischer Zeit noch zu beobachtende Akzentuierung derselben durch sureninterne Schwurserien in mittelmekkanischer Zeit nicht fortgeführt wird.
Die Sure schließt mit einem – urspünglich wohl einversigen – Drohwort (V. 15.16) und einem Aufruf an den Verkünder (V. 17), wie ihn auch andere frühmekkanische Suren aufweisen (zu weiteren Stellen s. das formkritische Register, Anreden des Verkünders). Dieser Schlusspassus bildet den rhetorischen Klimax der Sure: Wie auch in anderen frühmekkanischen Suren (vgl. 88:25.26) wird erst jetzt ausdrücklich kenntlich gemacht, dass Gott als Sprecher intendiert ist. Zwischen Drohwort und Aufruf besteht eine sorgfältig konstruierte Strukturkorrespondenz: Beide gebrauchen zweimal dasselbe Verb (V. 15.16) bzw. zwei synonyme Stämme derselben Verbalwurzel (V. 17), wobei sich das erste Vorkommnis auf menschliche Akteure bezieht (die Gegner des Verkünders bzw. dieser selbst), während beim zweiten Gott als Subjekt steht.
Literaturliste
Die Sure gehört wie z. B. Q 91 und 92 zu denjenigen frühmekkanischen Texten, die sich bereits in Gesätze gliedern lassen, und ist damit später als die kurzen Droh- und Scheltworte Q 95, 102, 103, 104, 107, 111 (s. a. die Einleitungen zu Q 89, 91, 92). Mit einer durchschnittlichen Verslänge von 8,7 Silben und einer Länge von 17 bzw. 16 Versen (bei Zusammenziehung von V. 15.16) ist sie wie auch Q 91 und 92 in Gruppe II einzuordnen. Das Schlussgesätz weist strukturelle Bezüge zum zweiten Teil der ebenfalls zu Gruppe II gehörigen Sure 81 auf (s. u. die Anm. zu V. 11–14). Neuwirth weist insbesondere auf Berührungspunkte mit Q 85 hin ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 339 f. ), etwa im einleitenden Schwur beim Himmel.
Die Sure weist keine Spuren späterer Zusätze auf. Der Neueinsatz des Textes mit einer Schwurserie ab V. 11 ist kein Indiz für sekundäre Redaktionsprozesse: Neben den übrigen koranischen Binnenschwurserien ist es insbesondere das Auftreten von Einzelschwüren im Sureninnern (Q 51:23, 70:40), welches deutlich macht, „daß Schwüre nicht unbedingt selbständige Einheiten einleiten müssen, sondern innerhalb des Redeverlaufs zur Betonung dienen können“; sie fungieren also nicht notwendigerweise als Sureneinleitungen und können folglich nicht als „Kriterium für ursprüngliche Surenanfänge“ dienen ( Neuwirth, Studien, 188 ).
Die Sure besteht aus drei Gesätzen, die klare numerische Proportionen aufweisen: Das zweite und dritte Gesätz haben mit jeweils 6 Versen die anderthalbfache Länge des Eröffnungsgesätzes (4 Verse) – eine numerische Disposition, die sich ähnlich auch in anderen Suren findet, vgl. etwa Q 84. Der Gestus des Textes ist insgesamt drohend, wobei jedoch im Gegensatz zu anderen Suren aus Gruppe II, die z. T. umfangreiche eschatologische Entwürfe enthalten (vgl. Q 81 oder 85), auffällt, dass der eigentliche Gegenstand der Drohung, das Jüngste Gericht, nur im zweiten Gesätz in V. 8–10 explizit thematisiert wird; ansonsten finden sich nur Anspielungen. Wie andere Texte aus Gruppe II und zahlreiche spätere Korantexte schließt die Sure selbstreferentiell: Das Schlussgesätz enthält eine Offenbarungsbestätigung (vgl. in Gruppe II etwa 85:21.22, 81:27.28) und einen Aufruf an den Verkünder (vgl. 88:21.22 oder 84:24) und bietet damit einen die eschatologische Ausgangsbotschaft früherer Korantexte autorisierenden Metadiskurs.
Im Gegensatz zu der hier vertretenen Gliederung hat Michel Cuypers versucht, V. 8–10 als strukturelles Zentrum der Sure zu erweisen, das von zwei einander korrespondierenden Abschnitten V. 1–7 und V. 11–17 umrahmt werde ( Cuypers 2001, 40–45 ). Im Interesse seiner vorgefassten These von im Koran allgegenwärtigen parallelistischen und konzentrischen Textstrukturen (vgl. die kritischen Bemerkungen im Abschnitt „Zum Format des Kommentars“ der Einleitung) setzt er sich dabei u. a. über eine offenkundige kompositorische Fugen hinweg, die sich durch innerkoranische Textvergleich leicht erhärten ließe (nämlich die Zäsur zwischen dem Schwurgesätz V. 1–4 und der ʾāyāt-Polemik V. 5–7).
Überblick
1–4 āK3K (mit vorherrschenden Explosiven) | 1 1 Schwur |
2.3 Lehrfrage und Antwort (parenthetisch) | |
4 Schwuraussage: Warnspruch | |
5 uliq 6–7 āK3K | 2 5–7 ʾāyāt-Polemik: polemische Aufforderung, V. 6.7 Werkaffirmation im Passiv |
8–10 āK3r | 8 theologische Prädikation (warnend) |
9.10 eschatologischer Temporalsatz (mit Nachsatz) | |
11.12 3Kʿ | 3 11.12 Schwüre |
13.14 3Kl | 13.14 Schwuraussage: Offenbarungsbestätigung |
15–17 3Kdā | 15.16 Drohwort |
17 Aufruf zur Standhaftigkeit |
Proportionen (ohne Abteilung zwischen V. 15.16): 4+6(=3+3)+6(=2+2+2).