بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
وَٱلسَّمَآءِ ذَاتِ ٱلۡبُرُوجِ |
I11 Beim Himmel mit den Sternbildern, |
وَٱلۡيَوۡمِ ٱلۡمَوۡعُودِ |
2 beim angedrohten Tag, |
وَشَاهِدٍۢ وَمَشۡهُودٍۢ |
3 bei einem Zeugen und etwas Bezeugtem! |
قُتِلَ أَصۡحَٰبُ ٱلۡأُخۡدُودِ |
24 Tod den Leuten des Grabens, |
ٱلنَّارِ ذَاتِ ٱلۡوَقُودِ |
5 des Feuers mit seinem Brennstoff, |
إِذۡ هُمۡ عَلَيۡهَا قُعُودٌۭ |
6 wenn sie auf ihm sitzen |
وَهُمۡ عَلَىٰ مَا يَفۡعَلُونَ بِٱلۡمُؤۡمِنِينَ شُهُودٌۭ |
7 und bezeugen, was sie den Gläubigen antun! |
وَمَا نَقَمُوا۟ مِنۡهُمۡ |
8 Sie haben ihnen nur deshalb gegrollt, |
إِلَّآ أَن يُؤۡمِنُوا۟ بِٱللَّهِ ٱلۡعَزِيزِ ٱلۡحَمِيدِ |
weil sie an Gott glaubten, den Mächtigen und Lobenswürdigen, |
ٱلَّذِی لَهُۥ مُلۡكُ ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضِ ۚ |
9 dem die Herrschaft über Himmel und Erde gehört; |
وَٱللَّهُ عَلَىٰ كُلِّ شَىۡءٍۢ شَهِيدٌ |
Gott ist über alles Zeuge. |
إِنَّ ٱلَّذِينَ فَتَنُوا۟ ٱلۡمُؤۡمِنِينَ وَٱلۡمُؤۡمِنَٰتِ |
10 Denjenigen, welche die gläubigen Männer und Frauen auf die Probe stellen |
ثُمَّ لَمۡ يَتُوبُوا۟ |
und darauf nicht umkehren, |
فَلَهُمۡ عَذَابُ جَهَنَّمَ |
denen wird die Höllenstrafe zuteil |
وَلَهُمۡ عَذَابُ ٱلۡحَرِيقِ |
und die Strafe des Feuerbrandes. |
إِنَّ ٱلَّذِينَ ءَامَنُوا۟ وَعَمِلُوا۟ ٱلصَّٰلِحَٰتِ |
11 Denjenigen, die glauben und gute Werke tun, |
لَهُمۡ جَنَّٰتٌۭ تَجۡرِی مِن تَحۡتِهَا ٱلۡأَنۡهَٰرُ ۚ |
werden Gärten zuteil, unterhalb derer Bäche fließen; |
ذَٰلِكَ ٱلۡفَوۡزُ ٱلۡكَبِيرُ |
das ist der große Sieg. |
إِنَّ بَطۡشَ رَبِّكَ لَشَدِيدٌ |
12 Dein Herr packt heftig zu! |
إِنَّهُۥ هُوَ يُبۡدِئُ وَيُعِيدُ |
313 Er bringt hervor und holt zurück. |
وَهُوَ ٱلۡغَفُورُ ٱلۡوَدُودُ |
14 Er ist der Vergebende und Liebevolle, |
ذُو ٱلۡعَرۡشِ ٱلۡمَجِيدُ |
15 der rühmenswerte Herr des Throns, |
فَعَّالٌۭ لِّمَا يُرِيدُ |
16 er tut, was er will. |
هَلۡ أَتَىٰكَ حَدِيثُ ٱلۡجُنُودِ |
417 Ist die Kunde von den Heerscharen zu dir gekommen, |
فِرۡعَوۡنَ وَثَمُودَ |
18 von Pharao und Ṯamūd? |
بَلِ ٱلَّذِينَ كَفَرُوا۟ فِی تَكۡذِيبٍۢ |
19 Nein, die Ungläubigen sind im Leugnen befangen; |
وَٱللَّهُ مِن وَرَآئِهِم مُّحِيطٌۢ |
20 Gott aber umfasst sie von hinten! |
بَلۡ هُوَ قُرۡءَانٌۭ مَّجِيدٌۭ |
21 Nein, es ist eine rühmenswerte Lesung |
فِی لَوۡحٍۢ مَّحۡفُوظٍ |
22 auf einer wohlverwahrten Tafel. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion des hier vorliegenden Schwurtypus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen.
Burūǧ ist wohl aus gr. πύργος, „Turm“, abzuleiten (s. Jeffery, Foreign Vocabulary, 78 f.). In 4:78 hat burūǧ die wörtliche Bedeutung „Türme“, in 85:1 sowie 15:16 und 25:61 bedeutet das Wort dagegen „Tierkreiszeichen“. Unmittelbar geht der arabische Ausdruck wohl auf syr. būrgā, „Turm“ und auch „Tierkreiszeichen“, zurück. Jeffery vermutet allerdings, dass letztere Bedeutung nur eine sekundäre Entwicklung unter arabischem Einfluss sei und burūǧ im Sinne von „Tierkreiszeichen, Sternbilder“ sich aus dem rabbinischen בורגן, „Rastplatz“ entwickelt haben könnte.
wa-l-yaumi l-mauʿūd] Gemeint ist sicherlich der Jüngste Tag; vgl. 70:42 (… ḥattā yulāqū yaumahumu llaḏī yūʿadūn) und 70:44 (… ḏālika l-yaumu llaḏī kānū yūʿadūn) sowie 51:60 (fa-wailun li-llaḏīna kafarū min yaumihimu llaḏī yūʿadūn).
wa-šāhidin wa-mašhūd] Die im Koran sehr häufige Wurzel š-h-d „combines two basic meanings, that of ‚observing directly’ and that of ‚stating what one has observed’“ (Ambros, Dictionary, 152). Als Subjekte können sowohl Menschen als auch Gott stehen, von dem es etwa in V. 9 heißt, dass er „über alles Zeuge“ (šahīd) sei. Über die Identität des im vorliegenden Vers genannten „Zeugen“ und „Bezeugten“ gibt es in der islamischen Exegese zahlreiche Spekulationen, welche die fraglichen Ausdrücke z. T. mit späteren islamischen Institutionen wie dem Opferfest identifizieren und deshalb kaum die Bedeutung wiedergeben dürften, die der Vers für seine ersten Hörer gehabt hat (vgl. Ṭabarī, ad loc.). Wahrscheinlicher ist die zum vorangehenden Vers passende Deutung von „Zeuge“ und „Bezeugtem“ auf die dem Jüngsten Gericht beiwohnenden und es insofern ‚bezeugenden’ Menschen (Ṭabarī, ebd., Nr. 36858 ff.). Paret untermauert diese von ihm favorisierte Interpretation noch mit einem Verweis auf die – allerdings späteren – Verse 19:37 (fa-wailun li-llaḏīna kafarū min mašhadi yaumin ʿaẓīm) und 11:103 (ḏālika yaumun maǧmūʿun lahŭ n-nāsu wa-ḏālika yaumun mašhūd). Andererseits weist er auch auf den mittelmekkanischen Vers 50:21 (wa-ǧāʾat kullu nafsin maʿahā sāʾiqun wa-šahīd) hin, wo offenbar die Vorstellung im Hintergrund steht, jeder Seele würde beim Jüngsten Gericht eine Art individueller Ankläger zugeteilt, der als „Zeuge“ gegen sie auftritt (vgl. etwas anders 16:84, wonach jedes Volk einen „Zeugen“ hat). Der Vers würde sich dann auf die himmlische Überwachung jedes Menschen durch Engel beziehen (vgl. Neuwirth, „Horizont“, 28), die seine guten und schlechten Taten aufzeichnen (s. als Belege hierfür 82:10–12 und 86:4, wo allerdings nicht die Wurzel š-h-d gebraucht wird) und beim Jüngsten Gericht dann Zeugnis gegen ihn ablegen. Da auch diese Interpretation einen Bezug zur Endzeit hat, passt sie ebenfalls in den unmittelbaren Kontext der Stelle.
qutila ʾaṣḥābu l-ʾuḫdūd] Die islamische Tradition identifiziert die „Leute des Grabens“ (ʾaṣḥāb al-ʾuḫdūd) mit den unter dem Himyaritenherrscher Ḏū Nuwās umgekommenen Märtyrern von Naǧrān. Da die „Leute des Grabens“ jedoch eindeutig negativ gewertet werden, dürften damit die Insassen der Hölle gemeint sein. Qutila ist hier wie in 80:17 (qutila l-ʾinsānu mā ʾakfarah), 74:19.20 (fa-qutila kaifa qaddar / ṯumma qutila kaifa qaddar) und 51:10 (qutila-l-ḫarrāṣūn) nicht als Tatsachenaussage („getötet wurden“), sondern als Verfluchung („Tod den …!“) zu verstehen. Bei den ʾaṣḥāb al-ʾuḫdūd handelt es sich also, wie bereits Horovitz im Anschluss an Grimme 1895 (S. 77, Anm. 4) bemerkt hat, um ein Synonym zu ʾaṣḥāb al-ǧaḥīm und ähnlichen Wendungen (Horovitz, Koranische Untersuchungen, 12, 92 f.; vgl. Bell, Commentary, zu 85:1–7). Diese eschatologische Deutung von V. 4–6 (vgl. im selben Sinne auch Cuypers 2001, 29 f.) wird zusätzlich gestützt durch die Parallele zwischen den ʾaṣḥāb al-ʾuḫdūd und den in den Schriften von Qumran erwähnten bǝnê haš-šaḥat, „Söhnen des Höllengrabens“ bzw. anǝšê haš-šaḥat, „Leuten (= ʾaṣḥāb?) des Höllengrabens“, auf die Philonenko hingewiesen hat (Philonenko 1967).
an-nāri ḏāti l-waqūd] Zu nār vgl. die Anmerkung zu 111:3. Zu an-nār ist auch eine Lesung im Nominativ überliefert (Muʿǧam, ad loc.).
ʾillā ʾan yuʾminū bi-llāhi l-ʿazīzi l-ḥamīd / allaḏī lahū mulku s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-llāhu ʿalā kulli šaiʾin šahīd] Zum Gottesnamen Allāh s. die Anmerkung zu 95:8. Zum Verb ʾāmana s. die Anmerkung zu 69:33. Zum Königtum Gottes s. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 336, derzufolge diese Vorstellung „seit mittelmekkanischer Zeit üblich wird“.
allaḏīna fatanŭ l-muʾminīna wa-l-muʾmināti] Zu fatana vgl. den Überblick über die verschiedenen Bedeutungsnuancen bei Ambros, Dictionary, 208. Zu ʾāmana s. die Anmerkung zu 69:33. Da die Perfektformen im parallel gebauten Folgevers generell präsentisch übersetzt werden, liegt es nahe, dem Perfekt auch im vorliegenden Vers keine temporale Funktion zuzuschreiben.
ṯumma lam yatūbū] S. die Anmerkung zu 73:20.
fa-lahum ʿaḏābu ǧahannama] Zu ǧahannam vgl. die Anmerkung zu 78:21.
ʾinna llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāti] Zu ʾāmana s. die Anmerkung zu 69:33. Zur gesamten Wendung s. den Abschnitt Literarkritik im Kommentar zu Q 103.
lahum ǧannātun taǧrī min taḥtihă l-ʾanhāru] Zu ǧanna vgl. die Anmerkung zu 81:13. Zu der Wendung taǧrī min taḥtihă l-ʾanhār („unterhalb derer Bäche fließen“) vgl. Paret, Kommentar, zu 2:25: „Dem Ausdruck liegt anscheinend die Vorstellung zugrunde, dass das Gartengelände neben den Bächen in Hängen oder Hügeln ansteigt, während das Wasser in den Niederungen, also ‚unten’, dahinfließt.“
ḏālika l-fauzu l-kabīr] S. die Anmerkung zu 78:31.
ʾinna baṭša rabbika la-šadīd] Zum Gottestitel rabb vgl. die Anmerkung zu 95:8. Obwohl der Vers Gott als Subjekt des folgenden Hymnus V. 13–16 einführt, sollte V. 12 doch formal als verallgemeinernder Schlussvers des vorangehenden Gesätzes und nicht als Auftakt des Folgegesätzes angesehen werden. Neuwirth, Studien, 223, verweist auf Q 53:42.43, wo ebenfalls ein eschatologisches Gesätz durch eine allgemeine Aussage über „deinen Herrn“, rabbuka, abgeschlossen wird und ein Hymnus mit ʾinna + Personalpronomen folgt. Vgl. auch 89:14, wo eine Strafreminiszenz mit einer ähnlich allgemeinen Aussage über Gott endet. (In 89:14 geht es um Gottes prinzipielle Wachsamkeit und Strafbereitschaft, in 85:12 um die Heftigkeit der Strafe selbst.)
wa-huwa l-ġafūru l-wadūd] In seiner Verknüpfung von Vergebungsbereitschaft und gnädiger Zuwendung erinnert der Vers an Exodus 34:6 („Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott“, יְהוָה אֵל רַחוּם וְחַנּוּן).
ḏŭ l-ʿarši l-maǧīd] Bell weist darauf hin, dass der göttliche Thron eine wichtige Rolle in der alttestamentlichen und späteren jüdischen Literatur spielt (Commentary, ad loc.); vgl. nur die Thronvisionen in Jesaja 6:1 ff. und Ezechiel 1.
Der kurze Verweis auf Pharao und die Ṯamūd gehört zusammen mit 91:11–15 (mit einer vergleichsweise ausführlichen Ṯamūd-Erzählung) und 89:6–14 (Anspielungen auf das Schicksal der ʿĀd, der Ṯamūd und Pharaos) zu den frühesten Belegen für die Gattung der koranischen Straflegende (s. die Anmerkung zu 91:11–15 sowie den Kommentar zu Q 89, „Aufbau und Inhalt“).
hal ʾatāka ḥadīṯu l-ǧunūd] Vgl. 51:40, wo ebenfalls von den ǧunūd Pharaos die Rede ist (fa-ʾaḫaḏnāhu wa-ǧunūdahū fa-nabaḏnāhum fi-l-yammi wa-huwa mulīm). Zu ḥadīṯ s. die Anmerkung zu 77:50 mit weiteren Belegen.
firʿauna wa-ṯamūd] Vgl. die übrigen frühmekkanischen Versionen der Ṯamūd-Erzählung in 91:11–15, 89:9, 69:4.5, 53:51 und 51:43–45. Zu den Ṯamūd und den ʿĀd vgl. die Anmerkungen zu 89:6–13 und 91:11–15. Zu Mose und Pharao siehe die in der Anmerkung zu 79:15–26 angeführten Stellen.
bali llaḏīna kafarū fī takḏīb / wa-llāhu min warāʾihim muḥīṭ] Vgl. 84:22.23, wo eine ähnliche Folge von Scheltwort und Drohwort steht, wobei sich 85:19 (bali llaḏīna kafarū fī takḏīb) und 84:22 (bali llaḏīna kafarū yukaḏḏibūn) terminologisch decken: Beide Verse enthalten ausdrückliche Identifikationen der beiden Vergehen des „Leugnens“ (zum koranischen Gebrauch von kaḏḏaba s. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11) und des „Unglaubens“. Zu kafara vgl. allg. die Anmerkung zu 84:22.
bal huwa qurʾānun maǧīd / fī lauḥin maḥfūẓ] Wie 73:19, 74:54–56, 87:18.19 endet der Text mit einer Offenbarungsbestätigung. Zur hier verwendeten Begrifflichkeit vgl. 56:77.78 (ʾinnahū la-qurʾānun karīm / fī kitābin maknūn) und 80:13.14 (wo der Koran als taḏkira bezeichnet wird, die fī ṣuḥufin mukarramah / marfūʿatin muṭahharah lokalisiert wird). Vgl. a. den mittelmekkanischen Vers 50:1 (qāf wa-l-qurʾāni l-maǧīd). Zur Verwendung ‚frei schwebender’ Personalpronomen s. a. die Anmerkung zu 97:1; zum frühmekkanischen Gebrauch von qurʾān s. die Anmerkung zu 75:16–19. Es ist nicht klar, ob qurʾān, „Rezitation, Vortrag“, hier lediglich auf Sure 85 bezogen ist oder aber das gesamte Korpus der bis dato von Muḥammad verkündeten Texte bezeichnet.
Maḥfūẓ wird mehrheitlich als Genitiv und damit als Attribut zu lauḥ, „Tafel“, gelesen. Eine u. a. Nāfiʿ und Ibn Muḥaiṣin zugeschriebene Lesevariante fasst das Wort jedoch als Attribut zu qurʾān auf: fī lauḥin maḥfūẓun, „wohlverwahrt auf einer Tafel“ (Muʿǧam, ad loc.). Da für den urgemeindlichen Koranvortrag von einer Realisierung der Reimwörter in Pausalform, d. h. ohne Kasusendungen, auszugehen ist, war die Ambivalenz im Bezugswort zwar von maḥfūẓ von Anfang an gegeben, doch dürfte angesichts der Parallele 80:11.13 (wo sich das Attribut mukarrama sicherlich auf ṣuḥuf bezieht) maḥfūẓ als Attribut zu lauḥ zu verstehen sein. Die Aussage, dass der Koran auf einer „wohlverwahrten Tafel“ niedergelegt sei, erinnert an das Jubiläenbuch, wo himmlische Tafeln ebenfalls eine wichtige Rolle spielen und sowohl als Archetypen der mosaischen Tora fungieren als auch als Tatenregister und Schicksalsbuch (s. Horovitz 1925, 76 f.; zum Jubiläenbuch vgl. García Martínez 1997). Vor allem die letzteren beiden Vorstellungen erscheinen auch in späteren Korantexten (s. die Anmerkung zu 84:7), während von einem himmlischen lauḥ nur in hier die Rede ist; vgl. jedoch die ähnliche Stelle Q 56:77.78 (ʾinnahū la-qurʾānun karīm / fī kitābin maknūn).
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Die Sure beginnt mit einer dreiversigen Schwurserie. Anders als etwa in Sure 100 hat diese nicht den Charakter eines im weiteren Textverlauf aufgelösten Rätselworts (s. den Kommentar zu Q 100), sondern dient vor allem dazu, in maximaler Verdichtung einen auf die Realität göttlicher Vergeltung verweisenden Motivbestand aufzulisten: den sich über allem menschlichen Handeln wölbenden Himmel, von dem aus das Tun jedes einzelnen umfassend überwacht wird (V. 1; vgl. hierzu den Kommentar zu 86:1–4), den „angedrohten“ Tag des Jüngsten Gerichts (V. 2) und das am Gerichtstag – wohl durch die in 82:10–12 und 86:4 erwähnten „Hüter“-Engel – vorgebrachte Zeugnis über die Übeltaten der Verdammten (V. 3).
Das zweite, später durch Einschub der heutigen Verse 7–11 umfassend erweiterte Gesätz, skizziert – formal in Gestalt einer Verfluchung – das jenseitige Schicksal der Verdammten, die im Höllenfeuer brennen (V. 4–6). Die einleitende Nennung des „angedrohten“ Gerichts setzt sich so in einer Darstellung der Strafe, die der Verurteilten harrt, fort. Abgeschlossen wird das Gesätz durch eine theologische Prädikation, die als Resümee des vorangehenden Höllenbildes Gottes Fähigkeit und Entschlossenheit zur Ahndung der beim Jüngsten Tag bezeugten Vergehen aussagt (V. 12).
Die Verse 7–11 sind vermutlich in mehreren Schritten eingefügt worden (s. o.). Zunächst wurde V. 7 ergänzt, welcher die beiden in V. 3 nicht näher erläuterten Schwurgegenstände „Zeuge“ und „Bezeugtes“ ausdeutet (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 335): Subjekt des in der Schwureinleitung evozierten Zeugnisses sind die Verdammten selbst, die am Jüngsten Tag ihre Übergriffe gegen die Gläubigen eingestehen werden. V. 8.9 führen dann aus, dass die in V. 7 angesprochenen Repressalien einzig durch das Bekenntnis der Gläubigen zu Gott motiviert sind und insofern mit der Leugnung Gottes gleichzusetzen sind. V. 8b.9 gehen dann in einen kurzen, an V. 13–16 erinnernden Hymnus über, der u. a. feststellt, Gott sei „über alles Zeuge“ und damit erneut die bereits in V. 3 und 7 präsente Wurzel š-h-d, „zeugen, bezeugen“, aufgreift: Als der im Schwur evozierte „Zeuge“ erscheinen jetzt nicht nur die Bösen, die sich ihrer eigenen Übeltaten bezichtigen werden (V. 7), sondern auch Gott selbst. Wenn es vorher in V. 9 heißt, Gott komme die Herrschaft über „Himmel und Erde“ zu, so wird damit auch ein Rückbezug zu V. 1 hergestellt und Gottes Herrschaft über den Himmel mit seinem jetzt durch die Wurzel š-h-d bezeichneten Allwissen verknüpft. In einem dritten Erweiterungsschritt wird der implizite Gegensatz zwischen den Gläubigen (V. 7) und den sich an ihnen vergreifenden „Leuten des Grabens“ dann zu einer symmetrischen Antithese ausgebaut, wie sie für koranische Jenseitsbeschreibungen insgesamt charakteristisch ist: Denjenigen, welche die Gläubigen „in Versuchung führen“, wird die Höllenstrafe zuteil, während diejenigen, die glauben und gute Werke tun, ins Paradies eingehen werden. Das ursprünglich nur auf das Schicksal der Ungläubigen fokussierte Jenseitsgesätz V. 4–6.12 wird so um eine positive Jenseitsperspektive erweitert. Hiermit wird wohl der Tatsache Rechnung getragen, dass die Mitglieder der koranischen Gemeinde für sich selbst nicht die ewige Verdammnis erwartet haben dürften (vgl. ähnlich Q 89:23.24.27–30, die den Text um einen mit 85:10:11 vergleichbare Gegenüberstellung von Verdammten und Seligen ergänzen).
Das hymnische dritte Gesätz bezieht sich pronominal auf den Schlussvers des zweiten Gesätzes (V. 12) zurück, der Gott mit der in anderen frühmekkanischen Texten gängigen Bezeichnung „dein Herr“ (rabbuka) einführte. Die in V. 12 gemachte Aussage über die Heftigkeit des göttlichen ‚Zugriffs’ auf die Sünder wird hier durch weitere theologische Prädikationen fortgesetzt, die sich mehrheitlich um Gottes Allmacht drehen. Lediglich V. 14 stellt mit dem Hinweis auf Gottes Vergebungsbereitschaft (ġafūr), ja sogar seine „Liebe“ (wadūd), einen deutlichen Kontrapunkt sowohl zum vorangehenden Gesätz als auch zu den übrigen Versen des dritten Gesätzes dar, in denen Gottes Macht und Erhabenheit thematisiert werden. V. 13 ist eine verallgemeinernde Anspielung auf das u. a. in 75:37–40 ausgeführte Argument, dass Gott als Schöpfer der Menschen auch die Macht hat, sie zum Zwecke einer endzeitlichen Rechenschaftsablegung wieder von den Toten aufzuerwecken; der Vers hat also wie zuvor V. 12 und am Ende des Gesätzes V. 16 durchaus auch einen drohenden Unterton.
Das Schlussgesätz setzt den drohenden Redegestus der übrigen Sure fort. Während diese Drohbotschaft zuvor in Form eschatologischer Ankündigungen (erstes und zweites Gesätz) sowie allgemeiner theologischer Feststellungen (drittes Gesätz) durchdekliniert wurde, wird sie in V. 17.18 auch in das Medium innerweltlicher Geschichte transponiert: Der kurze Verweis auf das Schicksal des Volkes Pharaos und der Ṯamūd benennt beschränkte Präzedenzfälle für das in V. 4–6 beschriebene universale Menschheitsgericht am Jüngsten Tag. Wie etwa auch in 89:6–13 hat die Vergegenwärtigung früherer göttlicher Strafhandlungen hier noch keine genuin narrative Form, sondern besteht lediglich aus einer polemischen Frage („Ist die Geschichte von ... zu dir gekommen?“) und einem anschließenden Drohwort. Auf diese kurze Geschichtsreminiszenz folgen wiederum zwei allgemeine Konstatierungen, die in ihrem Duktus an das dritte Gesätz erinnern und erneut die Unausweichlichkeit göttlicher Strafe bekräftigen.
Die Sure schließt mit einer Offenbarungsbestätigung, wie sie auch am Ende vieler späterer Korantexte steht. Das hieran beobachtbare Aufkommen regelrechter Surenschlüsse – deren Funktion auch, etwa in 96:16, von Aufrufen übernommen werden kann – ist ein wichtiger Teil der bereits in frühmekkanischer Zeit einsetzenden strukturellen Ausdifferenzierung der Korantexte. In der vorliegenden Sure wird erstmals die Vorstellung von einer den durch Muḥammad vorgetragenen Offenbarungen zugrunde liegenden himmlischen Urschrift (hier als „wohlverwahrte Tafel“ bezeichnet) artikuliert, die u. a. an das Jubiläenbuch erinnert. Auffällig ist hier die erneute Verwendung des Attributs maǧīd, das bereits in V. 15 verwendet wurde: Während es dort Gott selbst beschreibt, charakterisiert es in V. 21 die von ihm offenbarte „Lesung“ und unterstreicht damit auch sprachlich, dass diese an der göttlichen Hoheit teilhat.
Innerkoranisch sind die beiden Schlussverse mit den beiden Stellen 80:11 ff. und 56:77.78 zu vergleichen, die einen zu 85:21.22 ganz analogen Aufbau aufweisen: Zunächst werden die koranischen Offenbarungen, auf die lediglich pronominal mit einem frei schwebenden „es“ Bezug genommen wird, selbst charakterisiert, und zwar entweder als „Lesung“ (85:21, 56:77: qurʾān) oder als „Mahnung“ (80:11: taḏkira). Im Anschluss daran wird festgestellt, dass diese sich „in“ (fī) einem als schrifthaft (80:13: ṣuḥufin, 56:78: kitāb) charakterisierten Speichermedium befinden, das – wie 80:15.16 hinzufügt – in der Obhut von „edlen und frommen Schreibern“ bzw. Engeln aufbewahrt wird und damit irdischer Verfügungsgewalt entzogen ist. Alle drei Stellen, von denen 85:21.22 die früheste sein dürfte, sprechen den Korantexten eine gleichsam virtuelle Schrifthaftigkeit zu, die sie in medialer Hinsicht den geschlossenen und schriftlich fixierten Offenbarungsschriften anderer Religionen angleicht. Einen möglichen Debattenhintergrund dieser Stellen versucht Sinai 2006 (112–116) auszuleuchten: Vor allem die in 74:52 referierte Forderung „jeder von ihnen will, dass man ihm ausgebreitete Schriftstücke aushändigt“, die in Q 25:32 (mittelmekkanisch) referierte Frage, warum der Koran nicht ǧumlatan wāḥidatan, „in einem Stück“, herabgesandt worden sei, sowie der in Q 96:4.5 implizierte Zusammenhang von Offenbarung und Schriftlichkeit lassen darauf schließen, dass die Hörer Muḥammads göttliche Offenbarungen generell als etwas ansahen, was die Gestalt abgeschlossener und schriftlich kodifizierter Textkorpora – also die eines Buches – anzunehmen hatte. In den Augen der koranischen Adressaten könnte der Offenbarungsanspruch der Koranverkündigungen insofern mit ihrer Mündlichkeit und ihrem bis zum Tode Muḥammads unabgeschlossenen Charakter – also ihrer ausgemachten ‚Un-Buchhaftigkeit‘ – konfligiert haben. 85:21.22 würde dem sich daraus ergebenden Einwand dann mit dem Verweis auf eine auf der himmlischen Tafel verzeichnete Urschrift der Korantexte begegnen.
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Obwohl die Sure keine Reimwechsel aufweist, gehört sie doch in die frühmekkanische Periode: Dafür sprechen vor allem die Schwureinleitung und die Kürze der Verse (ohne Berücksichtigung der mutmaßlichen Einschübe V. 7–11 weist der Text im Durchschnitt nur 7,8 Silben pro Vers auf; am längsten ist V. 13 mit 11 Silben). Die Sure gliedert sich bereits in Gesätze und weist – wie etwa auch Q 74 und 87 – eine Offenbarungsbestätigung als Surenschluss auf (s. den Stellenkommentar zu V. 21.22). Im Hinblick auf Verslänge, Gesamtlänge und struktureller Komplexität entspricht sie Gruppe II der frühmekkanischen Texte. Neuwirth weist insbesondere auf Berührungspunkte mit Q 86 hin (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 339 f.), etwa im einleitenden Schwur beim Himmel.
V. 8–11 geben sich bereits durch ihre Länge und auch terminologisch als Einschub zu erkennen: Die Verse enthalten jeweils über 20 Silben; die Verbindung al-muʾminūn wa-l-muʾmināt erscheint sonst nur in medinensischen Texten (s. dazu ausführlicher Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 337; die Verwendung dieser Formel in 71:28 dürfte auf eine medinensische Erweiterung des Verses zurückgehen, so auch Bell, Commentary, zu 71:29 nach der Flügel-Zählung); die stereotype Formel allaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāt ist charakteristisch für spätmekkanische und medinensische Texte (s. den Abschnitt Literarkritik im Kommentar zu Q 103); und die Vorstellung, dass unterhalb der paradiesischen Gärten Bäche fließen, ist sonst in frühmekkanischen Texten nicht bezeugt (die Wendung taǧrī min taḥtihă l-ʾanhār erscheint erst in Mekka II, vgl. 6:6, 20:76, 25:10 und 29:58). Auch das Verb tāba ist frühmekkanischen sonst nicht belegt (73:20 ist ebenfalls ein späterer Zusatz).
V. 7 ist zwar deutlich länger als der Rest des Textes, jedoch kürzer als V. 8–11. V. 7 ließe sich deshalb auch als originär verstehen; Bell etwa identifiziert lediglich V. 8–11 als Einschub (Commentary, ad loc.). Terminologisch ist der Befund tatsächlich uneindeutig: So muss die Verwendung der Gruppenbezeichnung al-muʾminūn, „die Gläubigen“, keineswegs auf einen späteren Zusatz hindeuten, da sie vereinzelt bereits in frühmekkanischer Zeit erscheint (vgl. 51:35.55). Dennoch weicht V. 7 mit 16 Silben signifikant von der durchschnittlichen Silbenzahl 7,8 ab. Weil der Vers überdies für den gedanklichen Zusammenhang zwischen V. 4–6 einerseits und V. 12 anderseits verzichtbar ist, ist die Annahme einer Interpolation doch wahrscheinlicher. Die Tatsache, dass V. 7 (16 Silben) deutlich kürzer als V. 8.9 ist (21 und 25 Silben) und diese wiederum kürzer als V. 10.11 (41 und 37 Silben) sind, lässt sich mit Angelika Neuwirth am besten durch ein mehrstufiges Fortschreibungsszenario erklären, bei dem zuerst V. 7, dann V. 8.9 und schließlich V. 10.11 eingefügt wurden (Neuwirth, Studien, 223 f.; zur jeweiligen Pointe dieser Einschübe s. den Stellenkommentar).
Skeptisch gegenüber solchen literarkritischen Erwägungen zeigt sich Michel Cuypers, der die literarische Kohärenz der Endgestalt des Textes betont (Cuypers 2001, 27–39) und die längenmäßige und stilistische Differenz von V. 10.11 gegenüber V. 1–6 und V. 12–22 auf bewusste literarische Gestaltung zurückführt, ohne jedoch die zahlreichen Indizien für eine spätere Erweiterung der Sure im Einzelnen zu prüfen (ebd., 34 f.).
Die ursprünglich aus vier Gesätzen von sukzessive zunehmender Länge (3/4/4/6) aufgebaute Sure ist fast durchgängig drohend. Dabei wird die im Zentrum des Textes stehende Ankündigung einer endzeitlichen Rechenschaftsablegung in unterschiedlichen Diskursregistern durchgespielt: Die ersten beiden Gesätze bieten einen szenenhaften Vorblick auf die Strafe der im Höllenfeuer „sitzenden“ Verdammten, das dritte Gesätz bekräftigt in Form theologischer Sentenzen Gottes Allmacht, das Schlussgesätz führt innergeschichtliche Antetypen der eschatologischen Strafe an (Pharao, Ṯamūd). Von besonderem Interesse für das koranische Selbstbild ist die abschließende Offenbarungsbestätigung mit ihrer Vorstellung von einer Muḥammads Verkündigungen zugrunde liegenden himmlischen Urschrift.
Eine von der obigen Gliederung weitgehend abweichende und sich auf methodisch fragwürdige Weise von literarkritischen Erwägungen dispensierende Analyse der Sure gibt Cuypers 2001, 27–39, für den die nachträglich eingeschobenen Verse 10 und 11 geradezu das strukturelle und inhaltliche Zentrum des Textes darstellen. Vgl. zu seinem Versuch, in zahlreichen Korantexten einen konzentrischen Aufbau nachzuweisen, die kritischen Bemerkungen in der Einleitung (Abschnitt „Zum Format des Kommentars“).
Überblick
1–11 3K(K)2K mit Explosiven | 1 1–3 Schwurserie |
2 4–6 Verfluchung | |
[7–9 erklärender Zusatz (1), mit relativisch angeschlossener theologischer Prädikation] | |
[10 erklärender Zusatz (2): Antithese (–): Drohwort mit Lasterkatalog | |
11 Forts. Antithese (+): Verheißung mit Tugendkatalog] | |
12–18 3K(K)2d | 12 theologische Prädikation (warnend) |
3 13–16 weitere theologische Prädikationen | |
4 17.18 Strafreminiszenz: Pharao und Ṯamūd (als Lehrfrage) | |
19–22 3K(K)2K mit vorherrschenden Explosiven | 19.20 Scheltwort und theologische Prädikation (drohend) |
21.22 Offenbarungsbestätigung |
Proportionen (ohne Einschübe): 3+4+4+6(=2+2+2).