بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
إِذَا ٱلسَّمَآءُ ٱنشَقَّتۡ |
I11 Wenn der Himmel sich spaltet |
وَأَذِنَتۡ لِرَبِّهَا وَحُقَّتۡ |
2 und auf seinen Herren hört, wie es ihm ansteht, |
وَإِذَا ٱلۡأَرۡضُ مُدَّتۡ |
3 und wenn die Erde eingeebnet wird |
وَأَلۡقَتۡ مَا فِيهَا وَتَخَلَّتۡ |
4 und herauswirft, was in ihr ist, und sich entleert, |
وَأَذِنَتۡ لِرَبِّهَا وَحُقَّتۡ |
5 und auf ihren Herren hört, wie es ihr ansteht – |
يَٰٓأَيُّهَا ٱلۡإِنسَٰنُ |
6 O Mensch, |
إِنَّكَ كَادِحٌ إِلَىٰ رَبِّكَ كَدۡحًۭا فَمُلَٰقِيهِ |
du mühst dich zu deinem Herrn hin und wirst ihm begegnen! |
فَأَمَّا مَنۡ أُوتِیَ كِتَٰبَهُۥ بِيَمِينِهِۦ |
27 Wem seine Schrift in seine Rechte gegeben wird, |
فَسَوۡفَ يُحَاسَبُ حِسَابًۭا يَسِيرًۭا |
8 mit dem wird auf leichte Weise abgerechnet |
وَيَنقَلِبُ إِلَىٰۤ أَهۡلِهِۦ مَسۡرُورًۭا |
9 und er kehrt froh zu den Seinen zurück. |
وَأَمَّا مَنۡ أُوتِیَ كِتَٰبَهُۥ وَرَآءَ ظَهۡرِهِۦ |
10 Wem aber seine Schrift hinter seinem Rücken gegeben wird, |
فَسَوۡفَ يَدۡعُوا۟ ثُبُورًۭا |
11 der wird ein Wehegeschrei anstimmen |
وَيَصۡلَىٰ سَعِيرًا |
12 und in einem Brand schmoren. |
إِنَّهُۥ كَانَ فِیٓ أَهۡلِهِۦ مَسۡرُورًا |
13 Er war froh inmitten der Seinigen; |
إِنَّهُۥ ظَنَّ أَن لَّن يَحُورَ |
14 er meinte, es würde immer so bleiben. |
بَلَىٰۤ إِنَّ رَبَّهُۥ كَانَ بِهِۦ بَصِيرًۭا |
15 Doch nein, sein Herr hat ihn gesehen! |
فَلَآ أُقۡسِمُ بِٱلشَّفَقِ |
II316 Nein, ich schwöre bei der Abenddämmerung, |
وَٱلَّيۡلِ وَمَا وَسَقَ |
17 bei der Nacht und dem, was sie trägt, |
وَٱلۡقَمَرِ إِذَا ٱتَّسَقَ |
18 beim Mond, wenn er voll ist! |
لَتَرۡكَبُنَّ طَبَقًا عَن طَبَقٍۢ |
19 Ihr werdet in Notlage um Notlage geraten. |
فَمَا لَهُمۡ لَا يُؤۡمِنُونَ |
420 Was ist mit ihnen, dass sie nicht glauben, |
وَإِذَا قُرِئَ عَلَيۡهِمُ ٱلۡقُرۡءَانُ لَا يَسۡجُدُونَ |
21 und sich nicht niederwerfen, wenn ihnen die Lesung vorgetragen wird? |
بَلِ ٱلَّذِينَ كَفَرُوا۟ يُكَذِّبُونَ |
22 Nein, die Ungläubigen leugnen, |
وَٱللَّهُ أَعۡلَمُ بِمَا يُوعُونَ |
23 doch Gott weiß am besten, was sie für Gedanken horten. |
فَبَشِّرۡهُم بِعَذَابٍ أَلِيمٍ |
24 So verkünde ihnen eine schmerzhafte Strafe! |
إِلَّا ٱلَّذِينَ ءَامَنُوا۟ وَعَمِلُوا۟ ٱلصَّٰلِحَٰتِ |
25 Nicht so denen, die glauben und gute Werke tun; |
لَهُمۡ أَجۡرٌ غَيۡرُ مَمۡنُونٍ |
ihnen wird ihr Lohn nicht vorenthalten. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
Einleitende ʾiḏā-Serien weisen auch Q 82 und 84 auf; Q 99 beginnt ebenfalls mit einem kurzen eschatologischen Temporalsatz (mit Nachsatz). Die in längeren ʾiḏā-Serien anzutreffende Wortstellung ʾiḏā + Subjekt + Verb (s. a. 77:8–11) unterscheidet sich dabei von derjenigen in gewöhnlichen Verbalsätzen, wo das Verb voransteht (nicht so in 99:1–3; auch alleinstehende ʾiḏā-Sätze wie 89:21.22 weisen die übliche Wortstellung auf). Das Phänomen ist nicht auf den Koran begrenzt, sondern auch in der altarabischen Dichtung nachweisbar (s. den Verweis auf Bloch 1946, 104 f. , bei Paret, Kommentar, zu 81:1–14 ).
ʾiḏă s-samāʾu nšaqqat] Vgl. 82:1 (ʾiḏă s-samāʾu nfaṭarat), 77:9 (wa-ʾiḏă s-samāʾu furiǧat), 73:18 (as-samāʾu munfaṭirun bihī kāna waʿduhū mafʿūlā), 69:16 (wa-nšaqqati s-samāʾu fa-hiya yaumaʾiḏin wāhiyah), 55:37 (fa-ʾiḏă nšaqqati s-samāʾu fa-kānat wardatan ka-d-dihān). Von einer Öffnung des Himmels am Jüngsten Tag ist auch in 81:11 (wa-ʾiḏă s-samāʾu kušiṭat) und 78:19 (wa-futiḥati s-samāʾu fa-kānat ʾabwābā) die Rede. Die endzeitliche Zerstörung des Himmels kann jedoch auch als eine Art Schmelzprozess vorgestellt werden, vgl. 70:8 (yauma takūnu s-samāʾu ka-l-muhl).
wa-ʾaḏinat li-rabbihā wa-ḥuqqat] Die arabischen Wörterbücher geben ḥuqqa lahū bzw. ḥuqqa mit „es obliegt ihm“ o. Ä. wieder ( Lane, Bd. 2, 605c–606a ). Diese Deutung hat den Vorzug, dass sie einen koranunabhängigen Sprachgebrauch zu verzeichnen scheint und damit nicht von vornherein im Verdacht steht, eine sekundäre Ableitung vom Korantext zu sein. Eine ähnliche Interpretation erscheint bei Ṭabarī in Gestalt der Glosse wa-ḥuqqat = wa-ḥaqqa lahā und ist dort sicherlich der theologisierenden Interpretation ḥuqqat = ḥuqqiqat, „es ist ihr vorherbestimmt“ vorzuziehen. Ambros befürwortet wie Bell ein parallelistisches Verständnis, welches wa-ḥuqqat als Synonym zu ʾaḏinat ... auffasst: „to give in, to become amenable, to understand one’s duties“ ( Ambros, Dictionary, 75 ; vgl. Bell, The Qurʾān Translated , und ders., Commentary ). Diese Übertragung beruht wohl auf der von Zamaḫšarī gegebenen Gleichsetzung wa-ḥuqqat = hiya ḥaqīqa / maḥqūqa bi-... Ebenso wahrscheinlich wie eine parallelistische Interpretation ist aber die der obigen Übersetzung zugrunde liegende Deutung von wa-ḥuqqat als Zustandsatz. Zwar geht einem perfektiven Verb als Prädikat eines Zustandssatzes normalerweise die Partikel qad voraus, doch kann diese auch fehlen ( Reckendorf 1921, 450 ). Mit einem solchen Verständnis lässt sich überdies gut die eingangs referierte Bestimmung von wa-ḥuqqat im Sinne von „es obliegt ihr“ kombinieren: Der Zustandssatz motiviert, warum Himmel und Erde auf ihren Herren hören. Vgl. a. Richters Übersetzung von V. 2: „Und seinem Herrn pflichtschuldigst gehorcht“ ( Richter 1940, 11 ).
wa-ʾiḏă l-ʾarḍu muddat] Eine gewaltsame Affizierung der Erde am Jüngsten Tag wird auch in weiteren frühmekkanischen Stellen angekündigt: In dem Gruppe I zuzurechnenden Vers 99:1 (ʾiḏā zulzilati l-ʾarḍu zilzālahā) ist von einer Erschütterung der Erde die Rede, während 89:21 (kallā ʾiḏā dukkati l-ʾarḍu dakkan dakkā; Gruppe II) und 69:14 (wa-ḥumilati l-ʾarḍu wa-l-ǧibālu fa-dukkatā dakkatan wāḥidah; Gruppe IIIb) von einem „Zerstoßen“ oder „Zermalmen“ der Erde und der auf ihr befindlichen Bergformationen sprechen. Eine Kombination beider Motive findet sich implizit bereits in Vers 73:14 (yauma tarǧufu l-ʾarḍu wa-l-ǧibālu wa-kānati l-ǧibālu kaṯīban mahīlā; Gruppe II), dessen zweite Hälfte (wa-kānati l-ǧibālu kaṯīban mahīlā) das Resultat der anderswo geschilderten „Zerstoßung“ der Erde festhält. Explizit werden beide Vorstellungen dann noch einmal in 56:4.5 (ʾiḏā ruǧǧati l-ʾarḍu raǧǧā / wa-bussati l-ǧibālu bassā; Gruppe IIIb) nebeineinander gestellt. Vor dem Hintergrund dieser Parallelstellen ist davon auszugehen, dass es auch in 84:3 um die endzeitliche „Einebnung“ (muddat) der hier allerdings nicht ausdrücklich genannten Berge geht. Der Vers ist von daher auch mit den übrigen frühmekkanischen eschatologischen ǧibāl-Stellen zu vergleichen, insbesondere mit dem Gruppe I zuzuordnenden Vers 101:5 (wa-takūnu l-ǧibālu ka-l-ʿihni l-manfūš), aber auch mit 77:10 (wa-ʾiḏă l-ǧibālu nusifat), 70:9 (wa-takūnu l-ǧibālu ka-l-ʿihn) sowie den die ǧibāl jeweils mit dem Verb sāra bzw. sayyara verbindenden Versen 81:3, 78:20 und 52:10.
wa-ʾalqat mā fīhā wa-taḫallat] Von einer endzeitlichen Entleerung der Erde ist auch in 100:9 (ʾa-fa-lā yaʿlamu ʾiḏā buʿṯira mā fĭ l-qubūr), 99:2 (wa-ʾaḫraǧati l-ʾarḍu ʾaṯqālahā), 82:4 (wa-ʾiḏă l-qubūru buʿṯirat) und 50:44 (yauma tašaqqaqu l-ʾarḍu ʿanhum sirāʿan) die Rede. S. die Anmerkung zu 100:9.
S. die Anmerkung zu V. 2.
yā-ʾayyuhă l-ʾinsānu ʾinnaka kādiḥun ʾilā rabbika kadḥan fa-mulāqīh] Die von dem Vokativ „O Mensch“ implizierte Allgemeinheit macht es unwahrscheinlich, dass sich der Vers nur auf die Guten bezieht und als Verheißung zu verstehen ist. Hierfür spricht auch, dass der Vers durch die folgende Antithese entfaltet wird, wo ja sowohl von den Seligen wie von den Verdammten gehandelt wird (vgl. ähnlich 92:4 und die daran anschließende Antithese). Der Sinn des Verses dürfte deshalb eher darin liegen, dass die menschliche Existenz als solche durch Mühsal (k-d-ḥ) charakterisiert ist und dass sie unweigerlich auf die Begegnung mit Gott beim Jüngsten Gericht zuführt; der Vers ist also drohend. Paret verweist auf 50:42 (wa-ʾanna ʾilā rabbika l-muntahā), wo derselbe Sachverhalt anders formuliert ist. Zum ersten Teil des vorliegenden Verses vgl. noch den ungefähr gleichzeitigen (da gleichfalls zu Gruppe II gehörigen) Vers 90:4 (la-qad ḫalaqnă l-ʾinsāna fī kabad). – Zu der wohl nach V. 6 zu lokalisierenden Grenze zwischen erstem und zweitem Gesätz s. u., Aufbau und Inhalt; zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8.
Versabteilung: Ḥimṣ setzt sowohl nach kādiḥun als auch nach kadḥan einen Verstrenner und zieht mulāqīh zum folgenden Vers ( Spitaler, Verszählung, 69 ). Diese Abteilung macht angesichts von Verslänge, Versstruktur und fehlendem Reim wenig Sinn ( Neuwirth, Studien, 31 ). Allerdings ergibt auch die mehrheitliche Abteilung nach mulāqīh keinen Reim, doch liegt mit 82:6 (yā-ʾayyuhă l-ʾinsānu mā ġarraka bi-rabbika l-karīm) ein weiteres Beispiel für eine reimlose ʾinsān-Anrede vor.
fa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-yamīnih / ... / wa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū warāʾa ẓahrih] S. insb. Die Antithese in 69:19–29 (V. 19: fa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-yamīnih, V. 25: wa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-šimālih), wo der Böse seine Schrift allerdings nicht „hinter seinem Rücken“, sondern in die Linke erhält (vgl. auch die Anmerkung ebd. mit weiteren Literaturangaben zum koranischen Gebrauch des Terminus kitāb). Die Vorstellung von einem himmlischen kitāb, auf dessen Grundlage der Einzelne am Jüngsten Tag abgeurteilt wird, ist auch in einem Vers der Muʿallaqa des Zuhair bezeugt (s. die Anmerkung zu V. 8). Nicht von individuellen Tatenregistern, sondern von kollektiven Verzeichnissen für die Guten und Bösen ist in 83:7.18 die Rede; vgl. a. die allgemeinere Aussage in 81:10 (wa-ʾiḏă ṣ-ṣuḥufu nušširat), die eine Formulierung der Johannesapokalypse zu reflektieren scheint (s. die Anmerkung ebd.). Eine strukturell analoge, aber inhaltlich anders geartete Entgegensetzung findet sich in 101:6.8 (fa-ʾammā man ṯaqulat mawāzīnuh / ... / wa-ʾammā man ḫaffat mawāzīnuh): Hier stehen nicht individuelle Anklageschriften im Mittelpunkt des Gerichtsgeschehens, sondern eine Waage, mittels derer die Verdienste der Menschen abgewogen werden – eine Vorstellung, die erst in mittel- und spätmekkanischer Zeit wieder aufgenommen wird, nämlich in 23:102.103 und 7:8.9. – Die hier thematisierten individuellen Tatenregister beruhen auf der umfassenden Überwachungstätigkeit himmlischer Schreiberengel, wie sie explizit in 82:10–12 u. a. konstatiert wird und auch im Hintergrund von 78:8 (wa-kulla šaiʾin ʾaḥṣaināhu kitābā) steht (vgl. die Anmerkung zu 82:10–12).
Versabteilung: Sowohl Vers 7 als auch Vers 10 werden von Baṣra, Damaskus und Ḥimṣ zu den jeweils folgenden Versen gezogen ( Spitaler, Verszählung, 69 ). Die Überlänge der daraus resultierenden Doppelverse sowie ein Vergleich mit der Versgliederung ähnlicher Gesätze (insb. 101:6.8) sprechen jedoch für eine Abtrennung ( Neuwirth, Studien, 31 ).
Reime: Die beiden Verse sind sicherlich als Reim zu betrachten, auch wenn die zugrunde liegenden Schemata (2K2h und 3KK3h) nicht gänzlich übereinstimmen. Die Passage V. 7–15 stellt einen der überaus seltenen Fälle von koranischem Kreuzreim dar, der immer eine Entgegensetzung von Guten und Bösen bzw. Seligen und Verdammten unterstreicht (s. sonst noch Q 69:19.25, 89:15.16 und 101:6.8; in 92:5–10 wird durch Vokalvariation innerhalb desselben Reimes ein Kreuzreimeffekt erzielt).
fa-saufa yuḥāsabu ḥisāban yasīrā] Ḥisāb als Bezeichnung für die eschatologische „Abrechnung“ erscheint frühmekkanisch noch in 78:27 (ʾinnahum kānū lā yarǧūna ḥisāba), 78:36 (ǧazāʾan min rabbika ʿaṭāʾan ḥisābā), 88:26 (ṯumma ʾinna ʿalainā ḥisābahum), 69:20 (ʾinnī ẓanantu ʾannī mulāqin ḥisābiyah), 69:26 (wa-lam ʾadri mā ḥisābiyah). Obwohl Torrey 1892, 4 f. , die koranische Präsenz solcher ‚kommerziellen’ Termini als direkten Reflex der durch Handel geprägten mekkanischen Umwelt versteht, ist insbesondere der Gedanke einer göttlichen Rechnungsführung fest in der biblischen Tradition verwurzelt (vgl. allg. Jeffery 1952 ) und muss sich deshalb nicht der mekkanischen Lebenswelt verdanken. Bemerkenswerterweise ist ḥisāb im eschatologischen Sinne bereits in einer Passage der Muʿallaqa des Zuhair bezeugt, deren Authentizität angesichts ihres fast schon theologischen Duktus allerdings noch zu prüfen wäre: „Verbergt Gott nicht, was in euren Seelen ist, um es zu verstecken; denn was vor Gott verborgen wird, das kennt er; / es wird entweder aufgeschoben und in einem Buch niedergelegt und aufbewahrt für den Tag der Abrechnung, oder es wird vorgezogen und gerächt“ (fa-lā taktumanna llāha mā fī nufūsikum / li-yaḫfā wa-mahmā yuktami llāha yaʿlam // yuʾaḫḫar fa-yūḍaʿ fī kitābin fa-yuddaḫar / li-yaumi l-ḥisābi ʾau yuʿaǧǧal fa-yunqami) ( Arazi / Masalha 1999, 57, Nr. 94:10.11 ; zitiert bei Torrey 1892, 10 ).
fa-saufa yadʿū ṯubūrā] Wörtlich: „der wird rufen: ‚Vernichtung!’“ Die Wendung daʿā ṯubūran (von Paret mit „ach und weh schreien“ wiedergegeben) findet sich noch in dem mittelmekkanischen Vers 25:14 (lā tadʿŭ l-yauma ṯubūran wāḥidan wa-dʿū ṯubūran kaṯīrā) und ist offenbar als Idiom anzusehen.
ʾinnahū kāna fī ʾahlihī masrūrā] Das frohe Beisammensein der Bösen mit ihren Angehörigen im Diesseits wird auch in 83:31 (wa-ʾiḏă nqalabū ʾilā ʾahlihimu nqalabū fakihīn) eingeblendet.
lan yaḥūrā] Die Übersetzung lehnt sich an Paret („und meinte, daß es immer so bleiben würde“) an. Alternativ: „er würde niemals zurückkehren (zu Gott)“ (zu den Bedeutungen des Verbs ḥāra s. allg. Lane, Bd. 2, 665a–b ). Auch Bell, Commentary , gibt der allgemeineren Bedeutung „von einem Zustand in einen anderen übergehen“ den Vorzug.
Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bisher noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion des hier vorliegenden Schwurtypus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen. Schwurserien im Sureninnern stehen sonst noch in Q 56:75 f. (führt zwar nur einen einzigen Schwurgegenstand an, doch enthält V. 76 eine metatextuelle Charakterisierung des Schwurs selbst), 69:38 f., 74:32–34, 81:15–18 und 86:11 f. Bis auf 74:32–34 folgt hier immer eine Aussage, welche den Offenbarungscharakter des Korans affirmiert. Vgl. a. die Einzelschwüre im Sureninnern in 51:23 und 70:40.
fa-lā ʾuqsimu] Durch fa-lā ʾuqsimu eingeleitete Schwüre begegnen sonst noch in 90:1, 81:15, 75:1, 70:40 und 69:38 (s. Paret, Kommentar, ad loc. ; vgl. a. die formalisierte Übersicht in Neuwirth, „Horizont“, 30 ). Bergsträßer hat sicherlich recht, wenn er feststellt, dass an allen Stellen mit lā ʾuqsimu „jede Spur negativen Sinnes fehlt“, lā hier also nicht den Sinn einer Negation haben kann, sondern – wie auch kallā – der Bekräftigung dient. Zur Erläuterung dieser affirmativen Verwendung der Verneinung verweist er auch auf 4:65, wo ebenfalls vor einer Schwurformel fa-lā gebraucht wird (fa-lā wa-rabbika lā yuʾminūna ...): „[H]ier hat sich lā, das ursprünglich eine Vorausnahme der Negation des folgenden Satzes war, sekundär mit der Schwurformel zu einer einfachen Beteuerung verschmolzen, die schließlich sogar vor affirmativen Sätzen verwendet wurde.“ Als deutsches Analogon führt Bergsträßer auch die Verwendung der Verneinung in Sätzen wie „Nein, was ist er für ein kluger Mensch!“ an ( Bergsträßer 1914, 58 f., Anm. 2 ).
wa-l-laili wa-mā wasaq] Koranische Schwüre bei der Nacht haben bis auf den vorliegenden Vers die Form wa-l-laili ʾiḏā + Verb (vgl. 93:2, 92:1, 91:4, 89:4, 81:17, 74:33). Das Verb wasaqa wird in der islamischen Exegese allgemein mit ǧamaʿa, „umfassen“, wiedergegeben (vgl. Ṭabarī und Zamaḫšarī zu 84:17 ), doch wird diese Paraphrase lexikalisch nicht näher motiviert. Den Wörterbüchern zufolge ist ein wasq bzw. wisq ein Gewichtsmaß und allgemein eine „Ladung“; wasaqa kann dort geradezu synonym mit ḥamala verwendet werden (s. Lisān, s. v. w-s-q ). Der Vers sagt also vielleicht nicht aus, dass die Nacht bestimmte Dinge – von Ṭabarī identifiziert als „alles was in ihr an Lebewesen ruht und schweigt und tagsüber fliegt und läuft“ – umfasst, sondern dass sie bestimmte Dinge trägt. Dies lässt sich gut mit Bells Vermutung verbinden, mit mā wasaqa könnten nicht die nachts ruhenden Tiere, sondern die Himmelskörper gemeint sein ( Commentary, ad loc. ), mit denen die Nacht dann gleichsam wie ein Lasttier beladen wäre.
wa-l-qamari ʾiḏă ttasaq] Vgl. die beiden übrigen Schwüre beim Mond in 91:2 (wa-l-qamari ʾiḏā talāhā) und 74:32 (kallā wa-l-qamar).
la-tarkabunna ṭabaqan ʿan ṭabaq] Rakiba bedeutet „besteigen, reiten auf, fahren auf“, kann jedoch in Abhängigkeit von seinem Akkusativobjekt auch allgemeinere Bedeutungen annehmen (vgl. Lane, Bd. 3, 1142b–c : rakiba ʾamran – „eine Sache unternehmen“; rakibtu d-dain – „ich geriet in Schulden“; rakiba hawāhu – „er folgte seinem Begehren“). Als Grundbedeutung von ṭabaq geben die Lexikographen laut Lane „a thing that is the equal of another thing in its measure“ an. Als konkrete Bedeutungen werden u. a. aufgeführt:
Die Deutung des Verses wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass auch Lesungen in der 2. Person Singular (tarkabanna, „du wirst besteigen, reiten …“) bzw. in der 3. Person Singular (yarkabanna, „er wird besteigen, reiten …“) überliefert sind ( Muʿǧam, ad loc. ). Die erste dieser Varianten kombinieren manche Exegeten mit der – wahrscheinlich durch die ṭibāq aus Q 67:3 und 71:15 motivierten – Deutung von ṭabaqan ʿan ṭabaqin als samāʾan baʿda samāʾin, was sich wohl auf Muḥammads Nachtreise bezieht ( Ṭabarī, zu 84:19, Nr. 36807 ff. ). Gänzlich unwahrscheinlich, weil ohne jede Parallele im koranischen Korpus, ist die Deutung, dass mit tarkabanna der Himmel angesprochen sei, der am Jüngsten Tag „Zustand um Zustand durchmachen“ werde ( ebd., Nr. 36812 ff. ). Der Kontext der Stelle scheint jedenfalls am ehesten eine Drohung oder ein Scheltwort zu verlangen, wie sie auch nach anderen koranischen Schwüren stehen (vgl. nur die Schwuraussagen in 85:4, Verfluchung; 91:9.10, Drohung und Verheißung; 92:4, Scheltwort; 103:2, rügender ʾinsān-Spruch). Diese Beobachtung macht eine Lesung in der 2. Person Plural wahrscheinlich, obgleich sie auch mit der Variante yarkabanna vereinbar wäre: Die Schwurpassage V. 16–19 würde sich dann auf den in der vorangehenden Antithese beschriebenen Verdammten (V. 10: „dem seine Schrift hinter seinem Rücken gegeben wird“) zurückbeziehen.
Wie ist vor diesem Hintergrund nun die Wendung rakiba ṭabaqan ʿan ṭabaqin zu deuten? Der von der Sure insgesamt und auch von weiteren frühmekkanischen Parallelen nahegelegten Vermutung, dass V. 19 als ein Drohwort aufzufassen ist, wird am ehesten eine Interpretation im Sinne von „Ihr werdet in Notlage um Notlage geraten“ bzw. „Ihr werdet mehr und mehr in Not geraten“ (Paret) gerecht, wobei rakiba + Akk. als „geraten in“ verstanden würde (vgl. oben rakibtu d-dain). Allerdings steht die Äquivalenz ṭabaq = „Zustand“ bzw. „Notzustand“ unter dem Verdacht, auf einer bloßen Spekulation von Koranexegeten zu beruhen, welche dann sekundär auch in die Lexikographie eingedrungen wäre; denn in der islamischen Exegese wird ṭabaqan ʿan ṭabaqin häufig mit ḥālan baʿda ḥālin, „Zustand um Zustand“, glossiert ( Ṭabarī, zu 84:19, Nr. 36790 ff. ) und auf die Leiden bezogen, welche die Verdammten nach ihrem Tod durchzumachen haben (vgl. az-Zamaḫšarī, zu 84:19 ). Doch belegt z. B. der Lisān die Bedeutung ṭabaq = „(Not-)Zustand“ immerhin durch einige (wenige) außerkoranische Sprachbelege (yuqālu kāna fulānun min ad-dunyā ʿalā ṭabaqātin šattā ʾay ḥālātin; wa-l-ʿarabu taqūlu waqaʿa fulānun fī banāti ṭabaqin ʾiḏā waqaʿa fĭ l-ʾamri š-šadīd; wa-fī ḥadīṯi ʿamri bni l-ʿāṣi ʾinnī kuntu ʿalā ʾaṭbāqin ṯalāṯin ʾay ʾaḥwālin wāḥiduhā ṭabaq). Dabei kann es sich natürlich um nachträgliche Konstruktionen handeln, doch verleihen solche außerkoranischen Belege der Deutung ṭabaq = „Zustand“ bzw. „Notzustand“ immerhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit.
fa-mā lahum lā yuʾminūn] Der zu Gruppe II gehörige Vers stellt – noch vor 77:50 (fa-bi-ayyi ḥadīṯin baʿdahū yuʾminūn; Gruppe IIIa) – das wohl früheste koranische Vorkommnis von ʾāmana = „glauben“ dar. S. die Anmerkung zu 69:33.
ʾiḏā quriʾa ʿalaihimu l-qurʾānu lā yasǧudūn] Zum frühmekkanischen Gebrauch des Substantivs qurʾān s. allg. die Anmerkung zu 75:16–19, zu qaraʾa s. die Anmerkung zu 96:1. Neuwirth unterstricht, dass der Vers eine liturgische Rahmung der Koranlesung u. a. durch Proskynese erkennen lässt ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 316 und 319 f. ).
bali llaḏīna kafarū yukaḏḏibūn] Zu V. 22.23 vgl. 85:19.20, wo eine ähnliche Folge von Scheltwort und Drohwort steht, wobei sich 85:19 (bali llaḏīna kafarū fī takḏīb) und 84:22 (bali llaḏīna kafarū yukaḏḏibūn) terminologisch decken: Beide Verse identifizieren ausdrücklich das Vergehen des takḏīb, d. h. des „Leugnens“ (zum koranischen Gebrauch von kaḏḏaba s. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11), mit dem des kufr. Arab. kafara + Akk. bedeutet wie seine semitischen Analoga ursprünglich „bedecken, verhüllen, verbergen“ und davon abgeleitet auch „etwas mit Undank belohnen“ bzw. absolut gebraucht „undankbar sein“ (vgl. WKAS, s. v. k-f-r ). Im Koran wird das Verb jedoch vorwiegend im spezifischen Sinne von „ungläubig sein“ gebraucht, d. h. als Gegenteil von ʾāmana (s. die Anmerkung zu 69:33), nicht von šakara: So steht kafara im vorliegenden Vers im Gegensatz zu ʾāmana in V. 20 und ist wie auch in 85:19 eng mit kaḏḏaba assoziiert. Die Bedeutungskomponente des Undanks schwingt aber durchgängig mit und kann gelegentlich sogar in den Vordergrund treten, vgl. 3:115, wo lan yukfarūhu mit „sie werden dafür keinen Undank ernten“ zu übersetzen ist, sowie 76:3 und 27:40, wo k-f-r in Opposition zu š-k-r gebraucht wird und folglich ebenfalls in erster Linie „undankbar sein“ bedeuten muss; s. a. TUK, Nr. 519 mit einem Gedicht Umayya b. abī ṣ-Ṣalts. Im Hintergrund der absoluten Gebrauchsweise kafara = „ungläubig sein“, wie sie sich in Relativsätzen (allaḏīna kafarū) sowie in Partizipien (etwa al-kāfirūn) findet (s. u.), steht die präpositionale Konstruktion kafara bi-, „nicht glauben an, sich lossagen von“, die allerdings in frühmekkanischer Zeit nicht belegt ist (90:19, wo es heißt: wa-llaḏīna kafarū bi-ʾāyātinā hum ʾasḥābu l-mašʾamah ist ein Einschub). Da kafara bi- genau syr. kfar b- entspricht (s. Jeffery, Foreign Vocabulary, 250 , mit weiteren Literaturangaben), dürfte die koranische Verwendung des Verbs nicht, wie Izutsu 1966, 119 ff. , anzunehmen scheint, auf eine rein innerarabische Entwicklung, sondern auf semantische Intereferenz des Syrischen zurückgehen (ähnlich verhält es sich wohl auch mit dem u. a. in 83:34 als Gegensatz zu kafara gebrauchten Verb ʾāmana, „glauben“; s. die Anmerkung zu 69:33). Die im Syrischen bereits etablierte Verwendung ist es vielleicht auch, mit der die Tatsache zu erklären ist, dass bereits in den frühesten Koransuren ein absoluter Gebrauch vorherrscht, der – nicht anders als die Abkürzung von kaḏḏaba bi-yaumi d-dīn o. Ä. durch alleinstehendes kaḏḏaba – wohl als Abbreviatur einer den Hörern geläufigen Ausdrucksweise zu verstehen ist, vgl. 88:23 (ʾillā man tawallā wa-kafar) und 73:17 (fa-kaifa tattaqūna ʾin kafartum yauman yaǧʿalu l-wildāna šībā). Auffällig ist weiterhin der ausgeprägte Kollektivcharakter des koranischen Gebrauchs von kafara: Bereits in Gruppe II dient das Verb zur Bezeichnung einer Gemeinschaft von ‚Ungläubigen’, die entweder partizipial als al-kāfirūn (86:17) bzw. in verbaler Umschreibung als allaḏīna kafarū (90:19, 88:23, 85:19, 84:22) bezeichnet wird. Kollektivbezeichnungen wie al-kāfirūn und allaḏīna kafarū sind dann in Gruppe III noch häufiger: Zu allaḏīna kafarū vgl. 70:36, 68:51, 52:42 und 51:60 (74:31 ist ein Einschub), zu den Partizipien Plural al-kāfirūn, al-kuffār sowie al-kafara vgl. 83:34.36, 80:42, 78:40, 74:10, 70:2 und 69:50 (sowie erneut den später eingefügten Vers 74:31). Als Gegenstück zu den „Ungläubigen“ erscheint etwas später (in Gruppe IIIa) der positive Kollektivbegriff al-muttaqūn, „die Gottesfürchtigen“ (s. die Anmerkung zu 92:5) sowie der weitere Positivbegriff allaḏīna ʾāmanū (ab Gruppe IIIb; s. die Anmerkung zu 69:33).
wa-llāhu ʾaʿlamu bi-mā yūʿūn] Überliefert wird auch die Variante bi-mā yaʿūn, „was ihnen bewusst ist“ ( Muʿǧam, ad loc. ). ʾauʿā bedeutet „horten“ (vgl. Lisān, s. v. waʿy : waʿă š-šaiʾa fĭ l-wiʿāʾi wa-ʾauʿāhū: ǧamaʿahū fīh), wobei Paret darauf hinweist, dass es hier – anders als in 70:18 (wa-ǧamaʿa fa-ʾauʿā), wo es in paralleler Fügung synonym mit ǧamaʿa verwendet wird und das Horten von Besitz meint – in uneigentlichem Sinne gebraucht wird ( Kommentar, ad loc. ). – Zum Gottesnamen Allāh vgl. die Anmerkung zu 95:8.
Auch andere Suren der frühmekkanischen Zeit schließen mit Imperativen, die häufig eine Aufforderung zum Gottesdienst, zur Verkündigung oder zur ethischen Bewährung beinhalten (zu weiteren Stellen s. das formkritische Register, Anreden des Verkünders).
ʾillă llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāti] Zur Übersetzung von ʾillā s. die Anmerkung zu 70:22. Zu der für spätmekkanische und medinensische Texte charakteristischen Wendung allaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāti s. den Abschnitt Literarkritik im Kommentar zu Q 103. Zum Verb ʾāmana s. die Anmerkung zu 69:33.
ʾaǧrun ġairu mamnūnin] Die Wendung erscheint frühmekkanisch noch in 95:6 und 86:3. Zur Übersetzung s. den Kommentar zu 95:6.
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Das erste Gesätz der Sure besteht bis auf V. 6 aus einer Temporalsatzserie. Ihr Thema, der endzeitliche Zerfall des Kosmos, wird innerhalb von Gruppe II noch ausführlicher in der langen Temporalsatzserie 81:1–13 durchkonjugiert. Anstelle der dort gebotenen umfangreichen Liste kosmischer Phänomene thematisiert die vorliegende Sure jedoch nur Himmel (V. 1.2) und Erde (V. 3–5). Formal sind die ihnen gewidmeten Versgruppen dadurch voneinander abgesetzt, dass sie jeweils mit ʾiḏā einsetzen und dann im folgenden Versen (V. 2 sowie V. 4.5) syndetisch fortgeführt werden; überdies werden sie jeweils durch die identischen Verse 2 und 5 abgeschlossen, welche das erste Gesätz damit auf refrainartige Weise punktieren. Die Temporalsatzserie weist also eine deutliche Binnenorganisation auf.
Die im ersten Vers genannte Spaltung des Himmels erscheint in vielen späteren Koranstellen (s. Anmerkungen), ist in Gruppe I der frühmekkanischen Texte aber noch nicht belegt. Die Sure schreibt damit also ein in der Anfangsphase der koranischen Verkündigung noch fehlendes Detail fest. Demgegenüber rekapitulieren die in V. 3.4 gemachten Aussagen über die Erde wichtige Elemente der zu Gruppe I gehörenden eschatologischen Suren 99, 100 und 101: So knüpft die Ankündigung einer endzeitlichen Gewalteinwirkung auf die Erde in V. 3 thematisch an 99:1 an, und die Rede von einer „Einebnung“ der Erde setzt die in 101:5 erwähnte Zerstörung ihrer Berge voraus. Einen noch markanteren Rückbezug auf 99:2 und 100:9 enthält V. 4, demzufolge sich die Erde am Jüngsten Tag der in ihr ruhenden Toten entleert. Dieselbe Vorstellung wird im gesamten Koran sonst nur noch in Q 82 und 50 (mittelmekkanisch) aufgegriffen und ist später nicht mehr belegt.
Die Temporalsatzserie mündet in V. 6 in eine direkten Anrede des Menschen, die festhält, dass die menschliche Existenz als solche – sei es die der Guten oder die der Bösen – durch „Mühsal“ (k-d-ḥ) gekennzeichnet ist. Zumindest der ebenfalls zu Gruppe II zählende Vers 90:4 dürfte mit einer ganz ähnlichen Feststellung nicht primär beschwerliche Lebensbedingungen intendieren, sondern die Tatsache, dass der Mensch als Geschöpf Gottes moralischen Ansprüchen unterliegt. Es steht insofern zu vermuten, dass auch 84:6 in diesem Sinne zu deuten ist: Die „Beschwerlichkeit“ der menschlichen Existenz bestünde dann darin, dass sie auf moralische Bewährung hin angelegt ist und unweigerlich auf die in der zweiten Hälfte von 84:6 angekündigte Rechenschaftsablegung zuführt. Würde man die erste Vershälfte demgegenüber auf nicht-moralische Gegebenheiten des menschlichen Lebens – etwa Mangel oder Krankheit – beziehen, so ergäbe sich kein ähnlich stringenter Zusammenhang zwischen den beiden Vershälften.
Das in V. 6 allgemein angekündigte Gericht sowie die anschließende Vergeltung sind im Einzelnen dann Gegenstand der folgenden Antithese, die im Gegensatz zu der früheren Antithese 101:6 ff. nicht mit der Vorstellung einer Gerichtswaage operiert, sondern mit derjenigen einer Aushändigung von individuellen Tatenregistern: An die Stelle einer Messung der menschlichen Taten durch eine Waage tritt ihre schriftliche Niederlegung in einem Buch. Die beiden Hälften der Antithese werden anaphorisch durch die Formel „Wem aber seine Schrift in die Rechte / Linke gegeben wird“, eingeleitet. Es folgen jeweils zwei Verse, die das gegensätzliche Los von Seligen und Verdammten festhalten: Während mit den Guten „auf leichte Weise abgerechnet“ wird (V. 8), werden die Bösen „ein Wehgeschrei anstimmen“ (V. 11); während die Guten „froh“ mit ihren Angehörigen vereinigt werden (V. 9), werden die Bösen „in einem Brand schmoren“ (V. 10). Weil die Negativhälfte der Antithese ab V. 13 durch eine Rückblende auf das diesseitige Tun der Verdammten erweitert wird, kommt ihr innerhalb des Gesätzes ein deutliches Übergewicht zu. Besonders auffällig ist die sprachliche Überschneidung von V. 9 (wa-yanqalibu ʾilā ʾahlihī masrūrā) und V. 13 (ʾinnahū kāna fī ʾahlihī masrūrā): Das dem Seligen zuteil werdende frohe Beisammensein mit den Seinen hat der Böse bereits im Diesseits genossen (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 315 ; s. ähnlich 84:31) und sich dadurch zu dem Irrglauben verführen lassen, dass er „niemals eine Veränderung durchmachen würde“ (V. 14), d. h. dass sein diesseitiges Glück ununterbrochen fortdauern würde – eine Illusion, welcher der Schlussvers des ersten Teils die Präsenz eines alles überwachenden Richtergottes entgegensetzt (V. 15).
Die Schwurserie ab V. 16, die wie andere koranische Schwüre die Nacht (bzw. ihren Anbruch) und einen mit ihr assoziierten Himmelskörper (den Mond) nennt, markiert einen deutlichen Neueinsatz des Textes. Inhaltlich zieht das auf sie folgende Drohwort jedoch die Konsequenz aus der vorangehenden Antithese: Den jetzt in der 2. Person angeredeten und offenbar den Übeltätern zugeordneten Hörern wird angekündigt, sie würden „in Notlage um Notlage geraten“ (V. 19).
Vor diesem Hintergrund kann die Sure dann metatextuell über die Missachtung ihrer eschatologischen Botschaft durch die Hörer reflektieren: Der Widerstand der Angeredeten gegen den koranischen Anspruch, sie hätten ihr Handeln der Aussicht auf eine eschatologische Rechenschaftsablegung zu unterwerfen, wird mittels zweier rhetorischer Fragen als unverständliche Verweigerungshaltung denunziert (V. 20.21), für die es letztlich keine andere Erklärung geben kann als die, dass „die Ungläubigen eben leugnen“ (V. 22). Dieser vom Koran als Unbelehrbarkeit gewerteten Oppositionshaltung wird abschließend noch einmal die bereits in V. 15 evozierte Allwissenheit Gottes entgegengesetzt (V. 23), jetzt verbunden mit der an den Verkünder gerichteten Anweisung, seinen Gegnern eben jene „schmerzhafte Strafe“ zu verkündigen, die bereits im zweiten und dritten Gesätz der Sure zentrales Thema war (V. 24). Dem insbesondere durch den zweiten Surenteil nahegelegten Eindruck, dass im Grunde alle Hörer Muḥammads unverbesserliche und folglich dem Gericht verfallene „Leugner“ (V. 22) seien, wirkt der später hinzugefügte Schlussvers entgegen, der als Gegenkategorie zu den „Leugnern“ die Gruppe derjenigen, „die glauben und gute Werke tun“ einführt und ihnen jenseitigen Lohn verheißt. – Wie in anderen Texten aus Gruppe II (vgl. etwa Q 88) lässt sich am Schlussgesätz das Aufkommen regelrechter Surenschlüsse – deren Funktion auch von Offenbarungsbestätigungen wie 85:21.22 und 87:18.19 übernommen werden kann – beobachten, das einen wichtigen Teil der strukturellen Ausdifferenzierung der koranischen Formsprache darstellt.
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Die Sure ist eng mit Q 81 und Q 82 verwandt, die ebenfalls durch eschatologische ʾiḏā-Serien eingeleitet werden. Auch im Hinblick auf die durchschnittliche Verslänge (zwischen 9 und 12 Silben) und Gesamtlänge (zwischen 19 und 28 Versen) sind die drei genannten Suren bemerkenswert einheitlich und gehören zu Gruppe II.
Vers 25 stimmt wörtlich mit 95:6 überein und ist wohl wie dieser als später hinzugekommener Nachtrag zu werten (vgl. Nöldeke/Schwally, GdQ, Bd. 1, 104 ). Dies legen auch die gegenüber dem Rest der Sure hervorstechende Länge und die ansonsten spätmekkanisch-medinensische Wendung ʾallaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāt ( Nöldeke/Schwally, GdQ, Bd. 1, 97 ; s. ausführlicher den Abschnitt Literarkritik im Kommentar zu Q 103) nahe. In ganz analoger Weise wird in Q 103:3 eine kategorische, „den Menschen“ im Allgemeinen intendierende Gerichtsansage durch eine angehängte Einschränkung qualifiziert, wahrscheinlich um sie in die im Zuge der mekkanischen Gemeindebildung entstandene Dichotomie von „Gläubigen“ und „Ungläubigen“ einzupassen.
Der Neueinsatz des Textes mit einer Schwurserie ab V. 16 ist hingegen kein Indiz für sekundäre Redaktionsprozesse: Neben den übrigen koranischen Binnenschwurserien ist es insbesondere das Auftreten von Einzelschwüren im Sureninnern (Q 51:23, 70:40), welches deutlich macht, „daß Schwüre nicht unbedingt selbständige Einheiten einleiten müssen, sondern innerhalb des Redeverlaufs zur Betonung dienen können“. Sie fungieren also nicht notwendigerweise als Sureneinleitungen und können folglich nicht als „Kriterium für ursprüngliche Surenanfänge“ dienen ( Neuwirth, Studien, 188 ).
Die Sure gliedert sich in vier Gesätze, die sich wiederum zu zwei Hauptteilen anordnen. Die Zäsur zwischen dem ersten, eschatologischen Teil und dem zweiten, polemisch geprägten Teil markiert der Schwur in V. 16. Nicht ganz eindeutig ist die Abgrenzung zwischen erstem und zweitem Gesätz. Paret will aus der Ähnlichkeit zwischen 84:6 (yā-ʾayyuhă l-ʾinsānu ʾinnaka kādiḥun ʾilā rabbika kadḥan fa-mulāqīh) und 82:6 (yā-ʾayyuhă l-ʾinsānu mā ġarraka bi-rabbika l-karīm) schließen, dass 84:6 als Einleitung des zweiten Gesätzes zu verstehen sei ( Kommentar, ad loc. ): Weil in Sure 82 die Zäsur offensichtlich vor und nicht nach V. 6 liegt, habe man auch Q 84:6 zum Folgenden zu ziehen. Allerdings weist Q 82 in V. 5 einen Nachsatz auf, der bei Parets Gliederung in Q 84 fehlen würde. Überdies markiert der Beginn der folgenden Antithese in 84:7 mit fa-ʾamma eine deutliche Zäsur. Es liegt also wohl doch näher, V. 6 im Sinne eines temporalen Pendants zum „Bedingungssatz mit Verschiebung“ (s. Reckendorf 1921, § 261 , sowie die Einleitung zu Paret, Kommentar ) und damit als Nachsatz zu V. 1–5 aufzufassen.
Im Gesamtaufbau des Textes lassen sich deutliche numerische Proportionen ausmachen: Das zweite Gesätz sowie der zweite Hauptteil (Gesätz 3 und 4) bestehen jeweils aus 9 Versen und haben damit die anderthalbfache Länge des ersten Gesätzes (6 Verse) – eine numerische Disposition, die sich ähnlich auch in anderen Suren findet, vgl. etwa Q 86.
Thematisch ist der erste Surenteil einem umfassenden Durchgang durch die koranische Eschatologie gewidmet, wie sie sich zum Zeitpunkt der Verkündigung von Sure 84 herauskristallisiert hatte. Hauptstadien der Endzeit sind dabei die umfassende Desintegration des natürlichen Kosmos (erstes Gesätz) sowie das Jüngste Gericht und die anschließende Belohnung und Bestrafung der Gerichteten (zweites Gesätz). Innerhalb von Gruppe II der frühmekkanischen Texte findet sich ein vergleichbarer eschatologischer Gesamtabriss nur noch in Sure 82 (V. 1–4: Zerfall des Kosmos, V. 5–12 sowie V. 17–19: Aussagen zum Gericht, V. 13–16: Jenseitsschicksal der Guten und Bösen). Beide Texte, Sure 82 und Sure 84, lassen sich dabei als Erweiterungen bzw. Fortschreibungen der kurzen eschatologischen Bilder Q 99, 100 und 101 (Gruppe I) beschreiben, wo ebenfalls – allerdings auf sehr viel knappere Weise – die drei endzeitlichen Hauptstadien Weltzerstörung, Gericht und Vergeltung skizziert werden (auffällig ist insbesondere, dass sowohl 84:4 als auch 82:4 die in 99:2 und 100:9 erwähnte Entleerung der Erde von den Toten aufgreifen).
Der durch eine kurze Schwurserie eingeleitete zweite Teil der Sure macht zunächst noch einmal die Drohbotschaft der vorangehenden eschatologischen Gesätze explizit (V. 19) und prangert im polemischen Schlussgesätz dann die mangelnde Akzeptanz der koranischen Gerichtsbotschaft durch Muḥammads Hörer an, denen abschließend noch einmal die bereits im zweiten Gesätz beschriebene „schmerzhafte Strafe“ angedroht wird (V. 24). Die trotz der V. 7–9 mit ihrer positiven Jenseitsperspektive überwiegenden drohenden Elemente der Sure wurden nachträglich durch einen ʾillā-Zusatz abgemildert.
Überblick
I Eschatologie | |
1–5 3GG3t | 1 1–5 eschatologischer Temporalsatz (ʾiḏā-Serie): V. 1.2 Himmel, V. 3–5 Erde |
6 -āqīh | 6 ʾinsān-Spruch (anredend) |
2 7–15 als Antithese gestalteter eschatologischer Nachsatz: | |
7 -īnih, 8.9 2rā |
7–9 Verheißung (Positivhälfte) |
10 -ahrih, 11–15 2rā |
10–12 Drohwort (¬Negativhälfte) |
13–15 Forts.: Rückblende (Negativhälfte) |
|
II Polemik | |
16–19 3K3q | 3 16–18 Schwüre |
19 Schwuraussage: Drohwort | |
20–25 2n/m | 4 20.21 polemische Frage |
22.23 Scheltwort und dazu kontrastive theologische Prädikation (warnend) | |
24 Aufruf zur Verkündigung | |
[25einschränkender Zusatz]> |
Proportionen (ohne V. 25): [6+9(=3+3+3)]+[4+5].