بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
عَبَسَ وَتَوَلَّىٰۤ |
I11 Er runzelte die Stirn und wandte sich ab |
أَن جَآءَهُ ٱلۡأَعۡمَىٰ |
2 darüber, dass der Blinde zu ihm kam. |
وَمَا يُدۡرِيكَ لَعَلَّهُۥ يَزَّكَّىٰۤ |
3 Wer weiß, vielleicht läutert er sich, |
أَوۡ يَذَّكَّرُ فَتَنفَعَهُ ٱلذِّكۡرَىٰۤ |
4 oder er lässt sich mahnen, so dass die Mahnung ihm nützt? |
أَمَّا مَنِ ٱسۡتَغۡنَىٰ |
25 Jemandem, der an sich selbst genug hat, |
فَأَنتَ لَهُۥ تَصَدَّىٰ |
6 dem kommst du entgegen, |
وَمَا عَلَيۡكَ أَلَّا يَزَّكَّىٰ |
7 obgleich du keinen Schaden davon hast, dass er sich nicht läutern will. |
وَأَمَّا مَن جَآءَكَ يَسۡعَىٰ |
8 Auf jemanden aber, der eilfertig zu dir kommt |
وَهُوَ يَخۡشَىٰ |
9 und dabei furchtsam ist, |
فَأَنتَ عَنۡهُ تَلَهَّىٰ |
10 auf den achtest du nicht. |
كَلَّآ إِنَّهَا تَذۡكِرَةٌۭ |
311 Nein, es ist eine Mahnung – |
فَمَن شَآءَ ذَكَرَهُۥ |
12 wer will, der bedenkt sie – |
فِی صُحُفٍۢ مُّكَرَّمَةٍۢ |
13 auf geehrten Blättern, |
مَّرۡفُوعَةٍۢ مُّطَهَّرَةٍۭ |
14 erhöhten und reinen, |
بِأَيۡدِی سَفَرَةٍۢ |
15 in den Händen von Schreibern, |
كِرَامٍۭ بَرَرَةٍۢ |
16 edlen und rechtschaffenen. |
قُتِلَ ٱلۡإِنسَٰنُ مَآ أَكۡفَرَهُۥ |
II417 Tod dem Menschen! Wie undankbar ist er! |
مِنۡ أَىِّ شَىۡءٍ خَلَقَهُۥ |
18 Woraus schafft er ihn denn? |
مِن نُّطۡفَةٍ خَلَقَهُۥ فَقَدَّرَهُۥ |
19 Aus einem Tropfen schafft er ihn und setzt ihm sein Maß; |
ثُمَّ ٱلسَّبِيلَ يَسَّرَهُۥ |
20 dann macht er ihm den Weg leicht; |
ثُمَّ أَمَاتَهُۥ فَأَقۡبَرَهُۥ |
21 dann lässt er ihn sterben und bringt ihn ins Grab; |
ثُمَّ إِذَا شَآءَ أَنشَرَهُۥ |
22 wenn er dann will, so erweckt er ihn auf. |
كَلَّا لَمَّا يَقۡضِ مَآ أَمَرَهُۥ |
23 Doch nein, er hat nicht ausgeführt, was er ihm geboten hat! |
فَلۡيَنظُرِ ٱلۡإِنسَٰنُ إِلَىٰ طَعَامِهِۦٓ |
524 Der Mensch möge auf seine Nahrung schauen: |
أَنَّا صَبَبۡنَا ٱلۡمَآءَ صَبًّۭا |
25 dass wir das Wasser ausgießen, |
ثُمَّ شَقَقۡنَا ٱلۡأَرۡضَ شَقًّۭا |
26 hierauf die Erde spalten, |
فَأَنۢبَتۡنَا فِيهَا حَبًّۭا |
27 und Korn auf ihr wachsen lassen, |
وَعِنَبًۭا وَقَضۡبًۭا |
28 Weintrauben und Schnittgewächs, |
وَزَيۡتُونًۭا وَنَخۡلًۭا |
29 Oliven und Palmen, |
وَحَدَآئِقَ غُلۡبًۭا |
30 dicht bewachsene Gärten, |
وَفَٰكِهَةًۭ وَأَبًّۭا |
31 Früchte und Bodenertrag |
مَّتَٰعًۭا لَّكُمۡ وَلِأَنۡعَٰمِكُمۡ |
32 zum Nutzen für euch und euer Vieh. |
فَإِذَا جَآءَتِ ٱلصَّآخَّةُ |
III633 Und wenn der Lärm kommt, |
يَوۡمَ يَفِرُّ ٱلۡمَرۡءُ مِنۡ أَخِيهِ |
34 am Tag, da ein Mann vor seinem Bruder flieht, |
وَأُمِّهِۦ وَأَبِيهِ |
35 vor seiner Mutter und seinem Vater, |
وَصَٰحِبَتِهِۦ وَبَنِيهِ |
36 vor seiner Frau und seinen Söhnen, |
لِكُلِّ ٱمۡرِئٍۢ مِّنۡهُمۡ يَوۡمَئِذٍۢ شَأۡنٌۭ يُغۡنِيهِ |
37 an jenem Tag hat jeder vollauf mit seiner eigenen Sache zu tun. |
وُجُوهٌۭ يَوۡمَئِذٍۢ مُّسۡفِرَةٌۭ |
738 Manche Gesichter sind an jenem Tag strahlend, |
ضَاحِكَةٌۭ مُّسۡتَبۡشِرَةٌۭ |
39 lachend und froh; |
وَوُجُوهٌۭ يَوۡمَئِذٍ عَلَيۡهَا غَبَرَةٌۭ |
40 auf manchen Gesichtern liegt an jenem Tag Staub |
تَرۡهَقُهَا قَتَرَةٌ |
41 und Schmutz bedeckt sie; |
أُو۟لَٰٓئِكَ هُمُ ٱلۡكَفَرَةُ ٱلۡفَجَرَةُ |
42 das sind die Ungläubigen und Sünder. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
ʿabasa wa-tawallā] Vgl. 74:22.23 (ṯumma ʿabasa wa-basar / ṯumma ʾadbara wa-stakbar), dort allerdings mit Bezug auf einen prototypischen Bösen. Zu tawallā s. die Anmerkung zu 88:23.
mā yudrīka] Wörtlich: „Was lehrt dich ...?“. Die Wendung ähnelt der Einleitungsformel für – zumeist eschatologische – Lehrfragen mā ʾadrāka mā ...? wie in Q 82:17.18.
yazzakkā] Zu den Verben zakkā bzw. tazakkā vgl. die Anmerkung zu 91:9.
istaġnā] Vgl. 92:8 (dort als Antonym zu ittaqā; im vorliegenden Vers steht als Gegensatz yaḫšā in V. 9) sowie 96:7. Paret übersetzt „selbstherrlich auftreten“. Um der terminologischen Einheitlichkeit willen wurde die auch in 96:7 passende Wiedergabe „an sich selbst genug haben“ gewählt.
ʾau yaḏḏakkaru fa-tanfaʿahŭ ḏ-ḏikrā] Vgl. 87:9 (fa-ḏakkir ʾin nafaʿati ḏ-ḏikrā), 51:55 (wa-ḏakkir fa-ʾinna ḏ-ḏikrā tanfaʿu l-muʾminīn) und auch 89:23 (wa-ǧīʾa yaumaʾiḏin bi-ǧahannama yaumaʾiḏin yataḏakkaru l-ʾinsānu wa-ʾannā lahu ḏ-ḏikrā). Zur Verwendung der Begriffe ḏikr, ḏikrā und taḏkira (u. a. in 74:49.54) vgl. die Anmerkung zu 73:19. Zu nafaʿa siehe neben 51:55 und 87:9 noch 74:48 (fa-mā tanfaʿuhum šafāʿatu š-šāfiʿīn).
wa-mā ʿalaika ʾallā yazzakkā] Alternativ: „Welchen Schaden hast du denn davon, dass er sich nicht läutern will?“ Vgl. im Sinne dieser beiden Übersetzungsmöglichkeiten Bergsträßer 1914, 36, Anm. 3 , der auf die Wendung lā ʿalaika ʾan ... = lā baʾsa ʿalaika ʾan ..., „du hast keinen Schaden davon, dass ...“ verweist. Paret hingegen übersetzt: „... ohne dir etwas daraus zu machen, daß er sich nicht reinigen will“ (ähnlich Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 379 ). Während die obige, an Bergsträßer angelehnte Übersetzung dem Verkünder vor allem missionarischen Übereifer vorwirft (die Aussicht, jemand könnte sich nicht „läutern“, veranlasst Muḥammad zu einer solchen paränetischen Anstrengung, dass er darüber ‚läuterungswillige’ Zuhörer vernachlässigt – und dies obwohl der mangelnde Läuterungswille des Betreffenden Muḥammad selbst nicht zum Schaden gereicht), wirft der Vers dem Verkünder in Parets Deutung geradezu moralische Indifferenz vor, nämlich dass ihn die ethisch-religiösen Defizite seines Gegenübers gar nicht kümmern. Eine so weitgehende koranische Infragestellung der moralischen Sensibilität Muḥammads dürfte eher unwahrscheinlich sein.
kallā ʾinnahā taḏkirah / fa-man šāʾa ḏakarah] Die Funktion der koranischen Offenbarungen als „Mahnung“ wird auch sonst vom Wollen der Angesprochenen abhängig gemacht, s. noch 81:27.28 (ʾin huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn / li-man šāʾa minkum ʾan yastaqīm), 74:54.55 (kallā ʾinnahū taḏkirah / fa-man šāʾa ḏakarah) und 73:19 (ʾinna hāḏihī taḏkiratun fa-man šāʾa ttaḫaḏa ʾilā rabbihī sabīlā). Zu taḏkira und verwandten Begriffen (ḏikrā, ḏikr) s. die Anmerkung zu 73:19. Das Verb in V. 12 enthält dieselbe Konsonantenwurzel wie yaḏḏakaru / ḏikrā (V. 4) und taḏkira (V. 11); in der Übersetzung ist dieser Bezug schwer deutlich zu machen.
fī ṣuḥufin mukarramah / marfūʿatin muṭahharah / bi-ʾaidī safarah / kirāmin bararah] Vgl. 85:21.22 (bal huwa qurʾānun maǧīd / fī lauḥin maḥfūẓ), 74:52 (bal yurīdu kullu mriʾin minhum ʾan yuʾtā ṣuḥufan munaššarah), 56:77–80 (ʾinnahū la-qurʾānun karīm / fī kitābin maknūn / lā yamassuhū ʾillă l-muṭahharūn / tanzīlun min rabbi l-ʿālamīn).
fī ṣuḥufin mukarramah] Zu ṣuḥuf s. die Anmerkung zu 87:18.19.
bi-ʾaidī safarah / kirāmin bararah] Vgl. 82:10.11 (wa-ʾinna ʿalaikum la-ḥāfiẓīn / kirāman kātibīn).
safarah] Safara, „Schreiber“, ist – vielleicht schon in vorkoranischer Zeit – entlehnt aus aram. sāfrā (s. Horovitz 1925, 209 ; Jeffery, Foreign Vocabulary, 171 ). Die Wurzel begegnet bereits vorislamisch in nordarabischen Graffiti (mündliche Mitteilung von Robert Hoyland, Oxford).
qutila l-ʾinsānu mā ʾakfarah] Vgl. 74:19.20 (fa-qutila kaifa qaddar / ṯumma qutila kaifa qaddar), 85:4 (qutila ʾaṣḥābu l-ʾuḫdūd) und 51:10 (qutila-l-ḫarrāṣūn). Zur Undankbarkeit des Menschen vgl. auch 100:6 (ʾinna l-ʾinsāna li-rabbihī la-kanūd). Zu weiteren Rügen des „Menschen“ (ʾinsān) s. 96:6, 100:6, 103:2, 90:4, 75:36, 70:19.
Das Perfekt ist aspektuell und mit dem deutschen Präsens zu übersetzen (mit „Aspekt“ ist hier die Opposition zwischen einer Vorstellung der Verbalhandlung „als im Verlauf befindlich“ oder aber „als Ganzes überschaubar“ gemeint, s. Reuschel 1996, 17 ). Denn V. 19 spricht ganz offensichtlich nicht von der Erschaffung Adams in der Vergangenheit, sondern von der gottgewirkten Entstehung eines jeden Menschen (so Paret, Kommentar, ad loc. ). Vgl. u. a. 96:1.2.4.5 und 87:2–5 mit Anmerkungen.
min ʾayyi šaiʾin ḫalaqah] Zum Verb ḫalaqa vgl. die Anmerkung zu 96:1.2.
min nuṭfatin ḫalaqahū] S. die Anmerkung zu 75:37 mit weiteren Belegen; vgl. a. die Anmerkung zum Wort ʿalaq in 96:2.
fa-qaddarah] Von Gott wird das Verb noch in 87:3 (wa-llaḏī qaddara fa-hadā), 73:20 (wa-llāhu yuqaddiru l-laila wa-n-nahāra; Einschub) und 56:60 (naḥnu qaddarnā bainakumu l-mauta wa-mā naḥnu bi-masbūqīn) gebraucht, von einem prototypischen Bösen dagegen in 74:18–20 (ʾinnahū fakkara wa-qaddar ...).
kallā lammā yaqḍi mā ʾamarah] Zu den beiden möglichen Bedeutungen von lammā („noch nicht“ und lammā = ʾillā) vgl. Bergsträßer 1914, 13 f.
fa-l-yanẓuri l-ʾinsānu ʾilā ṭaʿāmih] Mit dem Verb naẓara eingeleitete ʾāyāt-Abschnitte begegnen frühmekkanisch noch in 88:17 (ʾa-fa-lā yanẓurūna ʾilă l-ʾibili kaifa ḫuliqat) und 86:5 (fa-l-yanẓuri l-ʾinsānu mimma ḫuliq).
Verszählung: Abū Ǧaʿfar Yazīd b. al-Qaʿqāʿ zieht V. 24 mit V. 25 zusammen ( Spitaler, Verszählung, 68 ). Obwohl V. 24 sich weder mit dem vorangehenden noch mit dem folgenden Vers reimt, sollte jedoch an einer Abteilung zwischen V. 24.25 festgehalten werden, da Vers 24 (-āmih) und V. 32 (-āmikum) einen reimlichen Rahmen um das fünfte, ganz der Thematik menschlicher Nahrung gewidmete Gesätz legen ( Neuwirth, Studien, 30 ). Reimlose Gesätzeinleitungen begegnen auch anderswo, vgl. neben V. 33 noch 99:6, 82:6 und 79:29.
fa-ʾanbatnā fīhā ḥabbā] Vgl. 78:15 (li-nuḫriǧa bihī ḥabban wa-nabāta).
qaḍb] Qaḍaba bedeutet „abschneiden“. Qaḍb wird von den Lexikographen erklärt als a) jegliche Art von Pflanzen, die abgeschnitten und frisch verspeist werden oder b) Bäume mit langen Ästen bzw. Bäume, aus deren Ästen Bogen hergestellt werden ( Lane, Bd. 7, 2538b ). Da alle anderen Glieder der Aufzählung in V. 27–31 Essbares bezeichnen, dürfte qaḍb hier eher im Sinne von a) zu deuten sein.
ʾabb] Ist möglicherweise aus aram. איב („Trieb“ eines Baumes) bzw. noch wahrscheinlicher aus syr. eḇā („Früchte“, „Ertrag der Erde“) abzuleiten; vgl. a. hebr. ʾeḇ in Hiob 8:12, Hohelied 6:11 ( Jeffery, Foreign Vocabulary, 43 ; Bell, Commentary, ad loc. ). Zwar kann die syrische Bedeutung nicht unmittelbar auch für das arabische Wort vorausgesetzt werden, doch würde sie immerhin in den Kontext passen: ʾabb wäre dann entweder synonym mit fākiha, „Frucht“, oder noch allgemeiner als „Bodenertrag“ zu deuten. Die islamischen Kommentatoren verstehen ʾabb dagegen spezifischer als Viehfutter (vgl. Ṭabarī, zu 80:31 ) und induzieren damit in V. 31 eine zum folgenden Vers parallele Antithese („zum Nutzen für euch und euer Vieh“): Die fākiha aus V. 31 ernähren die Menschen, der ʾabb ernährt das Vieh.
matāʿan lakum wa-li-ʾanʿāmikum] Vgl. identisch 79:33. Baṣra, Damaskus und Ḥimṣ setzen nach V. 32 keinen Versschluss ( Spitaler, Verszählung, 68 ). Dass V. 32 sich wie V. 24 nicht mit seiner Umgebung reimt, spricht jedoch nicht gegen ihre Abtrennung, sondern erzeugt einen strukturell sinnvollen Rahmungseffekt ( Neuwirth, Studien, 30 ). Eine Abteilung ist deshalb vorzuziehen.
fa-ʾiḏā ǧāʾati ṣ-ṣāḫḫah] Vgl. 79:34 (fa-ʾiḏā ǧāʾati ṭ-ṭāmmatu l-kubrā). Andere Koranstellen (in frühmekkanischer Zeit vgl. nur Q 69:13, 78:18) sprechen anstelle des hier erwähnten „Lärms“ von dem auch aus dem Neuen Testament vertrauten Posaunenstoß (vgl. neben der Apokalypse des Johannes auch 1 Thessaloniker 4:16: „Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt“; s. Bell, Commentary, ad loc. ; die Vorstellung hat bereits alttestamentliche Wurzeln, vgl. Jesaja 27:13). In wiederum anderen Versen ist dagegen von einem „Schrei“ (zaǧratun wāḥida) die Rede (z. B. 37:19, 79:13).
Die enigmatische Bezeichnung des Weltendes mit aktiven Partizipien femininum begegnet neben 80:33 und 79:34 noch in weiteren frühmekkanischen Texten, vgl. 101:1–3 (al-qāriʿa), 88:1 (al-ġāšiya), 69:1–3 (al-ḥāqqa), 69:4 (al-qāriʿa), 69:5 (aṭ-ṭāġiya), 69:15 (al-wāqiʿa), 56:1 (wie in 79:34 und 80:33 in einem Temporalsatz: ʾiḏā waqaʿati l-wāqiʿah) und 53:57 (al-ʾāzifa). Solche metonymischen Umschreibungen eines Substantivs durch ein Adjektiv stellen allgemein ein Charakteristikum der altarabischen Dichtung dar, s. die Anmerkung zu 101:1–3. Im Vergleich mit den vier frühmekkanischen fāʿilāt-Schwurserien Q 100:1–5, 79:1–5, Q 77:1–5 und 51:1–4, die das hereinbrechende Weltende durch prototypische Gegenwartserfahrungen (Reiterangriff und Sturm) präfigurieren, fällt auf, dass die Form des aktiven Partizips femininum auch dort zur Bezeichnung der endzeitlichen Katastrophe dient (s. insb. die Anmerkungen zu 100:1–5 und 79:1–5). Das morphologisches Schema fāʿila wird so innerhalb der frühmekkanischen Korantexte mit der Konnotation apokalyptischen Unheils aufgeladen.
Versabteilung: Damaskus betrachtet ṣāḥḥah nicht als Versschluss ( Spitaler, Verszählung, 68 ). Isolierte Reim im Anfangsvers eines Gesätzes treten jedoch auch anderswo auf (s. 82:6 und 99:6; vgl. Neuwirth, Studien, 30 und 94 f. ). Vgl. a. V. 24, der ebenfalls reimisoliert ist und wie V. 33 als Gesätzeinleitung fungiert.
Eine ähnliche Auflistung von am Jüngsten Tag außer Kraft gesetzten Verwandschaftsbeziehungen findet sich in Matthäus 10:35 ff. („Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter ...“; vgl. TUK, Nr. 215). Noch enger ist der Passus mit einer Stelle aus dem griechischen Ephrem-Korpus verwandt, welche dieselbe Ordnung von Verwandtschaftsverhältnissen aufweist (Bruder – Eltern – Ehefrau; nur die Kinder stehen an anderer Stelle): „Ein jeder wird die eigene Last tragen [...] und ein jeder von uns wird dem Richter über sich selbst Rechenschaft ablegen. In jener Stunde kann keiner jemandem helfen. Nicht der Bruder dem Bruder; nicht die Eltern den Kindern, nicht die Kinder den Eltern; nicht die Freunde den Freunden; nicht der Mann der Ehefrau.“ (Ephraem Syrus, Opera omnia, Rom 1732–1746, Bd. 1, 29; s. Andrae 1926, 144 ; Übersetzung: Manolis Ulbricht; vgl. TUK, Nr. 212).
yauma yafirru l-marʾu] Zum Gebrauch von imruʾ s. die Anmerkung zu 78:40.
li-kulli mriʾin minhum yaumaʾiḏin šaʾnun yuġnīh] Die Wortwahl lehnt sich an die Übersetzung Parets an: „an jenem Tag ist (nämlich) ein jeder von ihnen (d. h. von den Menschen, die zum Gericht kommen) vollauf mit (s)einer (eigenen) Angelegenheit beschäftigt“. – Auf die hier implizit ausgesagte Unmöglichkeit gegenseitiger Rechtshilfe am Jüngsten Tag insistiert ähnlich auch 82:19 (yauma lā tamliku nafsun li-nafsin šaiʾan wa-l-ʾamru yaumaʾiḏin li-llāh); s. die Anmerkung ebd. mit einer psalmischen Parallele. Während 80:37 und 82:19 nur allgemein auf die irreduziblen moralischen Verantwortung des Einzelnen insistieren, thematisiert 74:48 erstmals die christliche Praxis der „Fürsprache“ (š-f-ʿ); s. die Anmerkung ebd. und zu 78:38.
Zu yaumaʾiḏin vgl. die Anmerkung zu 102:8. Die – insgesamt nur fünf Mal im Koran bezeugte – Wendung kullu mriʾin begegnet frühmekkanisch noch in 74:52, 70:38 und 52:21 (vgl. Neuwirth, Studien, 215 ). Zu imruʾ s. auch die Anmerkung zu 78:40.
wa-wuǧūhun yaumaʾiḏin ʿalaihā ġabarah / tarhaquhā qatarah] Vgl. 68:43 und 70:44 (jeweils mit der Formulierung ḫāšiʿatan ʾabṣāruhum tarhaquhum ḏillatun). Qatara, hier mit „Schmutz“ übersetzt, ist eigentlich ein Synonym von ġabara, „Staub“ (V. 40). Zu r-h-q vgl. noch 74:17 (sa-ʾurhiquhū ṣaʿūdā).
ʾulāʾika humu l-kafaratu l-faǧarah] Zu f-ǧ-r vgl. die Anmerkung zu 91:8, zu k-f-r vgl. die zu 84:22.
Literaturliste
Die ersten beiden Gesätze kritisieren den Verkünder dafür, im Umgang mit seinen Hörern nicht ausschließlich nach deren moralisch-religiöser Umkehrbereitschaft zu differenzieren. Der hier vorgetragenen harschen Kritik am Verkünder wird dadurch Nachdruck verliehen, dass sie Terminologie aufgreift, die in einem anderen Text aus Gruppe IIIa zur Charakterisierung des Verdammten verwendet wird (s. die Anmerkung zu V. 1.2; vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 389 ). Die Intention dieses im Koran einmaligen Prophetentadels dürfte darin bestehen, dass an einen Einzelfall zwischenmenschlicher Interaktion exemplarisch der Maßstab göttlicher Gerechtigkeit angelegt wird: Während der einleitende Bericht (V. 1.2) noch aus menschlicher Optik von einem „Blinden“ spricht und damit wohl einen prekären sozialen Status andeuten will, wird diese innergesellschaftliche Perspektive schrittweise in eine göttliche, lediglich die individuelle Ansprechbarkeit auf die koranische Warnbotschaft in Rechnung stellende Sichtweise überführt. Zunächst rufen V. 3.4 ins Bewusstsein, dass auch der abgewiesene Blinde mit dem Potential zu einem religiösen Sinneswandel ausgestattet ist. Das zweite Gesätz spricht dann nicht mehr modal („vielleicht“) von Möglichkeiten, sondern diagnostiziert kategorischer die Verstocktheit der einen und die (Gottes-)„Furcht“ (V. 9) der anderen, zu denen die Reaktionen des Verkünders in einem Missverhältnis stehen, das schonungslos offengelegt wird. Die abschließende Offenbarungsbestätigung begründet zunächst (unter Verwendung der bereits in V. 4 zweimal verwendeten Wurzel ḏ-k-r), warum es Muḥammad allein auf diese Ansprechbarkeit seiner Hörer anzukommen hat: Die koranischen Verkündigungen sind auf eine Stellungnahme ihrer Hörer angelegte „Mahnung“ (taḏkira). Die übrigen vier Verse des dritten Gesätzes veranschaulichen die exzeptionelle Würde dieser Texte, indem sie ihnen eine himmlische Präexistenz attestieren. Den von Muḥammad mündlich und in einer vorerst noch offenen Serie kommunizierten Korantexten wird so der ganz andersgeartete mediale Aggregatzustand eines abgeschlossenen Schriftkodexes zugeschrieben (s. hierzu den Kommentar zu 85:21.22 und Sinai 2006, 112–116 ). Gegen Bell (1926, 93 f.) ist nicht davon auszugehen, dass V. 11–16 von einem irdischen Offenbarungsdokument handeln.
Der zweite Teil besteht aus zwei ʾāyāt-Serien – Aufzählungen von Zeichen göttlicher Allmacht – welche die natürliche Welt unter markant anthropozentrischem Vorzeichen schildern: V. 18–22 thematisieren Entstehung und Sterben des Menschen, V. 24–32 betonen, wie umfassend der Wechsel der Jahreszeiten und die Vegetation auf eine optimale Versorgung des Menschen zielen. Dieser anthropozentrische Blickwinkel wird bereits in den Einleitungsversen beider Gesätze durch explizite Bezüge auf den „Menschen“ vorbereitet, dem Undankbarkeit vorgeworfen (V. 17) bzw. der zur religiösen Ausdeutung von Naturvorgängen aufgefordert wird (V. 24). Der Hinweis auf die Entstehung des Menschen aus einem Spermatropfen ist bereits in frühmekkanischer Zeit ein Topos (s. die Anmerkungen).
Beide Gesätze sind als Inklusionen gestaltet, um deren in der Mitte stehende Kernverse sich ein Rahmen legt (zum Folgenden s. Neuwirth, Studien, 95 f. ). Im vierten Gesätz geschieht dies lediglich durch syntaktische Mittel: Subjekt von V. 17.23 ist der Mensch, während das – nicht explizit genannte, sondern pronominal vorausgesetzte – Subjekt der dazwischen stehenden Verse 18–22 Gott ist. V. 17–23 stellen insofern eine polemische Rahmung der ʾāyāt-Serie V. 18–22 dar, welche dem Menschen eine mangelnde Umsetzung des aus Gottes Gnadenerweisen folgenden moralisch-religiösen Anspruchs vorwirft (V. 23). Einen ähnlichen Rahmeneffekt erreicht das fünfte Gesätz durch besonders kunstvolle Reimgestaltung: Die auf 3KKā reimenden Verse 25–31 werden mit V. 24 und 32 von zwei Versen umrahmt, die – obgleich nicht reimidentisch untereinander – doch eine hörbare Assonanz aufweisen, und sich überdies syntaktisch deutlich von der zwischen ihnen stehenden, aufzählenden Versgruppe abheben. Innerhalb von V. 25–31 lässt sich noch einmal eine reimliche Binnendifferenzierung zwischen Versschlüssen mit geminiertem Konsonantenpaar (3GGā: V. 25–27.28) und solchen mit zwei unterschiedlichen Konsonanten (V. 28–31) ausmachen. Die Versgruppe V. 24–32 weist damit sogar eine zweifache Inklusionsstruktur auf: Den äußeren Rahmen bilden V. 24 und 32 mit ihrem expliziten Hörerbezug (V. 24: Aufforderung des Menschen zur Betrachtung seiner Nahrung, V. 32: lakum und Possessivsuffix 2. Person Pl.). Einen zweiten, inneren Rahmen bilden V. 25–27 und 28. Dabei lässt sich zwischen den jeweils im Gesätzzentrum stehenden ʾāyāt-Serien ein Steigerungsverhältnis beobachten: Während die ʾāyāt des vierten Gesätzes in der 3. Person gehalten sind, stehen die des fünften Gesätzes in der 1. Person (Plural).
Der Schlussteil leitet von Gottes welterhaltender Aktivität zum Zerfall dieser Welt am Jüngsten Tag über. Ähnliche Übergänge findet sich in Q 78 (V. 6–16ʾāyāt-Liste, V. 17 ff. Eschatologie) und Q 79 (V. 27–33ʾāyāt-Liste, V. 34–46 Eschatologie), wobei interessanterweise niemals Gott als handelndes Subjekt des eschatologischen Zerstörungswerkes erscheint: Während die in den ʾāyāt-Abschnitten rekapitulierten Naturvorgänge explizit dem Agieren Gottes in Rechnung gestellt werden, läuft die eschatologische Desintegration der Welt scheinbar wie ein Automatismus ab. Das Hereinbrechen des Weltendes wird V. 33 zufolge durch ein auch in anderen Koranstellen erwähntes akustisches Phänomen signalisiert, das wahrscheinlich mit den aus dem Neuen Testament vertrauten Posaunen des Jüngsten Gerichts in Verbindung zu bringen ist. Gemeinsames Merkmal all dieser akustischen Phänomene ist jedenfalls ihre besondere Abruptheit. Im Mittelpunkt des Gesätzes steht dann die durch das Weltende bewirkte Auflösung aller gesellschaftlichen Bindungen, die anhand der in vormodernen Gesellschaften besonders schockierend erscheinenden Außerkraftsetzung familiärer Solidarität illustriert wird. Der Passus erinnert an die in Matthäus 10:35 ff. angekündigte „Entzweiung“ enger Verwandter durch Jesus Christus, wobei jedoch eine unterschiedliche Akzentsetzung feststellbar ist: Während die neutestamentliche Stelle vor allem betont, dass die Bindung an Gott Vorrang vor allen menschlichen Bindungen hat, hebt der Koran auf die schlechthinnige moralische Verantwortung des Einzelnen ab, den nichts und niemand vor Gottes letztendlicher Rechenschaftsforderung zu bewahren vermag – beim Endgericht zählt nur noch das moralische Verdienst des einzelnen, nicht mehr das gesellschaftliche und familiäre Beziehungsnetz, welches den Menschen im Diesseits schützt. Bemerkenswert ist, dass der koranische Abschnitt in dieser – auch anderswo (vgl. 82:19) gemachten – Aussage sowie in der Anordnung der verschiedenen Verwandtschaftsverhältnisse eine bemerkenswerte Nähe zu einer Stelle aus dem griechischen Ephrem-Korpus aufweist.
Die Sure schließt mit einem weiteren eschatologischen Nachsatz, der als parallelistische, durch wuǧūh ... wuǧūh ... (V. 38.40) eingeleitete Antithese gestaltet ist. Der Passus stellt der zuvor so anschaulich durchkonjugierten Auflösung sozialer Ordnungsmuster die Etablierung einer allein von moralischen Gesichtspunkten diktierten neuen Ordnung im Jenseits entgegen; vgl. ähnlich auch den früheren Text 101:4–9, wo der der Antithese vorangehende eschatologische Temporalsatz (mit Nachsatz) allerdings nicht den Zusammenbruch der sozialen, sondern der natürlichen Weltordnung schildert. Innerhalb der vorliegenden Sure erscheint die Antithese V. 38–42 als eschatologische Verlängerung der Gegenüberstellung von Selbstherrlichem und Umkehrbereitem in V. 5–10 (vgl. Neuwirth, Studien, 220 ). Der Text kontrastiert so das bloß relative moralische Urteilsvermögen selbst des Verkünders und a fortiori auch aller übrigen Menschen mit der absoluten Gerechtigkeit Gottes: Während in V. 5–10 die Beurteilungsperspektive und der eigentliche religiöse Wert der Beurteilen auseinanderklaffen (V. 5.6: „selbstherrlich“ vs. „entgegenkommen“, V. 8–10: „eilfertig zu dir kommen“ und „furchtsam sein“ vs. die kritisierte Nichtbeachtung durch den Verkünder), sind im Schlussgesätz solche Divergenzen aufgehoben. Der letzte Vers schreibt dies noch einmal fest, indem er die Staub- und Schmutzbedeckten explizit als „Ungläubige und Sünder“ qualifiziert.
Literaturliste
Die bereits in drei Hauptteile gegliederte Sure entspricht mit einer durchschnittlichen Verslänge von 8,9 Silben und einer Länge von 42 Versen dem Normaltypus von Gruppe IIIa. Dazu passt die von Neuwirth, Studien, 215 , beobachtete Tatsache, dass der Text zahlreiche terminologische Überschneidungen mit der ebenfalls zu Gruppe IIIa zu rechnenden Sure 74 aufweist (s. die Anmerkungen zu V. 1.4.11.17.19.37.41).
Die Sure zeigt keinerlei Indizien für spätere Erweiterungen und Überarbeitungen.
Die Sure setzt sich aus drei Hauptteilen zusammen: Zumindest die Gesätze 1 und 2, 4 und 5 sowie 6 und 7 gehören thematisch eng zusammen. Der erste Surenteil ist eine (durch die Offenbarungsbestätigung V. 11–16 abgeschlossene) tadelnde Anrede des Verkünders, deren kritischer Tonfall im koranischen Korpus ansonsten keine Parallele hat, obgleich die Menschlichkeit (und damit auch die grundsätzliche Fehlbarkeit) Muḥammads auch anderswo festgehalten wird. Der zweite Teil besteht im Wesentlichen aus zwei ʾāyāt-Serien, der dritte ist durchgängig eschatologisch. Erster und zweiter Teil sind gleichlang (jeweils 16 Verse), Teil 3 ist in sich symmetrisch (zwei Fünfergesätze).
Überblick
1–10 3KKā | I 1 1–4 Tadel des Verkünders (V. 1.2 Bericht, V. 3.4 Frage) |
2 5–10 Forts. Tadel (antithetisch: V. 5–7 Reaktion auf Sünder, V. 8–10 Reaktion auf Gottesfürchtige) | |
11–23 3(K)K3Kah | 3 11–16 Offenbarungsbestätigung |
II 4 17 Verfluchung | |
18–22 ʾāyāt-Polemik (Erschaffung des Menschen): V. 18 polemische Frage, V. 19–22 Werkaffirmationen | |
23 Scheltwort (3. Sg.) | |
24 āmih(ī) | 5 24–32 ʾāyāt-Polemik (Nahrung): Werkaffirmationen mit einleitender Aufforderung an den Menschen (V. 24) |
25–31 3(K)Kā mit vorherrschenden Explosiven (davon 25–27 3GGā), 32 āmikum | |
33 āḫḫah, 34–37 3(K)K2h | III 6 33–37 eschatologischer Temporalsatz mit Nachsatz (V. 37) |
38–42 3(K)K3rah | 7 38–42 weiterer eschatologischer Nachsatz (Antithese: V. 38.39: Positivteil, V. 40–42: Negativteil) |
Proportionen: [4+6+6]+[7+9]+[5+5].