بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
وَٱلنَّٰزِعَٰت غَرۡقًۭا |
I11 Bei den heftig Zerrenden, |
وَٱلنَّٰشِطَٰتِ نَشۡطًۭا |
2 sich lebhaft Gebärdenden |
وَٱلسَّٰبِحَٰتِ سَبۡحًۭا |
3 und Schwimmern gleich Dahingleitenden, |
فَٱلسَّٰبِقَٰتِ سَبۡقًۭا |
4 dann schnell Voraneilenden |
فَٱلۡمُدَبِّرَٰتِ أَمۡرًۭا |
5 und etwas ins Werk Setzenden! |
يَوۡمَ تَرۡجُفُ ٱلرَّاجِفَةُ |
26 Am Tag, da das Beben hereinbricht, |
تَتۡبَعُهَا ٱلرَّادِفَةُ |
7 und ihm gleich das nächste folgt, |
قُلُوبٌۭ يَوۡمَئِذٍۢ وَاجِفَةٌ |
8 an jenem Tag klopfen Herzen |
أَبۡصَٰرُهَا خَٰشِعَةٌۭ |
9 und ihre Blicke sind demütig. |
يَقُولُونَ أَءِنَّا لَمَرۡدُودُونَ فِی ٱلۡحَافِرَةِ |
10 Sie sagen: „Sollen wir etwa zurückgebracht werden, wenn wir schon im Grab sind, |
أَءِذَا كُنَّا عِظَٰمًۭا نَّخِرَةًۭ |
11 wenn wir schon morsche Knochen waren?“ |
قَالُوا۟ تِلۡكَ إِذًۭا كَرَّةٌ خَاسِرَةٌۭ |
12 Sie sagen: „Das wäre eine verlustreiche Wende!“ |
فَإِنَّمَا هِیَ زَجۡرَةٌۭ وَٰحِدَةٌۭ |
13 Und doch wird es nur ein einziger Aufschrei sein |
فَإِذَا هُم بِٱلسَّاهِرَةِ |
14 und schon sind sie hellwach. |
هَلۡ أَتَىٰكَ حَدِيثُ مُوسَىٰۤ |
II315 Ist die Kunde von Moses zu dir gelangt? |
إِذۡ نَادَىٰهُ رَبُّهُۥ بِٱلۡوَادِ ٱلۡمُقَدَّسِ طُوًى |
16 Als sein Herr ihn rief im heiligen Tal Ṭuwā: |
ٱذۡهَبۡ إِلَىٰ فِرۡعَوۡنَ إِنَّهُۥ طَغَىٰ |
17 „Geh zu Pharao! Er ist aufsässig. |
فَقُلۡ هَل لَّكَ إِلَىٰۤ أَن تَزَكَّىٰ |
18 Und sprich: ‚Willst du dich nicht läutern, |
وَأَهۡدِيَكَ إِلَىٰ رَبِّكَ فَتَخۡشَىٰ |
19 dass ich dich zu deinem Herrn leite und du gottesfürchtig wirst?’“ |
فَأَرَىٰهُ ٱلۡٴَايَةَ ٱلۡكُبۡرَىٰ |
20 Und er ließ ihn das große Zeichen sehen. |
فَكَذَّبَ وَعَصَىٰ |
421 Doch der leugnete und widersetzte sich; |
ثُمَّ أَدۡبَرَ يَسۡعَىٰ |
22 er kehrte den Rücken und eilte davon; |
فَحَشَرَ فَنَادَىٰ |
23 er versammelte sein Volk und ließ ausrufen: |
فَقَالَ أَنَا۠ رَبُّكُمُ ٱلۡأَعۡلَىٰ |
24 „Ich bin euer höchster Herr!“ |
فَأَخَذَهُ ٱللَّهُ نَكَالَ ٱلۡٴَاخِرَةِ وَٱلۡأُولَىٰۤ |
25 Da schlug Gott ihn zur Warnung mit der Strafe des Jenseits und Diesseits. |
إِنَّ فِی ذَٰلِكَ لَعِبۡرَةًۭ لِّمَن يَخۡشَىٰۤ |
26 Das ist den Gottesfürchtigen Grund zum Nachdenken. |
ءَأَنتُمۡ أَشَدُّ خَلۡقًا أَمِ ٱلسَّمَآءُ ۚ بَنَىٰهَا |
527 Seid denn ihr schwerer zu erschaffen oder der Himmel? Er hat ihn erbaut: |
رَفَعَ سَمۡكَهَا فَسَوَّىٰهَا |
28 Er hob sein Dach empor und verlieh ihm Form |
وَأَغۡطَشَ لَيۡلَهَا وَأَخۡرَجَ ضُحَىٰهَا |
29 und ließ ihn des Nachts dunkel und des Morgens hell werden. |
وَٱلۡأَرۡضَ بَعۡدَ ذَٰلِكَ دَحَىٰهَآ |
30 Hernach breitete er die Erde aus, |
أَخۡرَجَ مِنۡهَا مَآءَهَا وَمَرۡعَىٰهَا |
31 brachte Wasser und Weide aus ihr hervor |
وَٱلۡجِبَالَ أَرۡسَىٰهَا |
32 und setzte die Berge fest, |
مَتَٰعًۭا لَّكُمۡ وَلِأَنۡعَٰمِكُمۡ |
33 zum Nutzen für euch und euer Vieh. |
فَإِذَا جَآءَتِ ٱلطَّآمَّةُ ٱلۡكُبۡرَىٰ |
III634 Wenn die große Flut kommt, |
يَوۡمَ يَتَذَكَّرُ ٱلۡإِنسَٰنُ مَا سَعَىٰ |
35 am Tage, da der Mensch sich dessen erinnert, wonach er gestrebt hat, |
وَبُرِّزَتِ ٱلۡجَحِيمُ لِمَن يَرَىٰ |
36 und die Hölle einem jeden Sehenden vor Augen gebracht wird – |
فَأَمَّا مَن طَغَىٰ |
37 wer dann aufsässig war |
وَءَاثَرَ ٱلۡحَيَوٰةَ ٱلدُّنۡيَا |
38 und das diesseitige Leben vorgezogen hat, |
فَإِنَّ ٱلۡجَحِيمَ هِیَ ٱلۡمَأۡوَىٰ |
39 dem wird der Höllenbrand zur Heimstätte; |
وَأَمَّا مَنۡ خَافَ مَقَامَ رَبِّهِۦ |
40 wer aber den Rang seines Herrn gefürchtet |
وَنَهَى ٱلنَّفۡسَ عَنِ ٱلۡهَوَىٰ |
und der Seele ihre Neigungen verwehrt hat, |
فَإِنَّ ٱلۡجَنَّةَ هِیَ ٱلۡمَأۡوَىٰ |
41 dem wird der Garten zur Heimstätte. |
يَسۡـَٔلُونَكَ عَنِ ٱلسَّاعَةِ |
742 Sie fragen dich nach der Stunde: |
أَيَّانَ مُرۡسَىٰهَا |
„Auf wann ist sie festgesetzt?“ |
فِيمَ أَنتَ مِن ذِكۡرَىٰهَآ |
43 Wie kämest du dazu, sie anzukündigen? |
إِلَىٰ رَبِّكَ مُنتَهَىٰهَآ |
44 Ihr Eintreffen liegt bei deinem Herrn. |
إِنَّمَآ أَنتَ مُنذِرُ مَن يَخۡشَىٰهَا |
45 Du hast nur die zu warnen, die sie fürchten. |
كَأَنَّهُمۡ يَوۡمَ يَرَوۡنَهَا |
46 Am Tag, da sie sie erblicken, |
لَمۡ يَلۡبَثُوٓا۟ إِلَّا عَشِيَّةً أَوۡ ضُحَىٰهَا |
ist es, als hätten sie nur einen Abend verweilt oder den darauffolgenden Morgen. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
Obwohl die fünf durch feminine Pluralpartizipien evozierten Erscheinungen „bewusst verschlüsselt belassen“ (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 401) werden, lassen sich im Vergleich mit den übrigen frühkoranischen fāʿilāt-Schwurserien Q 100:1–5 und – entfernter verwandt – Q 77:1–5 und 51:1–4 immerhin zwei relativ sichere allgemeine Feststellungen treffen (zu allen diesen Passagen s. Neuwirth, „Horizont“; s. a. die Anmerkung zu 100:1–5 mit grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher). Erstens dürfte es bei den nur metonymisch umschriebenen Phänomenen um Präfigurationen des Jüngsten Tages handeln (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 401), zumal das Schema fāʿila auch sonst für Bezeichnungen des Weltendes reserviert ist (vgl. die Anmerkung zu 101:1–3 zu Bezeichnungen wie al-wāqiʿa oder al-ġāšiya). Zweitens scheint jede der genannten Schwurserien nur verschiedene Stadien eines zusammenhängenden Geschehensablaufs zu schildern und nicht, wie andere Schwurserien (vgl. etwa 91:1–8 oder 92:1–3), verschiedene Entitäten oder Phänomene nebeneinanderzustellen (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 401). Dass es sich bei den fāʿilāt-Serien um einen kontinuierlichen Bewegungsablauf bzw. ein „Tableau“ (Neuwirth, „Horizont“, 6 ff.) und nicht um eine Reihung von Einzelphänomenen handelt, wird dabei insbesondere durch das in Q 100:2.3, 51:2.3.4, 77:2.4.5, 79:3.4 stehende Progress-fa signalisiert.
Was die konkrete Identität der in der vorlieglenden fāʿilāt-Serie beschriebenen Phänomene betrifft, so wird in der islamische Koranexegese u. a. eine Deutung der Passage auf Engel diskutiert. Doch lassen sich, wie Neuwirth hervorhebt, die Verben nazaʿa, našaṭa, sabaḥa und sabaqa eher mit Pferden als mit Engeln in Verbindung bringen (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 401; s. auch die folgenden Anmerkungen zu den einzelnen Versen der Passage) – auch wenn die spätere (mittelmekkanische) fāʿilāt-Serie 37:1–3 sicherlich auf Engel zu beziehen ist und damit anders als die vier frühmekkanischen fāʿilāt-Passagen kein Phänomen innerweltlicher Erfahrung mehr beschreibt. Für eine solche Deutung spricht auch die Analogie der Schwurpassage mit der Einleitung von Q 100: Wie letztere zeichnet auch die vorliegende Sure das Bild einer sich bedrohlich nähernden Reiterschar und übersetzt so das unvermittelte Hereinbrechen des Jüngsten Tages in eine den Hörern des Textes vertraute innerweltliche Erfahrung. Darüberhinaus fällt auf, dass einer der folgenden eschatologischen Temporalsätze, nämlich V. 7, einen pferdespezifischen Begriff, nämlich den des hinter einem Reiter auf dem Pferd sitzenden „Nachreiters“ (rādifa) gebraucht (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 402).
wa-n-nāziʿāti ġarqā] Ġarqā in V. 1 ist am ehesten mit den islamischen Kommentatoren im Sinne von ʾiġrāq zu verstehen. ʾaġraqa fī šaiʾin bedeutet „in einer Sache maßlos sein, übertreiben etc.“ (zum Zusammenhang mit der Grundbedeutung ġ-r-q, „ertrinken“, s. Lane, Bd. 6, 2250c), so dass ʾiġrāqan mit „heftig“ o. Ä. wiedergegeben werden kann. Dagegen erwägt Paret (Kommentar, ad loc.) in Analogie zu 77:1 eine Emendation zu ʿurfā.
wa-s-sābiḥāti sabḥā] Wörtlich: „Bei den Schwimmenden“. Die Bezeichnung dahineilender Tiere mit dem Partizip von sabaḥa begegnet auch in der Dichtung, vgl. die im Register von Arazi / Masalha (Hg.), 1999, 559, aufgeführten Belege.
yauma tarǧufu r-rāǧifah] Vgl. 99:1 (ʾiḏā zulzilati l-ʾarḍu zilzālahā), 73:14 (yauma tarǧufu l-ʾarḍu wa-l-ǧibālu wa-kānati l-ǧibālu kaṯīban mahīlā) und 56:4–6 (ʾiḏā ruǧǧati l-ʾarḍu raǧǧā / wa-bussati l-ǧibālu bassā / fa-kānat habāʾan munbaṯā). S. die in der Anmerkung zu 99:1 zitierten Intertexte.
yaumaʾiḏin] Zu yaumaʾiḏin vgl. die Anmerkung zu 102:8.
ʾabṣāruhā ḫāšiʿah] Wörtl.: „deren Blicke gesenkt sind“ (das sich auf die „Herzen“ aus V. 8 zurückbeziehende Pronomen dürfte eigentlich die Besitzer derselben meinen). Vgl. 68:43 (ḫāšiʿatan ʾabṣāruhum tarhaquhum ḏillatun wa-qad kānū yudʿauna ʾilă s-suǧūdi wa-hum sālimūn), 70:44 (ḫāšiʿatan ʾabṣāruhum tarhaquhum ḏillatun ḏālika l-yaumu llaḏī kānū yūʿadūn) und 88:2 (wuǧūhun yaumaʾiḏin ḫāšiʿah).
ʾa-ʾinnā la-mardūdūna fĭ l-ḥāfirah] Vgl. 75:3 (ʾa-yaḥsabu l-ʾinsānu ʾa-lan naǧmaʿa ʿiẓāmah) und 56:47 (wa-kānū yaqūlūna ʾa-ʾiḏā mitnā wa-kunnā turāban wa-ʿiẓāman ʾa-ʾinnā la-mabʿūṯūn). Ḥāfira ist den Lexika zufolge „umgegrabene“ bzw. (durch Hufe) „aufgewühlte Erde“ (al-ʾarḍ al-maḥfūra; vgl. Lisān, s. v. ḥ-f-r, sowie Lane, Bd. 2, 601a). Zamaḫšarī erklärt den Vers mit Verweis auf den Ausdruck raǧaʿa fulānun fī (Ṭabarī: ʿalā) ḥāfiratihī, „in den eigenen Fußspuren (eigentl. Hufspuren) umkehren“, d. h. „auf demselben Weg umkehren, den man gekommen ist“. In der koranischen Wendung würde dieser Erklärung zufolge dann für raǧaʿa („zurückkehren“) rudda („zurückgebracht werden“) eintreten. Die islamischen Kommentare verkürzen diese Rekonstruktion dann häufig zu der knappen Paraphrase al-ḥāfira = „früherer Zustand“ o. Ä. (Zamaḫšarī: al-ḥāla al-ʾūlā), die ihrerseits wieder als eine Bedeutung von ḥāfira in die Lexikographie eingegangen ist. Eine alternative Erklärung, die ohne komplizierte lexikographische Ableitungen auskommt, bestünde darin, al-ḥāfira, „umgegrabene Erde“, als reimlich motivierte Umschreibung von „Grab“ o. ä. zu verstehen: „Sollen wir etwa zurückgebracht werden, wenn wir bereits im Grabe sind?“
qālū tilka ʾiḏan karratun ḫāsirah] Vgl. 103:2 (ʾinna l-ʾinsāna la-fī ḫusr) sowie die Anmerkung dazu.
fa-ʾinnamā hiya zaǧratun wāḥidah] Tor Andrae vermutet in Anlehnung an islamische Exegeten, mit dem – in Mekka II (vgl. 50:42) auch als ṣaiḥa bezeichneten – „Schrei“ könne die im 1. Brief an die Thessalonicher 4:16 erwähnte „Posaune Gottes“ gemeint sein, welche die Auferweckung der Toten einleitet (Andrae 1926, 64). Das ist allerdings zumindest insofern unwahrscheinlich, als andere Koranstellen – vgl. frühmekkanisch 69:13, 74:8 und 78:18 – durchaus präzise davon sprechen, dass am Jüngsten Tag „in die Posaune gestoßen“ (yunfaḫu fĭ ṣ-ṣūri o. Ä.) wird. Näher als 1 Thessalonicher 4:16 steht dem vorliegenden Koranvers deshalb ein von Yousef Kouriyhe identifiziertes eschatologisches Gedicht Jakobs von Sarūg (um 421–521), in dem u. a. von einer „Stimme“ die Rede ist, die am Jüngsten Tag die Erde erbeben lässt (Bedjan 1910, 853 f.; vgl. ausführlicher TUK, Nr. 533).
fa-ʾiḏā hum bi-s-sāhirah] Bi-s-sāhira fungiert wohl als reimbedingte Umschreibung von sāhirūn; hierfür sprechen auch Q 6:44, 7:201, 36:29.37.53, wo auf fa-ʾiḏā hum jeweils ein Partizip mask. Pl. folgt (Müller 1969, 13–16; vgl. Paret, Kommentar).
Zu Moses und Pharao vgl. die früheren Reminiszenzen in 85:17.18 (hal ʾatāka ḥadīṯu l-ǧunūd / firʿauna wa-ṯamūd) und 89:10 (wa-firʿauna ḏĭ l-ʾautād) sowie die späteren Erwähnungen in Gruppe IIIb: 73:15.16 (ʾinnā ʾarsalnā ʾilaikum rasūlan šāhidan ʿalaikum ka-mā ʾarsalnā ʾilā firʿauna rasūlā / fa-ʿaṣā firʿaunu r-rasūla fa-ʾaḫaḏnāhu ʾaḫḏan wabīlā), 69:9.10 (wa-ǧāʾa firʾaunu wa-man qablahū wa-l-muʾtafikātu bi-l-ḫāṭiʾah / fa-ʿaṣau rasūla rabbihim fa-ʾaḫaḏahum ʾaḫḏatan rābiyah) und 51:38–40 (wa-fī mūsā ʾiḏ ʾarsalnāhu ʾilā firʿauna bi-sulṭānin mubīn / fa-tawallā bi-ruknihī wa-qāla sāḥirun ʾau maǧnūn / fa-ʾaḫaḏnāhu wa-ǧunūdahū fa-nabaḏnāhum fĭ-l-yammi wa-huwa mulīm). Auffällig ist, dass Pharao in 85:17.18 und 89:10 ohne Moses als göttlich authorisierten Antagonisten auftritt; auch in 73:15.16 ist nur von einem anonymen „Gesandten“ (rasūl) die Rede. In der vorliegenden Sure aus der Gruppe IIIa erscheint Moses dagegen als zentraler Akteur der Pharao-Erzählung. Dennoch wird Moses bereits in Gruppe II namentlich genannt, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Pharao-Geschichte, sondern in Verbindung mit göttlichen „Schriften“, vgl. 87:18.19 (ʾinna hāḏā la-fĭ ṣ-ṣuḥufi l-ʾūlā / ṣuḥufi ʾibrāhīma wa-mūsā). – Zu den koranischen Moses-Erzählungen s. allg. Neuwirth 2002.
hal ʾatāka ḥadīṯu mūsā] Vgl. 88:1 (hal ʾatāka ḥadīṯu l-ġāšiyah), 85:17 f. (hal ʾatāka ḥadīṯu l-ǧunūd / firʿauna wa-ṯamūd) und 51:24 (hal ʾatāka ḥadīṯu ḍaifi ʾibrāhīma l-mukramīn). Zum Gebrauch von ḥadīṯ s. auch die Anmerkung zu 77:50.
ṭuwā] Zu dem Ausdruck existieren verschiedene Lesevarianten wie ṭiwan oder ṭāwi (Muʿǧam, ad loc.). Zur Bedeutung s. Horovitz, Untersuchungen, 125: „Die Bedeutung des als Reimwort gebrauchten ṭuwan ist nicht festzustellen“. Bell (Commentary, ad loc.) erklärt den Ausdruck plausibel als Abwandlung von syr. ṭūrā (= Berg Sinai), wobei diese wohl nicht Ergebnis einer Verschreibung, sondern eher einer Angleichung von ṭūrā an den Reim zu erklären ist (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 404).
Neuwirth weist darauf hin, dass „die direkte Rede der Handlungsanweisung ‚Geh und sprich‘ [V. 17.18] und ihre Ausführung ... im Text zusammen“ fallen (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 405).
ʾinnahū ṭaġā] Zur Wurzel ṭ-ġ-w/y s. die Anmerkung zu 96:6.
fa-qul hal laka ʾilā ʾan tazakkā] Bedeutet wohl wie hal laka fī „Möchtest du nicht ...?“ Vgl. 80:3 (wa-mā yudrīka laʿallahū yazzakkā) sowie 80:7 (wa-mā ʿalaika ʾallā yazzakkā). Zu den Verben zakkā bzw. tazakkā vgl. die Anmerkung zu 91:9. Zur frühmekkanischen Verwendung von durch qul eingeleiteten Redeaufforderungen s. die Anmerkungen zu 52:31 und 56:49.
wa-ʾahdiyaka ʾilā rabbika] Zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8, zu hadā bzw. hudā s. die Anmerkung zu 93:7.
fa-ʾarāhu l-ʾāyata l-kubrā] Der Begriff des göttlichen „Zeichens“ ist bereits in der biblischen Mose-Erzählung prominent (Exodus 3:12, 4:8.9, 4:17). Innerkoranisch vgl. insb. 53:18, wo es über Muḥammad heißt: la-qad raʾā min ʾāyāti rabbihi l-kubrā. In Anbetracht dieser in etwa zeitgleichen Parallele ist wohl gemeint, dass Gott Moses „das große Zeichen“ – bei dem es sich um die in Exodus 7:8–13 geschilderten Zauberkunststücke handelt – sehen ließ, nicht, dass Moses es Pharao zeigte. Dafür spricht auch die Verwendung derselben Formulierung in der späteren Moses-Erzählung aus Sure 20 (V. 23), wo sie unmittelbar einer koranischen Nacherzählung der Wunderzeichen aus Exodus 7 folgt (20:17–22). Zum frühmekkanischen Gebrauch von ʾāya allg. s. die Anmerkung zu 74:16.
fa-kaḏḏaba wa-ʿaṣā / ṯumma ʾadbara yasʿā] Die Vorwürfe des „Leugnens“ (des Jüngsten Gerichts) und „Abwendens“ werden auch in 96:13 (ʾa-raʾaita ʾin kaḏḏaba wa-tawallā), 92:16 (allaḏī kaḏḏaba wa-tawallā) und 75:32 (wa-lākin kaḏḏaba wa-tawallā) miteinander kombiniert. Zu den verschiedenen Gebrauchsweisen von kaḏḏaba vgl. a. die Anmerkungen zu 95:7 und 73:11. Zu ʾadbara vgl. die Anmerkung zu 88:23.
fa-qāla ʾanā rabbukumu l-ʾaʿlā] S. die Anmerkung zu 87:1.
fa-ʾaḫaḏahu llāhu] Zum Gottesnamen Allāh vgl. die Anmerkung zu 95:8.
al-ʾāḫirati wa-l-ʾūlā] Vgl. 93:4 (wa-la-l-ʾāḫiratu ḫairun laka mina l-ʾūlā), 92:13 (wa-ʾinnā lanā la-l-ʾāḫirata wa-l-ʾūlā) und 53:25 (fa-li-llāhi l-ʾāḫiratu wa-l-ʾūlā). Vgl. auch die Anmerkung zu 93:4.
ʾa-antum ʾašaddu ḫalqan ʾami s-samāʾu banāhā / rafaʿa samkahā fa-sawwāhā] Vgl. 91:5.6 und die Anmerkung dazu (mit weiteren Parallelstellen). Vgl. außerdem 88:18 (wa-ʾilă s-samāʾi kaifa rufiʿat), 55:7 (wa-s-samāʾa rafaʿahā wa-waḍaʿa l-mīzān) und 52:5 (wa-s-saqfĭ l-marfūʿ).
wa-l-ʾarḍa baʿda ḏālika daḥāhā] Vgl. die Anmerkung zu 91:5.6. Vgl. außerdem 88:20 (wa-ʾilă l-ʾarḍi kaifa suṭiḥat), 78:6.7 (ʾa-lam naǧʿali l-ʾarḍa mihādā / wa-l-ǧibāla ʾautādā), 55:10 (wa-l-ʾarḍa waḍaʿahā li-l-ʾanām) und 51:48 (wa-l-ʾarḍa farašnāhā fa-niʿma l-māhidūn). Gottes „Ausbreiten“ der Erde wird auch in einem Umayya ibn abī ṣ-Ṣalt zugeschriebenen Fragment mit dem Verb daḥā beschrieben: dārun daḥāhā ṯumma ʾaʿmaranā bihim / wa-ʾaqāma bi-l-ʾuḫrā allatī hiya ʾamǧad, „Er breitete eine Wohnstätte aus und siedelte uns unter ihnen an, er selbst aber bezog die andere, ruhmvollere Wohnung“ (Text und Übersetzung in Schulthess 1911, 63, 121; vgl. TUK, Nr. 579).
ʾaḫraǧa minhā māʾahā wa-marʿāhā] Vgl. 87:4 (wa-llaḏī ʾaḫraǧa l-marʿā) und 77:27 (wa-ǧaʿalnā fīhā rawāsiya šāmiḫātin wa-ʾasqainākum māʾan furātā).
wa-l-ǧibāla ʾarsāhā] Obwohl es stilistisch sicher glatter wäre, ʾarsā mit „gründen“ wiederzugeben, hat die obige Übersetzung den Vorzug, die Überschneidung mit V. 42 (yasʾalūnaka ʿani s-sāʿati ʾayyāna mursāhā) sichtbar zu machen, wo ein von ʾarsā abgeleitetes Partizip verwendet wird; s. zur Wurzel r-s-y noch 77:27 (wa-ǧaʿalnā fīhā rawāsiya šāmiḫātin). Sachlich vgl. 78:6.7 (ʾa-lam naǧʿali l-ʾarḍa mihādā / wa-l-ǧibāla ʾautādā) mit Anmerkung.
matāʿan lakum wa-li-ʾanʿāmikum] Vgl. 80:32 (matāʿan lakum wa-li-ʾanʿāmikum). Der Versschluss reimt nicht auf die Umgebung. Wohl deshalb ziehen Baṣra und aš-Šām V. 33 und V. 34 zusammen (Spitaler, Verszählung, 67). Zur Frage, ob der Vers sekundär in die Sure eingedrungen sein könnte, s. o., Literarkritik.
fa-ʾiḏā ǧāʾati ṭ-ṭāmmatu l-kubrā] Das Verb ṭamma bedeutet „ansteigen“ (von Wasser, z. B. ṭamma sailu l-wādī; s. Lane, Bd. 5, 1877a). Als innerkoranische Parallele s. insb. 80:33 (fa-ʾiḏā ǧāʾati ṣ-ṣāḫḫah). Enigmatische Bezeichnungen des Weltendes mit aktiven Partizipien femininum begegnen noch in weiteren frühmekkanischen Texten, vgl. 101:1–3 (al-qāriʿa), 88:1 (al-ġāšiya), 69:1–3 (al-ḥāqqa), 69:4 (al-qāriʿa), 69:5 (aṭ-ṭāġiya) und 69:15 (al-wāqiʿah), 56:1 (wie in 79:34 und 80:33 in einem Temporalsatz: ʾiḏā waqaʿati l-wāqiʿah) und 53:57 (al-ʾāzifa). Solche metonymischen Umschreibungen eines Substantivs durch ein Adjektiv stellen allgemein ein Charakteristikum der altarabischen Dichtung dar, s. die Anmerkung zu 101:1–3. Im Vergleich mit den fāʿilāt-Schwurserien wie zu Beginn der Sure (vgl. sonst noch Q 100:1–5, Q 77:1–5 und 51:1–4), die das hereinbrechende Weltende durch prototypische Gegenwartserfahrungen (Reiterangriff und Sturm) präfigurieren, fällt auf, dass die Form des aktiven Partizips femininum auch dort zur Bezeichnung der endzeitlichen Katastrophe dient (s. insb. die Anmerkungen zu 100:1–5 und 79:1–5). Das morphologische Schema fāʿila wird so innerhalb der frühmekkanischen Korantexte mit der Konnotation apokalyptischen Unheils aufgeladen.
wa-burrizati l-ǧaḥīmu li-man yarā] Zu ǧaḥīm vgl. die Anmerkung zu 102:6.
Mekka und Medina setzen nach V. 37 trotz Reim keinen Versschluss an (Spitaler, Verszählung, 68). Der Grund hierfür ist wohl, dass die zu V. 37 parallele erste Hälfte von V. 40 in der überlieferten Textgestalt – wa-ʾammā man ḫāfa maqāma rabbihī – nicht mit einem Reim schließt und deshalb ebenfalls nicht als selbstständiger Vers aufgefasst wird. Verslänge und Struktur erfordern jedoch eine Zäsur innerhalb des doppeltlangen Verses 40 (s. die Anmerkung zu V. 40), so dass nicht etwa V. 37.38 in Analogie zu V. 40 zusammenzuziehen sind, sondern umgekehrt V. 40 in Analogie zu V. 37.38 zu unterteilen ist. Dies belegen auch 92:5.8, 84:7.10 und 80:5.8, wo eine ähnliche fa-ʾammā-Formulierung jeweils als eigenständiger Vers gewertet wird.
wa-ʾāṯara l-ḥayāta d-dunyā] Vgl. 87:16 (bal tuʾṯirūna l-ḥayāta d-dunyā). Zu ad-dunyā vgl. die Anmerkung zu 93:4.
fa-ʾinna l-ǧaḥīma hiya l-maʾwā] Zu ǧaḥīm vgl. die Anmerkung zu 102:6.
wa-ʾammā man ḫāfa maqāma rabbihī wa-nahă n-nafsa ʿani l-hawā / fa-ʾinna l-ǧannata hiya l-maʾwā] Vgl. 55:46 (wa-li-man ḫāfa maqāma rabbihī ǧannatān), wo dem, der „den maqām seines Herrn gefürchtet hat“, ebenfalls das Paradies (ǧanna) zugesagt wird. Maqām ist im Arabischen wörtlich „Standort“. Wie Hubert Grimme erkannt hat, entspricht die Wendung dem sabäischen m-q-m r-b-k, „Macht Gottes“ (Horovitz 1925, 219 f.). Es könnte sich hier also um den seltenen Fall einer koranischer Übernahme religiöser Terminologie aus dem Südarabischen handeln. Andererseits erscheint derselbe Ausdruck bezogen auf die Engel auch in 37:164 (wa-mā minnā ʾillā lahū maqāmun maʿlūm), wo zweifellos „Standort“ im Sinne von „Rang“ gemeint ist. Zu ǧanna vgl. die Anmerkung zu 81:13.
Versabteilung: Da V. 40 genau analog zu V. 37.38 (fa-ʾammā man ṭaġā / wa-ʾāṯara l-ḥayāta d-dunyā) gebaut ist, plädiert Neuwirth für eine Unterteilung von V. 40 vor der Konjunktion wa- (Studien, 30). Eine Unterteilung von V. 40 setzt allerdings voraus, dass man maqāma rabbihī als sekundär hinzugesetztes Interpretament ausscheidet, da sich nur so ein zumindest nährungsweiser Reim auf die Umgebung ergibt: ḫāfa, evtl. ḫāfā „mit poetischer Pausa“ (Neuwirth). Angesichts der Tatsache, dass die Kombination von ḫāfa mit maqāma rabbihī frühmekkanisch auch noch von 55:46 belegt wird, erscheint diese literarkritische Entscheidung jedoch eher problematisch; überdies handelt es sich bei koranischen Einschüben üblicherweise um ganze Verse (s. o., Literarkritik).
yasʾalūnaka ʿani s-sāʿati ʾayyāna mursāhā] Herausfordernde Fragen nach dem Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts begegnen in ähnlicher Diktion in 75:6 (yasʾalu ʾayyāna yaumu l-qiyāma; wie die vorliegende Sure Gruppe IIIa) und 51:12 (yasʾalūna ʾayyāna yaumu d-dīn; IIIb); sprachlich weniger nahestehend sind die Anspielungen auf vergleichbare Rückfragen in 78:1.2 (ʿamma yatasāʾalūn / ʿani n-nabaʾi l-ʿaẓīm; IIIa) und 70:1 (saʾala sāʾilun bi-ʿaḏābin wāqiʿ; IIIb); zu späteren Parallelstellen s. Paret, Kommentar, zu 10:48. Zu mursā s. a. die Anmerkung zu V. 32. Der in späteren Texten häufige Begriff der „Stunde“ als Bezeichnung für dien Zeitpunkt des Weltendes erscheint hier zum ersten Mal. Es handelt sich um einen etablierten Ausdruck jüdisch-christlicher Eschatologie (vgl. Matthäus 24:36 oder Offenbarung 14:7; Hinweis von Hannelies Koloska).
fī-ma ʾanta min ḏikrāhā] Zu ḏikrā und den übrigen Ableitungen der Wurzel ḏ-k-r s. allg. die Anmerkung zu 73:19 mit umfassenden Belegen; zu ḏikrā s. a. die Anmerkung zu 77:5. Anders als an Stellen wie 87:9 (fa-ḏakkir ʾin nafaʿati ḏ-ḏikrā) kann ḏikrā – morphologisch ein Verbalsubstantiv zu ḏakara (vgl. Lane, Bd. 3, 968b) – hier nicht einfach das mahnende In-Erinnerung-Rufen des Weltendes meinen, denn der Vers besagt ja gerade, dass der Verkünder nicht zum ḏikrā der Stunde befugt ist. Gemeint ist deshalb offensichtlich die präzise ‚Nennung’ bzw. Ankündigung der Stunde. Dass dem koranischen Verkünder hier die Kompetenz zur genauen Voraussage des Jüngsten Tages abgesprochen wird, deckt sich mit anderen Stellen, die ihm lediglich die Rolle eines „Mahners“ oder „Warners“ zuschreiben, s. den übernächsten Vers 45 sowie die Anmerkung dazu mit weiteren Belegen.
ʾilā rabbika muntahāhā] Vgl. 53:42 (wa-ʾanna ʾilā rabbika l-muntahā).
ʾinnamā ʾanta munḏiru man yaḫšāhā] Vgl. 51:50 (fa-firrū ʾilă llāhi ʾinnī lakum minhu naḏīrun mubīn; s. a. den folgenden Vers 51:51). Zur Wurzel n-ḏ-r s. allg. die Anmerkung zu 74:36 mit weiteren Stellenangaben.
lam yalbaṯū ʾillā ʿašiyyatan ʾau ḍuḥāhā] Crapon de Caprona will ʿašiyyatan zu ghašyatahā emendieren (vgl. seine Analyse der Sure in Crapon de Caprona 2003, 407–420), was jedoch von Robinson zu Recht zurückgewiesen wird (Robinson 2003, 188 und 316, Anm. 3). Sachlich erklärt sich die Aussage, wie Tor Andrae gezeigt hat, aus der insbesondere im dyophysitischen (nestorianischen) Christentum prominenten Lehre vom Seelenschlaf, also der Vorstellung, dass die Verstorbenen die Zeit zwischen ihrem Ableben und dem Jüngsten Tag in einem Zustand der Bewusstlosigkeit verbringen: Die Zeit zwischen Tod und Gericht erscheint den Auferstandenen selbst nur einen kurzen Augenblick gedauert zu haben, auch wenn aus objektiver Sicht Jahrhunderte vergangen sein mögen (Andrae 1926, 153–163; s. auch die Anmerkung zu 75:30).
Literaturliste
Die Schwurserie zu Beginn des ersten Teils (V. 1–5) skizziert wie Q 100 einen Reiterüberfall, dessen Plötzlichkeit das Hereinbrechen des Weltendes veranschaulichen soll. Auffällig am Einleitungsgesätz ist die klangliche Entsprechung von nazaʿa / našiṭa (V. 1.2) und sabaḥa / sabiqa (V. 3.4), die der Passage zusammen mit dem strengen Parallelismus der ersten vier Verse Tempo und Dichte verleihen.
Das zweite Gesätz blendet in die eschatologische Zukunft über: Dem endzeitlichen Erbeben der Erde korrespondiert psychologisch das heftige Schlagen der Herzen der Auferstandenen. Dennoch beharren die lediglich pronominal („sie“) eingeführten Hörer darauf, die Realität einer Auferweckung der Toten zu leugnen (die wörtlichen Zitate in V. 10–12 ergeben im Kontext des Jüngsten Tages keinen Sinn, sondern sind in die Gegegenwart zu setzen, vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 409). Das zweite Gesätz endet mit einem wiederum eschatologischen Warnspruch, der – ganz im Einklang mit der im ersten Gesätz entworfenen ġazwa-Szene – die Unvorhersehbarkeit und Plötzlichkeit der Wiedererweckung bekräftigt: „Und doch wird es nur ein einziger Aufschrei sein / und schon sie sind geweckt zu hellem Wachen.“ (V. 13.14). Die Zweifel der Gegner in V. 10–12, die im Kontext der alltäglichen menschlichen Lebenswelt durchaus bedenkenswert erscheinen mögen, werden so durch geschickte literarische Montage – nämlich indem sie von endzeitlichen Vorblenden umrahmt werden, welche die schockierende Wirkung des unvermittelt hereinbrechenden Jüngsten Tages auf die Auferweckten betonen – neutralisiert. Mit dieser Funktionalisierung eschatologischer Referenzen als Gegengewicht zu skeptischen Einwänden seitens der Hörer mag es zu tun haben, dass der Abschnitt – anders als in der ebenfalls den niedergeschlagenen Blick der Auferweckten thematisierenden und etwas früher (Gruppe II) zu datierenden Sure 88 – kein positives Gegenbild (vgl. 88:8 ff.) enthält.
Die ersten beiden Gesätze des Mittelteils (V. 15–33) sind einer Straflegende gewidmet (V. 15–26); sie wird durch eine auch zu Beginn anderer Straflegenden auftretende stereotype Frageformel (V. 15: hal ʾatāka ḥadīṯu mūsā; vgl. 85:17 f., 88:1, 51:24) eingeleitet. Obwohl Moses – der hier erstmals eine tragende Rolle in der Pharao-Erzählung erhält – in göttlichem Auftrag vor Pharao erscheint und diesem ein nicht näher beschriebenes Wunderzeichen präsentiert (drittes Gesätz), leugnet Pharao und bezeichnet sich sogar selbst gotteslästerlich als „höchsten Herrn“ seiner Untertanen; er ist dafür sowohl im Diesseits als auch im Jenseits göttlicher Strafe verfallen (viertes Gesätz). Im Unterschied zur biblischen Exoduserzählung fällt auf, dass Moses’ Auftreten am ägyptischen Hof hier allein auf die Bekehrung Pharaos abzielt, nicht auf die in der Bibel im Zentrum stehende Befreiung der Israeliten aus dem ägyptischen Frondienst. Wie andere biblische Propheten, etwa Noah, wird Moses damit auf eine Weise präsentiert, welche die typologische Entsprechung aller früheren Gesandten betont: Die ihnen gemeinsame Funktion besteht darin, ihre jeweiligen Adressaten diskursiv, durch Verkündigung und Predigt, zum Glauben an Gottes Macht und die Realität des Gerichts zu bewegen und nicht darin, als zentrale Akteure bestimmter Episoden einer sukzessiven Heilsgeschichte (etwa die Erneuerung der Schöpfung nach der Sintflut oder den Auszug der Israeliten aus Ägypten) zu handeln. Daraus ergibt sich zugleich eine Parallelisierung der prophetischen Funktion Moses’ mit derjenigen Muḥammads, die auch in der in etwa zeitgleichen Sure 53 betont wird (s. Q 53:18 mit Anmerkung, wo die in 79:20 stehende Formulierung „er [Gott] ließ ihn [Moses] das große Zeichen sehen“ auf Muḥammad bezogen wird). – Die Berufung Moses am Dornbusch (V. 16–19) erscheint in frühmekkanischer Periode nur hier.
Auf die Moses-Erzählung folgt ein polemischer ʾāyāt-Abschnitt (V. 27–33), der mit einer argumentativen Anrede an die Hörer (V. 27: „Wart ihr denn schwerer zu erschaffen oder der Himmel, den er baute …?“) jetzt direkt auf den V. 10–12 referierten Zweifel an der eschatologischen Auferstehung reagiert. Es folgt ein Hymnus über Gottes Erschaffung und Ausstattung des Kosmos (V. 27–29 Himmel, V. 30–32 Erde).
Teil III (V. 34–46) kehrt zurück zu den im ersten Teil der Sure geschilderten Ereignissen der Endzeit: Während dort das Hereinbrechen des Weltendes und die angstvolle Reaktion des Menschen darauf geschildert wurde, folgt nun die Aburteilung der Menschen und ihre Bestrafung bzw. Belohnung. Wie das zweite Gesätz von Teil I setzt auch Teil III mit einem eschatologischen Temporalsatz ein, der aus zwei aufeinanderfolgenden Vordersätzen (V. 34: ʾiḏā, V. 35.36: yauma) gebildet ist. Bemerkenswert ist dabei, dass die Einsicht des Menschen in seine Lage (V. 35: yauma yataḏakkaru l-ʾinsānu mā saʿā) wie auch die Gerichtsvorbereitung (V. 36: wa-burrizati l-ǧaḥīmu li-man yarā) sonst üblicherweise Inhalt des mit yaumaʾiḏin eingeleiteten Nachsatzes sind (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 406).
Der Text endet wie viele spätere Suren mit einer Anrede des Verkünders. Die literaturgeschichtliche Keimzelle solcher Prophetenanreden dürfte in den die Trostsuren 93 (V. 9–11), 94 (V. 7.8) und 108 (V. 2) abschließenden Imperativen liegen, die Muḥammad zu wohltätigem Handeln gegenüber Waisen und Bettlern sowie zum Dank gegenüber Gott und zur Verkündigung der von diesem empfangenen Wohltaten auffordern. Bereits dort lässt sich eine doppelte Autorisierungswirkung solcher Aufrufe feststellen: Einerseits unterstreichen sie, dass die Korantexte als unmittelbare Gottesrede anzusehen sind, andererseits betonen sie die herausgehobene Stellung des Verkünders, dem eine individuelle Anrede seitens der Gottheit zuteil wird. Es handelt sich also um eine literarische Form mit weitreichenden prophetologischen Implikationen, die in Gruppe II der frühmekkanischen Suren als wirkungsvolles Mittel der Auseinandersetzung mit Gegnern refunktionalisiert wird – was formal daran erkennbar ist, dass derartige Verkünderanreden jetzt Objektausdrücke der dritten Person Plural enthalten (vgl. 87:17: „So gewähre den Ungläubigen Aufschub, gewähre ihnen ein wenig Aufschub!“, 84:24: „So verkünde ihnen eine schmerzhafte Strafe!“ und 88:21–24: „So mahne! Du bist ein Mahner, / du hast keine Gewalt über sie.“; s. a. 96:19, wo von einem prototypischen Widersacher im Singular die Rede ist: „Nein, gehorche ihm nicht! Knie nieder und nahe dich!“). In diese Tendenz einer zunehmenden polemischen Indienstnahme der literarischen Form der Verkünderanrede gehört auch die vorliegende, zu Gruppe IIIa zählende Passage 79:42–46, die erstmals einen direkten Einwand der Gegner – nämlich die spöttische Frage nach dem genauen Zeitpunkt des Weltendes in V. 42 – wiedergibt. In seiner Wortwahl verweist er auf V. 32 zurück: Der selbe Gott, der die Berge gegründet hat, ist es auch, der den Zeitpunkt des Weltendes festgelegt hat (Robinson 2003, 187). Innerhalb von Q 79 waren die Gegner bereits in V. 10–12 mit einem zweifelnden Kommentar über die angedrohte Auferstehung der Toten zu Wort gekommen; das Schlussgesätz nimmt damit das in V. 10 begonnene und dann dem gesamten zweiten Surenteil unterliegende Streitgespräch wieder auf. Gegen den an den Verkünder herangetragenen Anspruch auf chronologisch präzise apokalyptische Voraussagen (V. 43) wird noch einmal seine spezifische Rolle als Warner klargestellt (V. 45), die nicht die Kompetenz zu einer genauen zeitlichen Ankündigung des Weltendes umfasst (V. 44).
Der abschließende eschatologische Temporalsatz (V. 46: „Am Tag, da sie sie erblicken, wird es sein, als hätten sie nur einen Abend verweilt oder den darauffolgenden Morgen“) betont erneut die Plötzlichkeit, mit der das Weltende eintreten wird und greift damit einen zentralen Gedanken des ersten Surenteils auf (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 403).
Literaturliste
Die bereits dreiteilige Sure entspricht mit einer Länge von 45 Versen und einer durchschnittlichen Verslänge von 10,9 Silben (ohne Berücksichtigung des eingeschobenen Verses 33, s. u.) in jeder Hinsicht dem Normaltypus von Gruppe IIIa. Eine literarische Nähe besteht inbesondere zu der – ebenfalls zu Gruppe IIIa zählenden – Sure 77, die ebenfalls von einer enigmatischen fāʿilāt-Serie mit sich anschließender eschatologischer Temporalsatzserie eingeleitet wird.
Vers 33 ist wahrscheinlich aus Q 80:32 eingedrungen. In Q 79 fällt er nicht nur dem Reim nach, sondern auch inhaltlich aus dem Rahmen (s. Neuwirth, Studien, 30 und 219 sowie Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 397): „Während er in Q 80:32 die kompositorische Funktion erfüllt, ein ganz unter den Aspekt der Nahrung (V. 24!) gestelltes ʾāyāt-Gesätz durch Angabe des Zweckes der erwähnten Wohltaten abzuschließen und darüber hinaus mit dem Anfangsvers des Gesätzes (V. 24) die Figur einer Reiminklusion bildet, steht er in Q 79 außerhalb jedes Zusammenhangs. Das Gesätz, dessen Schluss er bildet, ist in keinem besonderen Maße auf Nahrung bezogen (so nur V. 31), sondern hat die Funktion, in Fortführung der Straflegende die Übermacht Gottes gegenüber dem Menschen zu zeigen (V. 24–27). Darüber hinaus wirkt der Vers unmittelbar nach der kosmologischen Aussage in V. 32:wa-l-ǧibāla ʾarsāhā (‚und gründete die Berge fest‘) wenig passend.“ Gegen diese Argumentation ließe sich allenfalls einwenden, dass der Vers u. U. gar nicht primär an V. 32, sondern an V. 31 anknüpft und seine Position nur der Tatsache verdankt, dass ansonsten das Verspaar V. 31.32 aufgesprengt würde. Auch damit ist jedoch noch nicht die reimliche Sonderstellung des Verses erklärt.
Will man mit Neuwirth V. 40 (wa-ʾammā man ḫāfa maqāma rabbihī wa-nahă n-nafsa ʿani l-hawā) analog zu V. 37.38 (fa-ʾammā man ṭaġā / wa-ʾāṯara l-ḥayāta d-dunyā) in zwei Verse teilen (s. die Anmerkung zu V. 40), so ist es erforderlich, die Genitivverbindung maqāma rabbihī als nachträglichen Zusatz aufzufassen, da die erste Vershälfte andernfalls keinen Reim mit der Umgebung aufwiese (Neuwirth, Studien, 30). Gegen das Vorliegen eines Einschubs spricht allerdings 55:46 (wa-li-man ḫāfa maqāma rabbihī ǧannatān), wo das Verb ḫāfa ebenfalls das Akkusativobjekt maqāma rabbihī regiert; hinzu kommt, das es sich im Koran bei späteren Zusätzen üblicherweise um ganze Verse und nicht lediglich um Versteile handelt. Da die Ausscheidung von maqāma rabbihī folglich auf eher unsicheren Füßen steht, empfiehlt es sich, aus Gründen textkritischer Vorsicht an der traditionellen Gestalt von V. 40 festzuhalten.
Zu Bells Analyse der Sure, die den Text auf für ihn charakteristische Weise als Pastiche sekundär zusammengefügter Fragmente auffasst, s. die Zusammenfassung und kritische Diskussion bei Robinson 2003, 86 f. und 177–188, wo auch die ebenfalls spekulativ anmutende literarkritische Analyse von Crapon de Caprona 1981, 407–420 erörtert wird.
Die Sure ist dreiteilig. Ohne den wohl nachträglich eingedrungenen Vers 33 (s. o., Literarkritik) und unter Berücksichtigung des Versendes nach 40a (s. o., Anmerkungen) ergeben sich klare Proportionen: Die beiden Gesätze des Anfangs- und Schlussteils stehen längenmäßig in chiastischer Entsprechung, während sich der Mittelteil aus drei Sechsergruppen zusammensetzt. Mit der Positionierung der Straflegende in den Mittelteil der Sure bildet Q 79 ein frühes Beispiel für das später übliche Modell der dreiteiligen Suren, die eine biblische Erzählung ins Zentrum stellen und von einem variabel gestalteten Anfangsteil und einem durch eine Prophetenanrede bzw. Offenbarungsbestätigung gefüllten Schlussteil umrahmt sind (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 411). In frühmekkanischer Zeit begegnet ein mit Q 79 vergleichbares Aufbauschema sonst noch in Q 51 und 68: eine in zwei symmetrische Hälften zerfallende Erzählung (Doppelstrophe) – die hier und in Q 51 noch durch zusätzliche Anspielungen auf Straflegenden bzw. durch Schöpfungs-ʾāyāt ausgebaut wird – steht zwischen zwei sich entsprechenden und aufeinander Bezug nehmenden Rahmenteilen (s. Neuwirth, Studien, 218 f.). Die eschatologisch geprägten Rahmenteile von Q 79 stehen überdies in sachlichem Bezug zur Straferzählung des Mittelteils. Die einzelnen Gesätze der Sure sind durch jeweils eigene Reimschemata markiert; nur zwischen dem dritten und vierten Gesätz findet sich kein Reimwechsel. Zum Reimprofil s. ausführlicher Robinson 2003, 185 ff.
Thematisches Zentrum der Sure ist das Weltende und insbesondere die unvorhersehbare Plötzlichkeit seines Eintretens. Die einleitende Schwurserie präfiguriert die Endzeitkatastrophe durch einen ebenso unvermittelt hereinbrechenden Reiterüberfall (V. 1–5), wobei im zweiten Gesätz dann ausdrücklich die Rede vom Jüngsten Gericht ist. Diese Gerichtsbotschaft stößt jedoch auf einen ungläubigen Kommentar (V. 10 ff.). Der zweite Teil unterbricht die eschatologische Darstellung deshalb zunächst und hält den koranischen Gegnern eine Art historischen „Spiegel“ vor (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 409): Anhand des anmaßenden Verhaltens von Pharao veranschaulicht die Erzählung im dritten und vierten Gesätz die fatalen Folgen von „Leugnen“ und „Sich-Widersetzen“ (V. 21) (s. zum inhaltlichen Zusammenhang der Moses-Episode mit dem Vorangehenden auch Robinson 2003, 184). Das fünfte Gesätz fügt diesem historischen Argument eine hymnische Bekräftigung der sich in der Schöpfung erweisenden göttlichen Macht an (V. 27–32). Der dritte Teil kehrt erneut zur Darstellung der eschatologischen Geschehnisse zurück: Nachdem das Hereinbrechen des Weltendes und die angstvolle Erwartung der zu richtenden Menschen bereits in den ersten beiden Gesätzen thematisiert wurden, folgt nun der Gerichtsakt selbst, der die Menschen dem „Höllenbrand“ (V. 36) oder dem Paradies (V. 41) zuweist. Das Schlussgesätz (V. 42–46) stellt klar, dass der Verkünder nicht zu einer präzisen zeitlichen Ankündigung der im Mittelpunkt der Sure stehenden endzeitlichen Ereignisse ermächtigt ist, wie sie offenbar von seinen Hörern eingefordert wird (V. 42); sein Unvermögen zu einer solchen Vorhersage stellt deshalb kein Gegenargument gegen die Richtigkeit der koranischen Gerichtsbotschaft dar.
Überblick
I Schwüre, Eschatologie | |
1–5 3KKā (in V. 15 variiert zu 2Kā)(zumeist Explosive) | 1 1–5 Schwur (fāʿilāt-Serie) |
6–14 āKiKah | 2 6.7 eschatologischer Temporalsatz (yauma-Nachsatz) |
8.9 eschatologischer Nachsatz | |
10–12 gegnerische Einwände | |
13.14 Warnspruch | |
II Straflegende, Lehren aus der Schöpfung | |
15–26 3(K)Kā | 3 15 Lehrfrage |
16–20 Straflegende: Sendung Moses zu Pharao (mit qul-Anweisung in V. 18) | |
4 21–25 Forts. Straflegende: Pharaos Ablehnung der Sendung und Bestrafung | |
26 selbstreferentieller Kommentar | |
27–32 āhā | 5 27–32 polemische Frage, Werkaffirmationen |
33 āmikum | [33 Zusatz] |
III Eschatologie, Anrede des Verkünders | |
34–41 3(K)Kā | 6 34 eschatologischer Temporalsatz (ʾiḏā-Vordersatz) |
35.36 eschatologische Temporalsatz (yauma-Vordersatz) | |
37–41 eschatologischer Nachsatz (Antithese: V. 37–39: Negativteil, V. 40a.40b.41: Positivteil) | |
42–46 āhā | 7 42 gegnerische Frage |
43.44 Entgegnung: polemische Frage (V. 43) und theologische Prädikation (V. 44) | |
45 Verkünderprädikation | |
46 eschatologischer Temporalsatz (yauma) mit Nachsatz |
Proportionen (ohne V. 33):
Teil I: 14 Verse | Teil II: 18 Verse | Teil III: 13 Verse |
5+9 | 6+6+6 | 8+5 |