بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
عَمَّ يَتَسَآءَلُونَ |
I11 Wonach fragen sie einander? |
عَنِ ٱلنَّبَإِ ٱلۡعَظِيمِ |
2 Nach der gewaltigen Kunde, |
ٱلَّذِی هُمۡ فِيهِ مُخۡتَلِفُونَ |
3 über die sie uneins sind. |
كَلَّا سَيَعۡلَمُونَ |
4 Doch nein, sie werden erfahren! |
ثُمَّ كَلَّا سَيَعۡلَمُونَ |
5 Nochmals: Doch nein, sie werden erfahren! |
أَلَمۡ نَجۡعَلِ ٱلۡأَرۡضَ مِهَٰدًۭا |
II26 Haben wir die Erde nicht zu einer ebenen Fläche gemacht |
وَٱلۡجِبَالَ أَوۡتَادًۭا |
7 und die Berge zu Zeltpflöcken? |
وَخَلَقۡنَٰكُمۡ أَزۡوَٰجًۭا |
8 Haben wir euch nicht als Paare geschaffen |
وَجَعَلۡنَا نَوۡمَكُمۡ سُبَاتًۭا |
9 und euch den Schlaf zur Ruhe gemacht? |
وَجَعَلۡنَا ٱلَّيۡلَ لِبَاسًۭا |
10 Haben wir nicht die Nacht zu einem Gewand gemacht |
وَجَعَلۡنَا ٱلنَّهَارَ مَعَاشًۭا |
11 und den Tag zum Lebensunterhalt? |
وَبَنَيۡنَا فَوۡقَكُمۡ سَبۡعًۭا شِدَادًۭا |
12 Haben wir nicht über euch sieben Festen erbaut |
وَجَعَلۡنَا سِرَاجًۭا وَهَّاجًۭا |
13 und eine hell leuchtende Lampe gemacht? |
وَأَنزَلۡنَا مِنَ ٱلۡمُعۡصِرَٰتِ مَآءًۭ ثَجَّاجًۭا |
14 Haben wir nicht von den Regenwolken strömendes Wasser herabgesandt, |
لِّنُخۡرِجَ بِهِۦ حَبًّۭا وَنَبَاتًۭا |
15 um damit Korn und Pflanzen hervorzubringen |
وَجَنَّٰتٍ أَلۡفَافًا |
16 und dicht bewachsene Gärten? |
إِنَّ يَوۡمَ ٱلۡفَصۡلِ كَانَ مِيقَٰتًۭا |
III317 Wahrlich, der Tag der Entscheidung ist ein festgesetzter Zeitpunkt. |
يَوۡمَ يُنفَخُ فِی ٱلصُّورِ فَتَأۡتُونَ أَفۡوَاجًۭا |
18 Am Tag, da die Posaune geblasen wird und ihr in Scharen kommt, |
وَفُتِحَتِ ٱلسَّمَآءُ فَكَانَتۡ أَبۡوَٰبًۭا |
19 da der Himmel sich öffnet und zu Toren wird, |
وَسُيِّرَتِ ٱلۡجِبَالُ فَكَانَتۡ سَرَابًا |
20 und die Berge in Bewegung geraten und zu einer Luftspiegelung werden. |
إِنَّ جَهَنَّمَ كَانَتۡ مِرۡصَادًۭا |
421 Wahrlich, die Hölle liegt auf der Lauer, |
لِّلطَّٰغِينَ مَـَٔابًۭا |
22 ein Ort der Heimkehr für die Aufsässigen, |
لَّٰبِثِينَ فِيهَآ أَحۡقَابًۭا |
23 in der sie ganze Zeitalter verweilen |
لَّا يَذُوقُونَ فِيهَا بَرۡدًۭا وَلَا شَرَابًا |
24 und wo sie weder Kühle noch Trank kosten, |
إِلَّا حَمِيمًۭا وَغَسَّاقًۭا |
25 nur heißes Wasser und Eiter |
جَزَآءًۭ وِفَاقًا |
26 als angemessene Vergeltung. |
إِنَّهُمۡ كَانُوا۟ لَا يَرۡجُونَ حِسَابًۭا |
527 Wahrlich, sie haben keine Abrechnung erwartet |
وَكَذَّبُوا۟ بِـَٔايَٰتِنَا كِذَّابًۭا |
28 und unsere Zeichen hartnäckig geleugnet. |
وَكُلَّ شَىۡءٍ أَحۡصَيۡنَٰهُ كِتَٰبًۭا |
29 Wir aber haben alles in einer Schrift verzeichnet. |
فَذُوقُوا۟ فَلَن نَّزِيدَكُمۡ إِلَّا عَذَابًا |
30 „So kostet nur, wir reichen euch nur noch weitere Strafe nach!“ |
إِنَّ لِلۡمُتَّقِينَ مَفَازًا |
631 Wahrlich, die Gottesfürchtigen haben einen Ort des Sieges, |
حَدَآئِقَ وَأَعۡنَٰبًۭا |
32 Gärten und Rebstöcke, |
وَكَوَاعِبَ أَتۡرَابًۭا |
33 vollbusige Frauen von gleichem Alter |
وَكَأۡسًۭا دِهَاقًۭا |
34 und einen gefüllten Kelch. |
لَّا يَسۡمَعُونَ فِيهَا لَغۡوًۭا وَلَا كِذَّٰبًۭا |
35 Sie hören dort weder Geschwätz noch Leugnen, |
جَزَآءًۭ مِّن رَّبِّكَ عَطَآءً حِسَابًۭا |
36 als Vergeltung von deinem Herrn, als Gabe und Abrechnung, |
رَّبِّ ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضِ وَمَا بَيۡنَهُمَا ٱلرَّحۡمَٰنِ |
737 vom Herrn der Himmel und der Erde und dessen, was dazwischen ist, dem Barmherzigen; |
لَا يَمۡلِكُونَ مِنۡهُ خِطَابًۭا |
niemand vermag ihn anzureden. |
يَوۡمَ يَقُومُ ٱلرُّوحُ وَٱلۡمَلَٰٓئِكَةُ صَفًّۭا ۖ |
38 Am Tag, an dem der Geist und die Engel in einer Reihe stehen, |
لَّا يَتَكَلَّمُونَ إِلَّا مَنۡ أَذِنَ لَهُ ٱلرَّحۡمَٰنُ وَقَالَ صَوَابًۭا |
sprechen sie nur dann, wenn der Barmherzige es einem erlaubt und er sagt, was recht ist. |
ذَٰلِكَ ٱلۡيَوۡمُ ٱلۡحَقُّ ۖ |
39 Dieser Tag ist die Wahrheit; |
فَمَن شَآءَ ٱتَّخَذَ إِلَىٰ رَبِّهِۦ مَـَٔابًا |
wer da will, kehrt heim zu seinem Herrn. |
إِنَّآ أَنذَرۡنَٰكُمۡ عَذَابًۭا قَرِيبًۭا |
40 Wahrlich, wir haben euch vor einer nahen Strafe gewarnt, |
يَوۡمَ يَنظُرُ ٱلۡمَرۡءُ مَا قَدَّمَتۡ يَدَاهُ |
am Tag, da ein jeder zu sehen bekommt, was seine Hände getan haben, |
وَيَقُولُ ٱلۡكَافِرُ يَٰلَيۡتَنِی كُنتُ تُرَٰبًا |
und der Ungläubige sagt: „Wäre ich doch Staub!“ |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
ʿamma yatasāʾalūn] Vgl. 70:1 ff. (saʾala sāʾilun bi-ʿaḏābin wāqiʿ ...) und 79:42 (yasʾalūnaka ʿani s-sāʿati ʾayyāna mursāhā), wo ebenfalls auf durch die Hörer geäußerte Fragen zum Jüngsten Gericht Bezug genommen wird; s. a. die Anmerkung zu 79:42 mit weiteren Stellen. – Nichtkanonische Leser wie Ubayy und Ibn Masʿūd lesen ʿammā statt ʿamma (Muʿǧam, ad loc.). Robinson (Discovering, 170 und 315, Anm. 20) hält dies für den ursprünglichen Wortlaut und will den in der heutigen Textgestalt stehenden Kurzvokal damit erkläre, dass ein langes ā in alten Koranmanuskripten häufig nicht eigens markiert wird.
kallā sa-yaʿlamūn / ṯumma kallā sa-yaʿlamūn] Vgl. insb. 102:3–5 (kallā saufa taʿlamūn / ṯumma kallā saufa taʿlamūn / kallā lau taʿlamūna ʿilma l-yaqīn). Auch zu den vorliegenden beiden Versen existiert eine Lesung in der 2. Person (Muʿǧam, ad loc.). Die nachdrückliche Wiederholung einer Drohung (oder einer drohenden Frage) mit ṯumma begegnet in frühmekkanischer Zeit auch sonst noch, s. in Q 102 noch V. 7 sowie 74:20, 75:35 und 82:18.
Die ʾāyāt-Serie lehnt sich in Teilen an Psalm 104:1–28 an (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 458 und 469–473; vgl. a. TUK, Nr. 188):
Psalm 104: | Entsprechungen in Q 78: |
1 Lobe den Herrn, meine Seele! / Herr, mein Gott, wie groß bist du! / Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet. | |
2 Du hüllst dich in Licht wie in ein Kleid, / du spannst den Himmel aus wie ein Zelt. | V. 7 (Berge als Zeltpflöcke) |
3 Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. / Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, / du fährst einher auf den Flügeln des Sturmes. | |
4 Du machst dir die Winde zu Boten / und lodernde Feuer zu deinen Dienern. | |
5 Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet; / in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken. [...] | V. 7 (Berge als Zeltpflöcke) |
13 Du tränkst die Berge aus deinen Kammern, / aus deinen Wolken wird die Erde satt. | V. 14 („Haben wir nicht von den Regenwolken strömendes Wasser herabgesandt?“); vgl. auch die Erwähnung der Berge in V. 7 |
14 Du lässt Gras wachsen für das Vieh, / auch Pflanzen für den Menschen, die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde. [...] | V. 15.16 (Gott sendet Regen, „um damit Korn und Pflanzen hervorzubringen / und dicht bewachsene Gärten“) |
19 Du hast den Mond gemacht als Maß für die Zeiten, / die Sonne weiß, wann sie untergeht. | V. 19 (Gott hat die Sonne als „hell leuchtende Lampe“ gemacht) |
20 Du sendest Finsternis und es wird Nacht, / dann regen sich alle Tiere des Waldes. [...] | V. 10 („Haben wir euch nicht die Nacht zu einem Gewand gemacht?“) |
22 Strahlt die Sonne dann auf, so schleichen sie heim / und lagern sich in ihren Verstecken. | V. 19 (Sonne als „hell leuchtende Lampe“ geschaffen) |
23 Nun geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, / an seine Arbeit bis zum Abend. [...] | V. 11 (Gott hat „den Tag zum Lebensunterhalt“ gemacht) |
mihād] Überliefert ist auch die Lesung mahd (Muʿǧam, ad loc.). Mihād wird von Paret und Zirker mit „Lager“ übersetzt, was den Lexika zufolge in der Tat die primäre Bedeutung von mahd bzw. mihād zu sein scheint. Die von der Wurzel m-h-d ausgedrückte Konnotation ist dabei die des Ebenseins (mahada) bzw. Ebenmachens (mahhada), vgl. den frühmekkanischen Vers 51:48, wo mahada synonym mit faraša gebraucht wird (wa-l-ʾarḍa farašnāhā fa-niʿma l-māhidūn, „Die Erde haben wir ausgebreitet – wie gut haben wir sie geebnet!“). Andere Stellen verknüpfen den Ausdruck mahd mit dem Vorhandensein von Wegen, auf denen der Mensch die Erde bereisen kann, vgl. in mittelmekkanischer Zeit 20:53 und 43:10 (jeweils mit der Formulierung allaḏī ǧaʿala lakumu l-ʾarḍa mahdan wa-ǧaʿala lakum fīhā subulan); die Begehbarkeit der Erde wird auch schon in dem frühmekkanischen Vers 71:19.20 hervorgehoben, allerdings ohne dass dabei die Wurzel m-h-d verwendet würde (wa-llāhu ǧaʿala lakumu l-ʾarḍa bisāṭā / li-taslukū minhā subulan fiǧāǧā). Angesichts dieser Parallelen dürfte der koranische Gebrauch von mahd / mihād im Zusammenhang mit der Schöpfung deshalb vor allem auf gottgewährte Mobilität des Menschen in seiner natürlichen Umwelt abzielen und weniger darauf, dass der Mensch auf der Erde „ruht“, d. h. statisch verharrt. Um diese Konnotation sichtbar zu machen, wurde als Übersetzung nicht „Lager“, sondern in Anlehnung an Bell und Abdel Haleem („flat expanse“ bzw. „smooth“) „ebene Fläche“ gewählt. Anders verhält es sich mit Stellen wie 38:56 oder 7:41, welche die Hölle als mihād qualifizieren und wo nur die Übersetzung „Lager“ in Frage kommt. – Zum Bild der Erde als glatt ausgelegter Fläche s. neben den oben zitierten Parallenstellen noch den frühmekkanischen Vers 79:30 (wa-l-ʾarḍa baʿda ḏālika daḥāhā).
wa-l-ǧibāla ʾautādā] Vgl. 77:27 (wa-ǧaʿalnā fīhā rawāsiya šāmiḫātin wa-ʾasqainākum māʾan furātā). Berge stehen sonst für die Festigkeit des Kosmos (vgl. etwa 79:32: wa-l-ǧibāla ʾarsāhā), während sie hier als Pflöcke des Himmelszeltes fungieren. Die Funktion des Himmels als Dach wird in Q 79:27.28 (ʾa-ʾantum ʾašaddu ḫalqan ʾami s-samāʾu banāhā / rafaʿa samkahā fa-sawwāhā) expliziert (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 458; zum biblischen Bezug des Zelt-Bilds s. auch Pietruschka, „Tents and Tent Pegs“, EQ).
wa-ḫalaqnākum ʾazwāǧā] Evokationen der menschlichen Geschlechterdualität finden sich frühmekkanisch sonst noch in Q 92:3 (wa-mā ḫalaqa ḏ-ḏakara wa-l-ʾunṯā), 75:39 (fa-ǧaʿala minhu z-zauǧaini ḏ-ḏakara wa-l-ʾunṯā) und 53:45 (wa-ʾannahū ḫalaqa z-zauǧaini ḏ-ḏakara wa-l-ʾunṯā); s. die Anmerkung zu 92:3. Vgl. auch den Bezug auf menschliche Fortpflanzung in 90:3. Zum Verb ḫalaqa vgl. die Anmerkung zu 96:1.2.
wa-banainā fauqakum] Vgl. zum Himmel als Bauwerk 91:5 (wa-s-samāʾi wa-mā banāhā), 79:27.28 (ʾa-ʾantum ʾašaddu ḫalqan ʾami s-samāʾu banāhā) und 51:47 (wa-s-samāʾa banaināhā bi-ʾaidin wa-ʾinnā la-mūsiʿūn).
sabʿan šidādā] Gemeint sind die sieben Planetensphären; vgl. mittelmekkanisch 71:15 (ʾa-lam tarau kaifa ḫalaqa llāhu sabʿa samāwātin ṭibāqā; wie im vorliegenden Vers folgt ein Verweis auf die Sonne), 23:86 (qul man rabbu s-samāwāti s-sabʿi wa-rabbu l-ʿarši l-ʿaẓīm) und 67:3 (allaḏī ḫalaqa sabʿa samāwātin ṭibāqan); in 23:17 (Mekka II) ist von „sieben Wegen“ (sabʿ ṭarāʾiq) die Rede. Wie z. B. auch in 77:27 wird hier ein unausgesprochenes Substantiv attributiv paraphrasiert, ein in der altarabischen Dichtung häufiges Stilmittel (vgl. Bauer 1992, 172–180). Zum babylonischen Hintergrund der Formulierung vgl. Speyer, Biblische Erzählungen, 11 ff.; zur koranischen Kosmologie s. allg. Neuwirth, „Cosmology“, EQ.
wa-ǧaʿalnā sirāǧan wahhāǧā] Vgl. 71:16, wo wie im vorliegenden Vers im Anschluss an einen Verweis auf die sieben Himmel die Sonne als Leuchte erwähnt wird (wa-ǧaʿala l-qamara fīhinna nūran wa-ǧaʿala š-šamsa sirāǧā); anderswo (etwa in 55:5) wird als Funktion der Sonne speziell die Zeitrechnung genannt (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 459). Zur Sonne im Koran s. allg. Kunitzsch, „Sun“, EQ.
wa-ʾanzalnā mina l-muʿṣirātin māʾan ṯaǧǧāǧā] Da Regen kein einmaliges historisches Phänomen ist, ist das Perfekt aspektuell und nicht temporal zu deuten (wobei „Aspekt“ hier die Opposition zwischen einer Vorstellung der Verbalhandlung „als im Verlauf befindlich“ oder aber „als Ganzes überschaubar“ bezeichnen soll; s. Reuschel 1996, 17); vgl. a. 87:2–5, 96:1.2.4.5. – Dass Gott „Wasser herabkommen lässt (ʾanzala / nazzala)“, wird zu einem koranischen Topos, der hier zum ersten Mal erscheint; vgl. etwa in mittelmekkanischer Zeit die Wiederaufnahme von 78:14–16 in 50:9 (wa-nazzalnā mina s-samāʾi māʾan mubārakan fa-ʾanbatnā bihī ǧannātin wa-ḥabba l-ḥaṣīd; von ḥabb ist in der vorliegenden Sure in V. 15 die Rede, von ǧannāt in V. 16) und ähnlich in 27:60 (weitere Stellen bei Paret, Kommentar, zu 6:99). Al-muʿṣirāt ist ein hapax legomenon (das Verbalsubstantiv ʾiʿṣār erscheint in dem medinensischen Vers 2:266); vgl. die Wendung ʾaʿṣarat as-saḥāʾib, „The clouds were at the point of having rain pressed forth from them by the wind“ (Lane, Bd. 5, 2061c). In der islamischen Kommentarliteratur wird der Ausdruck nicht nur auf die Wolken, sondern auch auf die Winde bezogen, welche die Wolken zum Abregnen bringen (von manchen Exegeten auch auf den Himmel selbst; vgl. Ṭabarī, ad loc.). Doch dürfte die erste Alternative die wahrscheinlichere sein. Vgl. Fleisch 1990, Bd.2, 302 f., zu weiteren nicht-kausativen Verwendungen des IV. Verbalstammes, mit denen sich ʾaʿṣara u. U. in Verbindung bringen ließe (z. B. ʾaṭlaba, „sich bitten lassen“).
wa-ǧannātin ʾalfāfā] Ǧanna bezeichnet hier nicht – wie sonst im Koran – das Paradies (vgl. Anmerkung zu 81:13), sondern ein Phänomen der realen Lebenswelt (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 460). Alfāf wird von den islamischen Exegeten mit multaffa, „miteinander verwachsen“ paraphrasiert (vgl. Ṭabarī, ad loc.; zu iltaffa s. Lane, Bd. 7, 3011b). Ṭabarī deutet den Ausdruck als Plural von laffun bzw. lafīfun (wobei letzteres auch koranisch bezeugt ist, s. 17:104: ǧiʾnā bikum lafīfā), doch handelt es sich wohl eher um eine Plurale tantum (s. WKAS, s. v. l-f-f: „verschlungene Bäume, Dickicht“). Das Wort steht in Apposition zu ǧannāt. Die Übersetzung folgt Bobzin 2005, 85.
yauma l-faṣli] Die Wendung yaum al-faṣl begegnet frühmekkanisch noch in 77:13.14.38 (li-yaumi l-faṣl / wa-mā ʾadrāka mā yaumu l-faṣl / hāḏā yaumu l-faṣli ǧamaʿnākum wa-l-ʾawwalīn); vgl. mittelmekkanisch 37:21 und 44:40. Zum biblischen Hintergrund s. die ausführliche Anmerkung zu 77:13.
yauma yunfaḫu fĭ ṣ-ṣūri] Die Vorstellung eines eschatologischen Posaunenstoßes ist biblisch, vgl. insb. die sieben Posaunen aus der Offenbarung des Johannes 8:6–11:19 sowie Paulus’ 1. Brief an die Thessalonicher 4:16: „Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt“ (s. TUK, Nr. 123 und 492). Auch in nachbiblischer Zeit ist das Motiv noch präsent, wie exemplarisch ein von Yousef Kouriyhe identifizierter Text Jakobs von Serug belegt (TUK, Nr. 534). Im Koran ist an insgesamt elf Stellen von einem endzeitlichen Posaunenstoß die Rede (Stellen bei Paret, Kommentar, zu 6:73), es handelt sich also auch hier um einen regelrechten Topos. Erstmals begegnet er in den Gruppen IIIa und IIIb der frühmekkanischen Suren, vgl. 69:13 (fa-ʾiḏā nufiḫa fĭ ṣ-ṣūri nafḫatun wāḥidah; IIIb) und mit anderer Diktion 74:8 (fa-ʾiḏā nuqira fĭ n-nāqūr; IIIa). Vgl. a. die Anmerkung zu 79:13.
wa-suyyirati l-ǧibālu fa-kānat sarābā] Zur Verbindung von Bergen mit sayyara bzw. sāra vgl. frühmekkanisch noch 81:3 (wa-ʾiḏă l-ǧibālu suyyirat) und 52:10 (wa-tasīru l-ǧibālu sairā), mittelmekkanisch s. a. 18:47 (wa-yauma nusayyiru l-ǧibāla). Vgl. die ausführliche Anmerkung zu 81:3, wo auch eine ähnliche Stelle aus der Johannesapokalypse zitiert wird. Luxenberg 2000, 156–162, will den Vers durch Rekurs auf das Syrische zu wa-suttirati l-ǧibālu fa-kānat sarāyā („und die Berge stürzen zusammen und lösen sich auf“) emendieren – eine Konjektur, deren semantischer Gewinn schwer erkennbar ist. Die Tatsache, dass anderswo (etwa 19:90 und 56:5.6) eine dieser emendierten Fassung ähnelnde Vorstellung ohne syrische Entlehnungen ausgedrückt wird, ist nicht, wie Luxenberg meint, ein Beleg für die Richtigkeit seiner Umlesung, sondern eher ein Gegenargument. Luxenberg nimmt überdies nicht zur Kenntnis, dass es sich bei 78:20 um einen koranischen Topos handelt. Die von ihm postulierte Verlesung müsste also an allen oben zitierten Stellen stattgefunden haben.
ʾinna ǧahannama kānat mirṣādā] Vgl. 89:14, wo von Gott selbst als „auf der Lauer liegend“ die Rede ist (ʾinna rabbaka la-bi-l-mirṣād). Der vorliegende Vers (Gruppe IIIa) stellt die früheste koranische Verwendung des Wortes ǧahannam dar; in Gruppe I und II wird die Hölle noch mit den Begriffen ǧaḥīm (vgl. 102:6 mit Anmerkung), saʿīr (84:12) und vor allem nār (111:3, 104:6, 101:11, 92:14, 90:20, 88:4, 87:12, 85:5; s. die Anmerkung zu 111:3) umschrieben. Vgl. als weitere Belege zu ǧahannam in Gruppe IIIb 55:43 (hāḏihī ǧahannamu llatī yukaḏḏibu bihă l-muǧrimūn), 52:13 (yauma yudaʿʿūna ʾilă n-nāri ǧahannama daʿʿā); 89:23 (wa-ǧīʾa yaumaʾiḏin bi-ǧahannama yaumaʾiḏin yataḏakkaru l-ʾinsānu wa-ʾannā lahu ḏ-ḏikrā) und 85:10 (ʾinna llaḏīna fatanŭ l-muʾminīna wa-l-muʾmināti ṯumma lam yatūbū fa-lahum ʿaḏābu ǧahannama wa-lahum ʿaḏābu l-ḥarīq) sind beides spätere Zusätze (vgl. die Kommentare zu Q 85 und 89). Arab. ǧahannam geht letzten Endes auf hebr. gêhinnom zurück, das „Hinnomtal“ bei Jerusalem, welches in der frühjüdischen Apokalyptik von der Jerusalemer Topographie abgelöst und zur Bezeichnung für die Hölle wird (vgl. Frevel 2006). Direkter Vorläufer der arabischen Form ist aber wohl nicht das hebräische Wort oder seine talmudische Variante gehinnām, sondern das in der Vokalisierung identische äthiopische gahannam (Nöldeke 1910, 47; Jeffery, Foreign Vocabulary, 105 f.).
li-ṭ-ṭāġīna maʾābā] Vgl. mittelmekkanisch 38:55 (hāḏā wa-ʾinna li-ṭ-ṭāġīna la-šarra maʾāb).
lā yaḏūqūna fīhā bardan wa-lā šarābā / ʾillā hamīman wa-ġassāqā] Zum Motiv einer invertierten Gastfreundschaft in der Hölle (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 461) vgl. in Gruppe IIIa 77:41–46, in IIIb 56:52–55.
bard] „Kühle“. Manche islamische Exegeten paraphrasieren das Wort mit „Schlaf“ und führen sogar entsprechende Belege aus der Dichtung an. Tatsächlich dürfte es sich dabei um eine willkürliche Stipulation handeln, mit der die Vorstellung einer Bestrafung der Verdammten durch ewigen Schlafentzug in den Korantext eingeschrieben wird. S. hierzu und allgemein zur islamischen Exegese von V. 24.25Rippin 1983.
ḥamīmun wa-ġassāq] Ḥamīm bedeutet wörtlich „heiß“ (in einer zweiten Bedeutung = „Freund“); angesichts von Stellen wie 55:44 (yaṭūfūna bainahā wa-baina ḥamīmin ʾān), 56:42.54.93 (fī samūmin wa-ḥamīm), (fa-šāribūna ʿalaihi mina l-ḥamīm) (fa-nuzulun min ḥamīm) (Mekka I), 6:70 und 10:4 (beide: šarābun min ḥamīm, Mekka III) ist anzunehmen, dass ḥamīm als Bezeichnung einer Höllenstrafe immer erhitztes Wasser bezeichnet, welches den Verdammten zu trinken gegeben oder über ihre Köpfe gegossen wird o. Ä (44:48, Mekka II). Während der Ausdruck ḥamīm auch ohne ġassāq auftritt und sich im Koran insgesamt über zehn Belege für ihn finden, erscheint ġassāq (vier der sieben kanonischen Leser haben ġasāq) nur an zwei Stellen (78:25 und 38:27), und zwar stets in Verbindung mit ḥamīm. Es liegt deshalb nahe, dass auch ġassāq eine Flüssigkeit bezeichnet, zumal in beiden Fällen das Verb ḏāqa, „kosten“, steht. Von daher ist die in der islamischen Kommentarliteratur überlieferte Interpretation von ġassāq als Eiter (mā sāla min ṣadīdi ʾahli ǧahannam, „der Eiter, der an den Verdammten herunterläuft“ o. Ä.; vgl. Ṭabarī, ad loc., Nr. 36063 ff.; als Alternative findet sich ġassāq = „kalter Wind“) durchaus plausibel, zumal sie zusätzliche Bestätigung durch die lexikographisch nachgewiesene Wendung ġasaqa l-ǧurḥ, „Die Wunde eiterte, wässerte“ (Lane, Bd. 6, 2258a) erfährt (auch wenn lexikographische Belege gelehrte Konstruktionen sein können; s. hierzu Rippin 1983 und die Anmerkung zu V. 24). Stefan Schreiner bringt ġassāq in Verbindung mit der nordwestsemitischen Wurzel ʿ-ś-q und deutet das Wort auf dieser Grundlage als „Strafe, Folter“, s. Schreiner 1977. Die Verbindung von ḥamīm und ġassāq und ihr innerkoranischer Kontext machen jedoch eine spezifischere Bedeutung wahrscheinlich.
ʾinnahum kānū lā yarǧūna ḥisābā] Zu ḥisāb vgl. die Anmerkung zu 84:8.
wa-kaḏḏabū bi-ʾāyātinā kiḏḏābā] Zu den verschiedenen Gebrauchsweisen von kaḏḏaba vgl. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11. Zur Form kiḏḏāb (auch kiḏāb gelesen, s. Muʿǧam, ad loc.) als Infinitiv des zweiten Stammes kaḏḏaba, „leugnen“ (insb. Gottes Zeichen oder Offenbarungen) s. Lane, Bd. 7, 2599b und Rabin 1951, 37; dasselbe Wort wird auch in V. 35 verwendet. Zum Begriff der ʾāyāt s. die Anmerkung zu 74:16.
wa-kulla šaiʾin ʾaḥṣaināhu kitābā] Die Vorstellung von einem göttlichen Tatenregister, welches als Grundlage des Jüngsten Gerichts dient, erscheint bereits in der Offenbarung des Johannes 20:12 (vgl. Brady 1978): „Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und Bücher wurden aufgeschlagen; auch das Buch des Lebens wurde aufgeschlagen. Die Toten wurden nach ihren Werken gerichtet, nach dem, was in den Büchern aufgeschrieben war.“ Zu altorientalischen Parallelen s. Jeffery 1952, 11 f. Bemerkenswerterweise ist die Vorstellung von einem himmlischen kitāb, auf dessen Grundlage der Einzelne am Jüngsten Tag abgeurteilt wird, bereits in der vorkoranischen arabischen Literatur, nämlich in einem Vers der Muʿallaqa des Zuhair, bezeugt, dessen Authentizität allerdings schwer zu beurteilen ist (s. die Anmerkung zu 84:8). Im frühmekkanischen Koran vgl. 84:7–12 und 69:19–24 mit Anmerkungen, wo allerdings individuelle Tatenregister vorausgesetzt werden; zur Verwendung der Tatenregister beim Jüngsten Gericht s. 81:10 mit Anmerkung, zu ihrer Anfertigung durch Wächterengel s. 82:10–12 mit Anmerkung. Eine ähnlich allgemeine Aussage wie der vorliegende Vers trifft in mittelmekkanischer Zeit noch 54:52 (wa-kullu šaiʾin faʿalūhu fĭ z-zubur). Aḥṣainā ist eigentlich „durchzählen“ (abgeleitet von ḥaṣā, „Kieselsteine“) und bezeichnet auch in 36:12 (wa-kulla šaiʾin ʾaḥṣaināhu fī ʾimāmin mubīn; mittelmekkanisch) die Erfassung aller menschlichen Handlungen in einem himmlischen Tatenregister. Als Übersetzung von ʾaḥṣā + kitāban im Akkusativ („schriftlich aufzählen“) empfiehlt sich deshalb „verzeichnen“.
fa-ḏūqū fa-lan nazīdakum ʾillā ʿaḏābā] Hier begegnet erstmals im Koran die Aufforderung zum „Schmecken“ der Höllenstrafe o. Ä. (ḏāqa l-ʿaḏāb; Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 462), vgl. frühmekkanisch noch 51:14 sowie in Mekka II 54:37.39.48. Eine ähnliche Aufforderung ergeht in 77:43 (kulū wa-šrabū hanīʾan bi-mā kuntum taʿmalūn) an die Seligen.
ʾinna li-l-muttaqīna mafāzā] Zum Verb ittaqā und dem zugehörigen Substantiv taqwā s. die Anmerkung zu 92:5. Unter den frühmekkanischen Texten vgl. 85:11 (ʾinna llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāti lahum ǧannātun taǧrī min taḥtihă l-ʾanhāru ḏālika l-fauzu l-kabīr), der aber ein späterer Einschub ist. Das Verb fāza bedeutet allgemein sowohl „Erfolg haben“ als auch mit Blick auf etwaiges Unglück „entkommen, entgehen, in Sicherheit gelangen“ (s. Lane, Bd. 6, 2458a–b). Im Koran beziehen sich alle Ableitungen der Wurzel f-w-z auf den „eschatological success“ der Frommen, die des Paradieses teilhaftig werden und damit zugleich der Hölle entgehen (Ambros, Dictionary, 216 f.): Al-fauz al-ʿaẓīm bzw. al-kabīr (insbesondere ab mittelmekkanischer Zeit sehr häufig) ist der „große Sieg“, die fāʾizūn sind die „Sieger“, d. h. die Seligen (vgl. Offenbarung des Johannes 2:7, wo die Seligen ebenfalls als „Sieger“, beschrieben werden: Τῷ νικῶντι δώσω αὐτῷ φαγεῖν ἐκ τοῦ ξύλου τῆς ζωῆς, „Dem Sieger werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens“). Dennoch lässt sich fāza im Koran nicht generell mit „siegen“ (= gr. nikaō) wiedergeben, sondern bewahrt zumindest an einer Stelle noch die Bedeutung „entkommen, entgehen“: Mit der Wendung mafāzatan mina l-ʿaḏāb aus 3:188 muss ein „Ort der Zuflucht vor der Strafe“ gemeint sein. 78:31 könnte deshalb angesichts seiner Nähe zu 3:188 durchaus auch im Sinne von „Die Gottesfürchtigen haben einen Ort der Zuflucht“ verstanden werden, wie es islamische Exegeten tun (vgl. Ṭabarī, ad loc.: manǧan mina n-nāri ʾilă l-ǧanna, Nr. 36095 ff.: naǧū mina n-nāri etc.). Die sich anschließende Aufzählung der Paradiesfreuden deutet allerdings eher auf die Alternative „Ort des Sieges“, die deshalb auch der Übersetzung zugrunde liegt, zumal es sich bei 3:188 um einen medinensischen und damit erst sehr viel späteren Beleg handelt. – Paret wendet sich gegen die beiden Deutungsalternativen gleichermaßen zugrunde liegende Annahme, mafāz sei als nomen loci zu verstehen: Er vermutet, der Ausdruck sei „des Reimes wegen gewählt, an Stelle von fauzan“ (Paret, Kommentar, ad loc.; vgl. Zamaḫšarī, ad loc., wo die beiden Alternativen naǧātun und mauḍiʿu naǧātin angeführt werden). Tatsächlich könnte es sich bei mafāz wie bei maʿād oder auch maʾāb (78:22) um einen maṣdar mīmī anstatt eines nomen loci handeln (vgl. Wright, Bd. 1, 127). Andererseits wird den Seligen ja sehr wohl ein bestimmter Ort, nämlich das in den folgenden Versen beschriebene Paradies, zuteil.
wa-kawāʿiba ʾatrābā] Zum ersten Mal begegnen hier die sogenannten ‚Paradiesjungfrauen‘, die zunächst nur kursorisch skizziert werden: Das hier und frühmekkanisch noch in 56:37 den Paradiesjungfrauen beigelegte Attribut tirb (Pl. ʾatrāb) bedeutet „Altersgenosse“, wobei wohl gemeint ist, dass die Paradiesjungfrauen alle das gleiche ideale Jugendalter aufweisen (vgl. Ṭabarī, ad loc., Nr. 36099 ff., sowie als außerkoranischen Beleg eine bei Andrae 1926, 82, zitierte Aussage aus der pseudonymen Apokalypse des Hl. Johannes des Theologen, Kap. 10: „Eine jede menschliche Natur wird dreißigjährig auferstehen“; s. dazu TUK, Nr. 183); das zweite Attribut kāʿib ist ein in der Dichtung gängiges Epitheton mit der Bedeutung „vollbusig“ (vgl. die Belege in WKAS, s. v. k-ʿ-b, 231 f.), abgeleitet von kaʿaba = „schwellende Brüste haben“ bzw. (sofern von den Brüsten selbst gesagt) „schwellend, rund sein“ (WKAS, s. v. k-ʿ-b, 228). Ausführlicher als an der vorliegenden Stelle werden die Paradiesjungfrauen dann etwas später in den zu Gruppe IIIb zählenden Suren 56, 55 und 52 geschildert, vgl. im Einzelnen 56:22.23 (wa-ḥūrun ʿīn / ka-ʾamṯāli l-luʾluʾi l-maknūn) und 56:35–37 (ʾinnā ʾanšaʾnāhunna ʾinšāʾā / fa-ǧaʿalnāhunna ʾabkārā / ʿuruban ʾatrābā), 55:56 (fīhinna qāṣirātu ṭ-ṭarfi lam yaṭmiṯhunna ʾinsun qablahum wa-lā ǧān) und 55:70.72 (fīhinna ḫairātun ḥisān / ḥūrun maqṣūrātun fĭ l-ḫiyām) sowie 52:20 (wa-zawwaǧnāhum bi-ḥūrin ʿīn). Wie bei anderen Stoffen lässt sich damit auch hier eine für den Koran insgesamt charakteristische Fortschreibungsdynamik erkennen: Die kurze Referenz in 78:33 wird in späteren – und zwar formal selbständigen, d. h. anders als in der Hebräischen Bibel nicht redaktionelle mit dem Ausgangstext verbundenen – Passagen entfaltet und mit weiteren Details und einer genaueren Funktionsbestimmung der Paradiesjungfrauen angereichert, wobei insbesondere die Wiederaufnahme des Epithetons ʾatrāb in 56:37 einen sprachlichen Bezug zur Ausgangsstelle herstellt (vgl. die allgemeine Beschreibung solcher Fortschreibungsphänomene in Sinai 2009, 75–160). Dabei kristallisieren sich in Gruppe IIIb sexuelle Konnotationen heraus, die im vorliegenden Vers noch fehlen: In 56:36 ist explizit die Rede von ʾabkār, „Jungfrauen“, und in 55:56.74 erscheint zwei Mal das Verb ṭamaṯa, „entjungfern“ (s. auch den kursorischen Kommentar zu 56:10b–40). – Zu den mehrfach gebrauchten Epitheta ḥūr und ʿīn (56:22, 55:72, 52:20) sowie zu Christoph Luxenbergs Reinterpretation der koranischen Paradiesjungfrauen als Weintrauben vgl. die ausführliche Diskussion in der Anmerkung zu 56:22.
kaʾsan dihāqā] Kaʾs (sonst nur noch in 76:5.17, 56:18, 52:23 und 37:45, und zwar immer im Kontext des Paradieses) ist wohl von syr. kāsā abzuleiten (Jeffery, Foreign Vocabulary, 245 f.; vgl. Ambros, Dictionary, 234: „kaʾs instead of an expected *kās app. due to pseudo-correction in analogy to e.g raʾs und baʾs“). Das Wort ist generell mit Wein assoziiert, s. die Auflistung von z. T. vorislamischen Belegstellen in WKAS, s. v. kaʾs. In 88:14 (ʾakwābun mauḍūʿa) und 56:17.18 (yaṭūfu ʿalaihim wildānun muḫalladūn / bi-ʾakwābin wa-ʾabārīqa wa-kaʾsin min maʿīn) steht das auch in den Gelagenszenen der altarabischen Dichtung erscheinende Wort kūb, das gleichfalls aus dem Aramäischen stammt (s. die Anmerkung zu 88:14). Dihāq wird in der islamischen Tradition zumeist mit „voll“ oder „gefüllt“ paraphrasiert (malʾā, mamlūʾa, mumtaliʾa, mutraʿa; vgl. Ṭabarī, ad loc., Nr. 36106 ff. und Zamaḫšarī, ad loc.), wobei die gebrauchten Äquivalente wie das Bezugswort kaʾs feminin sind (vgl. 52:23: yatanāzaʿūna fīhā kaʾsan lā laġwun fihā wa-lā taʾṯīmun). Dahaqa bzw. ʾadhaqa l-kaʾsa bedeutet den Lexika zufolge „den Kelch vollgießen“, als Grundbedeutung von dahaqa wird „heftig drücken“ angegeben (Lisān, s. v. d-h-q). Aufgrund seiner mangelnden Genuskongruenz zu kaʾs will Sībawaih dihāq nicht als Adjektiv, sondern als Verbalsubstantiv verstehen (Jeffery, Foreign Vocabulary, 130 f.). Die Wendung kaʾs dihāq erscheint auch in einem Vers des Ḫidāš b. Zuhair (der Lisān zitiert nur den ersten Halbvers, vgl. den vollständigen Vers bei Jeffery, Foreign Vocabulary, a. a. O.). Fraenkels Versuch einer Ableitung aus dem Aramäischen (ebd.) erscheint wenig überzeugend (vgl. Ambros, Dictionary, 101). Die Verheißung eines „gefüllten Kelches“ (kaʾsan dihāqan) könnte psalmische Vorstellungen aufgreifen, vgl. Psalm 23:5: תַּעֲרֹ֬ךְ לְפָנַ֙י׀ שֻׁלְחָ֗ן נֶ֥גֶד צֹרְרָ֑י דִּשַּׁ֖נְתָּ בַשֶּׁ֥מֶן רֹ֜אשִׁ֗י כּוֹסִ֥י רְוָיָֽה, „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher“ (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 463).
lā yasmaʿūna fīhā laġwan wa-lā kiḏḏābā] Mit Paret ist als implizites Bezugswort von fīhā wohl al-ǧanna zu ergänzen. Vgl. 88:11 (lā tasmaʿu fīhā lāġiyah) und 56:25 (lā yasmaʿūna fīhā laġwan wa-lā taʾṯīma) sowie 52:23 (yatanāzaʿūna fīhā kaʾsan lā laġwun fihā wa-lā taʾṯīm). Zu kiḏḏābā s. die Anmerkung zu V. 28.
ǧazāʾan min rabbika ʿaṭāʾan ḥisābā] Vgl. 56:24 (ǧazāʾan bi-mā kānū yaʿmalūn). Zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8. Zu ḥisāb existieren in der Lesartenliteratur verschiedene Varianten, u. a. ḥassāb sowie das – den Reim störende und deshalb wohl sekundäre – ḥasan (Muʿǧam, ad loc.).
rabbi s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-mā bainahumā] Die Gottesprädikation ist identisch mit 19:65, 26:24 (beide mittelmekkanisch) u. a.; zu weiteren Stellen s. o., Literarkritik.
ar-raḥmān] Zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1. Wie Ambros (Dictionary, 305) bemerkt hat, steht der Ausdruck hier und anderswo in primär drohenden Kontexten, „which renders it doubtul if, at the time of the Revelation, the name was indeed immediately associated with ‚mercy, compassion’“.
lā yamlikūna minhu ḫiṭābā] Vgl. inhaltlich parallel 77:35.36 (hāḏā yaumu lā yanṭiqūn / wa-lā yuʾḏanu lahum fa-yaʿtaḏirūn). Wörtlich „sie können ihn nicht anreden“. Wahrscheinlich bezeichnet die 3. Person Plural hier keine bestimmte Gruppe von Menschen gegenüber anderen (etwa die „Gottesfürchtigen“ aus V. 31 ff.), sondern allgemein die Gerichteten. Ḫiṭāb ist am ehesten im Sinne einer unaufgeforderten Anrede Gottes durch die zum Gericht versammelten Menschen zu verstehen.
yauma yaqūmu r-rūḥu wa-l-malāʾikatu ṣaffan] Vgl. – noch ohne Erwähnung des „Geistes“ (ar-rūḥ, s. die Anmerkung zu 97:4) – die frühere Stelle 89:22 (wa-ǧāʾa rabbuka wa-l-malaku ṣaffan ṣaffā). Zusammen mit den Engeln begegnet der rūḥ dann auch in den nachträglich eingeschalteten Versen 97:4 und 70:4. Sie stammen wohl aus derselben Zeit wie der vorliegende Einschub (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 463; s. den Abschnitt „Literarkritik“ zur vorliegenden Sure).
lā yatakallamūna ʾillā man ʾaḏina lahu r-raḥmānu] Wörtlich „sie reden nicht, außer mit demjenigen, dem ...“. Die 3. Person Plural könnte wie yamlikūna in V. 37 auf die Gesamtheit der am Jüngsten Tag zu richtenden Menschen zu beziehen sein, sie könnte aber auch den „Geist und die Engel“ meinen, denen eine etwaige Fürsprache nur nach vorheriger Erlaubnis Gottes gestattet ist. Hierfür spricht insbesondere 53:26 (wa-kam min malakin fĭ s-samāwāti lā tuġnī šafāʿatuhum šaiʾan ʾillā min baʿdi ʾan yaʾḏana llāhu li-man yašāʾu wa-yarḍā), der wie der vorliegende Vers sekundär in eine Sure aus Gruppe IIIa eingeschoben wurde. Vgl. auch die spätmekkanischen Verse 42:5 und 40:7, die den Engeln Gebete um Vergebung (yastaġfirūna) für die Gläubigen bzw. Menschen allgemein zuerkennen (s. Hoffman, „Intercession“, EQ; zur Vorstellung von Fürsprecherengel als Element christlicher Frömmigkeit s. die Bemerkungen in Andrae 1932, 17). Ein früheres Stadium als diese beiden eine Interzession der Engel bedingt akzeptierenden Einschübe 78:38 und 53:26 dokumentiert die kategorische Ablehnung jeder Art von Fürsprache in 74:48 (fa-mā tanfaʿuhum šafāʿatu š-šāfiʿīn) sowie – noch ohne Verwendung der Wurzel š-f-ʿ – in 82:19 (yauma lā tamliku nafsun li-nafsin šaiʾan) und 80:37.
ḏālika l-yaumu l-ḥaqq] Wörtlich: „Dieser Tag ist die Wahrheit“ (ḏālika l-yaumu als Subjekt, al-ḥaqq als Prädikat) oder „Dies ist der wahre Tag bzw. der Tag der Wahrheit“ (ḏālika als Subjekt, al-yaumu l-ḥaqq als Prädikat mit Apposition). Angesichts von Wendungen wie waʿda llāhi ḥaqqun (10:55, 31:33, 35:5, 45:32), wo ḥaqq als Prädikat fungiert, ist die erste Alternative wahrscheinlicher: Der den Menschen angedrohte Tag des Gerichts ist real.
fa-man šāʾa ttaḫaḏa ʾilā rabbihī maʾābā] Vgl. 73:19 = 76:29: ʾinna hāḏihī taḏkiratun fa-man šāʾa ttaḫaḏa ʾilā rabbihī sabīlā. Das Wort maʾāb (von ʾāba, yaʾūbu „zurückkehren“) erscheint auch in V. 22: Während es sich jedoch im vorliegenden Vers auf die „Heimkehr“ der Seligen zu Gott bezieht, bezeichnet es in V. 22 die „Heimkehr“ der Verdammten zur Hölle.
ʾinnā ʾanḏarnākum ʿaḏāban qarīban] Basrischer und teilweise auch mekkanischer Zählung zufolge zerfällt V. 40 nach ʿaḏāban qarīban in zwei Verse (Spitaler, Verszählung, 67). V. 6–40 reimen jedoch auf āKā, wozu qarībā keine Entsprechung bieten würde (Nöldeke/Schwally, GdQ, Bd. 1, 104, Anm. 6). Auch die für frühmekkanische Verhältnisse ungewöhnliche Länge von V. 40 rechtfertigt keine Teilung, da die gesamte Gruppe V. 37–40 in ihrer vorliegenden Gestalt nicht ursprünglich sein dürfte (s. o.). Überdies sind die unmittelbar vorausgehenden Verse ebenfalls mehrgliedrig, so dass eine Teilung von V. 40 auch unter diesem Gesichtspunkt unwahrscheinlich ist (Neuwirth, Studien, 29). – Zur Wurzel n-ḏ-r s. die Anmerkung zu 74:36.
yauma yanẓuru l-marʾu mā qaddamat yadāhu] Die frühmekkanischen Texte betonen mehrfach, dass sich der Mensch am Jüngsten Tag selbst über seine Verdienste und Vergehen klar werden wird, vgl. 82:5 (ʿalimat nafsun mā qaddamat wa-ʾaḫḫarat), 81:14 (ʿalimat nafsun mā ʾaḥḍarat), 75:13 (yunabbaʾu l-ʾinsānu yaumaʾiḏin bi-mā qaddama wa-ʾaḫḫar). Zu qaddama s. die Anmerkung zu 82:5. „Die Einblendung des Menschen am Tag des Gerichts bedient sich mehrfach des poetisch anmutenden imruʾun ... statt des sonst üblichen ʾinsān“ (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 464), vgl. 80:34.37 (yauma yafirru l-marʾu min ʾaḫīh; li-kulli mriʾin minhum yaumaʾiḏin šaʾnun yuġnīh), 70:38 (ʾa-yaṭmaʿu kullu mriʾin minhum ʾan yudḫala ǧannata naʿīm) und 52:21 (... kullu mriʾin bi-mā kasaba rahīn); in polemischem Kontext erscheint imruʾ sonst noch in 74:52.
wa-yaqūlu l-kāfiru yā-laitanī kuntu turābā] Vgl. den reumütigen Ausruf der Gerichteten in 69:25–27, der ebenfalls in dem Wunsch nach endgültiger Auslöschung anstelle der ewigen Verdammnis kulminiert (wa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-šimālihī fa-yaqūlu yā-laitanī lam ʾūta kitābiyah / wa-lam ʾadri mā ḥisābiya / yā-laitahā kānati l-qāḍiyah). Zu kāfir vgl. die Anmerkung zu 84:22.
Literaturliste
Der Eröffnungspassus der Sure knüpft an eine vom Koran ausgelöste Diskussion ein (V. 1–3), die zwar verschlüsselt bleibt (ʾan-nabaʾi l-ʿaẓīm / allaḏī hum fīhi muḫtalifūn), jedoch unschwer als Anspielung auf das beherrschende Thema der frühmekkanischen Suren, die Realität der eschatologischen Abrechnung, identifiziert werden kann (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 465). Q 78 präsentiert sich damit als ein Text, der bereits einer fortgeschrittenen Phase des koranischen Kommunikationsprozesses zugehört: Die koranische Gerichtsbotschaft hat Rückfragen erzeugt, die wiederum in neuen Korantexten aufgenommen werden. Der Text macht damit in besonderer Weise das Rückkopplungsverhältnis zwischen koranischer Verkündigung, Hörerreaktionen und erneuter koranischer Kommentierung von letzteren anschaulich. Mit diesem Rückkopplungsmuster zeichnet sich bereits in frühmekkanischer Zeit ein wesentliches Charakteristikum der koranischen Verkündigungen ab, nämlich ihre enge Verwobenheit mit den Fragen, Einwänden und Debatten, die bei ihren primären Adressaten aufgekommen sind. Als Antwort auf die einleitende Hörerfrage steht – wie es für den Koran insgesamt charakteristisch ist – kein präziser apokalyptischer Zeitplan (vgl. zu diesem Streitpunkt auch 79:42 ff.), sondern ein unbestimmter Drohspruch, der die frühere Sure 102 anklingen lässt.
Die folgende Serie von parallel konstruierten Werkaffirmationen (ʾāyāt), die insgesamt als polemische Frage formuliert ist (V. 6: ʾa-lam naǧʿal ...), knüpft an die im Eingangsteil evozierte „Uneinigkeit“ über das Jüngste Gericht an und will anhand der Naturordnung die Allmacht ihres Schöpfers und damit seine Fähigkeit zu einer Auferweckung der Toten aufweisen. Dabei ist die Gedankenfolge Gerichtsandrohung – Schöpfungs-ʾāyāt auch in anderen frühmekkanischen Suren geläufig (vgl. etwa die im Anschluss an Straflegenden stehenden ʾāyāt in 51:47 ff.). Bemerkenswert ist an der Passage vor allem, dass sie sich motivisch an Psalm 104 anlehnt (s. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 466 sowie die Anmerkungen zu V. 6–16). Im Vergleich mit dem Psalmtext hat die koranische Passage jedoch nicht primär hymnische, sondern argumentative Funktion: Verweise auf verschiedene Aspekte des göttlichen Schöpferwirkens dienen dazu, gegnerische Zweifel an der Allmacht Gottes und der Realität eines Jüngsten Gerichts auszuräumen. Der koranische Abschnitt ist insofern viel mehr als der Psalm auf die Vermittlung einer bestimmten theologischen Botschaft ausgerichtet. Wie andere koranische Naturbeschreibungen ist er allerdings zumindest insofern einer psalmischen Weltsicht verbunden, als er ein grundsätzlich optimistisches Bild der Welt als eines bewohnbaren, Sicherheit bietenden, auf menschliche Bedürfnisse geradezu zugeschnittenen Lebensraumes zeichnet. Die Sure steht damit in deutlichem Kontrast zu den Naturschilderungen der altarabischen Poesie, die vor allem die beständige Gefährdung des Helden durch eine unwirtliche Umwelt gestalten (s. hierzu Neuwirth, „Cosmology“, EQ).
Eben diese Sicherheit und Bewohnbarkeit der diesseitigen Welt erweist sich jedoch bereits im folgenden Gesätz als bloß vorläufig (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 466): Bei dem das Jüngste Gericht einleitenden Posaunenstoß (ein Motiv der biblischen Apokalyptik, s. die Anmerkung zu V. 18) öffnet sich der Himmel und gewährt dem göttlichen Richter Zugriff auf die Welt, die eigentlich immobilen Berge geraten in Bewegung. V. 17–20 leiten so gleichsam mit einem rhetorischen ‚Posaunenstoß’ (V. 18) den gänzlich der eschatologischen Abrechnung und Vergeltung gewidmeten dritten Surenteil ein.
Der Schlussteil wird fast gänzlich durch eine dreigesätzige Antithese (V. 21–36) ausgefüllt, die insgesamt über die Hälfte des Surentextes ausmacht. Das erste Gesätz (V. 21–26) ist dem jenseitigen Schicksal der Verdammten gewidmet und bezeichnet die Hölle höhnisch als „Zuflucht“ (maʾāb, V. 22) – ein Stichwort, den das später angefügte Schlussgesätz der Sure (V. 39) wieder aufnimmt. Die Hölle erscheint entsprechend als Stätte einer invertierten Gastfreundschaft (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 461), wo den Verdammten – im Gegensatz zum zuvorkommenden Empfang der Seligen im Paradies (V. 31 ff.) – weder „Kühle noch Trank“ zuteil werden, sondern nur „Heißes und Eiter“ (V. 24.25) (dasselbe Motiv begegnet auch in der ebenfalls zu Gruppe IIIa zählenden Sure 77, s. den kursorischen Kommentar zu V. 46–50).
An das Höllenbild des vierten Gesätzes schließt sich ein weiteres den Verdammten gewidmetes Gesätz an, welches dem Negativteil der Antithese zusätzliches Gewicht verteilt. Zunächst rekapituliert ein zweiversiger Lasterkatalog (V. 27.28) das irdische Fehlverhalten der Verdammten: Sie haben ihr Leben nicht nach der einleitend als „gewaltige Kunde“ bezeichneten Gerichtsbotschaft ausgerichtet und die im zweiten Gesätz aufgelisteten ʾāyāt für Gottes Schöpfermacht geleugnet. Der Hinweis, „alle Dinge“ seien schriftlich verzeichnet (V. 29), soll wohl in erster Linie unterstreichen, dass dem göttlichen Richter nicht der kleinste Fehltritt entgeht. Das Gesätz schließt mit einer in ihrem höhnischen Tonfall V. 22 ähnelnden Aufforderung an die Verdammten, die ihnen bereitete Strafe „zu kosten“ (V. 30).
Vor Einfügung des Zusatzes V. 37–40 endete die Sure mit der Paradiesschilderung V. 31–36; der bisher fast durchgängig drohende oder polemische Text kulminierte so ursprünglich in einem positiven Schlussbild, in dem sich die zuvor aufgebaute Spannung abschließend löste. Im Gegensatz zu den Verdammten wird den Seligen echte Gastfreundschaft zuteil (vgl. auch den ebenfalls Gruppe IIIa zuzuordnenden Passus 77:41–44 mit Kommentar), repräsentiert durch die hier erstmals erwähnten paradiesischen Gefährtinnen und das psalmische Motiv eines „vollen Bechers“ (V. 34). Außer sinnlichen Freuden verheißt das Paradiesbild den Frommen vor allem Ruhe vor dem „Geschwätz“ der Sünder und vor dem Ärgernis des zuvor (V. 28) den Verdammten vorgeworfenen „Leugnens“ (kiḏḏāb, V. 35). Wie bereits die Strafe der Verdammten in V. 26 wird auch die Belohnung der Seligen als ǧazāʾ, „Vergeltung“, bezeichnet (V. 36); auch grammatikalisch korrespondieren V. 36 und V. 26.
Das sekundäre Schlussgesätz trägt eine – sachlich eigentlich zwischen V. 20 und 21 zu lokalisierende – Schilderung des Jüngsten Gerichts nach: Die Gerichteten stehen Gott und den aufgereihten Engeln gegenüber und vermögen nicht, ihren Richter aus eigener Initiative anzureden (V. 37.38). Das weitergehende Redeverbot in V. 38, das sich mit einer ähnlichen Aussage in einem Zusatz zu Sure 53 deckt, soll wohl besagen, dass auch eine etwaige Fürsprache der Engel, die in früheren Texten kategorisch abgelehnt wird, zwar möglich, jedoch von der vorherigen Erlaubnis Gottes abhängig ist. Der Zusatz knüpft nicht nur thematisch, sondern auch terminologisch an den vorliegenden Textbestand an (vgl. in V. 39 die positive Verwendung des in V. 22 ironisch gebrauchten Begriffs maʾāb). Das ursprünglich versöhnliche Ende der Sure (V. 31–36) wird so nachträglich um eine wiederum drohende Schlussnote ergänzt (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 468).
Literaturliste
Stilistisch und strukturell fällt die Sure (durchschnittliche Verslänge ohne V. 37–40: 10,2 Silben) in Gruppe IIIa der frühmekkanischen Suren. Bestätigt wird diese Einordnung u. a. dadurch, dass die Suren 70 (Gruppe IIIb) und 79 (Gruppe IIIa) ebenfalls durch 78:1 ff. ähnelnde Anspielungen auf Hörerfragen eingeleitet werden, und dass der Text in seinem Aufbau und in der Perspektive der Antithese V. 21 ff. der ebenfalls zu Gruppe IIIa zählenden Sure 77 ähnelt (s. u., Analyse).
Nöldeke und Schwally äußern – wenngleich ohne weitere Begründung – die Vermutung, V. 37–40 seien „ihrem Stil nach wahrscheinlich erst in der zweiten Periode hinzugekommen“ (GdQ, Bd. 1, 104). Als Indizien hierfür lassen sich nachtragen: Der Gottesname ar-raḥmān, „der Barmherzige“ (V. 37), ist ein typisches Kennzeichen der von Nöldeke in die mittelmekkanische Periode datierten Suren; alle sonstigen Vorkommnisse der Wendung rabbu s-samawāti wa-l-ʾarḍi wa-mā bainahumā und solcher Varianten wie lahū mā fĭ s-samawāti ... sind mittelmekkanisch (19:64.65, 20:6, 26:24.28, 37:5, 38:66, 43:85, 44:7) oder sogar erst medinensisch (5:17.18.120, 22:76); und V. 38 mit seiner bedingten Akzeptanz einer eschatologischen Interzession der Engel hat eine Parallele in dem ebenfalls sekundär in eine Sure der Gruppe IIIa eingeschobenen Vers 53:26. Schließlich beträgt die durchschnittliche Verslänge in V. 1–36 10,2 Silben, in V. 37–40 dagegen 32,8 Silben. Wie der in seiner Sure gleichfalls später hinzugefügte Vers 97:4 lässt der Zusatz eine Mehrzahl von Engeln zusammen mit dem rūḥ in Erscheinung treten. Der Zusatz gehört deshalb in eine Zeit, in welcher der in 81:19 noch als rasūl karīm bezeichnete Botenengel bereits mit dem rūḥ identifiziert ist. Dies geschieht explizit erst in mittelmekkanischer Zeit, vgl. 19:17 (Gott sendet seinen rūḥ zu Maria) sowie 26:193.194 (nazala bihi r-rūḥu l-ʾamīn / ʿalā qalbika li-takūna mina l-munḏirīn). Diese Stellen bilden folglich den terminus post quem für den Einschub von V. 37–40.
Zu Bells Analyse der Sure, die in V. 1–5 einen medinensischen Zusatz sieht, das zweite und dritte Gesätz als ursprünglich unverbundene mekkanische Textstücke auffasst und ab V. 25 eine Reihe von Einschüben ausmacht s. die Zusammenfassung und kritische Diskussion bei Robinson 2003, 86 und 167–176.
Es ist nicht ohne Weiteres klar, ob die Sure als zwei- oder dreiteilig zu beschreiben ist (so auch Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 465). Sicher ist nur, dass sich die Gesätze 3 bis 7 zu einem übergreifenden Surenteil zusammenschließen; dies legt neben ihrer thematischen und z. T. auch syntaktischen Zusammengehörigkeit (vgl. etwa den pronominalen Rückbezug zu Beginn von Gesätz 5 auf die ṭāġūn aus V. 22) auch die regelmäßige Abfolge von Vierer- und Sechsergruppen nahe. Die ersten beiden Gesätze, die in der obigen Übersicht als zwei eigenständige Teile gewertet werden, ließen sich u. U. auch zu einem zweigesätzigen Teil zusammenfassen; zu Gunsten dieser Alternative könnte man vielleicht auch geltend machen, dass die sich dann ergebende Verszahl des ersten Teiles (5+11=16 Verse) wie die Verszahl des zweiten Teiles (ohne V. 37–40: 20 Verse) ein Vielfaches von 4 ist. Da V. 1–5 jedoch durch einen eigenen Reim vom Rest der Sure abgehoben sind, dürfte es doch wahrscheinlicher sein, sie als eigenständigen Surenteil zu betrachten. Für eine Gliederung in drei Teile spricht auch die strukturelle Ähnlichkeit zu der ebenfalls zu Gruppe IIIa zu rechnenden Sure 77, in der ebenfalls zwei eschatologisch geprägte Rahmenteile einen von ʾāyāt-Polemik ausgefüllten Mittelteil umrahmen. Beide Suren stehen sich überdies darin nahe, dass die in ihren Schlussteilen ausgeführten Antithesen in besonderer Weise die gegensätzliche Bewirtung der Gerichteten in Paradies und Hölle thematisieren.
Inhaltlich kreist die Sure wie die meisten übrigen frühmekkanischen Texte um den Jüngsten Tag. Bereits das Eröffnungsgesätz (V. 1–5), welches die Uneinigkeit der koranischen Hörer über das ihnen offenbar bereits angekündigte Endgericht evoziert, macht deutlich, dass die Sure an frühere Verkündigungen anknüpft, die wenigstens teilweise auf Widerstand gestoßen sind. Das zweite Gesätz – eine insgesamt als polemische Frage formulierte ʾāyāt-Serie (V. 6–16), der als biblischer Subtext Psalm 104 zu Grunde liegt – untermauert die Gerichtsbotschaft mit Hinweisen auf die sich in der Schöpfung erweisende göttliche Allmacht. Das dritte bis fünfte Gesätz schließlich sind einer kurzen Schilderung des Weltendes (V. 17–20) und einer ausführlicheren Darstellung des jenseitigen Ergehen der Verdammten und Seligen gewidmet. Letztere wird in Gestalt einer dreigesätzigen Antithese (V. 21–36) entwickelt, die quantitativ etwa die Hälfte des gesamten Textes ausfüllt. Sie ist in besonderer Weise durch die den Seligen im Paradies erwiesene Gastfreundschaft (V. 31–36) bzw. ihre grausame Umkehrung in der Hölle (V. 21–30) geprägt – ein Motiv, welches auch in der ebenfalls Gruppe IIIa zuzuordnenden Sure 77 präsent ist (s. den Kommentar ebd.). Das später eingefügte Schlussgesätz trägt eine – sachlich eigentlich zwischen V. 20 und 21 zu lokalisierende – Gerichtsszene nach. Der Schlussvers vereindeutigt die einleitend nur enigmatisch evozierte „gewaltige Kunde“ als „Warnung vor einer nahen Strafe“ (V. 40).
Überblick
I Eschatologie | |
1–5 2n/m | 1 1–3 gegnerische Frage (3. P. Pl.) |
4.5 Antwort: Drohwort | |
II ʾāyāt-Polemik | |
6–36 āKā | 2 6–16 Werkaffirmationen (polemische Frage, 1. P. Pl.) |
III Eschatologie | |
3 17 Warnspruch | |
18–20 eschatologischer Temporalsatz | |
4 21–26 Antithese (Negativteil): Höllenbeschreibung | |
5 27–30 Forts. Antithese (Negativteil): | |
27.28 Rückblende |
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29 Warnspruch |
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30 Anrede der Verdammten |
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6 31–36 Antithese (Positivteil): Paradiesbeschreibung | |
37–40 ābā | [7 37–40 eingeschobenes Gesätz: |
38 eschatologischer Temporalsatz mit Nachsatz |
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39 Warnspruch |
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40 Warnspruch, eschatologischer Temporalsatz] |
Proportionen (ohne V. 37–40): 5+11+[4+6+4+6]