بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
يَٰٓأَيُّهَا ٱلۡمُدَّثِّرُ |
I11 Du im Umhang! |
قُمۡ فَأَنذِرۡ |
2 Stell dich auf und warne, |
وَرَبَّكَ فَكَبِّرۡ |
3 bekenne die Größe deines Herrn, |
وَثِيَابَكَ فَطَهِّرۡ |
4 reinige deine Kleider, |
وَٱلرُّجۡزَ فَٱهۡجُرۡ |
5 meide die Unreinheit, |
وَلَا تَمۡنُن تَسۡتَكۡثِرُ |
6 erweise keine Wohltaten, um Gewinn zu machen, |
وَلِرَبِّكَ فَٱصۡبِرۡ |
7 und harre geduldig deines Herrn! |
فَإِذَا نُقِرَ فِی ٱلنَّاقُورِ |
28 Denn wenn in die Posaune gestoßen wird – |
فَذَٰلِكَ يَوۡمَئِذٍۢ يَوۡمٌ عَسِيرٌ |
9 das ist dann ein schwerer Tag, |
عَلَى ٱلۡكَٰفِرِينَ غَيۡرُ يَسِيرٍۢ |
10 für die Ungläubigen nicht leicht. |
ذَرۡنِی وَمَنۡ خَلَقۡتُ وَحِيدًۭا |
II311 Überlass mir den, den ich allein schuf, |
وَجَعَلۡتُ لَهُۥ مَالًۭا مَّمۡدُودًۭا |
12 dem ich reichlichen Besitz gab |
وَبَنِينَ شُهُودًۭا |
13 und Söhne als Zeugen |
وَمَهَّدتُّ لَهُۥ تَمۡهِيدًۭا |
14 und dem ich den Weg ebnete. |
ثُمَّ يَطۡمَعُ أَنۡ أَزِيدَ |
15 Hierauf begehrt er, dass ich noch mehr gebe! |
كَلَّآ إِنَّهُۥ كَانَ لِٴَايَٰتِنَا عَنِيدًۭا |
16 Nein doch! Er war widerspenstig gegen unsere Zeichen! |
سَأُرۡهِقُهُۥ صَعُودًا |
17 Ich werde ihm Mühsal auferlegen! |
إِنَّهُۥ فَكَّرَ وَقَدَّرَ |
418 Er dachte nach und wog ab. |
فَقُتِلَ كَيۡفَ قَدَّرَ |
19 Tod ihm, wie er abwog! |
ثُمَّ قُتِلَ كَيۡفَ قَدَّرَ |
20 Nochmals: Tod ihm, wie er abwog! |
ثُمَّ نَظَرَ |
21 Dann schaute er, |
ثُمَّ عَبَسَ وَبَسَرَ |
22 dann runzelte er die Stirn und blickte finster drein, |
ثُمَّ أَدۡبَرَ وَٱسۡتَكۡبَرَ |
23 dann kehrte er den Rücken und gebärdete sich hochmütig |
فَقَالَ إِنۡ هَٰذَآ إِلَّا سِحۡرٌۭ يُؤۡثَرُ |
24 und sagte: „Das ist nur überlieferter Zauber; |
إِنۡ هَٰذَآ إِلَّا قَوۡلُ ٱلۡبَشَرِ |
25 das ist nur die Rede eines Sterblichen.“ |
سَأُصۡلِيهِ سَقَرَ |
26 Ich werde ihn im Sengen schmoren lassen! |
وَمَآ أَدۡرَىٰكَ مَا سَقَرُ |
527 Was lässt dich wissen, was das Sengen ist? |
لَا تُبۡقِی وَلَا تَذَرُ |
28 Es lässt nichts übrig und verschont nichts |
لَوَّاحَةٌۭ لِّلۡبَشَرِ |
29 und verbrennt die Haut; |
عَلَيۡهَا تِسۡعَةَ عَشَرَ |
30 neunzehn sind darüber gesetzt. |
وَمَا جَعَلۡنَآ أَصۡحَٰبَ ٱلنَّارِ إِلَّا مَلَٰٓئِكَةًۭ |
31 Als Wärter des Feuers haben wir nur Engel bestellt; |
وَمَا جَعَلۡنَا عِدَّتَهُمۡ إِلَّا فِتۡنَةًۭ لِّلَّذِينَ كَفَرُوا۟ |
mit ihrer Anzahl stellen wir nur die Ungläubigen auf die Probe, |
لِيَسۡتَيۡقِنَ ٱلَّذِينَ أُوتُوا۟ ٱلۡكِتَٰبَ |
damit diejenigen, denen die Schrift gegeben wurde, Gewissheit erlangen, |
وَيَزۡدَادَ ٱلَّذِينَ ءَامَنُوٓا۟ إِيمَٰنًۭا |
damit die Gläubigen an Glauben zunehmen, |
وَلَا يَرۡتَابَ ٱلَّذِينَ أُوتُوا۟ ٱلۡكِتَٰبَ وَٱلۡمُؤۡمِنُونَ |
und damit die, denen die Schrift gegeben wurde, und die Gläubigen nicht zweifeln |
وَلِيَقُولَ ٱلَّذِينَ فِی قُلُوبِهِم مَّرَضٌۭ وَٱلۡكَٰفِرُونَ |
und damit die, in deren Herzen Krankheit ist, und die Ungläubigen sagen: |
مَاذَآ أَرَادَ ٱللَّهُ بِهَٰذَا مَثَلًۭا ۚ |
„Was will Gott mit einem solchen Vergleich?“ |
كَذَٰلِكَ يُضِلُّ ٱللَّهُ مَن يَشَآءُ |
So lässt Gott in die Irre gehen, wen er will, |
وَيَهۡدِی مَن يَشَآءُ ۚ |
und leitet, wen er will. |
وَمَا يَعۡلَمُ جُنُودَ رَبِّكَ إِلَّا هُوَ ۚ |
Niemand kennt die Heerscharen deines Herrn außer ihm selbst. |
وَمَا هِیَ إِلَّا ذِكۡرَىٰ لِلۡبَشَرِ |
Es ist nur eine Mahnung für die Menschen. |
كَلَّا وَٱلۡقَمَرِ |
632 Nein doch, beim Mond |
وَٱلَّيۡلِ إِذۡ أَدۡبَرَ |
33 und bei der Nacht, wenn sie den Rücken kehrt, |
وَٱلصُّبۡحِ إِذَآ أَسۡفَرَ |
34 und beim Morgen, wenn er anbricht! |
إِنَّهَا لَإِحۡدَى ٱلۡكُبَرِ |
35 Es [das Sengen] gehört zum Allerschwersten, |
نَذِيرًۭا لِّلۡبَشَرِ |
36 als Warnung für die Menschen, |
لِمَن شَآءَ مِنكُمۡ أَن يَتَقَدَّمَ أَوۡ يَتَأَخَّرَ |
37 für die unter euch, die voranschreiten oder zurückbleiben wollen. |
كُلُّ نَفۡسٍۭ بِمَا كَسَبَتۡ رَهِينَةٌ |
738 Jeder bürgt für das, was er begangen hat. |
إِلَّآ أَصۡحَٰبَ ٱلۡيَمِينِ |
39 Nicht so die zur Rechten: |
فِی جَنَّٰتٍۢ يَتَسَآءَلُونَ |
40 In Gärten fragen sie einander |
عَنِ ٱلۡمُجۡرِمِينَ |
41 nach den Übeltätern: |
مَا سَلَكَكُمۡ فِی سَقَرَ |
42 „Was hat euch ins Sengen gebracht?“ |
قَالُوا۟ لَمۡ نَكُ مِنَ ٱلۡمُصَلِّينَ |
43 Sie sagen: „Wir gehörten nicht zu den Betenden, |
وَلَمۡ نَكُ نُطۡعِمُ ٱلۡمِسۡكِينَ |
44 haben dem Armen nicht zu essen gegeben, |
وَكُنَّا نَخُوضُ مَعَ ٱلۡخَآئِضِينَ |
45 haben mit den Schwätzern drauflosgeschwätzt |
وَكُنَّا نُكَذِّبُ بِيَوۡمِ ٱلدِّينِ |
46 und den Tag des Gerichts geleugnet, |
حَتَّىٰۤ أَتَىٰنَا ٱلۡيَقِينُ |
47 bis uns Gewissheit erreichte.“ |
فَمَا تَنفَعُهُمۡ شَفَٰعَةُ ٱلشَّٰفِعِينَ |
48 Nun nützt ihnen keine Fürsprache mehr. |
فَمَا لَهُمۡ عَنِ ٱلتَّذۡكِرَةِ مُعۡرِضِينَ |
III849 Was ist denn mit ihnen, dass sie sich von der Mahnung abwenden |
كَأَنَّهُمۡ حُمُرٌۭ مُّسۡتَنفِرَةٌۭ |
50 als wären sie erschrockene Esel, |
فَرَّتۡ مِن قَسۡوَرَةٍۭ |
51 die vor einem mächtigen Löwen fliehen? |
بَلۡ يُرِيدُ كُلُّ ٱمۡرِئٍۢ مِّنۡهُمۡ |
52 Jeder von ihnen möchte, |
أَن يُؤۡتَىٰ صُحُفًۭا مُّنَشَّرَةًۭ |
dass man ihm ausgebreitete Schriftstücke aushändigt. |
كَلَّا بَل لَّا يَخَافُونَ ٱلۡٴَاخِرَةَ |
53 Nein, sie fürchten das Jenseits nicht! |
كَلَّآ إِنَّهُۥ تَذۡكِرَةٌۭ |
54 Nein doch, es ist eine Mahnung; |
فَمَن شَآءَ ذَكَرَهُۥ |
55 wer will, der bedenkt sie. |
وَمَا يَذۡكُرُونَ |
56 Doch sie bedenken nicht, |
إِلَّآ أَن يَشَآءَ ٱللَّهُ ۚ |
es sei denn Gott will es. |
هُوَ أَهۡلُ ٱلتَّقۡوَىٰ وَأَهۡلُ ٱلۡمَغۡفِرَةِ |
Ihn hat man zu fürchten und ihm steht es zu, Vergebung zu gewähren. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
yā-ʾayyuhă l-muddaṯṯir / qum fa-ʾanḏir] Vgl. 73:1 (yā-ʾayyuhă l-muzzammil), worauf wie in der vorliegenden Sure ein mit qum beginnender Aufruf folgt. Das Partizip muddaṯṯir leitet sich von tadaṯṯara ab, „den diṯār (eine Art Obergewand) anlegen“ (vgl. Lane, Bd. 3, 851b ). Zu Funktion und Bedeutung des hier implizierten Verhüllens vgl. die Anmerkung zu 73:1. Da V. 2 den Verkünder auffordert „zu warnen“ (fa-ʾanḏir), liegt es nahe, dass zu Anfang des Verses stehende qum mit „stell dich auf“ o. Ä. zu übersetzen, auch wenn sich dadurch eine leichte Bedeutungsverschiedenheit zu 73:2 („Steh die Nacht über ...“) ergibt. Ähnliche Imperative am Surenbeginn finden sich neben Q 73 und 74 auch noch in Q 87 und 96; eine vergleichbare Prominenz des Verkünders als unmittelbarer Adressat der göttlichen Rede weisen auch die Trostsuren Q 93, 94 und 108 auf. Es fällt auf, dass die Anrede in V. 1, anders als zu Beginn von Q 73, das Reimschema für das gesamte erste Gesätz vorgibt.
Das Verb ʾanḏara erscheint frühmekkanisch erstmals in 92:14 (fa-ʾanḏartukum nāran talaẓẓā); vgl. auch das Partizip munḏir in 79:45 (ʾinnamā ʾanta munḏiru man yaḫšāhā). Zu weiteren Ableitungen der Wurzel n-ḏ-r s. 74:36 mit Anmerkung.
wa-rabbaka fa-kabbir] Zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8.
wa-ṯiyābaka fa-ṭahhir] Der Kontext (V. 5.6) legt eine metaphorische Deutung des Ausdrucks als Aufforderung zu rechtschaffenem Verhalten nahe, wie er auch in der islamischen Exegese vertreten wird (vgl. Ṭabarī, ad loc. ). Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass hier tatsächlich, wie ein bei Ṭabarī zitierter Exeget meint, das Idiom ṭāhir aṯ-ṯiyāb, „von reiner Kleidung“ = „unbescholten, rechtschaffen“ zu Grunde liegt ( Ṭabarī, ad loc., Nr. 35334 ; dasselbe Idiom verzeichnet auch Lane, Bd. 5, 1887c : raǧulun ṭāhiru ṯ-ṯiyāb bzw. raǧulun ṭāhiru l-ʾaṯwāb).
wa-r-ruǧza fa-hǧur] Bell (1926, 88) und Ahrens (1935, 22) bringen das Wort in Verbindung mit syr. rūḡzā, „Zorn“ (vgl. Matthäus 3:7, wo vom „kommenden Zorn“ die Rede ist; s. a. Jeffery, Foreign Vocabulary, 139 ), obwohl der Kontext in 73:11 diese Deutung von ruǧz als „Zorn, Zorngericht“ durchaus nicht erzwingt. Dagegen hat der lediglich in der Vokalisierung abweichende Ausdruck riǧz (2:59, 7:134.135.162, 8:11, 29:34, 34:5, 45:11), wie auch die islamische Tradition anerkennt, zumindest innerhalb der Wendung ʾanzala (sc. Gott) ʿalā ... riǧzan mina s-samāʾ zweifellos die Bedeutung eines göttlichen Strafgerichts. Man muss den Ausdruck riǧz deswegen jedoch nicht unbedingt als syrische Entlehnung auffassen; es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Bedeutung riǧz = „Strafe“ von der Grundbedeutung „Krampf, Zuckung, Erregung, Erschütterung“ ( Lane, Bd. 3, 1036b ) abzuleiten ist, die wiederum auf der genuin arabischen Wurzel r-ǧ-z beruht. Möglich, aber schwer nachweisbar ist, dass die koranische Verwendung von riǧz den Bedeutungsgehalt des syrischen rūḡzā zumindest mit evoziert.
Jedenfalls ist es auf den ersten Blick am wahrscheinlichsten, dass ruǧz (so nur in 74:5) als Synonym von riǧz = „Strafe, Strafgericht“ zu verstehen ist (eine Mehrheit der kanonischen Leser liest auch im vorliegenden Vers riǧz, s. Muʿǧam, ad loc. ). Die Angelegenheit wird jedoch dadurch verkompliziert, dass es im Koran zumindest zwei Belege für eine Interferenz von riǧz mit dem ähnlich lautenden riǧs, „Schmutz, Unreinheit“ gibt: In 7:71 wird riǧs im Sinne eines göttlichen Strafgerichts (= riǧz) verwendet und mit ġaḍab, „Zorn“, verbunden, während andersherum 8:11riǧz in 8:11 offensichtlich im Sinne von „Unreinheit, Schmutz“ (= riǧs) gebraucht ( Paret, Kommentar, 493, zu 74:4 ; s. a. Lowry, „Ritual Purity“, EQ , der davon auszugehen scheint, dass sich riǧz = „Strafgericht“ von riǧs = „Unreinheit“ ableitet). Diese Interferenz macht es wahrscheinlich, dass auch ruǧz in 74:5 im Sinne von „Unreinheit“ zu lesen ist, wodurch sich zweifellos ein befriedigenderer Zusammenhang von V. 4 und 5 ergibt (so Paret, Kommentar, ad loc. ).
Zum Verb haǧara vgl. 73:10: wa-ṣbir ʿalā mā yaqūlūna wa-hǧurhum haǧran ǧamīlā; als Objekt stehen dort jedoch die Gegner des Verkünders, während im vorliegenden Vers von moralischer Unreinheit die Rede ist.
wa-lā tamnun tastakṯir] Wörtl.: „Erweise Wohltaten nicht, um mehr zu erhalten!“ Die hier nicht ausgesprochene positive Alternative, das Erweisen von Wohltaten „um Gottes willen“, erscheint in 92:19.20: wa-mā li-ʾaḥadin ʿindahū min niʿmatin tuǧzā / ʾillă btiġāʾa waǧhi rabbihi l-ʾaʿlā ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 367 ).
wa-li-rabbika fa-ṣbir] Eine Aufforderung zur Geduld steht auch gegen Ende des sprachlich und strukturell ähnlichen Anfangsgesätzes der wohl späteren Sure 73 (V. 10: wa-ṣbir ʿalā mā yaqūlūna wa-hǧurhum haǧran ǧamīlā). Vgl. a. die untereinander identischen Aufrufe in 68:48 und 52:48 (wa-ṣbir li-ḥukmi rabbika).
fa-ʾiḏā nuqira fĭ n-nāqūr] Vgl. frühmekkanisch noch 78:18 (yauma yunfaḫu fĭ ṣ-ṣūri fa-taʾtūna ʾafwāǧā; Gruppe IIIa) sowie 69:13 (fa-ʾiḏā nufiḫa fĭ ṣ-ṣūri nafḫatun wāḥidah; Gruppe IIIb). Das Wort nāqūr anstatt des später üblichen ṣūr erscheint nur hier, vielleicht weil es sich um die neben 78:18 früheste koranische Bezugnahme dieser Art handelt. In späteren Texten hat sich dann offenbar der Wortlaut von 78:18 und nicht der des vorliegenden Verses durchgesetzt (vgl. die ähnliche Beobachtung bei Nöldeke / Schwally, GdQ, Bd. 1, 88, Anm. 2 ). Spätere Stellen sind nachgewiesen bei Paret, Kommentar, zu 6:73 . Zum biblischen Hintergrund der Vorstellung von einem endzeitlichen Posaunenstoß s. die Anmerkung zu 78:18.
fa-ḏālika yaumaʾiḏin yaumun ʿasīr] Wörtl.: „das ist an jenem Tag ein schwerer Tag“. Vgl. den mittelmekkanischen Vers 54:8 (yaqūlu l-kāfirūna hāḏā yaumun ʿasir). Zu yaumaʾiḏin vgl. die Anmerkung zu 102:8.
al-kāfirīna] Zu kafara und kāfir vgl. die Anmerkung zu 84:22.
ḏarnī wa-man ḫalaqtu waḥīdā] Vgl. 73:11 (wa-ḏarnī wa-l-mukaḏḏibīna ʾulĭ n-naʿmati wa-mahhilhum qalīlā), wo ḏarnī ebenfalls als Überleitung von der einleitenden Anrede zu einer Höllenbeschreibung fungiert. Neuwirth weist darauf hin, dass der Imperativ ḏarnī auch in der altarabischen Dichtung eine vergleichbare Überleitungsfunktion hat ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 367 f. ). Zum Verb ḫalaqa s. die Anmerkung zu 96:1.2. Für den vorliegenden Vers sind drei Übersetzungsmöglichkeiten denkbar: a) „Lass mich allein mit dem, den ich geschaffen habe“; b) „Überlass mir den, den ich allein (d. h. ohne fremde Hilfe) geschaffen habe“; c) „Überlass mir den, den ich allein (d. h. als einzelnes, selbstverantwortliches Individuum) geschaffen habe“ ( Ṭabarī, ad loc. : „ohne Besitz und Kinder“). Vgl. Bell, Commentary, ad loc. , der für c) plädiert. Angesichts der benachbarten Verse passt jedoch Deutung b) am besten, insofern sie am ehesten geeignet ist, Gottes Anspruch auf Dankbarkeit und moralisches Wohlerhalten seitens der Menschen zu begründen.
wa-ǧaʿaltu lahū mālan mamdūdā / wa-banīna šuhūdā] Was ist damit gemeint, dass Gott dem Menschen Söhne „als Zeugen“ (šuhūdan) gegeben habe? In der islamischen Kommentarliteratur wird der Ausdruck u. a. im Sinne von „die in seiner Gegenwart bleiben“ ( Ibn Kaṯīr, Tafsīr , nach Muǧāhid: lā yaġībūna ʾay ḥuḍūran ʿandahū) gedeutet. Es geht aber vielleicht eher darum, dass Söhne gleichsam als lebende Zeugen gottgewährten Wohlstandes fungieren bzw. dass sie als Nachkommen ihres Vaters auch nach seinem Ableben noch seine Existenz ‚bezeugen’. Die Zusammenstellung von „Besitz und Söhnen“ als göttlicher Gnadengeschenke ist im Koran auch sonst gängig, vgl. frühmekkanisch noch 68:14 (ʾan kāna ḏā mālin wa-banīn); weitere Stellen bei Paret, Kommentar, zu 3:14 . S. a. Künstlinger 1937 mit einer fragwürdigen Emendation (vgl. Paret, Kommentar, ad loc. ).
ka-ḏālika yuḍillu llāhu man yašāʾu wa-yahdī man yašāʾu] Zu hadā bzw. hudā vgl. die Anmerkung zu 93:7.
kallā ʾinnahū kāna li-ʾāyātinā ʿanīdā] Der koranische Begriff ʾāya, „(göttliches) Zeichen“, ist etymologisch von aramäisch āṯā abzuleiten, das im Syrischen – anders als etwa im rabbinischen Aramäisch – genau im koranischen Sinne gebraucht wird ( Jeffery, Foreign Vocabulary, 72 f. ). Obwohl der genaue Mechanismus der Transformation āṯā > ʾāya nicht gänzlich transparent ist (insbesondere das im Arabischen erscheinende y ist erklärungsbedürftig), sind doch weder eine innerarabische Herleitung noch eine alternative Entlehnungshypothese plausibel, so dass die syrische Herkunft als gesichert gelten kann. Frühmekkanisch erscheint der in späteren Texten sehr häufige Ausdruck ʾāya neben dem vorliegenden Vers noch an den folgenden Stellen:
Die frühesten dieser Belege sind wahrscheinlich 74:16, 78:28, 79:20 und 53:18 (alle Gruppe IIIa, während Q 83, 68 und 51 zu IIIb gehören). Dabei stehen sich 74:16 und 78:28 auch inhaltlich nahe, insofern sie den Widerstand gegen göttliche „Zeichen“ anprangern, deren Beschaffenheit durch die 74:16 vorangehende Aufzählung der dem Undankbaren von Gott gewährten Wohltaten (Schöpfung des Menschen, Besitz, Söhne) spezifiziert wird (zu 79:20 und 53:18 s. u.). Noch in frühmekkanischer Zeit wird der Begriff des „Zeichens“ dann auch im Sinne eines warnenden „Exempels“ gebraucht (vgl. 51:37 sowie etwas später, in Mekka II, 54:15: wa-la-qad taraknāhā ʾāyatan fa-hal min muddakir, mit Bezug auf die Arche Noah). Āya wird damit allgemein zu einer Bezeichnung für jede innerweltliche Manifestation der Allmacht Gottes, die als solche auf die Wirklichkeit des Jüngsten Gerichts vorausweist und insofern geeignet ist, die eschatologische Kernbotschaft der frühmekkanischen Korantexte zu stützen.
Eine Sonderstellung unter den weiter oben aufgelisteten Stellen nehmen 79:20 und 53:18 ein. Im Kontext der Mose-Erzählung in 79:15–26 bezieht sich der Begriff des „großen Zeichens“ nicht auf allgemein zugängliche kosmische Gegebenheiten, sondern auf die Zauberkunststücke, mit deren Hilfe Moses und Aaron Pharao von ihrer göttlichen Sendung zu überzeugen versuchen (s. in diesem Sinne auch die spätere Moses-Erzählung in Q 20, insb. V. 23.56). Diese Verwendung von ʾāya, die eine Resonanz der biblischen Mose-Geschichte ist (dort ist mehrfach von einem göttlichen „Zeichen“ die Rede; s. die Anmerkung zu 79:20), steht dann wohl im Hintergrund von 53:18: Die Aussage, Gott habe Muḥammad die „großen Zeichen“ sehen lassen, dürfte primär auf eine Parallelisierung Muḥammads mit Moses, dem biblischen Propheten par excellence, abzielen.
sa-ʾurhiquhū ṣaʿūdā] Ṣaʿūd bedeutet „Steigung, steiler Weg“, hier allgemein im Sinne von „Mühsal“. Vgl. 72:17: ʿaḏāban ṣaʿadan ( Bell, Commentary, Bd. 2, 452 ). Der implizite Gegensatz zwischen V. 14 und V. 17 (geebneter Weg vs. steiler Weg) erfordert eine möglichst wörtliche Übersetzung. Zu der in frühmekkanischer Zeit insgesamt noch vier mal vorkommenden Wurzel r-h-q s. insb. 80:41: tarhaquhā qatarah; s. sonst noch 68:43 und 70:44, die sich jeweils in der Wendung ḫāšiʿatan ʾabṣāruhum tarhaquhum ḏillatun überschneiden (vgl. Neuwirth, Studien, 215 ). – Auch anderswo folgen Strafandrohungen häufig auf eine Rüge wie hier in V. 16.17, vgl. etwa Q 102.
ʾinnahū fakkara wa-qaddar] Das Verb qaddara wird sonst positiv von Gott gebraucht; vgl. 87:3 (wa-llaḏī qaddara fa-hadā) und 80:19 (min nuṭfatin ḫalaqahū fa-qaddarah) sowie in dem langen Zusatz 73:20wa-llāhu yuqaddiru l-laila wa-n-nahāra.
fa-qutila kaifa qaddar] Vgl. 85:4, 80:17 und 51:10, wo qutila ebenfalls als Verwünschung fungiert; zu 85:4 existiert auch eine präteriale Deutung, die jedoch falsch sein dürfte (s. die Anmerkung zu 85:4).
ṯumma qutila kaifa qaddar] Bekräftigende Wiederholungen einer Verwünschung, eines Drohworts oder einer Lehrfrage werden auch in 102:4, 82:18, 78:5 und 75:35 mit ṯumma eingeleitet. Zu qutila s. die Anmerkung zu V. 19.
ṯumma ʿabasa wa-basar / ṯumma ʾadbara wa-stakbar] Zur Verbindung von Stirnrunzeln (ʿabasa) und Abwenden (ʾadbara) vgl. a. 80:1 (ʿabasa wa-tawallā), dort allerdings mit Bezug auf den Verkünder. Zu ʾadbara allgemein vgl. die Anmerkung zu 88:23
saqar] Vgl. saqarathu š-šams, „Die Sonne hat ihn versengt“ (Infinitiv saqr), und saqr, „Sonnenhitze“ ( Lane, Bd. 4, 1379b ). Das Wort wird in einem ähnlichen Kontext auch in 54:48 gebraucht (ḏūqū massa saqar, „Kostet die Berührung von saqar!“). Da der Ausdruck in V. 27 Gegenstand einer Lehrfrage ist, kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass er Muḥammads Hörern ohne weiteres verständlich war (so Bell, Commentary, ad loc. ). Vermutlich handelt es sich um eine dem Reim entsprechende Wortneuschöpfung, die einerseits den semantischen Gehalt des fast identischen Verbalsubstantivs saqr bewahrt, andererseits jedoch als eine Art Eigenname für das Höllenfeuer intendiert ist (wohl deshalb flektiert das Wort sowohl in Q 74 als auch in Q 54 diptotisch und wird in 74:28–30 als feminin behandelt).
lawwāḥatun li-l-bašar] Lawwāḥa entspricht der Form faʿʿāl, die Nomina agentis mit der Konnotation besonderer Intensität bildet ( Wright, Bd. 1, 137 ). Obwohl bei diesen Bildungen sonst immer der I. Verbalstamm zugrunde liegt, wird die Wurzel l-w-ḥ im Allgemeinen nur im II. Stamm (lawwaḥa = „erhitzen“, „verbrennen“) transitiv verwendet ( Lane, Bd. 7, 2679c ). Allerdings führt Zamaḫšarī (ad loc.) einen Vers an, in dem auch lāḥa transitiv gebraucht wird und die Bedeutung von „versengen, verbrennen“ hat (lāḥanĭ l-hawāǧir, „Die Mittage haben mich versengt“). Zur Konstruktion des Verses vgl. 70:16 (nazzāʿatan li-š-šawā).
ʿalaihā tisʿata ʿašar] Ahrens weist darauf hin, dass verschiedene gnostische Strömungen die Existenz von 19 Archonten oder Sternengeistern lehren: „bei den Ophiten (Naassenern) sind es 7 und 12 Archonten, die den Weg zur göttlichen Sphäre versperren, bei den Mandäern gibt es 19 Sternengeister – 12 der Tierkreiszeichen, 7 der Planeten –, die als Söhne der rūḥā dem höchsten Herrn entgegenarbeiten, und nach der Lehre der Mazdakiten, einer kommunistisch-gnostischen persischen Sekte im 5. und 6. Jahrhundert, sind die Sieben und die Zwölf Herrscher in der unteren Welt.“ ( Ahrens 1935, 30 f. ) Obwohl die quantitative Übereinstimmung in der Tat frappierend ist und die Bezifferung solcher himmlischen Zwischenwesen mit 19 allgemein durch eine Addition der Zahl der Tierkreiszeichen mit derjenigen der Planeten zustandegekommen zu sein scheint, besteht doch eine unübersehbare Differenz: Die „über“ das Feuer eingesetzten Wesen aus Q 74:30 werden kosmologisch nicht genau verortet, und ihre Funktion besteht auch nicht darin, den Weg zur göttlichen Sphäre zu versperren, sondern im Auftrag Gottes die Bestrafung der Verdammten zu überwachen. Ob man die Zahlenangabe in 74:30 als Reflex gnostischer Vorstellungen lesen kann, scheint also zumindest fraglich, zumal die Zahl 19 – wie die Zahlen 7 und 12 – eine besondere Stellung in ganz verschiedenen Kulturkreisen einnimmt (rabbinische, babylonische, japanische und indische Beispiele bei Eichler 1928 , 111; weitere Literaturangaben bei Paret, Kommentar, ad loc. ).
wa-mā ǧaʿalnā ʾaṣḥāba n-nāri ʾillā malāʾikatan] Wörtl.: „Zu den Leuten des Feuers haben wir nur Engel gemacht“. Zu nār vgl. die Anmerkung zu 111:3. S. zu den Höllenengeln Andrae 1926, 72 ff. .
wa-mā ǧaʿalnā ʿiddatahum ʾillā fitnatan li-llaḏīna kafarū] Wörtl.: „Ihre Anzahl haben wir nur zu einer Versuchung für die Ungläubigen gemacht“. Vgl. 37:63, wo es über den offenbar ebenfalls zum Gegenstand von Rückfragen gewordenen Zaqqūm-Baum heißt: ʾinnā ǧaʿalnāhā fitnatan li-ẓ-ẓālimīn, sowie 17:60 (über eine Muḥammad zuteil gewordene Vision sowie nochmals über den Zaqqūm-Baum): wa-mā ǧaʿalnă r-ruʾyā llatī ʾaraināka ʾillā fitnatan li-n-nāsi wa-š-šaǧǧarata l-malʿūnata fĭ l-qurʾāni (beide mittelmekkanisch). Dieselbe Wortwahl findet sich noch später in 10:85 und 60:5. Zu kafara vgl. die Anmerkung zu 84:22.
li-yastaiqina llaḏīna ʾūtŭ l-kitāba wa-yazdāda llaḏīna ʾāmanū ʾīmānan wa-lā yartāba llaḏīna ʾūtŭ l-kitāba wa-l-muʾminūna] Zum Verb ʾāmana s. die Anmerkung zu 69:33. Das letzte der drei Kola (wa-lā yartāba llaḏīna ʾūtŭ l-kitāba wa-l-muʾminūna) nimmt das Subjekt des ersten und zweiten Kolons (allaḏīna ʾūtŭ l-kitāb und allaḏīna ʾāmanū) auf und ersetzt die jeweiligen Positivqualifikation („Gewissheit haben“ und „an Glauben zunehmen“) durch eine synonyme Negativqualifikation („nicht zweifeln“). Transparenter würde die sprachliche Struktur in einer freieren Übersetzung wie: „damit diejenigen, denen die Schrift gegeben wurde, Gewissheit erlangen, die Gläubigen an Glauben zunehmen, und beide Gruppen nicht zweifeln“.
Der Ausdruck allaḏīna ʾūtŭ l-kitāb erscheint sonst fast ausschließlich in medinensischen Suren, wo er häufig in enger Nachbarschaft mit ʾahl al-kitāb steht (2:101.144.145, 3:19.20.23.100.126.127, 4:44.47.51.131, 5:5.57, 9:29, 13:36, 57:16, 98:4; die einzigen mekkanischen Vorkommnisse sind – zumindest nach der Nöldekeschen Chronologie – 13:36 sowie die terminologisch noch nicht fixierten Wendungen allaḏīna ʾātaināhum al-kitāb in 28:52 und allaḏīna ʾūriṯŭ l-kitāb in 42:14). Obwohl die Bezeichnung allaḏīna ʾūtŭ l-kitāb in den genannten Stellen meist in polemischen Zusammenhängen verwendet wird, treten „diejenigen, denen die Schrift gegeben wurde“ doch gelegentlich auch – wie im vorliegenden Vers – als Beglaubigungsinstanz auf (z. B. 13:36).
wa-li-yaqūla llaḏīna fī qulūbihim maraḍun] Auch die Wendung „diejenigen, in deren Herzen Krankheit ist“, ist sonst nur in Medina bezeugt (Stellen: 2:10, 5:52, 8:49, 9:125, 22:53, 24:50, 33:12.32.60, 47:20.29; vgl. Paret, Kommentar, zu 2:10 ). Nöldeke und Schwally ( GdQ, Bd. 1, 88, mit Anm. 5 ) sehen die Bezeichnung als synonym mit dem aus dem Äthiopischen entlehnten al-munāfiqūn, „die Zweifler“, an; als Beleg hierfür lässt sich u. a. 8:49 ergänzen, wo beide Wendungen nebeneinander stehen.
māḏā ʾarāda llāhu bi-hāḏā maṯalan] Wörtlich „Was will Gott damit als einem Vergleich?“ Dieselbe Frage wird den „Ungläubigen“ auch in 2:26 zugeschrieben. Zur Verwendung von maṯal im Koran (die in mittelmekkanischer Zeit einzusetzen scheint, vgl. etwa Q 43:8.17.56.57.59) s. Buhl 1924 .
ka-ḏālika yuḍillu llāhu man yašāʾu wa-yahdī man yašāʾu] Zu hadā bzw. hudā s. die Anmerkung zu 93:7. Vgl. die ähnliche Formulierung in Paulus’ Brief an die Römer 9:18 („Er erbarmt sich also, wessen er will, und macht verstockt, wen er will“, ἄρα οὖν ὃν θέλει ἐλεεῖ, ὃν δὲ θέλει σκληρύνει), die durch das zweimalige „wen er will“ (ὃν θέλει, man yašāʾu) und von ihrem antithetischen Aufbau her an die koranische Wendung erinnert (vgl. Thyen 2000, 252–255 und TUK, Nr. 410).
wa-mā hiya ʾillā ḏikrā li-l-bašar] Das weibliche Personalpronomen bezieht sich wohl auf saqar zurück, das ja in V. 28–30 als Femininum behandelt wird. Paret erwägt auch die Paraphrase „das was hier als Offenbarung verkündet wird“ (in diesem Sinne a. Bell, Commentary, zu 74:34 ). Weil das Pronomen jedoch im Gegensatz zu anderen Stellen, an denen diese Paraphrase in Frage kommt (z. B. 73:19, 74:54), weiblich ist, dürfte diese Deutung eher unwahrscheinlich sein. Beschreibungen der koranischen Offenbarungen als ḏikr, ḏikrā oder taḏkira begegnen bereits in frühmekkanischer Zeit (s. die Anmerkung zu 73:19), aber auch später noch (vgl. 6:90). Zur Versstruktur (Bestimmung der koranischen Offenbarungen als Mahnung „für“, li- ...) s. 81:27 (ʾin huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn), 69:48 (wa-ʾinnahū la-taḏkiratun li-l-muttaqīn), 68:52 (wa-mā huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn) und 56:73 (naḥnu ǧaʿalnāhā taḏkiratan wa-matāʿan li-l-muqwīn; bezieht sich auf das Feuerholz).
Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion des hier vorliegenden Schwurtypus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen. Zu Schwüren im Sureninnern s. die Anmerkung zu 86:11–14 mit weiteren Stellenangaben.
wa-l-laili ʾiḏ ʾadbar] Schwüre bei der Nacht finden sich sonst noch in 93:2, 92:1, 91:4, 89:4, 84:17 und 81:17.
wa-ṣubḥi ʾiḏā ʾasfar] Schwüre beim frühen Morgen finden sich sonst noch in 93:1, 92:2, 91:1, 89:1 und 81:18.
ʾinnahā la-ʾiḥdă l-kubar] „Sie“ bezieht sich wohl auf saqar zurück (so auch Neuwirth, Studien, 215 ); der eingeschobene Vers 31 stört allerdings die Transparenz dieses Rückbezugs.
naḏīran li-l-bašar] Naḏīr (Plural nuḏur) meint hier wie in 53:56 (hāḏā naḏīrun mina n-nuḏuri l-ʾūlā) „Warnung“, kann jedoch auch auf den Verkünder bezogen „Warner“ bedeuten (s. 51:50: fa-firrū ʾilă llāhi ʾinnī lakum minhu naḏīrun mubīn; s. a. 51:51). In der letzteren Bedeutung ist das Wort synonym mit munḏir (79:45: ʾinnamā ʾanta munḏiru man yaḫšāhā). Zum Verb ʾanḏara, „warnen“, s. V. 2 der vorliegenden Sure (qum fa-ʾanḏir), 92:14 (fa-ʾanḏartukum nāran talaẓẓā) und 78:40. Die Wurzel n-ḏ-r erscheint frühmekkanisch also erstmals in Gruppe II (92:14) und dann mehrfach in den Gruppen IIIa (74:2 und 74:36 sowie 79:45) und IIIb (51:50.51, 53:56). Die auch in späteren Texten häufige Bezeichnung des Verkünders als „Warner“ (naḏīr, munḏir) bzw. der koranischen Offenbarungen als „Warnung“ (naḏīr) wird also durch den Gebrauch des Verbs ʾanḏara in 92:14 und 74:2 vorbereitet.
Zu dem Gespräch zwischen Seligen und Verdammten mit Rückblende auf die diesseitigen Vergehen der letzteren vgl. das positive Gegenstück 52:25–29 ( Neuwirth, Studien, 215 ).
kullu nafsin bi-mā kasabat rahīnah] Ein ebenfalls mit nafs gebildeter Warnspruch erscheint noch in 86:4 (ʾin kullu nafsin lammā ʿalaihā ḥāfiẓ). S. außerdem noch die ganz ähnliche Feststellung in 52:21 (kullu mriʾin bi-mā kasaba rahīn) sowie 83:14 (kallā bal rāna ʿalā qulūbihim mā kānū yaksibūn). Kasaba bedeutet wörtlich „erwerben, sich verschaffen“ (vgl. WKAS, s. v. k-s-b ), im übertragenen Sinne auch „machen, begehen, tun“ (zu kasaba im Koran vgl. allg. Torrey 1892, 27–29 , und Boneschi 1955 ). „[D]er Ausdruck bezieht sich durchweg auf Handlungen, die moralisch zu bewerten sind [...]. Jeder, der eine solche Handlung begeht, erwirkt sozusagen automatisch eine Eintragung auf sein Lohn- bzw. Strafkonto“ ( Paret, Kommentar, 22, zu 2:79 ). Kasaba wird allerdings bereits in der altarabischen Dichtung für das ‚Begehen’ ruhmreicher Taten verwendet (s. etwa Arazi / Masalha 1999, 945 ), so dass die semantische Entwicklung von „erwerben“ zu „begehen“ bereits vorkoranisch stattgefunden haben muss und ursprünglich eher auf der Konnotation des Erwerbs von Nachruhm als auf derjenigen des Erwerbs jenseitiger Belohnungen gefußt haben dürfte.
Versabteilung: Rahīna unterscheidet sich vom Reim von V. 39–41 und V. 43–49 (-īn bzw. -ūn) nur durch einen zusätzlichen Kurzvokal, stellt also zumindest eine Variation auf den Reim der Folgeverse dar. Es gibt deshalb keinen Grund, V. 38.39 mit Flügel und Paret (s. Paret, Kommentar, zu 74:42 ) und gegen alle islamischen Verszählsysteme ( Spitaler, Verszählung, 66 f. ) zu einem einzigen Vers zusammenzuziehen.
ʾillā ʾaṣḥāba l-yamīn] Die Wendung erscheint frühmekkanisch noch in 56:27, 56:90.91; vgl. früher in derselben Sure 56:8.9 und innerhalb eines Zusatzes zu Sure 90 den Vers 90:18 (in beiden Fällen: ʾaṣḥābu l-maimana). S. die Anmerkung zu 90:18.19, in der auch der neutestamentliche Hintergrund der Begriffe ʾaṣḥāba l-yamīn und ʾaṣḥāba š-šimāl behandelt wird. Zur Übersetzung von ʾillā vgl. die Anmerkung zu 70:22.
fī ǧannātin yatasāʾalūn] Gespräche im Jenseits werden frühmekkanisch noch in 52:25 (wa-ʾaqbala baʿḍuhum ʿalā baʿḍin yatasāʾalūn) und 68:30 (fa-ʾaqbala baʿḍuhum ʿalā baʿḍin yatalāwamūn) erwähnt, die beide zu Gruppe IIIb gehören. Zu ǧanna vgl. die Anmerkung zu 81:13.
Versabteilung: Medina II setzt nach yatasāʾalūn keinen Versschluss ( Spitaler, Verszählung, 66 ), doch ist die kufische Abtrennung vorzuziehen: Syntaktische nicht selbständige Verse sind auch ansonsten keine Seltenheit in frühmekkanischen Texten, und reimlich ist eine Abteilung nach yatasāʾalūn ohnehin unproblematisch ( Neuwirth, Studien, 28 ).
Mekka und Damaskus setzen nach V. 41 keinen Versschluss ( Spitaler, Verszählung, 66 ). Die Zusammenziehung von V. 41 und 42 bei Abteilung nach V. 40 ist jedoch inhaltlich nicht gerechtfertigt, da V. 41 syntaktisch zu V. 40 gehört; für die kufische Versabteilung sprechen darüber hinaus die Verslänge und die Übereinstimmung mit dem in V. 39–48 vorherrschenden Reim 2n ( Neuwirth, Studien, 28 ).
mā salakakum fī saqar] Zu saqar vgl. die Anmerkung zu V. 26.27. Die Lehrfrage reimt wie V. 18–37 auf 3(K)K3r und unterbricht den ansonsten in V. 38–49 vorherrschenden Reim 2n. Die Verwendung des Ausdrucks saqar anstelle eines reimidentischen Synonyms verweist auf die Beschreibung von saqar in V. 26–30 und V. 35–37 zurück, wodurch sich eine terminologische Verknüpfung des polemischen und des eschatologischen Teils ergibt. Nöldeke und Schwally versuchen dagegen, durch eine Emendation einen durchgängigen Reim herzustellen und konjizieren – in flagranter Verletzung des Prinzips der lectio difficilior – als ursprünglichen Wortlaut al-ǧaḥīm ( GdQ, Bd. 1, 89 ). Bell (Commentary, zu 74:43 ; Bell verwendet Flügels Zählung!) und auch Paret (Kommentar, zu 74:42) wollen die Reimlosigkeit von V. 42 dadurch beseitigen, dass sie – ohne Anhaltspunkt in den islamischen Verszählsystemen ( Spitaler, Verszählung, 66 f. ) – V. 42 und 43 zu einem einzigen Vers zusammenziehen. Wie jedoch 70:10, 80:32 und 82:6 zeigen (s. Nöldeke / Schwally, GdQ, Bd. 1, 38 ), kommen reimlose Verse bzw. „isolierte Reime“ ( Neuwirth, Studien, 91 f. ) auch anderswo im Koran vor und lassen sich in den meisten Fällen auch als intendierte rhetorische Signale erklären (s. die obige Bemerkung zum Rückverweis auf die vorigen Vorkommnisse von saqar). Man wird deshalb an der überlieferten Textgestalt von 74:42 festhalten können.
qālū lam naku mina l-muṣallīn] Die Unterlassung des Gebets wird auch in 75:31 (fa-lā ṣaddaqa wa-lā ṣallā) angeprangert ( Paret, Kommentar, ad loc. ). Zum Verb ṣallā s. allg. die Anmerkung zu 108:2.
wa-lam naku nuṭʿimu l-miskīn] Die Zentralität der Armenspeisung wird frühmekkanisch noch in 107:3, 90:14.15, 89:18 und 69:34 hervorgehoben, zumeist wie hier in polemischem Zusammenhang; bei 69:34 handelt es sich wie im vorliegenden Vers um einen Rückblick aus dem Jenseits in die irdische Gegenwart. Der Verdienst karitativer Werke an Armen und Waisen ist bereits ein biblischer Topos, vgl. die Anmerkungen zu 107:2.3 sowie zu 90:11–16.
wa-kunnā nukaḏḏibu bi-yaumi d-dīn] Zu ad-dīn vgl. die Anmerkung zu 107:1. Zu den verschiedenen Gebrauchsweisen von kaḏḏaba vgl. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11.
fa-mā tanfaʿuhum šafāʿatu š-šāfiʿīn] Zur Frage der Fürsprache am Jüngsten Tag vgl. noch 82:19 (yauma lā tamliku nafsun li-nafsin šaiʾan) und 80:37; die eine Interzession der Engel bedingt akzeptierenden Verse 78:38 (yauma yaqūmu r-rūḥu wa-l-malāʾikatu ṣaffan lā yatakallamūna ʾillā man ʾaḏina lahu r-raḥmānu wa-qāla ṣawābā) und 53:26 (wa-kam min malakin fĭ s-samāwāti lā tuġnī šafāʿatuhum šaiʾan ʾillā min baʿdi ʾan yaʾḏana llāhu li-man yašāʾu wa-yarḍā) sind beide nicht mehr aus frühmekkanischer Zeit stammende Einschübe. Obwohl 80:34–37 und 82:19 allgemein auf der irreduziblen Verantwortung des Einzelnen für sein Tun insistieren (s. die Anmerkung zu 82:19 mit einer psalmischen Parallele), sprechen sie doch im Gegensatz zum vorliegenden Vers noch nicht terminologisch präzise von „Fürsprache“ (š-f-ʿ). Offen bleibt hier, welche Art von Fürsprache gemeint ist, doch dürfte angesichts der (allerdings späteren) Verse 53:26 und 78:23 nicht an die neutestamentliche Vorstellung einer eschatologischen Fürsprache Christi (Römerbrief 8:34, Hebräer 7:25) zu denken sein, sondern an die dort thematisierte Interzession von Engeln, die auch Teil christlicher Volksfrömmigkeit war (s. a. die Anmerkungen in Andrae 1932, 17 ). Die Stelle ist vielleicht vor dem Hintergrund der kategorischen Ablehnung der Möglichkeit einer Fürbitte am Jüngsten Tag im griechischen Ephrem-Korpus zu verstehen: „Selbst die Seraphen bemühen sich nicht (für die Sünder einzuschreiten), denn auch sie stehen in Verwirrung und Furcht da. Sie sehen des Richters brennende Zornesglut und schweigen wie Tote. Die Heiligen wagen keine Bitte an ihn zu richten, denn der Rauch seiner Zornesglut steigt auf. Sie zittern aus Furcht, dass sie den Sündern zugezählt werden könnten.“ ( Andrae 1926, 144 ). Zu späteren koranischen Vorkommnissen von š-f-ʿ s. Paret, Kommentar, ad loc. – Das Verb nafaʿa wird in frühmekkanischer Zeit sonst immer mit ḏikrā verknüpft (vgl. das wurzelidentische taḏkira im folgenden Vers): s. 87:9 (fa-ḏakkir ʾin nafaʿati ḏ-ḏikrā), 80:4 (ʾau yaḏḏakkaru fa-tanfaʿahu ḏ-ḏikrā) sowie 51:55 (wa-ḏakkir fa-ʾinna ḏ-ḏikrā tanfaʿu l-muʾminīn) (Stellen bei Neuwirth, Studien, 215 ).
fa-mā lahum ʿani t-taḏkirati muʿriḍīn] Vgl. 70:36.37 (fa-mā li-llaḏīna kafarū qibalaka muhṭiʿīn / ʿani l-yamīni wa-ʿani š-šimāli ʿizīn; Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 372 ). Zur Verwendung der Begriffe ḏikr, ḏikrā und taḏkira vgl. die Anmerkung zu 73:19. Obwohl der Vers reimmäßig noch mit dem vorhergehenden Abschnitt verbunden ist, gehört er syntaktisch zum folgenden polemischen Gesätz. Dieses als „Reimverkettung“ beschreibbare Phänomen „erfüllt eine doppelte Funktion: zwei aneinander angrenzende Gesätze können sowohl durch jeweils eigenen Reim als selbständige Einheiten markiert werden als auch durch den einzelnen über die inhaltliche Fuge hinüberreichenden Reim als zu einem übergeordneten größeren Komplex gehörig gekennzeichnet werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass solche Reimfiguren ursprünglich mnemotechnische Funktionen erfüllen sollten; auf jeden Fall ist diese Reimfigur mit ihrer Möglichkeit zu gleichzeitiger Differenzierung und Verknüpfung von kompositorischen Einheiten in späterer Zeit zu einem häufig eingesetzten Darstellungsmittel geworden“ ( Neuwirth, Studien, 99 ).
farrat min qaswarah] Wie häufig in der altarabischen Dichtung wird hier ein Tiername durch ein – aus der Wurzel q-s-r, „bezwingen“, „zwingen zu“, gebildetes – adjektivisches Epitheton umschrieben (ähnliche Umschreibungen kommen z. B. in 77:27 und 78:12 vor). In der Kommentarliteratur werden noch weitere, weniger wahrscheinliche Deutungen angeboten (u. a. „Bogenschützen“ oder eine „Schar von Männern“; s. Ṭabarī, ad loc. ); doch muss die Tatsache, dass in der tafsīr-Literatur mehrere unvereinbare Deutungen des Wortes überliefert werden, nicht besagen, dass keine von ihnen zutreffen kann. James Bellamy deutet das Wort als Resultat der Verschreibung einer Arabisierung von syr. pantōrā > fantūra ( Bellamy 1996, 198 ). Da Bellamy jedoch keine Belege für die Existenz des von ihm postulierten Wortes fantūra liefern kann und seine Emendation überdies den Reim zerstört, erscheint sie eher abwegig. Luxenberg versucht zu erweisen, dass eigentlich qāsōrā zu lesen ist, was er von syr. quṣrā, „siecher Esel“, ableiten will. Seiner Meinung nach würde der Vorwurf, die Gegner Muḥammads liefen vor dem Koran davon wie Esel vor einem Löwen, inhaltlich keinen Sinn ergeben, da man Eseln nicht zum Vorwurf machen könne, dass sie vor einem gefährlichen Raubtier die Flucht ergreifen ( 2000, 45–48 ). Gegenstand des Vorwurfs ist aber wohl nicht die Reaktion des Davonlaufens als solche, sondern die ihr zu Grunde liegende Einschätzung, der Koran sei etwas, angesichts dessen Flucht überhaupt angebracht ist. Luxenbergs eigene Deutung („... wie aufgeschreckte Esel, / die vor einem siechen Esel fliehen“), die wie Bellamys Emendation den Reim zerstört, würde im Übrigen implizieren, dass der Koran sich selbst hier mit einem siechen Esel vergleicht, was angesichts seiner sonstigen Selbstbeschreibungen kaum wahrscheinlich ist.
bal yurīdu kullu mriʾin minhum ʾan yuʿtā ṣuḥufan munaššarah] Die Wendung kullu mriʾin erscheint in Mekka I sonst noch in 80:37, 70:38 und 52:21 ( Neuwirth, Studien, 215 ). Zu ṣuḥuf s. die Anmerkung zu 87:18.19. Von „ausgebreiteten“ Schriften ist zuvor noch in dem zu Gruppe II gehörigen Vers 81:10 (wa-ʾiḏă ṣ-ṣuḥufu nušširat) die Rede, wo der Kontext eindeutig eschatologisch ist: Vor dem Jüngsten Gericht werden die als Grundlage der Urteilsfindung dienenden Tatenregister der Guten und Bösen ausgebreitet (vgl. a. die Anmerkung zu der etwas später anzusetzenden Stelle 52:3). Vor dem Hintergrund dieser Parallele ist zu erwägen, ob das hier referierte Ansinnen der Gegner sich nicht auf die Forderung einer Einsichtnahme in die aus früheren Koransuren bekannten Tatenregister bezieht (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 372 ). Andererseits sprechen verschiedene Erwägungen dafür, den Einwand in erster Linie auf die mediale Gestalt der koranischen Verkündigungen selbst zu beziehen: Drei allerdings spätere Verse – in mittelmekkanischer Zeit 17:93, in spätmekkanischer Zeit 6:7 und in Medina 4:153 – sprechen davon, die Gegner des Verkünders würden von ihm verlangen, eine Schrift (kitāb) vom Himmel herabzubringen (nazzala), während in der mittelmekkanischen Stelle 25:32 die gegnerische Frage zitiert wird, warum der Koran nicht ǧumlatan wāḥidatan, „als ein Ganzes“, herabgesandt worden sei. Im Hintergrund all dieser Stellen scheint die – angesichts der Phänomenologie jüdisch-christlichen Schriftgebrauchs naheliegende – Vorstellung zu stehen, genuine Offenbarungen hätten sich nicht in Gestalt einer in dynamischem Wachstum begriffenen Serie mündlicher Rezitationstexte, sondern als schriftlich fixierte und in ihrem Umfang klar abgegrenzte Textkorpora zu manifestieren. Auch die ṣuḥuf munaššara aus 74:52 sind deshalb wohl als „schriftlich fixierte Offenbarungsschriften“ zu paraphrasieren.
kallā bal lā yaḫāfūna l-ʾāḫirah] Zu al-ʾāḫirah vgl. die Anmerkung zu 93:4.
kallā ʾinnahū taḏkirah / fa-man šāʾa ḏakarah] Wie Q 73, 74 und 85 endet auch Q 87 mit einer Offenbarungsbestätigung als regelrechtem Surenschluss, die sich pronominal (hier mit dem Demonstrativpronomen) auf das koranische Offenbarungsgeschehen insgesamt bezieht (zur Frage der Referenz solcher Bezüge s. den Stellenkommentar zu 97:1); vgl. ähnliche frei schwebende Referenzen in 73:19, 85:21 und 97:1 mit dem Personalpronomen der dritten Person, in 73:19 und 87:18 ebenfalls deiktisch. Als Surenschluss können auch, wie z. B. in Q 96, Aufrufe fungieren. Zur frühmekkanischen Verwendung des Begriffs taḏkira s. die Anmerkung zu 73:19. Zum Wortlaut der beiden Verse vgl. insb. 80:11.12 (kallā ʾinnahā taḏkirah / fa-man šāʾa ḏakarah) und 73:19 (ʾinna hāḏihī taḏkiratun fa-man šāʾa ttaḫaḏa ʾilā rabbihī sabīlā), wo jeweils auf eine durch kallā eröffnete Beschreibung der koranischen Verkündigungen als taḏkira ein impliziter Hörerappell der sprachlichen Form fa-man šāʾa + Verb im Perfekt folgt; vgl. aber auch 81:27.28 (ʾin huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn / li-man šāʾa minkum ʾan yastaqīm). In der Aussage ʾinnahū taḏkirah fällt die Kombination von maskulinem Pronomen und weiblichem Substantiv auf. Das männliche Pronomen rechtfertigt jedoch immerhin das ebenfalls männliche Objektsuffix im folgenden Vers (anders 80:11.12, wo das pronominale Suffix von ʾinna weiblich ist, das Objektsuffix von ḏakara jedoch trotzdem maskulin).
wa-mā yaḏkurūna ʾillā ʾan yašāʾa llāh] Zum Gottesnamen Allāh s. die Anmerkung zu 95:8. Vgl. insb. auch Vers 81:29 (wa-mā tašāʾūna ʾillā ʾan yašāʾa llāhu rabbu l-ʿālamīn), der wohl ebenfalls ein Einschub ist (s. Literarkritik).
huwa ʾahlu t-taqwā wa-ʾahlu l-maġfirah] Zum Verb ittaqā und dem zugehörigen Substantiv taqwā s. die Anmerkung zu 92:5.
Literaturliste
Der Text beginnt wie die frühere Sure 73 mit einem partizipialen, ein Sich-Verhüllen des Verkünders evozierenden Vokativ, dem eine Serie von Imperativen – mit qum an erster Stelle – folgt. Vergleichbar den gegen Ende von Gruppe I zu lokalisierenden Suren 93, 94 und 108 erhält die in anderen frühen Suren (z. B. Q 99, 100, 101, 104 etc.) nicht vordergründige Figur des Verkünders damit eine massive innertextliche Präsenz. Die Sure trägt insofern nicht nur eine bestimmte Botschaft (nämlich die vom drohenden Gericht) vor, sondern macht mit rhetorischen Mitteln auch die diskursive Konstellation deutlich, innerhalb derer die Übermittlung und Verkündigung dieser Botschaft vorzustellen sind. Diese das gesamte erste Gesätz prägende Fokussierung auf die Person des Verkünders und die Umstände seines Offenbarungsempfangs dürfte als Autorisierungsmechanismus zu verstehen sein (vgl. allg. Sinai 2006, 112 und passim): Gegen den u. a. in 81:22.25 erhobenen Vorwurf, Muḥammads Auftreten gründe auf einer niederen und unzuverlässigen dämonischen Inspirationsquelle wird so die religiöse Respektabilität seines Offenbarungsanspruches anschaulich gemacht.
Im Unterschied zu Sure 73, die den Verkünder zu nächtlichen Andachtsübungen anhält, ruft der vorliegende Text ihn zu Predigt und ethischer Reinheit auf: V. 2 (qum fa-ʾanḏir, „stell dich hin und warne“) zielt, anders als 73:2 (qumi l-laila ʾillā qalīlā, „steh die Nacht über bis auf ein weniges“) nicht auf die Abhaltung von Vigilien ab, sondern auf die Verkündigung der frühmekkanischen Gerichtsbotschaft, welche die Anwesenheit eines größeren Publikums voraussetzt. Im Zusammenhang hiermit ist auch der folgende Vers (wa-rabbaka fa-kabbir) wohl nicht als Forderung konkreter liturgischer Leistungen zu verstehen (wie 73:4, wa-rattili l-qurʾāna tartīlā), sondern als Anweisung an Muḥammad, er solle gegenüber seiner zu „warnenden“ Hörerschaft Gottes Macht insbesondere zur Auferweckung und Aburteilung der Toten bekennen. Die folgenden Imperative rufen dann zur Bewahrung moralischer Reinheit auf (V. 4–6) sowie zum geduldigen Erwarten der göttlichen Vergeltung (V. 7), die – wie ein den ersten Teil abschließender kurzer Temporalsatz deutlich macht – am Jüngsten Tag über die „Ungläubigen“ hereinbrechen wird (V. 8–10). Der damit implizierte Katalog positiver Verhaltensweisen deckt sich mit monastischen Idealen (zur Nähe der frühkoranischen Verkündigung zu Elementen christlicher Mönchsfrömmigkeit vgl. allg. Andrae 1926 ).
Die insgesamt fünf Gesätze des zweiten Teils lassen sich schematisch in zwei Gesätzgruppen (IIa und IIb) gliedern: Während das dritte und vierte Gesätz (V. 11–26) die diesseitigen Vergehen eines prototypischen Bösen behandeln, sind das fünfte bis siebte Gesätz (V. 27–48) seiner Bestrafung im Jenseits gewidmet. Die beiden ersten Gesätze des zweiten Teils sind einander dabei nicht nur thematisch, sondern auch formal und sprachlich zugeordnet: Beide schließen mit analog strukturierten Drohworten in der ersten Person Plural (V. 17: sa-ʾurhiquhū ṣaʿūdā, V. 26: sa-ʾuṣlīhi saqar), die sich von den auf V. 11 (wa-man ḫalaqtu waḥīdā) rekurrierenden Formen der dritten Person Singular in V. 12–16 und V. 18–25 abheben. Zudem folgen beide Drohungen auf Verse, welche die Haltung des Undankbaren gegenüber Gottes Offenbarungen (V. 16 und V. 18–25) thematisieren. In dramaturgischer Hinsicht ergeben V. 11–26 eine langsam ansteigende und schließlich in dem direkten Zitat V. 24.25 kulminierende Spannungskurve. Das dritte Gesätz (V. 11–17) rekapituliert zunächst die dem Menschen von Gott gewährten Gnadenerweise, auf welche dieser nicht mit der gebotenen Dankbarkeit reagiert, sondern mit der provokante Forderung nach weiteren Gaben (V. 15). Der im vorletzten Vers des dritten Gesätzes (V. 16) getroffene Befund der „Widerspenstigkeit“ gegen die göttlichen „Zeichen“ – sowohl gegen die natürlichen Gnadenerweise als auch gegen die koranischen Mahnungen – wird dann im vierten Gesätz zu einer szenischen Schilderung der mimischen und körpersprachlichen Reaktion des Beschuldigten entfaltet (V. 18–23), die in einer wörtlich zitierten Absage an den koranischen Offenbarungsanspruch gipfelt: „Das ist nur überlieferter Zauber; das ist nur die Rede eines Sterblichen!“ (V. 24.25). Der Passus schließt mit einer Drohung, die den im Mittelpunkt der folgenden beiden Gesätze (V. 27–48) stehenden Ausdruck saqar vorgibt: „Ich werden ihn im Sengen (saqar) schmoren lassen!“ (V. 26)
Das fünfte bis siebte Gesätz sind vorwiegend dem Schicksal des Bösen im Jenseits gewidmet, enthalten jedoch in Form einer Selbstbezichtigung (V. 43–47) auch weitere Informationen über seine irdischen Vergehen. Durch den gesamten Abschnitt zieht sich das erstmals am Ende des vierten Gesätzes in V. 26 eingeführte Fokuswort saqar, „das Sengen“. Es wird zunächst zum Gegenstand einer Lehrfrage gemacht, welche die umfassende Zerstörungskraft des Höllenfeuers betont: „Es lässt nichts übrig und verschont nichts“ (V. 28) und es „verbrennt die Haut“ (V. 29: lawwāḥatun li-l-bašar) – ein sarkastisches Wortspiel auf das im vorangehenden Gesätz gebrauchte Homonym bašar = „Menschen“ und „Haut“ (V. 25: ʾin hāḏā ʾillā qaulu l-bašar), das einen für das Delikt des Leugnens der göttlichen „Zeichen“ (V. 16) zentralen Ausdruck in der Beschreibung der als Strafe dafür verhängten saqar wieder aufnimmt ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 369 ). Die folgende Feststellung, über das Höllenfeuer seien „neunzehn“ nicht weiter spezifizierte Aufseher eingesetzt (V. 30), löste offenbar Spekulationen aus, die in medinensischer Zeit dann zum Einschub des sehr langen V. 31 führten. Dieser ruft zu gläubiger Akzeptanz der koranischen Quantifizierung auf und diffamiert jegliche Nachfrage nach ihrem Sinn und Zweck als Symptom eines „kranken Herzens“. Phraseologie und Intention des Zusatzes erinnern an 3:7, wo von illegitimen Deutungsversuchen seitens „derer, in deren Herzen Abweichung (zaiġ) ist“, die Rede ist; möglicherweise ist V. 30 geradezu als eine jener „ambivalenten Schriftstellen“ (mutašābihāt) zu deuten, deren Sinn Q 3:7 zufolge nur Gott kennt.
In der ursprünglichen Textfassung folgte auf V. 30 eine kurze Schwurserie (V. 32–34) mit anschließender mehrversiger Aussage (V. 35–37), wobei die mit verbalen Zusätzen versehenen Schwüre bei der Nacht und dem Morgen (V. 33.34) vielleicht bedrohlich erscheinende Übergangszeiten nennen sollen, die einerseits den unwiderruflichen Charakter der von den Hörern verlangten Entscheidung repräsentieren könnten, andererseits aber auch kosmische Analogien für die zuvor geschilderte „Abwendung“ von Teilen der koranischen Hörerschaft einblenden: V. 33 gebraucht von der Nacht das Verb ʾadbara, „abwenden“, das im Koran sonst immer die negativ beurteilte Ablehnung der koranischen Botschaft beschreibt ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 370 ) und in dieser Funktion bereits in V. 23 erscheint. Im Anschluss folgt eine weitere Charakterisierung der saqar, die erstmals auch die Möglichkeit einer positiven Reaktion anspricht (V. 36.37: naḏīran li-l-bašar / li-man šāʾa minkum ʾan yataqaddama ʾau yataʾaḫḫar). Wie in V. 29 wird dabei erneut mit der Homonymie von bašar = „Menschen“ und „Haut“ gespielt, was die parallele Konstruktion von V. 29.36lawwāḥatun / naḏīran li-l-bašar noch zusätzlich unterstricht. Zugleich bezieht sich die der saqar zugeschriebene Warnerfunktion auf den Imperativ in V. 2 (qum fa-ʾanḏīr) zurück: Die Rezitation des zweiten Teils mit seiner Warnbotschaft stellt sich damit als Realisierung der einleitend geforderten Verkündigungstätigkeit heraus.
Das siebte Gesätz beginnt mit einem Warnspruch, der die individuelle Verantwortung für das eigene Tun festhält (V. 38). Die folgende ʾillā-Qualifikation – trotz ihrer Ähnlichkeit mit manchen Einschüben sicher ein originärer Textbestandteil – führt dann die Seligen ein, die offenbar „teichoskopisch“ in die Hölle Einblick nehmen können ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 371 ); sie befragen die Frevler – unter Verwendung des im vorigen Gesätz zentralen Wortes saqar – nach ihren Vergehen (V. 40–42), und erhalten als Antwort einen Lasterkatalog (V. 43–47), der wie etwa auch Q 107 religiöse Vergehen (Unterlassung des Gebets, Leugnung des Jüngsten Gerichts) mit moralischen Versäumnissen (keine Armenspeisung, mangelnde Ernsthaftigkeit bzw. ungeniertes „Drauflosschwätzen“) verknüpft (zu diesem bereits für die frühesten Korantexte zentralen Konnex vgl. den Kommentar zu Q 107). Der Lasterkatalog invertiert die monastischen Tugenden Beten, Almosen, Ernsthaftigkeit, Furcht vor dem Jüngsten Tag um ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 371 ) und stellt damit das implizite Gegenstück zu den positiven Verhaltensweisen dar, die im Anfangsgesätz dem Verkünder und indirekt auch seinen Anhängern abgefordert werden; zugleich ergänzt er die auf mangelnde Dankbarkeit gegenüber Gott und Leugnung der koranischen Verkündigungen zugespitzte Darstellung des Bösen im dritten und vierten Gesätz. Als eine wesentliche Aussagedimension der Sure erscheint damit die Konturierung einer koranischen Ethik, die Gerichtsfurcht, liturgische Leistungen und soziale Solidarität kombiniert. Das abschließende Drohwort in V. 48 weist anders als spätere Vers noch kategorisch jede Art von Fürsprache am Jüngsten Tag zurück.
Das Schlussgesätz greift erneut die bereits in V. 16 und V. 24.25 thematisierte Ablehnung der koranischen Verkündigungen durch einen Teil ihres Publikums auf. Wie in V. 18 ff. geschieht dies wiederum in Form einer szenischen Charakterisierung, welche den Gegnern ironisch vorwirft, sie würden vor den Korantexten davonlaufen wie vor einem reißenden Löwen (V. 51), während sie zugleich vor dem Jüngsten Tag, dem gegenüber Furcht viel angebrachter wäre, keinerlei Angst verspüren (V. 53).
Aufschlussreich für eine Rekonstruktion der Haltung von Muḥammads Gegnern ist die Aussage, diese würden verlangen, dass man ihnen „Schriftstücke“ vorlege (V. 52). Im Hintergrund scheint wohl von jüdisch-christlichem Schriftgebrauch inspirierte Vorstellung mancher Hörer zu stehen, göttliche Offenbarungen hätten sich als schriftlich fixierte und in ihrem Umfang klar abgegrenzte Textkorpora zu manifestieren. Wenn die koranischen Verkündigungen anderswo beanspruchen, auf einer himmlischen Urschrift zu basieren (vgl. den Kommentar zu 80:13–16 und 85:21.22), so lässt sich dies als Versuch einer Entgegnung auf derartige Einwände lesen (so Sinai 2006, 112 ff. ). Möglich ist aber auch, dass die in 74:52 referierte Forderung erst eine Reaktion auf die in Texten wie 80:13–16 und 85:21.22 als Autoritätsgarant angeführten himmlischen Schriften darstellt. Hierfür würde die Tatsache sprechen, dass 85:21.22 noch zu Gruppe II der frühmekkanischen Texte gehört, also etwas früher als Q 74 anzusetzen ist. Andererseits könnte die diffuse Annahme einer generellen ‚Schrifthaftigkeit’ von Offenbarungen bereits vor ihrer expliziten Zitierung in 74:52 artikuliert worden sein. Jedenfalls erscheint auch in V. 52 wieder die bereits dem ersten gegnerischen Zitat in V. 24.25 zugrundeliegende Frage nach der Wahrheit des koranischen Offenbarungsanspruchs, der offenbar immer weiter ins Zentrum der Debatte zwischen Anhängern und Gegnern Muḥammads rückt. Derartigen Zweifeln an der göttlichen Herkunft der Korantexte setzt der Surenschluss eine an Q 73 angelehnte Beschreibung derselben als taḏkira, „Mahnung“, entgegen. Der abschließende Appell zur Beherzigung dieser Mahnungen wurde später mit einer deterministisch motivierten dogmatischen Korrektur versehen (V. 56).
Literaturliste
Die Sure (durchschnittlich 8,7 Silben pro Vers) ist frühmekkanisch und gehört genauer mit Q 75, 77, 78, 79 und 80 zusammen (Gruppe IIIa): Alle diese Texte weisen von der Verslänge her noch Kontinuitäten mit Gruppe II auf (durchschnittliche Silbenzahl pro Vers zwischen 8 und 11 Silben), haben jedoch eine merklich längere Gesamtlänge als die Suren aus Gruppe II und gliedern sich bereits in aus mehreren Gesätzen bestehende Surenhauptteile. Diese Einordnung wird dadurch gestützt, dass Sure 74 eine Reihe auffälliger lexikalischer Überschneidungen mit Sure 80 aufweist (s. im Detail Neuwirth, Studien, 215 , sowie die Anmerkungen zu V. 17.18.19.20.22.48.49.52.54), die unter stilistisch-strukturellem Gesichtspunkt ebenfalls zu Gruppe IIIa gehört. Die engen Berührungen zwischen dem vorliegenden Text und der unter stilistischem Gesichtspunkt zu Gruppe IIIb zu zählenden Sure 73 (einleitende Anrede des Verkünders mit anschließenden Aufrufen, abschließende Qualifikation der koranischen Offenbarungen als taḏkira) sind deshalb am ehesten als bewusste Rückbezüge von Q 73 auf Q 74 zu erklären. Neuwirth ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 53 und 56 ) weist die beiden Suren 73 und 74 derselben Surengruppe zu. Allerdings müssen strukturelle und thematische Parallelen zwischen zwei Korantexten nicht notwendigerweise auf eine zeitnahe Erstverkündigung hindeuten , sondern lassen sich grundsätzlich auch als Indiz einer späteren Anknüpfung an einen bereits vorliegenden Text erklären. Zudem ist festzuhalten, dass die durchschnittliche Verslänge der beiden Suren eklatant divergiert (Q 74: 8,7 Silben; Q 73 ohne den sicherlich später hinzugekommenen Schlussvers: 17,5 Silben). Will man folglich das Prinzip, dass Unterschiede in der durchschnittlichen Verslänge eine chronologische Signifikanz besitzen, nicht gänzlich aufgeben, so dürfte eine Späterdatierung von Sure 73 doch wahrscheinlicher sein, auch wenn Sure 74 mehr Verse aufweist (vgl. den Kommentar zu Q 73).
Angesichts dieser auf stilistischen und strukturellen Kriterien basierenden chronologischen Einordnung erscheint die traditionelle Erzählung, dass Muḥammad nach seiner ersten Vision auf dem Berg Ḥirāʾ mit den Worten „Hüllt mich ein!“ (zammilūnī) zu Ḫadīǧa geeilt sei, woraufhin dann Q 74 offenbart worden sei, eher als nachträgliche narrative Ausschmückung des einleitenden Vokativs (vgl. Paret 1980, 52 ). Aus rein textimmanenter Perspektive spricht jedenfalls wenig dafür, in Q 74 eine Anspielung auf Muḥammads Berufungserlebnis zu entdecken. Wenn dieses im Koran überhaupt präsent ist, so am ehesten – mit einer beträchtlichen zeitlichen Verzögerung – in den Visionsschilderungen von Q 53 und Q 81 (s. die Kommentare zu diesen beiden Suren).
Der außerordentlich lange und ohne gedankliche Lücke aus dem Text eliminierbare V. 31 ist unschwer als spätere Erweiterung zu erkennen (so bereits Nöldeke / Schwally, GdQ, Bd. 1, 88 f. ). Für einen Zusatz spricht auch der pronominale Rückbezug der folgenden Schwurpassage V. 32–37 auf saqar aus V. 26 (V. 35: ʾinnahā ...), der durch V. 31 gestört wird. Auch terminologisch verweist der Vers auf spätere Suren: Die Formulierung yuḍillu llāhu man yašāʾu wa-yahdī man yašāʾu ist sonst nur spätmekkanisch belegt (vgl. noch 14:4, 16:93, 28:56 und 35:8), die Wendungen allaḏīna ʾūtŭ l-kitāb („diejenigen, denen die Schrift gegeben wurde“) und allaḏīna fī qulūbihim maraḍun („diejenigen, in deren Herzen Krankheit ist“) sogar nur für medinensische Texte. Der Vers ist also wohl erst nach der hiǧra zu datieren, vgl. Nöldeke / Schwally, ebd. : „Die Interpolation [...] ist jedenfalls erst medīnisch. Denn wir finden in ihr schon die vier Klassen von Menschen unterschieden, mit denen es Muhammed in Medīna zu tun hatte: 1) die Juden („die, welche die Schrift erhalten haben“), 2) die Muslime („die, welche glauben“); 3) die Zweifler, „die in deren Herzen Krankheit ist“ [und] 4) die Götzendiener. Doch mögen sie immerhin aus der ersten medīnischen Zeit sein, da er in ihnen noch der Juden freundlich gedenkt und sie mit den Gläubigen in eine Linie stellt, während er dieselben bald als seine bittersten Feinde erkannte.“ Für einen Einschub von V. 31 lässt sich darüber hinaus ein nachvollziebhares Motiv ausmachen: Offenbar löste die Quantifizierung der Höllenwärter in V. 30 unter den mit biblischen Traditionen vertrauteren medinensischen Hörern eine Debatte aus, zu welcher V. 31 dann Stellung nimmt.
V. 56 dürfte ebenfalls eine spätere Ergänzung darstellen: Gegen die Voraussetzung einer genuinen Wahlfreiheit der koranischen Adressaten in V. 55 wird hervorgehoben, dass das menschliche Wollen vom vorgängigen Wollen Gottes abhängt. Ein ganz analoger Fall liegt in Vers 81:29 vor. In Q 73:19 ist eine ähnliche Wendung allerdings ohne Korrektur geblieben, ebenso in 74:37, 78:39, 80:12, wo der Text überall ohne Einschränkung davon spricht, dass Menschen eine Beherzigung der koranischen Botschaft o. Ä. „wollen“ können ( Ahrens 1935, 83 ).
Nöldeke und Schwally zufolge sind auch V. 38 ff. „späterer Herkunft, aber immer noch aus der ersten Periode“, wofür sie allerdings eine zwingende Begründung schuldig bleiben ( GdQ, Bd. 1, 89 ; vgl. Paret, Kommentar, zu 74:42 ). Zwar ähnelt V. 39 (ʾillā ʾaṣḥāba l-yamīn) nachträglich eingefügten Abmilderungen wie 84:25, doch lässt sich der Vers nicht aus seinem Kontext extrahieren, da das folgende Gespräch zwischen Seligen und Verdammten ihn voraussetzt (gegen Neuwirth, Studien, 201 ). Man müsste deshalb das gesamte Gesätz V. 38–48 als Zusatz betrachten, wofür jedoch kaum hinreichende Indizien vorliegen, zumal die Wendung ʾaṣḥāb al-yamīn als solche in frühmekkanischer Zeit durchaus belegt ist, nämlich in der (allerdings etwas späteren) Sure 56.
Die Sure gliedert sich in drei Teile, von denen zumindest die ersten beiden mehrgesätzig sind. Sie ist durchgängig drohend und nutzt fast das gesamte in Gruppe II zur Verfügung stehende Register eschatologischer und polemischer Formen. Der erste Teil hat den Charakter eines dramatischen Prologs: Die Imperativserie im ersten Teil setzt rhetorisch eindrucksvoll den an Muḥammad ergangenen göttlichen Auftrag zu eschatologischer Verkündigung in Szene, als dessen Umsetzung sich der zweite Teil mit seiner ausführlichen Reformulierung der frühmekkanischen Gerichtsbotschaft verstehen lässt, was auch durch einen terminologischen Rückbezug von V. 36 (naḏīran li-l-bašar) auf den einleitenden Imperativ in V. 2 (qum fa-ʾanḏir) unterstrichen wird. Der dritte Teil schließlich kommentiert polemisch den Unglauben, mit dem die angesprochenen Hörer die ihnen vorgetragene „Mahnung“ (V. 49) quittieren.
Überblick
1–7 3(K)K3r | I 1 1.2 Aufruf zur Verkündigung |
3 liturgischer Aufruf | |
4–6 ethischer Aufruf | |
7 Mahnung zur Standhaftigkeit | |
8–10 āK2r / 3K2r | 2 8–10 eschatologischer Temporalsatz mit Nachsatz (V. 9.10) |
11–17 2dā | IIa 3 11–14 Mahnung zur Abkehr von den Ungläubigen (ḏarnī) mit Werkaffirmationen |
15.16 Scheltworte | |
17 abschließendes Drohwort (1. P. Sg. Futur) | |
18–37 3(K)K3r | 4 18–25 polemische Schilderung des Bösen |
26 abschließendes Drohwort (1. P. Sg. Futur; vgl. V. 17) | |
IIb 5 27–30 Lehrfrage zu V. 26 (saqar) | |
[31 Klarstellung zu V. 30] | |
6 32–34 Schwüre (Mond, Nacht, Morgen) | |
35–37 Schwuraussage: Warnspruch (über saqar) | |
38 2nah | 7 38 Warnspruch |
39–41 2n, 42 3K3r, 43–48 2n | 39–47 Paradiesbeschreibung mit Lasterkatalog in Rückblende (Selbstbezichtigung der Verdammten, V. 43–47) |
48 Drohwort | |
49 2n, 50–56 3KK3rah | III 8 49–51 polemische Fragen (Reaktionen auf die Verkündigung) |
52 Scheltwort | |
53 Scheltwort | |
54.55 Offenbarungsbestätigung (taḏkira) | |
[56 einschränkender Zusatz] |