بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
ٱلۡحَآقَّةُ |
I11 Was in Erfüllung geht! |
مَا ٱلۡحَآقَّةُ |
2 Was ist es, das in Erfüllung geht? |
وَمَآ أَدۡرَىٰكَ مَا ٱلۡحَآقَّةُ |
3 Was lässt dich wissen, was es ist, das in Erfüllung geht? |
كَذَّبَتۡ ثَمُودُ وَعَادٌۢ بِٱلۡقَارِعَةِ |
24 Ṯamūd und ʿĀd haben die Erschütternde geleugnet. |
فَأَمَّا ثَمُودُ فَأُهۡلِكُوا۟ بِٱلطَّاغِيَةِ |
5 Die Ṯamūd wurden durch die Unbändige vernichtet; |
وَأَمَّا عَادٌ فَأُهۡلِكُوا۟ بِرِيحٍۢ صَرۡصَرٍ عَاتِيَةٍۢ |
6 die ʿĀd aber wurden durch einen heftigen Eiswind vernichtet, |
سَخَّرَهَا عَلَيۡهِمۡ سَبۡعَ لَيَالٍۢ وَثَمَٰنِيَةَ أَيَّامٍ حُسُومًۭا |
7 den er sieben Nächte und acht Tage mit vernichtender Wirkung über sie kommen ließ, |
فَتَرَى ٱلۡقَوۡمَ فِيهَا صَرۡعَىٰ |
so dass man die Leute dort niedergestreckt liegen sah, |
كَأَنَّهُمۡ أَعۡجَازُ نَخۡلٍ خَاوِيَةٍۢ |
als wären sie verwüstete Palmstümpfe. |
فَهَلۡ تَرَىٰ لَهُم مِّنۢ بَاقِيَةٍۢ |
8 Siehst du von ihnen noch irgendeinen Überrest? |
وَجَآءَ فِرۡعَوۡنُ وَمَن قَبۡلَهُۥ وَٱلۡمُؤۡتَفِكَٰتُ بِٱلۡخَاطِئَةِ |
39 Auch Pharao und die vor ihm sowie die umgewendeten Städte haben gesündigt. |
فَعَصَوۡا۟ رَسُولَ رَبِّهِمۡ |
10 Sie widersetzten sich dem Gesandten ihres Herrn; |
فَأَخَذَهُمۡ أَخۡذَةًۭ رَّابِيَةً |
da packte er sie mit gewaltigem Griff. |
إِنَّا لَمَّا طَغَا ٱلۡمَآءُ |
11 Als aber das Wasser anschwoll, |
حَمَلۡنَٰكُمۡ فِی ٱلۡجَارِيَةِ |
da trugen wir euch auf dem dahingleitenden Schiff, |
لِنَجۡعَلَهَا لَكُمۡ تَذۡكِرَةًۭ |
12 um es zu einer Mahnung für euch zu machen, |
وَتَعِيَهَآ أُذُنٌۭ وَٰعِيَةٌۭ |
die von achtsamen Ohren vernommen wird. |
فَإِذَا نُفِخَ فِی ٱلصُّورِ نَفۡخَةٌۭ وَٰحِدَةٌۭ |
II413 Wenn dann ein einziges Mal in die Trompete gestoßen wird |
وَحُمِلَتِ ٱلۡأَرۡضُ وَٱلۡجِبَالُ |
14 und Erde und Berge emporgehoben werden |
فَدُكَّتَا دَكَّةًۭ وَٰحِدَةًۭ |
und mit einem Schlag zu Staub zerstoßen werden, |
فَيَوۡمَئِذٍۢ وَقَعَتِ ٱلۡوَاقِعَةُ |
15 an jenem Tag bricht herein, was hereinbricht, |
وَٱنشَقَّتِ ٱلسَّمَآءُ |
16 der Himmel spaltet sich – |
فَهِیَ يَوۡمَئِذٍۢ وَاهِيَةٌۭ |
denn er wird an jenem Tag brüchig – |
وَٱلۡمَلَكُ عَلَىٰۤ أَرۡجَآئِهَا ۚ |
17 die Engel stehen an seinen Rändern, |
وَيَحۡمِلُ عَرۡشَ رَبِّكَ فَوۡقَهُمۡ يَوۡمَئِذٍۢ ثَمَٰنِيَةٌۭ |
17 und darüber tragen an jenem Tag acht den Thron deines Herren. |
يَوۡمَئِذٍۢ تُعۡرَضُونَ |
18 An jenem Tag werdet ihr vorgeführt; |
لَا تَخۡفَىٰ مِنكُمۡ خَافِيَةٌۭ |
nichts an euch bleibt dann verborgen. |
فَأَمَّا مَنۡ أُوتِیَ كِتَٰبَهُۥ بِيَمِينِهِۦ |
519(a) Wem nun seine Schrift in die Rechte gegeben wird, |
فَيَقُولُ هَآؤُمُ ٱقۡرَءُوا۟ كِتَٰبِيَهۡ |
519(b) der sagt: „Da, tragt meine Schrift vor! |
إِنِّی ظَنَنتُ أَنِّی مُلَٰقٍ حِسَابِيَهۡ |
20 Ich war immer der Meinung, ich würde meine Abrechnung erleben!“ |
فَهُوَ فِی عِيشَةٍۢ رَّاضِيَةٍۢ |
21 Er hat dann ein zufriedenes Leben |
فِی جَنَّةٍ عَالِيَةٍۢ |
22 in einem hochgelegenen Garten |
قُطُوفُهَا دَانِيَةٌۭ |
23 mit niedrig hängenden Früchten. |
كُلُوا۟ وَٱشۡرَبُوا۟ هَنِيٓـًٔۢا |
24 „Lasst euch Essen und Trinken wohl bekommen |
بِمَآ أَسۡلَفۡتُمۡ فِی ٱلۡأَيَّامِ ٱلۡخَالِيَةِ |
für das, was ihr in den vergangenen Tagen getan habt!“ |
وَأَمَّا مَنۡ أُوتِیَ كِتَٰبَهُۥ بِشِمَالِهِۦ |
625(a) Wem aber seine Schrift in die Linke gegeben wird, |
فَيَقُولُ يَٰلَيۡتَنِی لَمۡ أُوتَ كِتَٰبِيَهۡ |
625(b) der sagt: „Wäre mir doch meine Schrift nicht gegeben worden, |
وَلَمۡ أَدۡرِ مَا حِسَابِيَهۡ |
26 und wüsste ich nicht, wie es um meine Abrechnung steht! |
يَٰلَيۡتَهَا كَانَتِ ٱلۡقَاضِيَةَ |
27 Wäre dies doch das Ende! |
مَآ أَغۡنَىٰ عَنِّی مَالِيَه |
28 Mein Besitz nützt mir nichts, |
هَّلَكَ عَنِّی سُلۡطَٰنِيَهۡ |
29 meine Macht ist dahin!“ |
خُذُوهُ فَغُلُّوهُ |
730 „Ergreift ihn und fesselt ihn |
ثُمَّ ٱلۡجَحِيمَ صَلُّوهُ |
31 und lasst ihn im Höllenbrand schmoren! |
ثُمَّ فِی سِلۡسِلَةٍۢ ذَرۡعُهَا سَبۡعُونَ ذِرَاعًۭا فَٱسۡلُكُوهُ |
32 Dann legt ihn an eine siebzig Ellen lange Kette! |
إِنَّهُۥ كَانَ لَا يُؤۡمِنُ بِٱللَّهِ ٱلۡعَظِيمِ |
833 Er hat nicht an den mächtigen Gott geglaubt |
وَلَا يَحُضُّ عَلَىٰ طَعَامِ ٱلۡمِسۡكِينِ |
34 und nicht zur Speisung des Armen angehalten. |
فَلَيۡسَ لَهُ ٱلۡيَوۡمَ هَٰهُنَا حَمِيمٌۭ |
35 Darum hat er heute hier keinen Freund |
وَلَا طَعَامٌ إِلَّا مِنۡ غِسۡلِينٍۢ |
36 und kein Essen außer schmutzigem Waschwasser, |
لَّا يَأۡكُلُهُۥٓ إِلَّا ٱلۡخَٰطِـُٔونَ |
37 das nur die Sünder verzehren.“ |
فَلَآ أُقۡسِمُ بِمَا تُبۡصِرُونَ |
III938 Doch nein, ich schwöre bei dem, was ihr seht, |
وَمَا لَا تُبۡصِرُونَ |
39 und dem, was ihr nicht seht! |
إِنَّهُۥ لَقَوۡلُ رَسُولٍۢ كَرِيمٍۢ |
40 Es ist das Wort eines edlen Gesandten, |
وَمَا هُوَ بِقَوۡلِ شَاعِرٍۢ ۚ |
41 nicht das Wort eines Dichters – |
قَلِيلًۭا مَّا تُؤۡمِنُونَ |
wie kleingläubig ihr doch seid! – |
وَلَا بِقَوۡلِ كَاهِنٍۢ ۚ |
42 und nicht das Wort eines Wahrsagers – |
قَلِيلًۭا مَّا تَذَكَّرُونَ |
wie wenig ihr euch doch mahnen lasst! – |
تَنزِيلٌۭ مِّن رَّبِّ ٱلۡعَٰلَمِينَ |
43 Eine Herabsendung vom Herrn der Weltbewohner! |
وَلَوۡ تَقَوَّلَ عَلَيۡنَا بَعۡضَ ٱلۡأَقَاوِيلِ |
1044 Und würde er irgendwelches Gerede über uns zusammenreden, |
لَأَخَذۡنَا مِنۡهُ بِٱلۡيَمِينِ |
45 so würden wir ihn mit der Rechten packen |
ثُمَّ لَقَطَعۡنَا مِنۡهُ ٱلۡوَتِينَ |
46 und ihm hierauf die Schlagader durchschneiden – |
فَمَا مِنكُم مِّنۡ أَحَدٍ عَنۡهُ حَٰجِزِينَ |
47 keiner von euch könnte das von ihm abhalten. |
وَإِنَّهُۥ لَتَذۡكِرَةٌۭ لِّلۡمُتَّقِينَ |
1148 Es ist eine Ermahnung für die Gottesfürchtigen. |
وَإِنَّا لَنَعۡلَمُ أَنَّ مِنكُم مُّكَذِّبِينَ |
49 Wir wissen, dass unter euch auch Leugner sind: |
وَإِنَّهُۥ لَحَسۡرَةٌ عَلَى ٱلۡكَٰفِرِينَ |
50 Für die Ungläubigen ist es ein Anlass zum Jammer. |
وَإِنَّهُۥ لَحَقُّ ٱلۡيَقِينِ |
51 Es ist die sichere Wahrheit. |
فَسَبِّحۡ بِٱسۡمِ رَبِّكَ ٱلۡعَظِيمِ |
52 So preise den Namen deines mächtigen Herrn! |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
al-ḥāqqah / mă l-ḥāqqah / wa-mā ʾadrāka mă l-ḥāqqah] Zur Bedeutung von al-ḥāqqah vgl. 36:7 (Mekka II): ḥaqqa l-qaulu ʿalā ʾakṯarihim, „das Wort geht an den meisten von ihnen in Erfüllung“ bzw. „verwirklicht sich an ihnen“. Die ḥāqqa ist also das in Erfüllung gehende Ereignis par excellence, nämlich das Jüngste Gericht.
Eine sehr ähnliche Eröffnung (enigmatische Bezeichnung der endzeitlichen Katastrophe durch ein Partizip femininum mit daran anschließender zweimaliger rhetorischer Frage) weist die frühere Sure 101 auf (al-qāriʿah / mă l-qāriʿah / wa-mā ʾadrāka mă l-qāriʿah). Die Verwendung von aktiven Partizipien femininum für das Weltende begegnet auch noch in weiteren frühmekkanischen Texten, s. 88:1 (al-ġāšiya), 80:33 (aṣ-ṣāḫḫa), 79:34 (aṭ-ṭāmmatu l-kubrā), 56:1 (al-wāqiʿa) und 53:57 (al-ʾāzifa); s. auch V. 4, 5 und 15 der vorliegenden Sure (al-qāriʿa, aṭ-ṭāġiya, al-wāqiʿa). Solche metonymischen Umschreibungen eines Substantivs durch ein Adjektiv stellen allgemein ein Charakteristikum der altarabischen Dichtung dar, s. die Anmerkung zu 101:1–3. Im Vergleich mit den vier frühmekkanischen fāʿilāt-Schwurserien Q 100:1–5, 79:1–5, Q 77:1–5 und 51:1–4, die das hereinbrechende Weltende durch prototypische Gegenwartserfahrungen (Reiterangriff und Sturm) präfigurieren, fällt auf, dass die Form des aktiven Partizips femininum auch dort zur Bezeichnung der endzeitlichen Katastrophe dient (s. insb. die Anmerkungen zu 100:1–5 und 79:1–5). Das morphologisches Schema fāʿila wird so innerhalb der frühmekkanischen Korantexte mit der Konnotation apokalyptischen Unheils aufgeladen.
Versabteilung: Nur Kufa betrachtet al-ḥāqqah als eigenständigen Vers (Spitaler, Verszählung, 64). Die Parallele zu 101:1, aber auch zu anderen Suren mit kurzem Eröffnungsvers (106, 103, 95, 93, 89, 83, 55, 52) spricht dafür, an der kufischen Abteilung festzuhalten (vgl. Neuwirth, Studien, 26).
Zu den Ṯamūd und den ʿĀd vgl. die Anmerkungen zu 89:6–13 und 91:11–15.
kaḏḏabat ṯamūdu wa-ʿādun bi-l-qāriʿah] Zu den verschiedenen Gebrauchsweisen von kaḏḏaba vgl. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11. Der – schon in Gruppe I und II der frühmekkanischen Suren gegen die koranischen Hörer erhobene – Vorwurf einer „Leugnung des Gerichts“ (vgl. 95:7: fa-mā yukaḏḏibuka baʿdu bi-d-dīn, 82:9: kallā bal tukaḏḏibūna bi-d-dīn) – wird bereits in 91:11 (kaḏḏabat ṯamūdu bi-ṭaġwāhā) auch gegen die Ṯamūd gerichtet, also aus der Gegenwart auf frühere Völker projiziert. Als qāriʿa wird die eschatologische Katastrophe auch in Q 101:1–3 bezeichnet. S. die Anmerkung zu 69:1–3.
fa-ʾuhlikū bi-ṭ-ṭāġiyah] Das dem aktiven Partizip femininum ṭāġiya zugrunde liegende Verb ṭaġā bedeutet u. a. „über die Ufer treten, anschwellen“ und wird in diesem Sinne in V. 11 (ʾinnā lammā ṭaġă l-māʾu ḥamalnākum fĭ l-ǧāriyah) verwendet (vgl. ausführlicher die Anmerkung zu 96:6); von einer Art Flutwelle als göttlichem Strafgericht spricht auch 79:34 (aṭ-ṭāmmatu l-kubrā). Es ist jedoch unklar, ob bei der ṭāġiya wirklich an eine Überschwemmung o. Ä. zu denken ist: In 51:44.45 ist als Strafe der Ṯamūd von einem Donnerschlag (as-ṣāʿiqa) die Rede, in 54:31 von einem Schrei, in 91:14 von einer Einebnung der Erde. Die Übersetzung setzt deshalb eine weniger spezifische Bedeutung an. Zu Recht weist Paret darauf hin, dass der vorliegende Vers „nur äußerlich“ an 91:11 (kaḏḏabat ṯamūdu bi-ṭaġwāhā, „Die Ṯamūd haben in ihrer Aufsässigkeit geleugnet“) anklingt: Während aṭ-ṭāġiyah eine die Ṯamūd überkommende Katastrophe bezeichnet, bezieht sich ṭaġwā auf das ihr vorangehende Vergehen der Ṯamūd, nämlich ihren Ungehorsam gegen Gott. Friedrun Müller will aṭ-ṭāġiya allerdings als reimbedingten Ersatz für ṭuġyān o. Ä. deuten, woraus sich die Übersetzung „wurden für die [d. h. ihre] Aufsässigkeit vernichtet“ o. Ä. ergäbe (Müller 1969, 9–11, 16–20; vgl. die Kritik daran bei Paret, Kommentar, ad loc.). Das ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die Form Artikel + Partizip Präsens femininum innerkoranisch sonst immer auf von Gott gesandte Bestrafungen referiert (vgl. etwa al-ḥāqqa in V. 1 und al-qāriʿa in V. 4; s. die Anmerkung zu V. 1–3 mit weiteren Belegen), während ṭuġyān üblicherweise nicht durch einen Artikel, sondern durch ein Possessivsuffix determiniert ist (zumeist steht Verb im Perfekt + fī ṭuġyānihim, vgl. die Stellen bei Müller 1969, 18).
bi-rīḥin ṣarṣarin ʿātiyah] Vgl. noch den mittelmekkanischen Vers 54:19 (ʾinnā ʾarsalnā ʿalaihim rīḥan ṣarṣaran fī yaumi naḥsin mustamirr) und spätmekkanisch 41:16 (fa-ʾarsalnā ʿalaihim rīḥan ṣarṣaran fī ʾayyāmin naḥisātin). In der islamischen Exegese wird ṣarṣar sowohl als „eiskalt“ (von ṣirr, „heftige Kälte“) als auch als „laut“ (von ṣarra, „knarren, quietschen“) gedeutet (vgl. Lisān, s. v. ṣ-r-r). Für die hier präferierte erste Alternative spricht die Tatsache, dass in 3:117 (maṯalu mā yunfiqūna fī hāḏihi l-ḥayāti d-dunyā ka-maṯali rīḥin fīhā ṣirrun ʾaṣābat ḥarṯa qaumin) statt rīḥ ṣarṣar die Umschreibung rīḥ fīhā ṣirr steht, wörtl.: „ein Wind, in dem Kälte ist“. Der Einwand, dass die rīḥ ṣarṣar aus 69:6, 54:19 und 41:16 ein anderes Phänomen als die rīḥ fīhā ṣirr aus 3:117 meinen könnte, erscheint eher unwahrscheinlich (vgl. Ambros, Dictionary, 160). ʿAtā bedeutet „heftig, übermäßig sein“, im Zusammenhang mit rīḥ „heftig wehen“ (vgl. Lane, Bd. 5, 1951a: ʿatati r-rīḥ, „the wind blew immoderately“).
Ḥimṣ trennt den überlangen V.7 nach ḥusūman in zwei Verse (Spitaler, Verszählung, 64), die syntaktisch und strukturell auch jeweils für sich stehen; allerdings ergibt sich bei dieser Zählung kein Reim. Neuwirth wandelt diese Position insofern ab, als sie eine Unterteilung nach ṯamāniyah vermutet und die folgenden beiden Worte ʾayyāman ḥusūman, die vom Sinn her nicht zum nächsten Vers gezogen werden können, als nachträglich eingefügte Verdeutlichung wertet. Vermutlich ist aber doch der gesamte Vers als Einschub anzusehen. Die Frage nach einer Teilung in zwei Verse erübrigt sich damit, insofern spätere Koranverse ja beträchtlich länger als frühmekkanische sein können (s. o.).
ḥusūman] Der Ausdruck kann entweder als Plural von ḥāsim oder als maṣdar aufgefasst werden. Islamische Exegeten deuten ihn entweder a) im Sinne von „aufeinanderfolgend“ (= ṭibāʿan bzw. mutatābiʿan) oder b) im Sinne von „abschneidend“ bzw. (so Parets Übersetzung) „mit verheerender Wirkung“ (vgl. Ṭabarī, ad loc., Nr. 34732 ff.). Gegen die erste Alternative spricht, dass die ihr zugrunde liegende Bedeutung von ḥasama = „aufeinanderfolgen“ (tatābaʿa) sich nur auf ausgesprochen gewunden anmutende Weise mit der Grundbedeutung von ḥasama „schneiden, abschneiden“ und der davon abgeleiteten Bedeutung „hinwegraffen, untergehen lassen“ (Lane, Bd. 2, 569b–c) in Verbindung bringen lässt: Eine Erklärung lautet etwa, dass die Kauterisierung (al-kayy) eines Verletzten zum Zweck einer Stillung (ḥ-s-m) seiner Blutung mit mehrmaliger Wiederholung durchgeführt wird, weshalb „jede Sache, auf die etwas anderes folgt, als ḥāsim bezeichnet wird“ (Lisān, s. v. ḥ-s-m). Alternative b) dürfte deshalb wahrscheinlicher sein, zumal die vernichtende Wirkung des Windes in V. 7b weiter thematisiert wird. Was den grammatischen Status von ḥusūman betrifft – Partizip Plural oder Verbalsubstantiv? – so handelt es sich wohl um einen adverbialen Akkusativ, der die Wirkung des gegen die ʿĀd aufgebotenen Sturmwindes beschreibt. Ḥusūm ist also vermutlich als maṣdar zu ḥasama zu verstehen, auch wenn dieser sonst üblicherweise ḥasm lautet.
fa-tară l-qauma fīhā ṣarʿā ka-ʾannahum ʾaʿǧāzu naḫlin ḫāwiyah] Auch in 54:19.20 (mittelmekkanisch) ist von einer gegen die ʿĀd gesandten rīḥ ṣarṣar (s. die Anmerkung zu V. 6) die Rede, deren Wirkung auf die Bestraften durch einen Vergleich mit entwurzelten Palmstümpfen beschrieben wird (ʾinnā ʾarsalnā ʿalaihim rīḥan ṣarṣaran fī yaumi naḥsin mustamirr / tanziʿu n-nāsa ka-ʾannahum ʾaʿǧāzu naḫlin munqaʿir). Fīhā ohne explizites Antezedens findet sich noch in 51:35 in einer Lot-Perikope (fa-ʾaḫraǧnā man kāna fīhā mina l-muʾminīn); Paret verweist auch auf die sinnäquivalente Wendung fī diyārihim in 11:67.94 (wa-ʾaḫaḏa bzw. wa-ʾaḫaḏati llaḏīna ẓalamŭ ṣ-ṣaiḥatu fa-ʾaṣbaḥū fī diyārihim ǧāṯimīn). Das Partizip ḫāwiya wird im Koran sonst noch von Städten, Gärten und Häusern ausgesagt (vgl. 2:259, 18:42, 22:45, 27:52; s. Ambros, Dictionary, 93). Ḫawiya bedeutet eigentlich „leer sein“ und von daher dann auch „verwüstet sein, öde sein“ (vgl. Lane, Bd. 2, 827b).
firʿaun] Zu Mose und Pharao vgl. die Anmerkung zu 79:15–26.
wa-man qablahū] Mit „denen, die vor ihm da waren“, dürfte das Volk Noahs gemeint sein, das in zwei ebenfalls zu Gruppe III der frühmekkanischen Suren gehörigen Texten (53:52 und 51:46) stereotyp mit der Zeitangabe „zuvor“ (min qablu) versehen wird. Im Einklang mit dem biblischen Geschichtsbild wird die Sintflut als zeitlich frühestes der übrigen im Koran geschilderten Strafgerichte eingeordnet. Für einen Bezug von man qablahū auf die Generation der Sintflut spricht auch, dass V. 11 auf die Errettung Noahs in der Arche anspielt. – Daneben existieren auch die Lesarten man maʿahū und man tilqāʾahū (Muʿǧam, ad loc.). Zumindest für man maʿahū lassen sich dabei auch koranische Parallelen finden (vgl. 17:103, wo es über Pharao heißt: fa-ʾaġraqnāhu wa-man maʿahū ǧamīʿā; die Wendung erscheint darüber hinaus noch in 26:65.119, 17:103, 10:37 und 7:64.72.131).
al-muʾtafikāt] Wörtlich: „die Umgewendeten“. Das Wort erscheint frühmekkanisch noch in 53:53 (wa-l-muʾtafikata ʾahwā). S. Hirschfeld 1886, 37; Horovitz 1925, 187 f.; ders., Koranische Untersuchungen, 13 f.; Jeffery, Foreign Vocabulary, 274. Der Ausdruck, morphologisch ein Partizip des VIII. Stammes von ʾafaka, geht auf hebr. mahpēḵā, „Umstürzung“, zurück, womit in der Hebräischen Bibel die Zerstörung Sodoms und Gomorrhas beschrieben wird (vgl. etwa Jesaja 13:19: כְּמַהְפֵּכַ֣ת אֱלֹהִ֔ים אֶת־סְדֹ֖ם וְאֶת־עֲמֹרָֽה, „wie damals, als Gott Sodom und Gomorra umstürzte“). Der hebräische Ausdruck, eigentlich ein Verbalsubstantiv, ist im Arabischen durch ein Partizip Aktiv nachgebildet und wird so zu einem Attribut, das nach Art der altarabischen Dichtung (zu dem Stilmittel s. allgemein Bauer 1992, 172–180) metonymisch für Sodom bzw. Sodom und Gomorrha steht. Das Wort erscheint später nur noch einmal, in 9:70.
fa-ʿaṣau rasūla rabbihim] Zur Wurzel r-s-l (ʾarsala, rasūl) s. die Anmerkungen zu 91:13 und 77:1.
fa-ʾaḫaḏahum ʾaḫḏatan rābiyah] Vgl. 73:16 (fa-ʿaṣā firʿaunu r-rasūla fa-ʾaḫaḏnāhu ʾaḫḏan wabīlā) und 54:42 (kaḏḏabū bi-ʾāyātinā kullihā fa-ʾaḫaḏnāhum ʾaḫḏa ʿazīzin muqtadir). Rabā bedeutet eigentlich „wachsen, anwachsen, aufwachsen“, ist hier aber wohl eher im Sinne von „groß“ = „gewaltig, mächtig“ zu verstehen.
ḥamalnākum fĭ l-ǧāriyah] Wörtlich: „auf dem Dahingleitenden“. Gemeint ist sicherlich die Arche Noah. In mittelmekkanischen Texten (26:119, 36:41) ist statt des nach Art der altarabischen Dichtung umschreibenden al-ǧāriya (vgl. zu solchen Metonymien allg. Bauer 1992, 172–180) explizit von einem fulk die Rede.
li-naǧʿalahā lakum taḏkiratan] Zur Verwendung der Begriffe ḏikr, ḏikrā und taḏkira vgl. die Anmerkung zu 73:19.
fa-ʾiḏā nufiḫa fĭ ṣ-ṣūri nafḫatun wāḥidah] Vgl. in Gruppe IIIa 78:18 (yauma yunfaḫu fĭ ṣ-ṣūri fa-taʾtūna ʾafwāǧā) und 74:8 (fa-ʾiḏā nuqira fĭ n-nāqūr) sowie die Anmerkungen dazu. Zum biblischen Hintergrund der Vorstellung s. die Anmerkung zu 78:18.
fa-dukkatā dakkatan wāḥidah] Vgl. 89:21 (kallā ʾiḏā dukkati l-ʾarḍu dakkan dakkā). Von einer endzeitlichen Erschütterung der Erde ist auch anderswo die Rede, vgl. 99:1 (ʾiḏā zulzilati l-ʾarḍu zilzālahā), 79:6 (yauma tarǧufu r-rāǧifah), 73:14 (yauma tarǧufu l-ʾarḍu wa-l-ǧibālu) und 56:4.5 (ʾiḏā ruǧǧati l-ʾarḍu raǧǧā / wa-bussati l-ǧibālu bassā). S. a. die Anmerkung zu 81:3.
fa-yaumaʾiḏin waqaʿati l-wāqiʿah] Zur Bezeichnung des Weltendes mit der Wurzel w-q-ʿ s. die Anmerkung zu 77:7. Zur metonymischen Umschreibung des Jüngsten Tages mit aktiven Partizipien femininum s. die Anmerkungen zu V. 1–3. Zu yaumaʾiḏin hier und im Folgenden s. die Anmerkung zu 102:8.
wa-nšaqqati s-samāʾu] Vgl. 84:1 (ʾiḏă s-samāʾu nšaqqat), 82:1 (ʾiḏă s-samāʾu nfaṭarat), 73:18 (as-samāʾu munfaṭirun bihī), 55:37 (fa-ʾiḏă nšaqqati s-samāʾu fa-kānat wardatan ka-d-dihān).
wa-l-malaku ʿalā ʾarǧāʾihā] Zum Auftreten der Engel am Jüngsten Tag vgl. noch 78:38 (yauma yaqūmu r-rūḥu wa-l-malāʾikatu ṣaffan) aus Gruppe IIIa, also wohl etwas früher als die vorliegende Sure.
Versabteilung: Obwohl sich ʾarǧāʾihā nicht vollständig in das Reimschema āKiyah fügt, setzt Neuwirth (Studien, 27) angesichts der Überlänge des Verses und des Subjektwechsels nach ʾarǧāʾihā hier ein Versende an. Andererseits bestehen auch die unmittelbar benachbarten V. 16 und 18 jeweils aus zwei Kola, so dass V. 17 auch ohne Unterteilung nicht notwendig als überlang gelten müsste.
wa-yaḥmilu ʿarša rabbika fauqahum yaumaʾiḏin ṯamāniyah] Der göttliche Thron wird bereits in der biblischen Prophetie thematisiert, vgl. etwa die Thronvision zu Beginn des Ezechielbuchs (1:4–28). Im Koran erscheint der göttliche Thron zuvor nur in der Gottesbezeichnung ḏŭ l-ʿarš (85:15, 81:20), während spätere Texte ihn sehr häufig erwähnen. – Zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8.
fa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-yamīnih / ... / wa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-šimālih] Mekka und Medina setzen in V. 25 nach bi-šimālihi einen Verstrenner (Spitaler, Verszählung, 64). Der Vergleich mit anderen durch ʾammā – wa-ʾammā eingeleiteten Gesätzen (s. u.) spricht für die Abteilung (Neuwirth, Studien, 27). Analog dazu ist auch der syntaktisch entsprechende V. 19 nach bi-yamīnihī zu teilen.
An Parallelen vgl. insb. die Antithese in 84:7–12 (V. 7: fa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-yamīnih, V. 10: wa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū warāʾa ẓahrih). Nicht von individuellen Tatenregistern, sondern von kollektiven Verzeichnissen für die Guten und Bösen ist in 83:7.18 die Rede. Zur Verwendung der Tatenregister beim Jüngsten Gericht s. a. 81:10 (wa-ʾiḏă ṣ-ṣuḥufu nušširat) mit Anmerkung; vgl. a. den allgemeinen Warnspruch 78:29 (wa-kulla šaiʾin ʾaḥṣaināhu kitābā). Bemerkenswerterweise ist die Vorstellung von einem himmlischen Tatenregister (kitāb), auf dessen Grundlage der Einzelne am Jüngsten Tag abgeurteilt wird, auch in einem Vers der Muʿallaqa des Zuhair bezeugt (s. die Anmerkung zu 84:8). Zu den verschiedenen Vorstellungen, die sich im Koran mit dem Terminus kitāb verknüpfen, s. allg. Jeffery 1952, Madigan 2001 und Sinai 2006. – Die hier thematisierten individuellen Tatenregister beruhen auf der umfassenden Überwachungstätigkeit himmlischer Schreiberengel, wie sie in 82:10–12 u. a. konstatiert wird (vgl. die Anmerkung ebd.).
Eine ebenfalls antithetisch gestaltete, in ihrer Motivik jedoch verschiedene Gerichtsszene findet sich in 101:6.8 (fa-ʾammā man ṯaqulat mawāzīnuh / ... / wa-ʾammā man ḫaffat mawāzīnuh): Hier stehen nicht individuelle Anklageschriften im Mittelpunkt des Gerichtsgeschehens, sondern eine Waage, mittels derer die Verdienste der Menschen abgewogen werden (eine Vorstellung, die erst in mittel- und spätmekkanischer Zeit wieder aufgenommen wird, nämlich in 23:102.103 und 7:8.9). Vgl. die Anmerkung zu V. 21 für eine terminologische Parallele zwischen den Antithesen in Q 69 und Q 101.
innī ẓanantu ʾannī mulāqin ḥisābiyah] Zu ḥisāb vgl. die Anmerkung zu 84:8.
fa-huwa fī ʿīšatin rāḍiyah] Vgl. 101:7 (fa-huwa fī ʿīšatin rāḍiyah) und 88:9 (li-saʿyihā rāḍiyah). Zur Wurzel r-ḍ-y s. die Anmerkung zu 101:7.
fī ǧannatin ʿāliyah] Vgl. 88:10 (fī ǧannatin ʿāliyah). Zu ǧanna vgl. die Anmerkung zu 81:13.
quṭūfuhā dāniyah] Die leichte Zugänglichkeit der Früchte des Paradieses wird noch in 55:54 (wa-ǧană l-ǧannataini dān) und mittelmekkanisch in 76:14 hervorgehoben.
kulū wa-šrabū hanīʾan bi-mā ʾaslaftum fĭ l-ʾayyāmi l-ḫāliyah] Vgl. 77:43 (kulū wa-šrabū hanīʾan bi-mā kuntum taʿmalūn) und 52:19 (kulū wa-šrabū hanīʾan bi-mā kuntum taʿmalūn). Zur Abwesenheit von Hunger und Durst im Paradies s. den in der Anmerkung zu 77:41.42 zitierten Intertext.
wa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-šimālih] S. die Anmerkung zu V. 19.
yā-laitahā kānati l-qāḍiyah] Vgl. 87:12.13, wo betont wird, dass die Verdammten im Höllenfeuer nicht sterben. Einen ähnlichen Ausruf der Verdammten zitiert 78:40 (wa-yaqūlu l-kāfiru yā-laitanī kuntu turābā); s. a. den gleichfalls in einer Antithese stehenden Vers 84:11 (fa-saufa yadʿū ṯubūrā), wo es sich wie hier um eine Reaktion des Verdammten auf die Aushändigung seines Tatenregisters handelt.
mā ʾaġnā ʿannī māliyah] Alternativ: „Was nützt mir jetzt mein Besitz?“ Vgl. 111:2 (mā ʾaġnā ʿanhu māluhū wa-mā kasab) und 92:11 (wa-mā yuġnī ʿanhu māluhū ʾiḏā taraddā). S. die Anmerkung zu 111:2 mit zwei biblischen Intertexten.
halaka ʿannī sulṭāniyah] Zu dem für Gruppe IIIb charakteristischen Begriff sulṭān (sonst mit „Vollmacht“ übersetzt) s. die Anmerkung zu 52:38.
ṯumma l-ǧaḥīma ṣallūh] Zu ǧaḥīm vgl. die Anmerkung zu 102:6.
ʾinnahū kāna lā yuʾminu bi-llāhi l-ʿaẓīm] Da die Wurzel ʾ-m-n im Arabischen im Grundstamm „sicher sein“ bedeutet, kann ʾāmana „im Arabischen nicht ursprünglich die Bedeutung ‚glauben’ gehabt haben“ (Horovitz, Koranische Untersuchungen, 55). Die genuin arabische Bedeutung von ʾāmana = „Sicherheit gewähren“ findet sich noch in dem sehr frühen Vers Q 106:4, später evtl. noch in dem Gottesnamen al-muʾmin = „der Schutzgewährende“? (59:23, Medina). Vorherrschend ist im Koran jedoch der Gebrauch von ʾāmana bi- im Sinne von „glauben an“. Er dürfte am ehesten auf syrisch (bzw. allgemein aramäisch) haymen (vgl. auch hebr. heʾĕmîn) zurückgehen. Jeffery vermutet eine Vermittlung über äthiopisch ʾamna (Imperfekt yǝʾman), s. Foreign Vocabulary, 70 f., welche über eine Gleichsetzung des arabischen Partizips muʾmin mit dem äthiopischen Partizip māʾǝmen verlaufen sei. Da im Arabischen jedoch der haymen entsprechende IV. Stamm gebraucht wird, ist genauso gut eine Entlehnung aus dem Aramäischen möglich oder vielleicht sogar wahrscheinlicher. Dafür spricht vielleicht auch, dass das in 83:34 und anderswo im Gegensatz zu ʾāmana stehende Verb kafara semantisch gleichfalls vom Syrischen beeinflusst sein dürfte (s. die Anmerkung zu 84:22).
Interessant ist die Frage nach dem Zeitpunkt, zu dem das semantisch vom Nordsemitischen beeinflusste Verb ʾāmana = „glauben“ im Koran auftaucht. Bei einem beträchtlichen Teil der Vorkommnisse in frühmekkanischen Texten handelt es sich um spätere – also eigentlich nicht mehr frühmekkanische – Einschübe, die stets die stereotype Formel allaḏīna ʾāmanū = „die Gläubigen“ bzw. einmal deren Umkehrung allaḏīna lā yuʾminūna = „die Ungläubigen“ verwenden: Genuin frühmekkanisch sind dagegen die folgenden Vorkommnisse:
Das Verb erscheint also erstmals in den Surengruppen II und IIIa, und zwar zunächst noch nicht als Bestandteil der Kollektivbezeichnung allaḏīna ʾāmanū, sondern eher en passant in polemischen Ausrufen, welche den mangelnden Glauben der koranischen Hörer beklagen („Was ist mit ihnen, dass sie nicht glauben?“, „An welche Kunde wollen sie denn nach dieser noch glauben?“). Dieser polemischen Gebrauch setzt sich mit 52:33 und 69:33.41 auch in Gruppe IIIb noch fort. Demgegenüber erscheint in 83:29.34 erstmals die später stereotype Gruppenbezeichnung allaḏīna ʾāmanū, und zwar in Gegenüberstellung zu „den Übeltätern“ (allaḏīna ʾaǧramū) und „den Ungläubigen“ (al-kuffār; auch noch in 83:36). Ähnliche Kollektivbezeichnungen tauchen bereits in Sure 83 vorangehenden Texten auf: So sind die in 83:34 als Gegenbegriff zu den Gläubigen fungierenden kuffār bereits ab Gruppe II der frühmekkanischen Suren bezeugt (s. die Anmerkung zu 84:22), gefolgt von den „Gottesfürchtigen“ (al-muttaqūn; ab IIIa; s. die Anmerkung zu 92:5) und den „Leugnern“ (al-mukaḏḏibūn; ebenfalls ab IIIa; s. die Anmerkung zu 73:11). In Q 83 tritt dann der weitere, mittels des Verbs ʾāmana gebildete Positivbegriff „die Gläubigen“ hinzu. Die Korantexte bauen so sukzessive ein Arsenal von einander binär entgegengesetzten Gruppenbezeichnungen auf, welche die bereits in sehr frühen Suren vorfindliche Kontrastierung von Paradies und Hölle, von Seligen und Verdammten in die vorendzeitliche Gegenwart verlängern.
wa-lā yaḥuḍḍu ʿalā ṭaʿāmi l-miskīn] Vgl. insb. 107:3 (wa-lā yaḥuḍḍu ʿalā ṭaʿāmi l-miskīn), und 89:18 (wa-lā taḥāḍḍūna ʿalā ṭaʿāmi l-miskīn), aber auch 74:44 (wa-lam naku nuṭʿimu l-miskīn), 90:14.15 (ʾau iṭʿāmun fī yaumin ḏī masġabah / yatīman ḏā maqrabah) sowie mittelmekkanisch noch 76:8 (wa-yuṭʿimūna ṭ-ṭaʿāma ʿalā ḥubbihī miskīnan wa-yatīman wa-asīrā). Es handelt sich um einen gängigen Topos prophetischer Rede, der bereits in der Bibel belegt ist; s. die Anmerkungen zu 107:2.3 und 90:11–16.
fa-laisa lahu l-yauma hāhunā ḥamīm] Zur Ermangelung von Freunden am Gerichtstag vgl. noch 70:10 (wa-lā yasʾalu ḥamīmun ḥamīmā).
ġislīn] Vgl. 88:6.7 (laisa lahum ṭaʿāmun ʾillā min ḍarīʿ / lā yusminu wa-lā yuġnī min ǧūʿ) sowie 78:24.25 (lā yaḏūqūna fīhā bardan wa-lā šarābā / ʾillā ḥamīman wa-ġassāqā). Die Bedeutung von ġislīn ist umstritten, wobei die meisten der in der islamischen Exegese diskutierten Deutungen explizit oder implizit davon ausgehen, dass dem Ausdruck die Wurzel ġ-s-l, „waschen“ zugrunde liegt („was durch das Feuer von den Körpern der Verdammten abgewaschen wird“; „was aus den Wunden der Verdammten herausläuft, als würde es aus ihnen herausgewaschen werden“; s. etwa Lisān, s. v. ġ-s-l und Ṭabarī, ad loc., Nr. 34824 ff.). Diese Annahme erscheint plausibel, auch wenn die Deutungsversuche im Einzelnen die für den tafsīr typische Tendenz einer möglichst schaurigen Konkretisierung des Gemeinten verraten. Wahrscheinlich bezieht sich ġislīn deshalb gar nicht auf Körperflüssigkeiten o. Ä. speziell der Verdammten, sondern meint allgemein „Waschwasser, Spülicht“, zumal der Lisān das Wort zunächst ohne Verweis auf seine koranische Verwendung als synonym mit ġusāla („Spülwasser“) erklärt, bevor dann eine Reihe von exegetischen Detailspekulationen folgt.
Der Passus ist thematisch und formal insbesondere mit 81:15–28 (Gruppe II) zu vergleichen: Auch dort folgt auf eine im Sureninnern stehende Schwurserie eine Reihe von die göttliche Herkunft der Korantexte festschreibenden Offenbarungsbestätigungen, die um eine Abgrenzung zu niederen Formen übernatürlicher Eingebung bemüht sind. Schwüre im Sureninnern begegnen sonst noch in Q 51:23, 56:75, 70:40, 74:32–34, 81:15–18 und 86:11 f.; bis auf 70:40 und 74:32–34 folgen immer metatextuelle Aussagen, die deiktisch oder wie hier mit einem ‚frei schwebenden’, d. h. kein Antezedens aufnehmenden Personalpronomen (s. die Anmerkungen zu 87:18.19, 81:19 und 97:1) formuliert sind und zumeist ebenfalls den Offenbarungscharakter des Koran affirmieren. S. den Kommentar zu 81:15 ff. sowie zu 86:11 ff. Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion des hier vorliegenden Schwurtypus s. die Anmerkung zu 93:1.2.
fa-lā ʾuqsimu] Lā hat hier keinen negierenden Sinn, sondern dient der Emphase; vgl. Bergsträßer 1914, 58 f., Anm. 2 (mit dem erhellenden Hinweis auf das analoge deutsche Beispiel „Nein, was ist er für ein kluger Mensch!“). Vgl. sonst noch 90:1, 84:16, 81:15, 75:1 und 70:40 sowie die ausführlichere Anmerkung zu 84:16.
bi-mā tubṣirūn / wa-mā lā tubṣirūn] Vgl. 68:5.6 (fa-sa-tubṣiru wa-yubṣirūn / bi-ʾayyikumu l-maftūn).
Zur Übersetzung des hier und weiter unten in V. 48.50.51 verwendeten Pronomens mit „es“ vgl. die Anmerkungen zu 97:1 und 74:54.55.
ʾinnahū la-qaulu rasūlin karīm] Zur Wurzel r-s-l (ʾarsala, rasūl) s. die Anmerkungen zu 91:13 und 77:1. Der Vers stimmt wörtlich mit Q 81:19 überein. Gleichwohl müssen die mit dem „edlen Gesandten“ (rasūl karīm) jeweils gemeinten Gestalten nicht schon deshalb auch identisch sein. Die in 81:20.21 gegebene nähere Charakterisierung des „edlen Gesandten“ passt allein auf ein in der himmlischen Hierarchie hochstehendes Engelwesen, dem andere Engel zu Gehorsam verpflichtet sind (V. 21); Muḥammad selbst wird dort erst in V. 22 als „euer Landsmann“ (ṣāḥibukum) eingeführt (zur Anwendung von rasūl = angelos auf Engel anstatt wie sonst üblich auf menschliche Warnerfiguren s. die Anmerkung zu 81:19). Im vorliegenden Vers steht die Behauptung, der Text sei „das Wort eines edlen Gesandten“, demgegenüber im Gegensatz zu dem Vorwurf, die Korantexte seien „das Wort eines Dichters“ (V. 41). Es ist von daher zu erwägen, ob der „edle Gesandte“ hier nicht Muḥammad selbst ist (vgl. a. 44:17, wo Moses als rasūl karīm bezeichnet wird). Andererseits spricht die Identität von 81:19 und 69:40 dafür, auch die letztere Stelle auf einen Engel zu beziehen, da das Verständnis des späteren Passus 69:40 (Gruppe IIIb) durch das der früheren Stelle 81:19 konditioniert gewesen sein dürfte. Eine entsprechende Deutung von 69:40–42 im Sinne von 81:19 wäre folgendermaßen zu paraphrasieren: 69:40: Die koranischen Verkündigungen werden Muḥammad durch einen Mittlerengel eingegeben; 69:41.42: Es handelt sich nicht um Äußerungen, die der Aktivität übernatürlicher Wesen von niedrigerem Rang und zweifelhafter Verlässlichkeit geschuldet sind – nämlich Ǧinnen, welche als Quelle dichterischer (V. 41) oder mantischer (V. 42) Inspiration galten (vgl. die Anmerkung zu 81:22).
wa-mā huwa bi-qauli šāʿirin] Vgl. 52:30 (ʾam yaqūlūna šāʿirun natarabbaṣu bihī raiba l-manūn) und mittelmekkanisch 37:36 (wa-yaqūlūna ʾa-ʾinnā la-tārikū ʾālihatinā li-šāʿirin maǧnūn). Zum Vorwurf, Muḥammad sei ein „Dichter“, s. a. die Anmerkung zu 81:22. qalīlan mā tuʾminūn] Zum Verb ʾāmana s. die Anmerkung zu V. 33.
wa-lā bi-qauli kāhinin] Vgl. 52:29 (fa-ḏakkir fa-mā ʾanta bi-niʿmati rabbika bi-kāhinin wa-lā maǧnūn).
tanzīlun min rabbi l-ʿālamīn] Vgl. identisch 56:80 sowie in einem ähnlichen Kontext 81:27 (ʾin huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn). Eine verbale Form der Wurzel n-z-l zur Bezeichnung der koranischen Offenbarungen findet sich wahrscheinlich erstmals in 97:1 (Gruppe I; s. den Kommentar ebd.). Die vorliegende Stelle dürfte zusammen mit 56:80 die früheste nominale Verwendung der Wurzel n-z-l sein. Zur Gottesbezeichnung rabb al-ʿālamīn s. die Anmerkung zu 56:80.
wa-lau taqawwala ʿalainā baʿḍa l-ʾaqāwīl] Ein ähnlicher Vorwurf wird in 52:33.34 referiert, jedoch mit einem anderen Gegenargument gekontert (ʾam yaqūlūna taqawwalahū bal lā yuʾminūn / fa-l-yaʾtū bi-ḥadīṯin miṯlihī ʾin kānū ṣādiqīn)
Zur Übersetzung des hier und weiter oben in V. 40.41 verwendeten Pronomens mit „es“ vgl. die Anmerkungen zu 97:1 und 74:54.55.
wa-ʾinnahū la-taḏkiratun li-l-muttaqīn] Zu taḏkira und verwandten Begriffen s. die Anmerkung zu 73:19, zum Verb ittaqā und dem zugehörigen Substantiv taqwā s. die Anmerkung zu 92:5. Zur Versstruktur (Bestimmung der koranischen Offenbarungen als Mahnung „für“, li- ...) vgl. 81:27 (ʾin huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn), 68:52 (wa-mā huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn), 56:73 (naḥnu ǧaʿalnāhā taḏkiratan wa-matāʿan li-l-muqwīn; bezieht sich auf das Feuerholz) und 74:31 (wa-mā hiya ʾillā ḏikrā li-l-bašar, gehört zu einem Einschub).
wa-ʾinnahū la-ḥasratun ʿală l-kāfirīn] Zu kafara, kāfir s. die Anmerkung zu 84:22.
wa-ʾinnahū la-ḥaqqu l-yaqīn / fa-sabbiḥ bi-smi rabbika l-ʿaẓīm] Vgl. so gut wie identisch 56:95.96 (ʾinna hāḏā la-huwa ḥaqqu l-yaqīn / fa-sabbiḥ bi-smi rabbika l-ʿaẓīm). Zum göttlichen Namen (ʾism rabbika) s. die Anmerkung zu 87:1. In der Formel sabbiḥ bi-smi rabbika klingt letzten Endes der häufige psalmische Aufruf hallelû yāh, „Lobet den Herrn!“ (vgl. Psalm 135:1) nach, während die Semantik von sabbaḥa auf eine Interferenz des Syrischen hindeutet (s. ebenfalls die Anmerkung zu 87:1).
Literaturliste
Die Sure beginnt mit einer enigmatisierenden Umschreibung des Jüngsten Tages durch ein Partizip femininum (al-ḥāqqa, „die Eintreffende“ bzw. „die in Erfüllung Gehende“), die ähnlich bereits die frühere Sure 101 (al-qāriʿa) eröffnet. An Q 101 erinnert auch die Aufeinanderfolge von enigmatischem Ausruf und daran anschließender zweimaliger Frage. Dabei dürften solche Partizipialformen zum Zeitpunkt der Verkündigung von Q 69 für die Hörer bereits eschatologisch kodiert gewesen sein, so dass eine Antwort, welche die ḥāqqa explizit mit dem Jüngsten Tag identifiziert, entbehrlich war. Der Text kann deshalb – anders als Q 101, wo ein die Bedeutung der qāriʿa klärender eschatologischer Temporalsatz folgt – im zweiten und dritten Gesätz gleich zu einer Aufzählung historischer Exempel für die vorausgesetzte Gerichtsbotschaft übergehen. Bei der Bezeichnung al-ḥāqqa, „die in Erfüllung Gehende“, handelt es sich neben dem in V. 15 und auch in 56:1 verwendeten Begriff der wāqiʿa um die im koranischen Begriffsinventar abstrakteste Bezeichnung für die apokalyptische Katastrophe – ein weiteres Indiz dafür, dass der vorliegende Text einen bereits etablierten Gerichtsdiskurs fortführt.
Das zweite und dritte Gesätz bestehen aus kurzen Reminiszenzen früherer Strafgerichte (zweites Gesätz: ʿĀd und Ṯamūd, drittes Gesätz: Pharao, die muʾtafikāt = Sodom und Gomorra, Noah), die wie anderswo als innergeschichtliche Antetypen für die angekündigte Endkatastrophe fungieren. Drei der fünf Glieder (ʿĀd, Ṯamūd, Pharao) wurden bereits im Mittelteil der früheren Sure 89 miteinander kombiniert und sind hier um zwei weitere Episoden erweitert. Während Q 89 auf die architektonischen Leistungen der Bestraften fokussierte, in denen die Hybris der Bestraften gleichsam materielle Gestalt annimmt, und das folgende Strafgericht nur summarisch benennt (89:13: fa-ṣabba ʿalaihim rabbuka sauṭa ʿaḏāb), zählt der vorliegende Text die verschiedenen Strafgerichte einzeln auf und erzeugt durch seine Häufung von einander morphologisch entsprechenden Katastrophenbezeichnungen (nach der eingangs genannten ḥāqqa noch al-qāriʿa, aṭ-ṭāġiya und rīḥin ṣarṣarin ʿātiyah) den Eindruck einer mehrfachen, unausweichlichen Wiederholung ein und desselben Wirkungsmusters von menschlichem Fehlverhalten und göttlicher Bestrafung. Einen deutlichen Kontrapunkt hierzu stellen dann jedoch die das dritte Gesätz abschließenden Verse 11.12 dar, die den zunächst nahegelegten Anschein eines unentrinnbaren Fatalismus von Sünde und Strafe aufbrechen. Zwar setzen auch diese beiden, auf die Sintflut anspielenden Verse eine göttliche Vergeltung voraus, was durch die Verwendung des bereits in V. 5 (fa-ʾammā ṯamūdu fa-ʾuhlikū bi-ṭ-ṭāġiyah) als Strafbezeichnung gebrauchten Verbs ṭaġā auch sprachlich unterstrichen wird; doch betonen die Sintflut-Verse in erster Linie Gottes gnädige Errettung der Unschuldigen vor dem ihre Zeitgenossen überkommenden Strafgericht ab. Die Arche wird dabei nach poetischer Konvention als ǧāriya umschrieben, was morphologisch den vorangehenden Katastrophenbezeichnungen entspricht (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 563) – umso nachdrücklicher hebt sich der Ausdruck jedoch inhaltlich als Bezeichnung eines Instruments göttlicher Rettung von den zuvor genannten Werkzeugen göttlicher Bestrafung ab. Die direkte Anrede der Hörer in der zweiten Person Plural (ḥamalnākum) fordert diese implizit dazu auf, sich selbst als Nachfahren des von der Sintflut verschonten Noahs zu verstehen, dem im Gegensatz zu den „restlos“ ausgelöschten ʿĀd und Ṯamūd (V. 8: fa-hal tarā lahum min bāqiyah) eine zahlreiche Nachkommenschaft beschieden war. Die intendierte Implikation ist dabei natürlich, dass die koranischen Hörer auch ihr ethisch-religiöses Verhalten eher an den Insassen der ǧāriya als an den ʿĀd und Ṯamūd etc. ausrichten sollen, um so ihr eigenes Fortbestehen zu sichern – eine paränetische Signifikanz der Noah-Geschichte für das koranische Publikum, die durch die explizite Mahnung in V. 12 noch zusätzlich unterstrichen wird.
Nachdem die Realität des eingangs angekündigten Endgerichts durch Verweise auf innergeschichtliche Strafgerichte gesichert ist, wendet sich der Text dem Jüngsten Tag selbst zu, der, wie in der vermutlich zeitgleich verkündeten Sure 56, als „das, was hereinbricht“ (al-wāqiʿa) bezeichnet wird (V. 15). Wie das eingangs verwendete al-ḥāqqa („was in Erfüllung geht“) handelt es sich dabei um eine äußerst abstrakte Bezeichnung, die (anders als etwa der bereits in Q 101 etablierte und in 69:4 wieder aufgenommene Ausdruck al-qāriʿa) keine empirischen Konnotationen vermittelt, sondern einzig auf das unumgängliche Stattfinden des Endgerichts fokussiert. Es folgen, ähnlich anderen frühen Korantexten, charakteristische Einzelaspekte des eschaton: Neben der bereits in Suren der Gruppe II thematisierten Erschütterung der Erde und der Spaltung des Himmels (V. 14.16) sowie dem in Gruppe IIIa belegten endzeitlichen Erscheinen der Engel (V. 17) – durch die Spaltung des Himmels wie durch das Heben eines Bühnenvorhangs vorbereitet – steht die erst ab Gruppe IIIa belegte Vorstellung eines das Weltende ankündigenden Posaunenstoßes (V. 13). Das Auftreten des himmlischen Hofstaats – aufgeführt werden nicht nur die Engel (V. 17a), sondern auch der göttliche Thron (V. 17b) – bereitet dann das eigentliche Gerichtsgeschehen vor.
Geschildert wird dieses in Form einer bereits für frühmekkanische Suren typischen Antithese, deren beide Hälften symmetrisch mit fa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-yamīnih (V. 19) / wa-ʾammā man ʾūtiya kitābahū bi-šimālih (V. 25) beginnen; die Vorstellung, dass den Gerichteten individuelle Tatenregister ausgehändigt werden, ist dabei bereits in 84:7–12 (Gruppe II) belegt, wo die Verdammten ihre Schrift jedoch nicht in die linke Hand, sondern hinter ihrem Rücken erhalten. Wie in Q 84 quittieren die Bösen den Erhalt ihres Tatenregisters mit einem verzweifelten Ausruf (vgl. 84:11: fa-saufa yadʿū ṯubūra), der im vorliegenden Text zu einem fünfversigen Monolog ausgeweitet ist (V. 25b–29), in dem der Verdammte sich statt der zu erwartenden Strafe den Tod herbeiwünscht und den Verlust seiner irdischen Machtstellung beklagt. Die Reaktion des Seligen fällt dagegen vergleichsweise kurz aus und besteht lediglich in der selbstgewissen Versicherung „Ich habe damit gerechnet, meine Abrechnung zu erleben“ (V. 20). Es folgen Charakterisierungen seiner jenseitigen Belohnung – abgeschlossen durch eine Aufforderung Gottes zum Essen und Trinken (V. 24) –, die z. T. regelrechte Zitate von Komponenten früherer Jenseitsbeschreibungen enthalten.
Die Negativhälfte der Antithese wird in zwei weiteren Gesätzen fortgeführt, die wie der Schlussvers der Positivhälfte (V. 24) als wörtliche Rede Gottes gehalten sind: Die Höllenwärter werden angewiesen, die Verdammten zu ergreifen und in Ketten zu legen (V. 30–32), worauf eine ihre Bestrafung motivierende Rückblende auf ihre irdischen Vergehen folgt (V. 33–37). Diese weist bereits den Reim des Schlussteils auf und hebt sich dadurch vom Vorangehenden an. Sie ist aber inhaltlich noch als Teil der in V. 30 begonnenen Gottesrede zu verstehen. Bemerkenswert ist insbesondere der Zusammenhang von V. 34.35: So wie der Verdammte sich auf Erden jeglicher gesellschaftlicher Solidarität verweigert hat, so wird ihm selbst diese nun im Jenseits verweigert. Durch die mehrfache Verwendung wörtlicher Rede (V. 19b.25b–29.30–37) weist das Doppelbild einen hohen Grad von Dramatik auf, zu der auch die drastischen Detailangaben im siebten Gesätz (vgl. insb. V. 32: die Verdammten werden „an eine Kette gelegt, deren Länge siebzig Ellen ist“; vgl. mit ähnlichem Effekt bereits die Höllenschilderung in Q 111) beitragen.
Der dritte Surenteil enthält eine Reihe von Funktion und Herkunft der koranischen Verkündigungen bestimmenden Offenbarungsbestätigungen (V. 40–43.48.50.51), die mit verschiedenen paränetischen Kommentaren (in V. 41.42.49) sowie einer das zehnte Gesätz ausfüllenden polemischen Argumentation für die Zuverlässigkeit Muḥammads (V. 44–47) durchsetzt sind. Wie ähnlich auch in 81:19–28 sind zumindest die Offenbarungsbestätigungen des neunten Gesätzes chiastisch angeordnet, zwischen zwei Positivbestimmungen (V. 40.43) stehen zwei Negativaussagen (V. 41.42), die sich gegen gegnerische Qualifikationen der Korantexte als Dichtung oder Wahrsagerei wenden. Der Schlussteil setzt damit einen mit Q 97 einsetzenden und dann vor allem in Q 81 und 53 prominenten Metadiskurs über die Herkunft und Integrität der durch Muḥammad vorgetragenen Verkündigungen fort, der vor dem Hintergrund realer Kontroversen innerhalb der koranischen Hörerschaft zu situieren sein dürfte (vgl. die Kommentare zu Q 97, 81 sowie 53). Wie der zweite, metadiskursive Abschnitt von Q 81 wird dieser Schlussteil durch einen Schwur eingeleitet, der jedoch jetzt nicht mehr konkrete Einzelgegenstände nennt, sondern nur allgemein auf den Gegensatz von sichtbaren und unsichtbaren Phänomenen verweist.Dabei erinnert das Verb ʾabṣara, „sehen, erblicken“, an die Visionsbeschreibungen in Q 81 und 53, wo an prominenter Stelle jeweils rāʾa steht. Auf die von den in V. 41.42 referierten Einwänden – der Koran als „Rede eines Dichters“ bzw. „Rede eines Wahrsagers“ – implizierte Unterstellung, Muḥammad könne die von ihm empfangenen Eingebungen manipuliert oder sogar gänzlich „zusammengedichtet“ (taqawwala, V. 44) haben, geht ausführlich das in der Mitte des Schlussteils stehende Raisonnement V. 44–47 ein: Hätte Muḥammad sich eines solchen Vergehens schuldig gemacht, so würde Gott es nicht ungestraft lassen. Das Schlussgesätz hebt die gegensätzliche Wertigkeit der koranischen Verkündigungen für „Gottesfürchtige“ (V. 48) und „Ungläubige“ (V. 50) hervor und bekräftigt in einer letzten Offenbarungsbestätigung noch einmal deren unüberbietbaren Zuverlässigkeits- und Geltungsanspruch: „Es ist die sichere Wahrheit“, wa-ʾinnahū la-ḥaqqu l-yaqīn (V. 51); die zugrunde liegende Wurzel ḥ-q-q verweist dabei auf die einleitende Bezeichnung der eschatologischen Katastrophe als al-ḥāqqa zurück (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 555). Es folgt ein imperativischer Aufruf, der den Verkünder zum Gotteslob auffordert. Bemerkenswerterweise sind die beiden letzten Verse der Sure identisch mit den Schlussversen von Q 56, zu der Q 69 auch sonst eine Reihe auffälliger Parallelen aufweist (s. summarisch dazu die Bemerkungen zur Datierung weiter oben).
Literaturliste
Die bereits relativ lange und dreiteilige Sure enthält durchschnittlich 12,6 Silben pro Vers (ohne V. 7 und bei Teilung der Verse 7.17.19.25) und ist von daher zu Gruppe IIIb der frühmekkanischen Korantexte zu zählen. Diese Zuordnung wird auch dadurch gestützt, dass der Text wie viele andere Texte aus IIIb bereits einen dreiteiligen Aufbau mit mehreren Gesätzen pro Hauptteil besitzt und besonders viele motivische und terminologische Überschneidungen mit der ebenfalls zu IIIb gehörigen Sure 56 aufweist (vgl. die Hinweise auf eine endzeitliche Erschütterung von Erde und Bergen in 69:14 und 56:4.5, die symmetrisch eingeleiteten ausführlichen Doppelbilder 69:19–37 und 56:27–56, die Bezeichnung des Jüngsten Tages als al-wāqiʿa in 69:15 und 56:1, die identische Bezeichnung der koranischen Offenbarungen als tanzīlun min rabbi l-ʿālamīn sowie die übereinstimmenden Schlussverse 69:51.52 und 56:95.96). Mit Sure 52 teilt der Text darüberhinaus den in der eskalierenden Autoritätsdebatte gegen Ende der frühmekkanischen Periode zentralen der gottgegebenen „Vollmacht“ (sulṭān; s. die Anmerkung zu 52:38), der in V. 29 erscheint.
Auffällig ist der überlange V. 7, mit dem man auf zweierlei Weise umgehen kann. Neuwirth (Studien, 26; im selben Sinne Frühmekkanische Suren, 552 f.) statuiert für die ursprüngliche Version der Sure eine Teilung des Verses nach saḫḫarahā ʿalaihim sabʿa layālin wa-ṯamāniyah; indem sie zudem die Worte ʾayyāmin ḥusūman als nachträglich hinzugefügtes Interpretament wertet, ergibt sich für den neugewonnenen Vers 7a sogar ein Reim mit seiner Umgebung (V. 6ʿātiyah, V. 7aṯamāniyah, V. 7bḫāwiyah). Als Motiv für den Einschub vermutet sie das Bestreben, den in der ursprünglichen Version nur impliziten Bezug von ṯamāniyah auf Tage ausdrücklich zu machen. Allerdings wäre, wie sie selbst anmerkt, wohl auch ohne Zusatz von ʾayyām klar, dass das feminine ṯamāniya nach der Polaritätsregel als implizites Bezugswort ʾayyām voraussetzt, so dass Neuwirths Motivierung des Einschubs nur bedingt überzeugen kann. Auch auf die Frage, warum zusätzlich noch das Wort ḥusūman eingefügt wurde, lässt sich kaum eine befriedigende Antwort geben. Eine überzeugendere Alternative besteht deshalb darin, den gesamten Vers 7 als Einschub anzusehen. Dafür spricht einerseits, dass spätere Zusätze zu frühen Koransuren in der Regel vollständige Verse und keine Versteile sind (vgl. aber die Ausnahme 79:40b!) und dass sich V. 8 sehr viel zwangloser an V. 4–6 als an V. 7 anschließen lässt (in der zweiten Hälfte von V. 7 werden die von den ʿĀd zurückbleibenden Überreste mit Palmstümpfen verglichen, während V. 8 suggeriert, dass nichts von ihnen zurückgeblieben ist). Außerdem würde sich bei Ausscheidung des gesamten Verses 7 eine enge Entsprechung des zweiten und dritten Gesätzes mit einer Länge von jeweils vier Versen ergeben. Auch im Hinblick auf die Erzählökonomie entstünde eine die literarische Geschlossenheit des Textes erhöhende Übereinstimmung: So wie im dritten Gesätz die Bestrafung von Pharao und den muʾtafikāt nicht im Detail beschrieben, sondern nur kurz angedeutet (V. 10: fa-ʾaḫaḏahum ʾaḫḏatan rābiyah) wird, so würde bei Ausscheidung von V. 7 als späterem Einschub auch das zweite Gesätz die über die Ṯamūd und ʿĀd gesandten Strafgerichte nur kursorisch aufzählen (V. 5.6). Die im Kontext isolierte Detailinformation über die Modalität der Vernichtung einer der vier bestraften Kollektive entfiele. Schließlich bietet sich für einen Einschub des gesamten siebten Verses auch eine sehr viel einleuchtendere Erklärung an als für die von Neuwirth postulierte Einfügung von nur zwei Worten: Der Zusatz ist von dem – eine zentrale Tendenz der frühen islamischen Koranexegese vorwegnehmenden – Bedürfnis motiviert, die ursprünglich nur angedeutete Bestrafung der ʿĀd durch einen „heftigen Eiswind“ mit weiteren Details anzufüllen. Wie z. T. auch im frühen tafsīr geschieht dies durch eine Zusammenschau von thematisch verwandten Koranstellen: Die Veranschaulichung der Zerstörungskraft dieses Windes durch einen Vergleich seiner Opfer mit entwurzelten Palmstämmen wurde dem etwas späteren Verspaar 54:19.20 (mittelmekkanisch) entnommen und von hier aus in die vorliegende Sure eingetragen, wobei sie zugleich um eine Quantifizierung der Dauer des Sturmes ergänzt wurde.
Die Sure ist dreiteilig. Obwohl sie keine numerisch exakten Proportionen aufweist, sind der erste und dritte Teil doch in etwa gleichlang und jeweils ungefähr halb so lang wie der Mittelteil. Thematischer Mittelpunkt der ersten beiden Teile ist das bereits in der einleitenden Interjektion al-ḥāqqah evozierte „in Erfüllung gehende“ Jüngste Gericht, dessen Wirklichkeit durch Reminiszenzen früherer Strafgerichte untermauert wird und dessen Resultat, die Scheidung der Menschen in Selige und Verdammte, dann eine ausführliche Antithese schildert. Der dritte Teil besteht weitgehend aus selbstreferentiellen Kommentaren zum Wesen der Korantexte und zur Integrität ihres Verkünders. Wie in der früheren Sure 81 folgt damit auf die eschatologische Kernbotschaft eine metatextuelle Autoritätsdebatte.
Überblick
1–3 āqqah | I 1 1–3 Lehrfrage |
4–29 āKiKah | 4–29 mit vorherrschendem āKiyah (19a īnih, 25a ālih) |
30–32 3(K)K2h | 7 30–32 Antithese (Negativteil): Anrede der Höllenwächter |
33–37 2n/m | 8 33–37 Antithese (Positivteil): Forts. Anrede der Höllenwächter mit Lasterkatalog in Rückblende (V. 33.34) und Höllenbeschreibung (V. 35–37) |
38–52 2n/m | III 9 38.39 Schwur |
40–43 Schwuraussagen: Offenbarungsbestätigungen (V. 40.43 positiv, V. 41.42 negativ) | |
10 44–47 polemisches Raisonnement | |
11 48–51 Offenbarungsbestätigungen mit Scheltwort (V. 49) | |
52 liturgischer Aufruf |
Proportionen (mit Teilung von V. 17.19.25): [3+4+4] + [7+7+6+3+5] + [6+4+5] = 13 + 28 + 15.