بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
نٓ ۚ |
I11 Nūn. |
وَٱلۡقَلَمِ وَمَا يَسۡطُرُونَ |
Beim Schreibrohr und dem, was man niederschreibt! |
مَآ أَنتَ بِنِعۡمَةِ رَبِّكَ بِمَجۡنُونٍۢ |
2 Du bist dank der Gnade deines Herrn nicht besessen. |
وَإِنَّ لَكَ لَأَجۡرًا غَيۡرَ مَمۡنُونٍۢ |
3 Dein Lohn wird dir nicht vorenthalten. |
وَإِنَّكَ لَعَلَىٰ خُلُقٍ عَظِيمٍۢ |
4 Du bist von großer Wesensart. |
فَسَتُبۡصِرُ وَيُبۡصِرُونَ |
5 Du wirst sehen, und sie werden sehen, |
بِأَييِّكُمُ ٱلۡمَفۡتُونُ |
6 wer es ist, der in Versuchung geführt wird. |
إِنَّ رَبَّكَ هُوَ أَعۡلَمُ بِمَن ضَلَّ عَن سَبِيلِهِۦ |
7 Dein Herr weiß am besten, wer von seinem Weg abgeirrt ist, |
وَهُوَ أَعۡلَمُ بِٱلۡمُهۡتَدِينَ |
und er weiß am besten, wer rechtgeleitet ist. |
فَلَا تُطِعِ ٱلۡمُكَذِّبِينَ |
28 So gehorche den Leugnern nicht – |
وَدُّوا۟ لَوۡ تُدۡهِنُ فَيُدۡهِنُونَ |
9 Sie hätten gern, dass du schöne Worte machst; dann würden auch sie schöne Worte machen! – |
وَلَا تُطِعۡ كُلَّ حَلَّافٍۢ مَّهِينٍ |
10 und gehorche keinem, der andauernd schwört und verächtlich ist, |
هَمَّازٍۢ مَّشَّآءٍۭ بِنَمِيمٍۢ |
11 einem Verleumder, der mit übler Nachrede umhergeht, |
مَّنَّاعٍۢ لِّلۡخَيۡرِ مُعۡتَدٍ أَثِيمٍ |
12 einem, der das Gute vorenthält, einem sündigen Missetäter, |
عُتُلٍّۭ بَعۡدَ ذَٰلِكَ زَنِيمٍ |
13 einem, der grob ist und noch dazu ein Eindringling, |
أَن كَانَ ذَا مَالٍۢ وَبَنِينَ |
14 nur weil er Besitz und Söhne hat! |
إِذَا تُتۡلَىٰ عَلَيۡهِ ءَايَٰتُنَا |
15 Wenn ihm unsere Zeichen vorgetragen werden, |
قَالَ أَسَٰطِيرُ ٱلۡأَوَّلِينَ |
so sagt er: „Fabeln der Altvorderen!“ |
سَنَسِمُهُۥ عَلَى ٱلۡخُرۡطُومِ |
16 Wir werden ihm die Nase brandmarken! |
إِنَّا بَلَوۡنَٰهُمۡ كَمَا بَلَوۡنَآ أَصۡحَٰبَ ٱلۡجَنَّةِ |
II317 Wir haben sie geprüft, so wie wir die Leute des Gartens prüften, |
إِذۡ أَقۡسَمُوا۟ لَيَصۡرِمُنَّهَا مُصۡبِحِينَ |
als sie schworen, sie würden ihn morgens abernten, |
وَلَا يَسۡتَثۡنُونَ |
18 und dabei keinen Vorbehalt machten. |
فَطَافَ عَلَيۡهَا طَآئِفٌۭ مِّن رَّبِّكَ وَهُمۡ نَآئِمُونَ |
19 Da ging im Auftrag deines Herrn einer im Garten um, während sie schliefen, |
فَأَصۡبَحَتۡ كَٱلصَّرِيمِ |
20 so dass er am Morgen wie abgeerntet war. |
فَتَنَادَوۡا۟ مُصۡبِحِينَ |
21 Am Morgen riefen sie einander zu: |
أَنِ ٱغۡدُوا۟ عَلَىٰ حَرۡثِكُمۡ |
22 „Geht früh auf eure Felder, |
إِن كُنتُمۡ صَٰرِمِينَ |
wenn ihr ernten wollt!“ |
فَٱنطَلَقُوا۟ وَهُمۡ يَتَخَٰفَتُونَ |
23 Sie machten sich auf und flüsterten einander zu: |
أَن لَّا يَدۡخُلَنَّهَا ٱلۡيَوۡمَ عَلَيۡكُم مِّسۡكِينٌۭ |
24 „Heute soll euch kein Armer hineinkommen!“ |
وَغَدَوۡا۟ عَلَىٰ حَرۡدٍۢ قَٰدِرِينَ |
25 Zielstrebig und im Vollbesitz ihrer Kräfte brachen sie in der Frühe auf. |
فَلَمَّا رَأَوۡهَا قَالُوٓا۟ |
426 Doch als sie ihn erblickten, sprachen sie: |
إِنَّا لَضَآلُّونَ |
„Wir sind in die Irre gegangen! |
بَلۡ نَحۡنُ مَحۡرُومُونَ |
27 Mehr noch, wir sind beraubt!“ |
قَالَ أَوۡسَطُهُمۡ |
28 Der Besonnenste unter ihnen sprach: |
أَلَمۡ أَقُل لَّكُمۡ لَوۡلَا تُسَبِّحُونَ |
„Habe ich euch nicht gesagt: Warum preist ihr nicht Gott?“ |
قَالُوا۟ سُبۡحَٰنَ رَبِّنَآ |
29 Sie sprachen: „Gepriesen sei unser Herr! |
إِنَّا كُنَّا ظَٰلِمِينَ |
Wir haben Unrecht getan.“ |
فَأَقۡبَلَ بَعۡضُهُمۡ عَلَىٰ بَعۡضٍۢ يَتَلَٰوَمُونَ |
30 Sie wandten sich einander zu und machten sich Vorwürfe |
قَالُوا۟ يَٰوَيۡلَنَآ إِنَّا كُنَّا طَٰغِينَ |
31 und sprachen: „Wehe uns, wir waren aufsässig! |
عَسَىٰ رَبُّنَآ أَن يُبۡدِلَنَا خَيۡرًۭا مِّنۡهَآ |
32 Möge unser Herr uns etwas Besseres dafür geben! |
إِنَّآ إِلَىٰ رَبِّنَا رَٰغِبُونَ |
Unser Verlangen steht nach unserm Herrn.“ |
كَذَٰلِكَ ٱلۡعَذَابُ ۖ |
33 So ist die Strafe, |
وَلَعَذَابُ ٱلۡٴَاخِرَةِ أَكۡبَرُ ۖ |
doch die jenseitige Strafe ist größer. |
لَوۡ كَانُوا۟ يَعۡلَمُونَ |
Wenn sie doch nur wüssten! |
إِنَّ لِلۡمُتَّقِينَ عِندَ رَبِّهِمۡ جَنَّٰتِ ٱلنَّعِيمِ |
34 Den Gottesfürchtigen aber kommen bei ihrem Herrn Gärten der Wonne zu. |
أَفَنَجۡعَلُ ٱلۡمُسۡلِمِينَ كَٱلۡمُجۡرِمِينَ |
III535 Sollen wir etwa die Gottergebenen den Übeltätern gleichsetzen? |
مَا لَكُمۡ كَيۡفَ تَحۡكُمُونَ |
36 Was ist mit euch? Wie urteilt ihr? |
أَمۡ لَكُمۡ كِتَٰبٌۭ فِيهِ تَدۡرُسُونَ |
37 Oder habt ihr eine Schrift, in der ihr nachforschen könnt? |
إِنَّ لَكُمۡ فِيهِ لَمَا تَخَيَّرُونَ |
38 Ihr würdet darin doch nur finden, was ihr euch wünscht! |
أَمۡ لَكُمۡ أَيۡمَٰنٌ عَلَيۡنَا بَٰلِغَةٌ إِلَىٰ يَوۡمِ ٱلۡقِيَٰمَةِ |
39 Oder verfügt ihr uns gegenüber über Eide, die bis zum Tag der Auferstehung gelten? |
إِنَّ لَكُمۡ لَمَا تَحۡكُمُونَ |
Was ihr urteilt, kommt euch selbst zu. |
سَلۡهُمۡ أَيُّهُم بِذَٰلِكَ زَعِيمٌ |
40 Frag sie, wer von ihnen dafür bürgt! |
أَمۡ لَهُمۡ شُرَكَآءُ |
41 Oder haben sie vielleicht Teilhaber? |
فَلۡيَأۡتُوا۟ بِشُرَكَآئِهِمۡ إِن كَانُوا۟ صَٰدِقِينَ |
Sie sollen doch ihre Teilhaber beibringen, wenn sie die Wahrheit sprechen, |
يَوۡمَ يُكۡشَفُ عَن سَاقٍۢ |
42 am Tag, an dem es ernst wird |
وَيُدۡعَوۡنَ إِلَى ٱلسُّجُودِ فَلَا يَسۡتَطِيعُونَ |
und sie aufgefordert werden, sich niederzuwerfen, es jedoch nicht vermögen, |
خَٰشِعَةً أَبۡصَٰرُهُمۡ تَرۡهَقُهُمۡ ذِلَّةٌۭ ۖ |
43 während ihre Blicke demütig sind und Schande sie bedeckt – |
وَقَدۡ كَانُوا۟ يُدۡعَوۡنَ إِلَى ٱلسُّجُودِ وَهُمۡ سَٰلِمُونَ |
sie waren doch schon aufgefordert worden, sich niederzuwerfen, als sie noch gesund waren! |
فَذَرۡنِی وَمَن يُكَذِّبُ بِهَٰذَا ٱلۡحَدِيثِ ۖ |
644 Überlass den, der diese Kunde für Lüge erklärt, nur mir! |
سَنَسۡتَدۡرِجُهُم مِّنۡ حَيۡثُ لَا يَعۡلَمُونَ |
Wir werden sie Schritt um Schritt dem näherbringen, wovon sie nicht wissen. |
وَأُمۡلِی لَهُمۡ ۚ إِنَّ كَيۡدِی مَتِينٌ |
45 Ich gewähre ihnen Aufschub – meine List ist mit Bedacht angelegt. |
أَمۡ تَسۡـَٔلُهُمۡ أَجۡرًۭا |
46 Oder verlangst du etwa Lohn von ihnen, |
فَهُم مِّن مَّغۡرَمٍۢ مُّثۡقَلُونَ |
so dass sie von einer Schuld belastet wären? |
أَمۡ عِندَهُمُ ٱلۡغَيۡبُ فَهُمۡ يَكۡتُبُونَ |
47 Oder verfügen sie über das Verborgene, so dass sie es niederzuschreiben vermöchten? |
فَٱصۡبِرۡ لِحُكۡمِ رَبِّكَ |
748 So harre geduldig auf das Urteil deines Herrn |
وَلَا تَكُن كَصَاحِبِ ٱلۡحُوتِ |
und sei nicht wie der mit dem Fisch, |
إِذۡ نَادَىٰ وَهُوَ مَكۡظُومٌۭ |
als er grollend rief. |
لَّوۡلَآ أَن تَدَٰرَكَهُۥ نِعۡمَةٌۭ مِّن رَّبِّهِۦ |
49 Hätte ihn nicht die Gnade seines Herrn erreicht, |
لَنُبِذَ بِٱلۡعَرَآءِ وَهُوَ مَذۡمُومٌۭ |
so wäre er mit Tadel bedeckt an einer kahlen Stelle an Land geworfen worden. |
فَٱجۡتَبَٰهُ رَبُّهُۥ |
50 Doch sein Herr erwählte ihn |
فَجَعَلَهُۥ مِنَ ٱلصَّٰلِحِينَ |
und machte ihn zu einem der Rechtschaffenen. |
وَإِن يَكَادُ ٱلَّذِينَ كَفَرُوا۟ لَيُزۡلِقُونَكَ بِأَبۡصَٰرِهِمۡ |
51 Die Ungläubigen bringen dich mit ihren Blicken beinahe zu Fall, |
لَمَّا سَمِعُوا۟ ٱلذِّكۡرَ |
wenn sie die Mahnung hören, |
وَيَقُولُونَ إِنَّهُۥ لَمَجۡنُونٌۭ |
und sie sprechen: „Er ist besessen!“ |
وَمَا هُوَ إِلَّا ذِكۡرٌۭ لِّلۡعَٰلَمِينَ |
52 Doch es ist eine Mahnung für die Weltbewohner. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
nūn] Die „geheimnisvollen Buchstaben“, die am Anfang von neunundzwanzig Koransuren stehen, sind Gegenstand zahlreicher Deutungsversuche seitens klassischer islamischer und moderner Exegeten geworden. Für einen umfassenden Überblick sei auf Massey, „Mysterious Letters“, EQ , verwiesen; s. ergänzend a. GdQ, Bd. 2, 68–78 (zur Sekundärliteratur bis 1919), Paret, Kommentar, zu 2:1 , Welch, „al-Ḳurʾān“, EI2 , und Ferchl 2003 . Im Mittelpunkt der modernen Debatte steht die Frage, ob die Buchstaben – die zusammen den gesamten Graphembestand der frühen arabischen Konsonantenschrift ergeben (vgl. Massey, „Mysterious Letters“, EQ ) – lediglich allgemeine Repräsentanten des arabischen Alphabets bzw. „mystische Symbole“ sind, denen sich im Einzelnen keine spezifische Bedeutung zuordnen lässt ( Nöldeke 1892, 51 , und Jones 1962 ), oder ob es sich um dechiffrierbare Abbreviaturen handelt. Vertreter des zweiten Ansatzes haben die Buchstaben entweder als Abkürzungen für die Personen, auf deren Mitschriften sich Zaid b. Ṯābit bei seiner Koranredaktion gestützt habe, gedeutet (so die ursprüngliche Ansicht Theodor Nöldekes, s. Nöldeke 1860, 215 , der sich auch Hirschfeld 1902, 141–143 , und Massey 1996 angeschlossen haben), oder als Kurzformen bestimmter koranischer Schlagworte und Wendungen ( Loth 1881 , Bauer 1921 , Goossens 1923 und Ferchl 2003 , z. T. a. Seale 1959 ) oder der Basmala ( Bellamy 1973 ). Umstritten ist weiterhin, ob die Buchstaben bereits zu Lebzeiten Muḥammads Teil des Koran waren (so z. B. Nöldeke 1892 , Loth 1881 und Jones 1962 ) oder vielmehr redaktionelle Zusätze darstellen ( Nöldeke 1860 , Hirschfeld 1902 , Massey 1996 , Goossens 1923 ). Letztere Position vertritt auch Schmucker 2007 , der die Buchstabenfolgen als „unverstandene Wort- und Satzreste“ ( ebd., 15 ) koranischer Verkündigungen verstehen will, die von den Redaktoren des koranischen Korpus aus „Texttreue“ ( ebd., 23 ) an ihre heutige Position gestellt worden seien.
Eine abschließende Lösung des Problems der koranischen Siglen soll an dieser Stelle nicht versucht werden und ist angesichts der zahlreichen divergierenden Klärungsversuche vielleicht auch gar nicht mehr zu erhoffen. Dennoch lassen sich eine Reihe von vorläufigen Beobachtungen formulieren, die eine befriedigende Gesamterklärung integrieren müsste. Generell gilt, dass sich manchmal durchaus naheliegende Deutungen einzelner Siglen konstruieren lassen, die sich nicht anders als die heutigen Surentitel mit bestimmten in der betreffenden Sure erscheinenden Themen, Wendungen oder Namen in Verbindung bringen lassen: Dass der Buchstabe Nūn zu Beginn des vorliegenden Textes für das Wort nūn, „Fisch“ (von aram. nūnā, vgl. Jeffery, Foreign Vocabulary, 282 ) steht, ist angesichts der Erwähnung des anderswo (21:87) ḏŭ n-nūn („der mit dem Fisch“) genannten Jona in 68:48 nicht gänzlich unwahrscheinlich (so schon GdQ, Bd. 1, 70 ), auch wenn Jona in 68:48 eben nicht als ḏŭ n-nūn, sondern als ṣāḥib al-ḥūt bezeichnet wird. Auch die von Goossens vorgeschlagene Lektüre der Sigle ḥ-m als Abkürzung für das in den betreffenden Suren mehrfach erwähnte „siedende Wasser“ (ḥamīm) der Hölle ( Goossens 1923, 360–362 ) ist durchaus nicht abwegig. Versuche, eine derartige Dechiffrierung auf die Gesamtheit der koranischen Siglen auszudehnen, produzieren daneben in aller Regel jedoch auch äußerst künstlich anmutende Enträtselungen, die hier aus Platzgründen nicht detailliert zusammengestellt werden können.
Mit gewisser Wahrscheinlichkeit lässt sich aber zumindest feststellen, dass die Siglen wohl in der Tat keine redaktionellen Zusätze sind, sondern zumindest in ihrer Mehrheit vermutlich originäre Bestandteile der jeweiligen Sure darstellen: Dafür spricht, dass der Name des jeweils zuletzt stehenden Buchstabens häufig den Reim des folgenden Verses aufweist ( Welch, „al-Ḳurʾān“, EI2 ) und dass auf die jeweilige Sigle in einer Reihe von Fällen Verse folgen, welche die koranischen Offenbarungen als kitāb, ʾāyāt, qurʾān etc. qualifizieren bzw. von einer „Herabsendung“ (tanzīl) derselben sprechen – zwischen Sigle und Sureneinleitung scheint also zumindest teilweise eine regelmäßige Korrelation zu bestehen. In dieselbe Richtung weist die von Bauer hervorgehobene Tatsache, dass die – auch nach islamischer Mehrheitsmeinung erst redaktionell erfolgte – Anordnung der Suren nach absteigender Länge verschiedentlich durchbrochen wurde, um Suren mit identischen Siglen nicht auseinanderreißen zu müssen. Offenbar waren die Buchstabenfolgen der koranischen Endredaktion also bereits vorgegeben und müssen folglich bereits sehr früh Bestandteil des dabei verwendeten Textbestandes gewesen sein. Damit verliert die These, dass es sich bei ihnen um sekundär eingefügte Redaktionsvermerke handelt (so Nöldeke 1860 , Hirschfeld 1902 , Massey 1996 ), deutlich an Wahrscheinlichkeit. Will man sich nicht auf die wenig erfolgversprechende Suche nach weiteren Entschlüsselungen einlassen, so empfiehlt sich letzten Endes vielleicht doch die Ansicht Nöldekes, es handele sich um eine Repräsentation des arabischen Alphabets bzw. von Schriftlichkeit im Allgemeinen – zumal Schreiben und Geschriebenes auch anderswo im Koran eng mit dem Thema göttlicher Offenbarung verknüpft werden (vgl. den Kommentar zu 96:1–5 mit weiteren Stellenangaben; s. a. Sinai 2006, 112–116 ). Auch die weiter oben angesprochene Korrelation von einleitenden Buchstabenfolgen und sich daran anschließenden kitāb- bzw. tanzīl-Verweisen würde durch diese Assoziation von Schriftlichkeit und göttlicher Offenbarung plausibel erklärt. Als Hintergrund für einen solchen ikonischen Gebrauch von Einzelbuchstaben muss man übrigens nicht mit Loth 1881 an kabbalistische Buchstabenspekulationen denken, sondern kann darauf verweisen, dass ganz ähnliche Vorstellungen auch im zeitgenössischen ostsyrischen Mönchtum geläufig waren ( Becker 2006, 130–134 ). – Relevant für die weitere Diskussion dürfte auch die von Dayeh 2010 ausführlich begründete Beobachtung sein, dass zumindest die mit ḥ-m beginnenden Suren untereinander eine Reihe von auffälligen formalen und inhaltlichen Berührungspunkten aufweisen, die Buchstabenzuordnung also durchaus nicht willkürlich zu sein scheint. Man hat folglich damit zu rechnen, dass identische Siglen vor zwei Suren bewusste thematische Bezüge oder sogar eine chronologische Nähe signalisieren.
wa-l-qalami wa-mā yasṭurūn] Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion des hier vorliegenden Schwurtypus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen. Inhaltlich vgl. die frühere qalam-Referenz in 96:3–5 (iqraʾ wa-rabbuka l-ʾakram / allaḏī ʿallama bi-l-qalam / ʿallama l-ʾinsāna mā lam yaʿlam) und die Anmerkung dazu; zum Verb saṭara s. die mittelmekkanischen Verse 54:52.53 (wa-kullu šaiʾin faʿalūhu fĭ z-zubur / wa-kullu ṣaġīrin wa-kabīrin mustaṭar). Paret (Kommentar, zu 96:3–5) erwägt, den vorliegenden Vers und 96:3–5 (iqraʾ wa-rabbuka l-ʾakram / allaḏī ʿallama bi-l-qalam / ʿallama l-ʾinsāna mā lam yaʿlam) auf die Vermittlung der Schreibkunst an den Menschen zu beziehen, doch ist dies im Textzusammenhang eher unwahrscheinlich ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 573 ). Vielmehr scheinen Schrift und Geschriebenes in beiden Passagen eine emblematische Funktion zu haben: Während 96:3–5 auf Schriftlichkeit als Garant für eine authentische und autoritative Weitergabe von Gottesrede anspielt, was durch den auch anderswo im Koran hergestellten Nexus zwischen Schriftlichkeit und Offenbarung bestätigt wird, dürfte es im vorliegenden Vers um die minutiös über die menschlichen Verdienste und Vergehen Buch führenden Wächter- und Schreiberengel gehen, deren Tätigkeit etwas später in 54:52.53 ebenfalls mit der auch hier verwendeten Wurzel s-ṭ-r beschrieben wird, die aber bereits in früheren Texten erwähnt werden (vgl. insb. 82:10.11: wa-ʾinna ʿalaikum la-ḥāfiẓīn / kirāman kātibīn; s. a. die Anmerkung dazu mit weiteren Verweisen). Schon in der voreschatologischen Gegenwart, während die Gegner der koranischen Verkündigung noch an Muḥammads Offenbarungsanspruch zweifeln, sind also Vorbereitungen für die ordnungsgemäße Abwicklung des Endgerichts im Gange.
Versabteilung: Nur Kufa betrachtet al-ḥāqqah als eigenständigen Vers (Spitaler, Verszählung, 64). Die Parallele zu 101:1, aber auch zu anderen Suren mit kurzem Eröffnungsvers (106, 103, 95, 93, 89, 83, 55, 52) spricht dafür, an der kufischen Abteilung festzuhalten (vgl. Neuwirth, Studien, 26).
bi-niʿmati rabbika] Zum Gottestitel rabb (erscheint noch mehrmals in der Sure) s. die Anmerkung zu 95:8.
maǧnūn] Vgl. in Gruppe II 81:22 (wa-mā ṣāḥibukum bi-maǧnūn) und die Anmerkung dazu. In Gruppe IIIb treten Zurückweisungen des Vorwurfs der Besessenheit dann häufiger auf, vgl. neben dem vorliegenden Vers noch 51:39 (wa-qāla sāḥirun ʾau maǧnūn), 51:52 (ʾillā qālū sāḥirun ʾau maǧnūn) und 52:29 (fa-mā ʾanta bi-niʿmati rabbika bi-kāhinin wa-lā maǧnūn).
wa-ʾinna laka la-ʾaǧran ġaira mamnūn] Vgl. 84:25 (ʾillă llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilŭ ṣ-ṣāliḥāti lahum ʾaǧrun ġairu mamnūn) und 95:6 (bis auf das fa- vor lahum mit Vers 84:25 identisch und wohl wie dieser ein späterer Zusatz). Alternativ: „Und du hast Lohn zu erwarten, der dir nicht als Wohltat vorgehalten wird“ (ähnlich Paret); vgl. zur Frage der Übersetzung die Anmerkung zu 95:6.
wa-ʾinnaka la-ʿalā ḫuluqin ʿaẓīm] Bell übersetzt: „For thou art engaged in a mighty task“ und begründet dies damit, dass ḫuluq auch „Gewohnheit, Brauch“ bedeuten kann (s. Lane, Bd. 2, 801b–c ); auch Ambros spricht sich vorsichtig für Bells Deutung aus ( Dictionary, 91 ). Dennoch ergibt das traditionelle Verständnis von ḫuluq im Sinne von „Charakter, Wesensart“ durchaus Sinn: Gegen den in V. 2 zurückgewiesenen Anwurf der „Besessenheit“ wird der Verkünder seiner charakterlichen Integrität versichert.
fa-sa-tubṣiru wa-yubṣirūn] Zu dem in den Autoritätsdebatten in Gruppe IIIb mehrfach gebrauchten Verb ʾabṣara s. die Anmerkung zu 52:15. Zur Konstruktion vgl. mittelmekkanisch 37:175 (wa-ʾabṣirhum fa-saufa yubsirūn) und ähnlich 37:179.
bi-ʾayyikumu l-maftūn] Zu fatana vgl. den Überblick über die verschiedenen Bedeutungsnuancen bei Ambros, Dictionary, 208 .
ʾinna rabbaka huwa ʾaʿlamu bi-man ḍalla ʿan sabīlihī wa-huwa ʾaʿlamu bi-l-muhtadīn] Vgl. 53:30 (ḏālika mablaġuhum mina l-ʿilmi ʾinna rabbaka huwa ʾaʿlamu bi-man ḍalla ʿan sabīlihī wa-huwa ʾaʿlamu bi-mani htadā). Zu dem bereits im Psalter belegten Bild des „Weges Gottes“ s. die Anmerkung zu 73:19 (fa-man šāʾa ttaḫaḏa ʾilā rabbihī sabīlā).
fa-lā tuṭiʿi l-mukaḏḏibīn] Zu den verschiedenen Gebrauchsweisen von kaḏḏaba vgl. die Anmerkungen zu 95:7, 92:16 und 73:11.
waddū lau tudhinu fa-yudhinūn] Dahana bedeutet „mit Öl salben, einölen, einfetten“, dāhana im III. Stamm hat die Bedeutung „sich jemanden geneigt machen“ und auch „sich verstellen“ ( Lane, Bd. 3, 926a–b ). ʾAdhana im IV. Stamm wird von den Lexikographen sowohl als Synonym von dāhana erklärt (vgl. Lisān, s. v. d-h-n : wa-qāla baʿḍu ʾahli l-luġa: maʿnā dāhana wa-ʾadhana ʾay ʾaẓhara ḫilāfa ma ʾaḍmara; auf dasselbe läuft die weiter oben im selben Lemma zitierte Paraphrasierung von ʾadhana mit ġašša, „unredlich handeln, betrügen“, hinaus) als auch mit ʾabqā gleichgesetzt (ʾadhana ʿalā = ʾabqā ʿalā; vgl. Lane, 926b–c ). Innerkoranisch ist noch 56:81 (ʾa-fa-bi-hāḏă l-ḥadīṯi ʾantum mudhinūn) zu vergleichen. Parets Übersetzung von ʾadhana mit „schöne Worte machen“ bildet die koranische Verwendung des Verbs insofern auf durchaus gelungene Weise nach und kann sich zudem auf die behauptete Synonymie von ʾadhana und dāhana = „sich jemanden geneigt machen“ bzw. „sich verstellen“ berufen.
hammāzin] Vgl. 104:1 (wailun li-kulli humazatin lumazah) sowie die Anmerkung dazu.
mannāʿin li-l-ḫairi] Vgl. 70:21 (wa-ʾiḏā massahu l-ḫairu manūʿa) sowie 107:7 (wa-yamnaʿūna l-māʿūn).
muʿtadin ʾaṯīm] Vgl. 83:12 (wa-mā yukaḏḏibu bihī ʾillā kullu muʿtadin ʾaṯīm).
ʿutullin baʿda ḏālika zanīm] Baʿda ḏālika steht, wie Paret anmerkt ( Paret, Kommentar, ad loc. ) nur noch in 66:4 (medinensisch) mit der Bedeutung „überdies“ und hat sonst immer eine zeitliche Bedeutung (vgl. 79:30: wa-l-ʾarḍa baʿda ḏālika daḥāhā). Eigentlich problematisch sind aber die beiden Prädikate ʿutull und zanīm, deren allgemeiner Negativsinn zwar klar genug ist, deren konkreter Sinn sich aber vorerst nicht befriedigend bestimmen lässt. ʿUtull dürfte mit ʿatala, „ziehen, schleppen“, zusammenhängen (vgl. 44:47: ḫuḏūhu fa-ʿtilūhu ʾilā sawāʾi l-ǧaḥīm) und wird häufig im Sinne von „grob“, „ungehobelt“ paraphrasiert. Die zanīm zugrunde liegende Wurzel z-n-m findet sich etwa in zannama, „das Ohr eines Tieres durch einen Einschnitt markieren“; das Substantiv zanama bezeichnet den aufgrund eines solchen Einschnitts lose herabhängenden Teil des Ohres, während das betreffende Tier selbst zanim (sic!) heißt (vgl. Lane, Bd. 3, 1259a–b ). Allerdings wurde eine solche Markierung den Lexika zufolge bei besonders wertvollen Tieren vorgenommen, während das koranische zanīm ganz offensichtlich pejorativ gemeint ist. Daneben findet sich in der islamischen Literatur auch die Auskunft, in der Anwendung auf Menschen bezeichneten zanim und auch muzannam eine Person, die von einem Volk aufgenommen wurde, dem sie ursprünglich nicht zugehöre (vgl. Lisān, s. v. z-n-m , sowie Ṭabarī, ad loc., Nr. 34609 : al-mulṣaqu bi-l-qaumi wa-laisa minhum), wofür u. a. ein Vers Ḥassān b. Ṯābits als Beleg angeführt wird (wa-ʾanta zanīmun fī ʾāli hāšimin ...) – denn, so die Erklärung, die fragliche Person könne im Verhältnis zur aufnehmenden Gemeinschaft wie eine zanama, d. h. ein lose herabhängender Teil des Ohres, angesehen werden (s. Lisān, ebd. : ka-ʾannahū fīhim zanamatun). Mangels einer überzeugenderen Alternative folgt die obige Übersetzung dieser Erklärung, auf der auch Parets Übersetzung von zanīm mit „einer, der sich überall eindrängt“ basiert (vgl. a. Ambros, Dictionary, 123 ). Man wird vorläufig zu akzeptieren haben, dass der Vers zwei semantisch nicht mehr gänzlich aufzuhellende, aber jedenfalls pejorative Attribute verwendet – weiteren Aufschluss über die Bedeutung der beiden Worte könnte allenfalls eine Zusammenstellung von Dichtungsbelegen versprechen.
Einen anderen Weg geht Luxenberg, der die islamische Vorstellung von einer die schriftliche Koranüberlieferung flankierenden mündlichen Lesetradition generell ablehnt. Er emendiert ʿutull zu ʿālin („hochmütig, überheblich“), indem er annimmt, ein ursprünglich als Zeichen für langes ā gebrauchtes Häkchen sei von späteren Exegeten zum Buchstaben tāʾ verlesen worden; zanīm hingegen sei eine Verlesung von ratīm = syr. rṯīm, „lispelnd, stammelnd“ ( Luxenberg 2000, 62–65 ). Abgesehen davon, dass die Ausschaltung von Deutungsschwierigkeiten durch freie Emendationen methodologisch immer fragwürdig ist und in der gegenwärtigen Bibelwissenschaft und klassischen Philologie kaum durchgehen würde (vgl. die sehr ähnliche Vorgehensweise von James Bellamy und die kritischen Bemerkungen dazu in Ambros, Dictionary, 19 ), erscheint Luxenbergs Übersetzungsvorschlag zu V. 13.14 „überheblich zudem, stammelnd: Er habe ja [auch ohne Gott] Vermögen und Kinder“ auch inhaltlich wenig sinnvoll (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 575 ): Eingeschüchtertes Stammeln passt weder zu der angeblichen „Hochmütigkeit“ des Beschuldigten noch zu dem ihm zugeschriebenen selbstsicheren Insistieren auf Vermögen und Kindern. Weniger unsinnig ist die erste Emendation von ʿutull zu ʿālin; sie lässt sich immerhin durch innerkoranische Parallelstellen stützen, in denen das Wort ʿālin auf Pharao angewandt wird (44:31: min firʿauna ʾinnahū kāna ʿāliyan mina l-musrifīn; 10:83: wa-ʾinna firʿauna la-ʿālin fĭ l-ʾarḍi wa-ʾinnahū la-mina l-musrifīn). Auch dass es im Verlaufe der Koranüberlieferungen zu Umdeutungen nicht mehr verstandener Schriftzüge gekommen sein könnte, ist nicht gänzlich auszuschließen. Das textkritische Prinzip der lectio difficilior wirft gleichwohl die Frage auf, warum ein solcher Schriftzug ausgerechnet zu einem Ausdruck verlesen worden sein sollte, der den Exegeten und Lexikographen ganz offensichtliche Schwierigkeiten bereitete – im Allgemeinen führen ähnliche Prozesse ja zu einer Vereinfachung und Glättung der betreffenden Stelle. Macht man gegen diesen Einwand geltend, ʿutull = „ungehobelt“ sei eben ein gebräuchlicher Bestandteil des arabischen Wortschatzes der Exegeten gewesen und habe sich deshalb als Ausdeutung des fraglichen Schriftzugs empfohlen, dann entzieht man nur nachträglich jedem Emendationsversuch den Boden: Denn wenn ʿutull in der Tat ein semantisch unproblematischer Ausdruck ist, so entfällt heuristisch jede Notwendigkeit, mit der Möglichkeit einer Textverderbnis zu rechnen.
ʾan kāna ḏā mālin wa-banīn] Wörtl.: „dass er Besitz und Söhne hat“. Vgl. a. 74:12.13 (wa-ǧaʿaltu lahū mālan mamdūdā / wa-banīna šuhūdā).
ʾiḏā tutlā ʿalaihi ʾāyātunā qāla ʾasāṭīru l-ʾawwalīn] Der Vers ist identisch mit 83:13 (ebenfalls Gruppe IIIb). Zu ʾasāṭīr al-ʾawwalīn vgl. die Anmerkung zu 83:13, zu ʾāyātdie zu 74:16.
ḫurṭūm] Das Wort bezeichnet die Nase eines Raubtiers ( Lane, Bd. 2, 724a ).
Die Erzählung weicht merklich vom üblichen Schema koranischer Straflegenden ab, in denen eine Gemeinschaft die Warnungen eines göttlichen Gesandten in den Wind schlägt und dafür von Gott ausgelöscht wird. Die Gartenbesitzer kommen hingegen mit dem Leben und insofern vergleichsweise glimpflich davon, und anstatt eines von Gott entsandten Mahnpredigers tritt lediglich nach der eingetretenen Strafe ein „Besonnener“ auf, der die religiöse Moral des Vorgefallenen zu deuten weiß. Die Episode wird durch keinerlei Namensreferenzen historisch order geographisch verortet. Eine weitere, zeitlich oder räumlich ebenfalls nicht näher verankerte Gartenerzählung steht in der von Nöldeke in mittelmekkanische Zeit datierten Sure 18 (V. 32–44). Sie wird, anders als in Sure 68, explizit als „Gleichnis“ klassifiziert (18:32), eine auch für die vorliegende Passage durchaus passende Bezeichnung. Inhaltlich erinnert die Gartenerzählung entfernt an das Gleichnis vom reichen Kornbauern aus Lukas 12:16–21 ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 576 ; vgl. Speyer, Erzählungen, 433 f. und Buhl 1924 ). Das lukanische Gleichnis erzählt, wie Gott einem Reichen, der sich ob seiner prall gefüllten Scheune in Sicherheit wiegt, offenbart, man werde noch in derselben Nacht seine Seele von ihm fordern. Im Vergleich mit der vorliegenden Gartenerzählung fallen allerdings wichtige Unterschiede auf: Die koranischen Gartenbesitzer verlieren nur ihren Besitz, nicht ihr Leben; und die Pointe der Geschichte besteht darin, dass sie selbst, ohne göttliche Belehrung, die Nichtigkeit ihres bisherigen Strebens erkennen und insofern die von den koranischen Adressaten geforderte Umkehr exemplifizieren. Auch sonst lehnt sich der Handlungsgang der Gartenperikope nicht auffallend an den neutestamentlichen Intertext an; die beiden Texte wurzeln also lediglich in einem gemeinsamen literarischen Genre.
ʾinnā balaunāhum ka-mā balaunā ʾaṣḥāba l-ǧannati] Zum Verb balā vgl. 86:9 (yauma tublă s-sarāʾir), wo es eine eschatologische Prüfung bezeichnet, und die später eingeschobene Versgruppe 89:15.16 (fa-ʾamma l-ʾinsānu ʾiḏā mă btalāhu rabbuhū fa-ʾakramahū wa-naʿʿamahū fa-yaqūlu rabbī ʾakraman / wa-ʾammā ʾiḏā mă btalāhu fa-qadara ʿalaihi rizqahū fa-yaqūlu rabbī ʾahānan). Wie im vorliegenden Vers ist dort von einer innerweltlichen Prüfung die Rede, die in Gottes Gewährung und Verweigerung bestimmter Güter besteht ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 575 ). Zu ǧanna s. die Anmerkung zu 81:13.
wa-lā yastaṯnūn] Gemeint ist das Aussprechen eines Vorbehaltes im Sinne der Kautele „so Gott will“ (ʾin šāʾa llāhu), wie er sich innerkoranisch u. a. in den beiden an frühmekkanische Texte angehängten Zusätzen 74:56 (wa-mā yaḏkurūna ʾillā ʾan yašāʾa llāhu huwa ʾahlu t-taqwā wa-ʾahlu l-maġfira) und 81:29 (wa-mā tašāʾūna ʾillā ʾan yašāʾa llāhu rabbu l-ʿālamīn) findet (weitere Vorkommnisse von ʾillā ʾan yašāʾa llāhu bei Paret, Kommentar, zu 18:23 ). Das Verb istaṯnaʾ erscheint im Koran nur hier.
fa-ṭāfa ʿalaihā ṭāʾifun min rabbika] Das Verb ṭāfa erscheint sonst vor allem in Paradiesbeschreibungen, s. die Anmerkung zu 56:17.
ʾan lā yadḫulannahă l-yauma ʿalaikum miskīn] Der Typus des besonderer Zuwendung bedürftigen Armen ist bereits in 107:3 (wa-lā yaḥuḍḍu ʿalā ṭaʿāmi l-miskīn), 90:16 (ʾau miskīnan ḏā matrabah), 89:18 (wa-lā taḥāḍḍūna ʿalā ṭaʿāmi l-miskīn) und 74:44 (wa-lam naku nuṭʿimu l-miskīn) eingeführt worden. Vgl. a. noch den in etwa gleichzeitigen Vers 69:34 (wa-lā yaḥuḍḍu ʿalā ṭaʿāmi l-miskīn).
wa-ġadau ʿalā ḥardin qādirīn] Alternativ: „Mit der Absicht, geizig zu sein, und im Vollbesitz ihrer Kräfte brachen sie in der Frühe auf.“ Ḥarada kann den Lexikographen sowohl „sich begeben zu, aufsuchen“ (= qaṣada) als auch „verwehren, zurückhalten“ bedeuten (vgl. Lane, Bd. 2, 543c–544a ). Obwohl letztere Bedeutung mit ḥārada, „zurückgehen, knapp werden“ (insb. vom Milchvorrat einer Kamelstute ausgesagt) zusammenhängen könnte, ist doch genauso gut möglich, dass sie aus dem koranischen Kontext abgeleitet ist. Die Übersetzung legt deshalb die erste Alternative zugrunde.
fa-lammā raʾauhā qālū ʾinnā la-ḍāllūn / bal naḥnu maḥrūmūn] Vgl. 56:66.67 (ʾinnā la-muġramūn / bal naḥnu maḥrūmūn).
ʾausaṭuhum] Die Übersetzung folgt Bobzin; vgl. Ambros, Dictionary, 288 .
ʾa-lam ʾaqul lakum lau-lā tusabbiḥūn] Zu sabbaḥa s. die Anmerkung zu 87:1.
fa-ʾaqbala baʿḍuhum ʿalā baʿḍin yatalāwamūn] Gespräche im Jenseits werden sonst noch in 52:25 (wa-ʾaqbala baʿḍuhum ʿalā baʿḍin yatasāʾalūn; gehört wie die vorliegende Sure zu Gruppe IIIb) und 74:40.41 (fī ǧannātin yatasāʾalūn / ʿani l-muǧrimīn; IIIa) geschildert.
qālū yā-wailanā ʾinnā kunnā ṭāġīn] Zur Wurzel ṭ-ġ-w/y s. die Anmerkung zu 96:6.
ʾinnā ʾilā rabbinā rāġibūn] Vgl. den an den Verkünder gerichteten Aufruf in 94:8 (wa-ʾilā rabbika fa-rġab).
wa-la-ʿaḏābu l-ʾāḫirati ʾakbaru lau kānū yaʿlamūn] Vgl. 88:24 (fa-yuʿaḏḏibuhu llāhu l-ʿaḏāba l-ʾakbar). Zu al-ʾāḫira vgl. die Anmerkung zu 93:4.
ʾinna li-l-muttaqīna ʿinda rabbihim ǧannāti n-naʿīm] Vgl. in Gruppe II 82:13 (ʾinna l-ʾabrāra la-fī naʿīm), in Gruppe IIIa 77:41 (ʾinna l-muttaqīna fī ẓilālin wa-ʿuyūn) und in Gruppe IIIb 51:15 (ʾinna l-muttaqīna fī ǧannātin wa-ʿuyūn), 52:17 (ʾinna l-muttaqīna fī ǧannātin wa-naʿīm), 56:12 (fī ǧannāti n-naʿīm) und 83:22 (ʾinna l-ʾabrāra la-fī naʿīm). Zu ǧanna und naʿīm s. allg. die Anmerkungen zu 102:8 und 81:13. Zum Verb ittaqā und dem zugehörigen Substantiv taqwā s. die Anmerkung zu 92:5.
ʾa-fa-naǧʿalu l-muslimīna ka-l-muǧrimīn] Der Vers ist zusammen mit 51:36 (fa-mā waǧadnā fīhā ġaira baitin mina l-muslimīn) der früheste koranische Beleg für den Ausdruck muslim.
ʾam lakum kitābun fīhi tadrusūn] Das Verb darasa (einschließlich dem zugehörigen Verbalsubstantiv dirāsa) erscheint insgesamt sechs Mal im Koran (3:79, 6:105, 6:156, 7:169, 34:44, 68:37), und zwar immer als Bezeichnung für das Studium Heiliger Schriften und in zumindest implizitem Zusammenhang mit Juden oder Christen. Es handelt sich offenbar um eine Adaption von hebr. dāraš, dem üblichen rabbinischen Terminus für das Auslegen der Bibel ( Jeffery, Foreign Vocabulary, 128 f. ).
ʾinna lakum fīhi la-mā taḫayyarūn] Alternativ: „Darin wird euch zugesprochen, was ihr euch wünscht“.
salhum ʾayyuhum bi-ḏālika zaʿīm] Zur Bedeutung von zaʿīm vgl. spätmekkanisch 12:72: qālū nafqidu ṣuwāʿa l-maliki wa-li-man ǧāʾa bihī ḥimlu baʿīrin wa-ʾanā bihī zaʿīm, „Sie sprachen: Wir vermissen den Pokal des Königs; wer ihn bringt, soll eine Kamelladung haben – ich bürge dafür.“ Hier fungiert der Ausdruck offenbar nur als Synonym für „eine Behauptung aufstellen“ (nämlich dass man seitens Gottes über bindende Eide verfügt, wie es in V. 39 heißt).
ʾam lahum šurakāʾu fa-l-yaʾtū bi-šurakāʾihim ʾin kānū ṣādiqīn] Derivate der Wurzel š-r-k erscheinen frühmekkanisch nur hier und in 52:43. Während dort das Verb ʾašraka gebraucht wird (ʾam lahum ʾilāhun ġairu llāhi subḥāna llāhi ʿammā yušrikūn), findet sich hier der Plural des Substantivs šarīk, „Teilhaber“ (nämlich Gottes). Obwohl mit den šurakāʾ der Angesprochenen sachlich eigentlich die – aus koranischer Perspektive – Teilhaber Gottes gemeint sind, spricht der Koran doch hier und anderswo von den Teilhabern der Ungläubigen (vgl. Paret, Kommentar, zu 10:28 f. ). Auffällig ist, dass alle weiteren Belege für diese Redeweise spätmekkanisch sind (von den „Teilhabern“ Gottes ist dagegen bereits mittelmekkanisch die Rede, vgl. etwa 18:52, wo Gott die Ungläubigen auffordert: „Ruft meine Teilhaber an!“). Mangels weiterer Indizien für einen Einschub wird der Vers hier jedoch als originärer Textbestandteil gewertet. – Zum Hintergrund der Wurzel š-r-k s. grundlegend Horovitz, Koranische Untersuchungen, 60 f. . Horovitz weist sowohl auf den analogen Gebrauch der Wurzel š-r-k in einer monotheistischen altsüdarabischen Inschrift als auch auf die Entsprechung zu hebr. šittēf in einer Talmudpassage hin. Mit dem Begriff der „Beigesellung“ scheint es sich insofern wie mit dem koranischen Gottesnamen ar-Raḥmān zu verhalten, der letzten Endes ebenfalls rabbinische Wurzeln hat und dann über den jüdisch geprägten ḥimyaritischen Monotheismus in das koranische Milieu gelangt sein dürfte (s. ausführlich die Anmerkung zu 55:1). Zum Gottesbild der koranischen „Beigeseller“ (mušrikūn) s. jetzt Crone 2010, 177 ff. (vgl. die Anmerkung zu Anmerkung zu 95:8).
yauma yukšafū ʿan sāqin] Wörtl.: „am Tag, an dem die Wade entblößt wird“, d. h. an dem man sich gleichsam kampfbereit macht.
ḫāšiʿatan ʾabṣāruhum tarhaquhum ḏillatun] Dieselbe Formulierung erscheint in Gruppe II in 88:2 (wuǧūhun yaumaʾiḏin ḫāšiʿah), in Gruppe IIIa und IIIb in 70:44 (identisch mit dem vorliegenden Vers), 79:9 (ʾabṣāruhā ḫāšiʿah) und 80:40–42 (wa-wuǧūhun yaumaʾiḏin ʿalaihā ġabarah / tarhaquhā qatarah / ʾulāʾika humu l-kafaratu l-faǧarah).
fa-ḏarnī wa-man yukaḏḏibu bi-hāḏă l-ḥadīṯi sa-nastadriǧuhum min haiṯu lā yaʿlamūn / wa-ʾumlī lahum ʾinna kaidī matīn] Zum gesamten Doppelvers s. 73:11 (wa-ḏarnī wa-l-mukaḏḏibīna ʾūlĭ n-naʿmati wa-mahhilhum qalīlā). Zu ḥadīṯ s. die Anmerkung zu 77:50. Zu nastadriǧuhum ist die einzige weitere Parallelstelle der spätmekkanische Vers 7:182 (wa-llaḏīna kaḏḏabū bi-ʾāyātinā sa-nastadriǧuhum min haiṯu lā yaʿlamūn); zum Verb istadraǧa vgl. a. Lane, Bd. 3, 868a , mit einem Vers von Ḏū r-Rumma. Der Topos der göttlichen „List“ (kaid) ist frühmekkanisch bereits mehrfach bezeugt, vgl. 105:2 (ʾa-lam yaǧʿal kaidahum fī taḍlīl), 86:15.16 (ʾinnahum yakīdūna kaidā / wa-ʾakīdu kaidā), 77:39 (fa-ʾin kāna lakum kaidun fa-kīdūn) und 52:42 (ʾam yurīdūna kaidan fa-llaḏīna kafarū humu l-makīdūn) sowie 52:46 (yauma lā yuġnī ʿanhum kaiduhum šaiʾan wa-lā hum yunṣarūn). Die Übersetzung von ʾinna kaidī matīn folgt Paret.
ʾam tasʾaluhum ʾaǧran fa-hum min maġramin muṯqalūn] Vgl. 52:40 (ʾam tasʾaluhum ʾaǧran fa-hum min maġramin muṯqalūn; gehört wie die vorliegende Sure zu Gruppe IIIb). Vgl. a. V. 3, wo dem Verkünder bereits jenseitiger Lohn (ʾaǧr) zugesagt wurde. – Dass seine Verkündigungstätigkeit nicht durch die Hoffnung auf Entlohnung motiviert ist, versichert auch Paulus im Zweiten Korinterbrief 11:7–9 ( Thyen 2000, 31 ): „Oder habe ich einen Fehler gemacht, als ich, um euch zu erhöhen, mich selbst erniedrigte und euch das Evangelium Gottes verkündete, ohne etwas dafür zu nehmen? / Andere Gemeinden habe ich ausgeplündert und Geld von ihnen genommen, um euch dienen zu können. / Aber als ich zu euch kam und in Schwierigkeiten geriet, bin ich niemand zur Last gefallen; was ich zu wenig hatte, ergänzten die Brüder, die aus Mazedonien kamen. Ich habe also darauf Wert gelegt, euch in keiner Weise zur Last zu fallen, und werde auch weiterhin darauf Wert legen.“ Auch Jesus fordert seine Jünger in Matthäus 10:8 auf, unentgeltlich das Evangelium zu predigen ( Thyen 2000, 31 ): „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“ Der vorliegende Vers muss insofern nicht notwendigerweise als Reflex realer Vorwürfe gegen den koranischen Verkünder verstanden werden, sondern greift einen prophetologischen Topos auf.
ʾam ʿindahumu l-ġaibu fa-hum yaktubūn] Vgl. 52:41 (ʾam ʿindahumu l-ġaibu fa-hum yaktubūn) sowie 53:35 (ʾa-ʿindahū ʿilmu l-ġaibi fa-huwa yarā), die wie Sure 68 zu Gruppe IIIb gehören; vgl. a. mittelmekkanisch 72:26 (ʿālimu l-ġaibi). Zu kataba im Sinne von „niederschreiben, Buch führen“ vgl. noch die Anspielung auf himmlische Schreiberengel in 82:10–12 (wa-ʾinna ʿalaikum la-ḥāfiẓīn / kirāman kātibīn / yaʿlamūna mā tafʿalūn; Gruppe II). Zum Ausdruck ġaib vgl. die Anmerkung zu 81:24.
fa-ṣbir li-ḥukmi rabbika] Vgl. die identische Wendung in 52:48 und die ähnliche Aufforderung in 74:7 (wa-li-rabbika fa-ṣbir).
wa-lā takun ka-ṣāḥibi l-ḥūṭi] Gemeint ist der hier erstmals im Koran erwähnte Prophet Jona (zur biblischen Version der Erzählung s. das alttestamentliche Buch Jona). In mittelmekkanischer Zeit erscheint er noch in 21:87, wo er als ḏŭ n-nūn („der mit dem Fisch“) bezeichnet wird, und ausführlicher in 37:139–148; dort und in allen späteren Erwähnungen (Stellenangaben bei Paret, Kommentar, zu 21:87 ) heißt er Yūnus. Da der Koran insgesamt nur kurze Anspielungen auf die Jona-Erzählung enthält, setzt er offenbar voraus, dass die Geschichte seinen Adressaten zumindest in Grundzügen bekannt ist.
ʾiḏ nādā wa-huwa makẓūm] Kaẓama ġaiẓahū bedeutet „seinen Zorn bzw. Groll unterdrücken“ ( WKAS, s. v. k-ẓ-m, S. 224 f. ; vgl. Lane, Bd. 8, 3001a ). Makẓūm ist im Koran ein hapax legomenon, doch begegnet mehrfach das Wort kaẓīm (12:84, 16:58, 43:17), das sich in Anlehnung an das im Hintergrund stehende Idiom an allen Stellen mit „grollend“ o. Ä. übersetzen lässt ( WKAS, a. a. O., S. 226 : „von Kummer gewürgt“). Auch die arabischen Lexikographen behandeln makẓūm und kaẓīm als Synonyme (vgl. Lisān, s. v. k-ẓ-m ). In den Lexika und in der Koranexegese wird makẓūm gewöhnlich mit makrūb oder maġmūm („bekümmert“, „besorgt“) paraphrasiert, doch legt der Bezug zur Wendung kaẓama ġaiẓahū nahe, dass es weniger um Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit als um ungerechtfertigten Zorn geht.
fa-ǧtabāhū rabbuhū fa-ǧaʿalahū mina ṣ-ṣāliḥīn] Sowohl das Verb iǧtabā für die Bezeichnung der Erwählung zum Propheten als auch das Kollektiv der „Rechtschaffenen“ – beides Termini, die auch in einer Reihe späterer Passagen erscheinen – begegnen hier zum ersten Mal im Koran.
wa-ʾin yakādu llaḏīna kafarū la-yuzliqūnaka bi-ʾabṣārihim] Bei ʾin handelt es sich hier um eine verkürzte Form von ʾinna, das so genannte ʾin al-muḫaffafa (vgl. Wright, Bd. 1, 284; Bd. 2, 81 ). Zu kafara vgl. die Anmerkung zu 84:22. Statt yuzliqūnaka wird auch die Lesung yuzhiqūnaka („bringen dich um“) überliefert ( Muʿǧam, ad loc. ).
lammā samiʿŭ ḏ-ḏikra] Zur Verwendung der Begriffe ḏikr, ḏikrā und taḏkira vgl. die Anmerkung zu 73:19.
wa-yaqūlūna ʾinnahū la-maǧnūn] Vgl. die Anmerkung zu V. 2.
wa-mā huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn] Zu ʿālamīn s. die Anmerkung zu 56:80, zur frühmekkanischen Verwendung von ḏikr und verwandten Begriffen (ḏikrā, taḏkira) s. die Anmerkung zu 73:19 mit ausführlichen Stellenangaben. Zur Versstruktur (Bestimmung der koranischen Offenbarungen als Mahnung „für“, li- ...) vgl. den fast identischen Vers 81:27 (ʾin huwa ʾillā ḏikrun li-l-ʿālamīn) sowie 69:48 (wa-ʾinnahū la-taḏkiratun li-l-muttaqīn), 56:73 (naḥnu ǧaʿalnāhā taḏkiratan wa-matāʿan li-l-muqwīn; bezieht sich auf das Feuerholz) und 74:31 (wa-mā hiya ʾillā ḏikrā li-l-bašar, gehört zu einem Einschub).
Literaturliste
Die Sure ist der früheste durch eine Buchstabensigle eingeleitete Korantext. Geht man davon aus, dass diese „geheimnisvollen Buchstaben“ originäre Bestandteile der betreffenden Korantexte und keine redaktionellen Zusätze sind (s. o.), so liegt es nahe, das anfängliche Nūn als einen ikonischen Repräsentanten von Schriftlichkeit zu verstehen, der das im weiteren Fortgang des Eröffnungsverses eingeblendete Motiv einer himmlischen Verzeichnung des menschlichen Tuns durch Wächterengel emblematisch vorwegnimmt. Der Schwur, der mit dem Utensil des Schreibrohrs und des damit Niedergeschriebenen frühere Erwähnungen dieser Wächterengel abruft, verweist in verdichteter Form darauf, dass alles menschliche Tun – und damit auch die gläubige oder ablehnende Reaktion der Hörer auf die koranischen Verkündigungen – skrupulös erfasst wird, um beim Jüngsten Gericht als Grundlage der Urteilsfindung zu dienen. Der im weiteren Textverlauf thematisierte Widerstand gegen Muḥammad wird so von vornherein aus einer eschatologischen Perspektive betrachtet, die seine Gegner ins Unrecht setzt.
Kernstück des ersten Gesätzes sind die beiden Verkünderprädikationen in V. 2, wo negativ der auch anderswo erhobene Vorwurf der Besessenheit zurückgewiesen wird, und V. 4, der positiv die charakterliche Integrität des Verkünders bekräftigt. Das Gesätz kulminiert in einem Drohwort, welches erstmals die im weiteren Verlauf der Sure noch mehrfach aufgenommene Thematik einer göttlichen „Prüfung“ anspricht (hier f-t-n, in V. 17 dagegen b-l-w): Während die Gegner voraussetzen, dass Muḥammad es ist, der durch seine Besessenheit (V. 2) dazu verführt wird, sich prophetische Autorität anzumaßen, wird jetzt die Frage gestellt, ob nicht vielmehr die Hörer durch die von Muḥammad vorgetragenen Korantexte einer Prüfung unterzogen werden sollen. Das Gesätz endet mit einer theologischen Prädikation, die Gottes uneingeschränktes Wissen um den sich in solchen Prüfungen erweisenden moralischen Status der Menschen unterstreicht – eine Aussage, die ja implizit auch dem Schwur in V. 1 zu Grunde liegt und folglich das gesamte Gesätz umklammert.
Nachdem das erste Gesätz einen offenbar aktuellen Streit um Integrität und Autorität des Verkünders exponiert hat, wird dieser im zweiten Gesätz aufgefordert, sich nicht den Erwartungen seiner jetzt als „Leugner“ disqualifizierten Gegner zu beugen. Durch eine Auflistung der von diesen Gegnern an den Tag gelegten negativen moralischen Verhaltensweisen, die z. T. die früheren Suren 104 und 107 reflektieren, wird auch ihr Widerstand gegen die koranischen Verkündigungen (V. 15) suspekt gemacht und erscheint als logische Folge einer umfassenden charakterlichen Deformation. Das Gesätz endet mit einem – erstmals in der Sure die 1. Person verwendenden – Drohwort, das die Gegner durch die Verwendung des eigentlich von Raubtieren ausgesagten Begriffs ḫurṭūm außerhalb des Bereichs zivilisierten menschlichen Zusammenlebens positioniert.
Der zweite Teil, eine gleichnishafte Erzählung ohne konkrete heilsgeschichtliche Referenzen ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 582 ), exemplifiziert in Form einer ausführlichen Parabel die mit dem Verhalten der zuvor angegriffenen Gegner kontrastierende richtige Reaktion auf göttliche Prüfungen. Im Mittelpunkt des Abschnitts stehen die „Leute des Gartens“, deren Vergehen nicht nur darin besteht, den Vorsatz zum Abernten ihres Gartens nicht mit dem Vorbehalt „so Gott will“ versehen zu haben (V. 17.18), sondern die auch nicht bereit sind, Bedürftige an ihrem Reichtum teilhaben zu lassen (V. 23.24) – eine Parallele zu den zuvor aufgelisteten Verhaltensdefiziten der „Leugner“ (vgl. insb. V. 12: mannāʿin li-l-ḫairi). Die Parabel gliedert sich in zwei Neuner-Gesätze, wobei die Peripetie der Handlung genau in der Mitte liegt ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 572 und 576 ): Das erste Gesätz der Erzählung endet mit dem ahnungslosen und erwartungsfrohen Auszug der Geprüften (V. 25), während der Beginn des zweiten Gesätzes sie mit dem Anblick ihres über Nacht verheerten Gartens konfrontiert. Im Gegensatz zu anderen koranischen Straflegenden nimmt die Erzählung jedoch ein positives Ende: Die „Leute des Gartens“ beherzigen die Ermahnung eines – vielleicht als Antetypus von Muḥammad gedachten? – anonymen Gerechten, Gott zu preisen (V. 28), und bekennen ihre früheren Verfehlungen (V. 29). V. 33.34 stellen noch einmal heraus, dass die von den Unverbesserlichen zu erwartende jenseitige Strafe in ihrem Ausmaß das an den „Leuten des Gartens“ statuierte Exempel übersteigt und sichern den Gottesfürchtigen das Paradies zu.
Der dritte Teil kehrt zur unmittelbaren polemischen Auseinandersetzung mit den Hörern zurück, wobei sich der Text jetzt von vornherein der ersten Person bedient. In Form von polemischen Fragen werden die im ersten Teil nur in der 3. Person präsenten Hörer nun direkt angesprochen und aufgefordert, zu der den zweiten Teil abschließenden Kontrastierung von Gottesfürchtigen und Sündern Stellung zu beziehen: „Sollen wir etwa die Gottergebenen den Übeltätern gleichsetzen? / Was ist mit euch? Wie urteilt ihr?“ (V. 35.36) – wobei V. 39 klarstellt, das die verlangte Stellungnahme der Angesprochen letztlich ein Urteil über sie selbst bedeutet („Was ihr urteilt, kommt euch selbst zu“). Als mögliche Autoritätsinstanz für eine fortgesetzte Ablehnung der koranischen Verkündigung wird dabei allenfalls eine mit exegetischer Professionalität (darasa) ausgewertete Heilige Schrift in Betracht gezogen (V. 37), in der die Hörer aber doch nur ihre eigenen Wünsche wiederfinden würden (V. 38). Auch über eine göttliche Zusicherung ihrer Straflosigkeit (V. 39) verfügen die Gegner nicht, sondern können sich allenfalls auf als „Teilhaber“ (šurakāʾ) – nämlich Teilhaber Gottes – bezeichnete Götzen berufen, die ihnen jedoch am Jüngsten Tag nichts nützen werden (V. 42.43).
Nachdem die Gegner dieser polemischen Frageserie offenbar nichts Maßgebliches zu entgegnen haben, wird der Verkünder im sechsten Gesätz angewiesen, sie der ihnen zugedachten Strafe zu überlassen (V. 44.45). V. 46.47 springen noch einmal in die eigentlich bereits abgeschlossene Debatte zurück und schieben zwei weitere Fragen nach: Der Widerstand kann nicht durch irgendwelche materiellen Forderungen Muḥammads motiviert sein (V. 46), und abschließend wird noch einmal das Unwissen der Hörer um „das Verborgene“ hervorgehoben (V. 47: ʾam ʿindahumu l-ġaibu). Beide Fragen stehen in terminologischem Kontrast zum Surenanfang: Der dem Verkünder nicht zugestandene diesseitige Lohn (ʾaǧr) verweist auf den ihm in V. 3 zugesagten jenseitigen Lohn (wa-ʾinna laka la-ʾaǧran ġaira mamnūn), und die in V. 47 konstatierte mangelnde Fähigkeit der Gegner zur „Buchführung“ über „das Verborgene“ (fa-hum yaktubūn) hebt sich vom Allwissen der im ersten Vers evozierten Schreiberengel ab (dort steht s-ṭ-r statt k-t-b).
Auch das siebte Gesätz setzt wie das vorherige mit einem Aufruf an den Verkünder ein, der angesichts des von ihm erfahrenen Widerstandes – insbesondere des bereits einleitend zurückgewiesenen und jetzt erneut referierten Vorwurfs der Besessenheit (vgl. V. 2 und 51) – zur Standhaftigkeit ermahnt wird. In diese Mahnung integriert ist eine kurze Jona-Reminiszenz (V. 48–50). Jonas Groll wird dem Verkünder einerseits als Negativexempel vorgehalten; andererseits demonstriert die Begebenheit aber, dass Gott seine Gesandten selbst in scheinbar aussichtsloser Bedrängnis nicht im Stich lässt.
Literaturliste
Die Sure ist mit einer durchschnittlichen Verslänge von 15,4 Silben, einer Gesamtlänge von 52 Versen und einer bereits dreiteiligen Struktur Gruppe IIIb zuzurechnen. Diese Einordnung wird auch dadurch bestätigt, dass der Text terminologische Überschneidungen mit den ebenfalls zu IIIb gehörigen Suren 51 und 52 aufweist (s. die Anmerkungen zu V. 5.47); auch vom Aufbau her ist er mit Sure 52 zu vergleichen, die ebenfalls dreiteilig ist und von einem Schwur mit bedrohlicher Schwuraussage eingeleitet wird.
Die Sure weist keine Anzeichen sekundärer Zusätze auf (vgl. aber die Anmerkung zu V. 41).
Die Sure – einer der frühesten Korantexte mit Monoreim – gliedert sich bereits wie die meisten mittel- und spätmekkanische Texte in drei Teile, wobei der Mittelteil narrativ ist und alle Teile eine fast identische Länge aufweisen. Im Mittelpunkt des ersten Teils steht die Auseinandersetzung zwischen dem Verkünder und einer seine charakterliche Integrität bezweifelnden Gegnerschaft (Vorwurf der Besessenheit in V. 2). Das Auftreten Muḥammads, so der Text, stellt eine göttliche Prüfung (f-t-n) seiner Hörer dar (V. 6), die sich nun zwischen dem rechten Weg und dem Irrweg zu entscheiden haben (V. 7). Dieselbe Deutung der Rolle Muḥammads wird im Anfangsvers des zweiten Teils noch einmal in anderer Diktion (für „prüfen“ steht jetzt b-l-w) wiederholt. Es folgt eine gleichnishafte Erzählung über die Besitzer eines zur Strafe für ihren Hochmut von Gott verheerten Gartens – wie die Aussendung eines prophetischen Warners eine göttliche Prüfung, auf welche die Gartenbesitzer im Unterschied zu den einleitend behandelten Gegnern jedoch richtig reagieren, indem sie ihre eigene Schuld bekennen und Besserung geloben. Der polemische Schlussteil kehrt wieder zur gegenwärtigen Auseinandersetzung mit den Gegnern Muḥammads zurück.
Überblick
1–52 2n/m | I 1 1 Schwur |
2 Verkünderprädikation (negativ) | |
3 Verheißung an den Verkünder | |
4 Verkünderprädikation (positiv) | |
5.6 Drohwort (als Anrede des Verkünders) | |
7 theologische Prädikation (warnend) | |
2 8.9 Mahnung zur Abkehr von den Ungläubigen | |
10–15 weitere Mahnung zur Abkehr, geht über in polemische Schilderung des Bösen | |
16 Drohwort | |
II 3 17–25 Erzählung (ʾaṣḥāb al-ǧanna) | |
4 26–33 Forts. Erzählung mit Schlusskommentar (V. 33) | |
34 mit dem Vorangehenden kontrastierende Verheißung | |
III 5 35–41 polemische Fragen | |
42.43 eschatologischer Temporalsatz (ohne Nachsatz) | |
6 44 Mahnung zur Abkehr von den Ungläubigen (fa-ḏarnī), Drohwort | |
45 Forts. Drohwort, theologische Prädikation | |
46.47 polemische Fragen | |
7 48–51 Mahnung zur Standhaftigkeit mit Reminiszenz (Jona) | |
52 Offenbarungsbestätigung |
Proportionen: [7+9] + [9+9] + [9+4+5]. Die Sure reimt durchgängig auf 2n/m.