بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
وَٱلنَّجۡمِ إِذَا هَوَىٰ |
I11 Beim Stern, wenn er untergeht! |
مَا ضَلَّ صَاحِبُكُمۡ وَمَا غَوَىٰ |
2 Euer Gefährte irrt nicht ab und geht nicht fehl, |
وَمَا يَنطِقُ عَنِ ٱلۡهَوَىٰۤ |
3 noch spricht er aus eigener Neigung. |
إِنۡ هُوَ إِلَّا وَحۡىٌۭ يُوحَىٰ |
4 Es ist vielmehr inspirierte Eingebung, |
عَلَّمَهُۥ شَدِيدُ ٱلۡقُوَىٰ |
5 die gelehrt hat einer von gewaltiger Kraft |
ذُو مِرَّةٍۢ فَٱسۡتَوَىٰ |
6 und Stärke; er stand hoch aufgerichtet |
وَهُوَ بِٱلۡأُفُقِ ٱلۡأَعۡلَىٰ |
7 am höchsten Horizont, |
ثُمَّ دَنَا فَتَدَلَّىٰ |
8 dann näherte er sich und senkte sich herab |
فَكَانَ قَابَ قَوۡسَيۡنِ أَوۡ أَدۡنَىٰ |
9 und war nur noch zwei Bogenlängen entfernt oder näher. |
فَأَوۡحَىٰۤ إِلَىٰ عَبۡدِهِۦ مَآ أَوۡحَىٰ |
10 Da gab er seinem Diener ein, was er ihm eingab. |
مَا كَذَبَ ٱلۡفُؤَادُ مَا رَأَىٰۤ |
11 Das Herz hat nicht erlogen, was er sah – |
أَفَتُمَٰرُونَهُۥ عَلَىٰ مَا يَرَىٰ |
12 wollt ihr etwa mit ihm darüber streiten, was er sieht? |
وَلَقَدۡ رَءَاهُ نَزۡلَةً أُخۡرَىٰ |
213 Er sah ihn noch bei einer anderen Herabkunft, |
عِندَ سِدۡرَةِ ٱلۡمُنتَهَىٰ |
14 beim Dornbaum am äußersten Ende, |
عِندَهَا جَنَّةُ ٱلۡمَأۡوَىٰۤ |
15 wo der Garten der Einkehr liegt. |
إِذۡ يَغۡشَى ٱلسِّدۡرَةَ مَا يَغۡشَىٰ |
16 Da bedeckte den Dornbaum, was ihn bedeckte; |
مَا زَاغَ ٱلۡبَصَرُ وَمَا طَغَىٰ |
17 Der Blick wich nicht ab und übertrat nicht das rechte Maß; |
لَقَدۡ رَأَىٰ مِنۡ ءَايَٰتِ رَبِّهِ ٱلۡكُبۡرَىٰۤ |
18 er sah von den großen Zeichen seines Herrn. |
أَفَرَءَيۡتُمُ ٱللَّٰتَ وَٱلۡعُزَّىٰ |
319 Was meint ihr von al-Lāt und al-ʿUzzā |
وَمَنَوٰةَ ٱلثَّالِثَةَ ٱلۡأُخۡرَىٰۤ |
20 Und von Manāt, der anderen, der dritten? |
أَلَكُمُ ٱلذَّكَرُ وَلَهُ ٱلۡأُنثَىٰ |
21 Kommen euch die männlichen Nachkommen zu, ihm aber die weiblichen? |
تِلۡكَ إِذًۭا قِسۡمَةٌۭ ضِيزَىٰۤ |
22 Das wäre eine ungerechte Verteilung! |
إِنۡ هِیَ إِلَّآ أَسۡمَآءٌۭ |
23 Es sind nur Namen, |
سَمَّيۡتُمُوهَآ أَنتُمۡ وَءَابَآؤُكُم |
die ihr erdacht habt, ihr und eure Väter, |
مَّآ أَنزَلَ ٱللَّهُ بِهَا مِن سُلۡطَٰنٍ ۚ |
zu denen Gott keine Vollmacht herabsandte. |
إِن يَتَّبِعُونَ إِلَّا ٱلظَّنَّ |
Sie folgen nur Meinungen |
وَمَا تَهۡوَى ٱلۡأَنفُسُ ۖ |
und dem, was die Seele begehrt, |
وَلَقَدۡ جَآءَهُم مِّن رَّبِّهِمُ ٱلۡهُدَىٰۤ |
obwohl doch von ihrem Herrn die Rechtleitung zu ihnen gekommen ist. |
أَمۡ لِلۡإِنسَٰنِ مَا تَمَنَّىٰ |
24 Soll der Mensch haben, was er wünscht? |
فَلِلَّهِ ٱلۡٴَاخِرَةُ وَٱلۡأُولَىٰ |
25 Gott gehört das Jenseits und das Diesseits! |
وَكَم مِّن مَّلَكٍۢ فِی ٱلسَّمَٰوَٰتِ |
26 Wie viele Engel gibt es in den Himmeln, |
لَا تُغۡنِی شَفَٰعَتُهُمۡ شَيۡـًٔا |
deren Fürsprache nichts nützt, |
إِلَّا مِنۢ بَعۡدِ أَن يَأۡذَنَ ٱللَّهُ |
außer nachdem Gott es gestattet, |
لِمَن يَشَآءُ وَيَرۡضَىٰۤ |
wem er will und mit wem er zufrieden ist. |
إِنَّ ٱلَّذِينَ لَا يُؤۡمِنُونَ بِٱلۡٴَاخِرَةِ |
27 Die aber, die nicht an das Jenseits glauben, |
لَيُسَمُّونَ ٱلۡمَلَٰٓئِكَةَ تَسۡمِيَةَ ٱلۡأُنثَىٰ |
die geben den Engeln weibliche Namen. |
وَمَا لَهُم بِهِۦ مِنۡ عِلۡمٍ ۖ |
28 Sie haben davon kein Wissen, |
إِن يَتَّبِعُونَ إِلَّا ٱلظَّنَّ ۖ |
sie folgen nur Meinungen; |
وَإِنَّ ٱلظَّنَّ لَا يُغۡنِی مِنَ ٱلۡحَقِّ شَيۡـًۭٔا |
doch Meinungen ersetzen nicht die Wahrheit. |
فَأَعۡرِضۡ عَن مَّن تَوَلَّىٰ عَن ذِكۡرِنَا |
29 Kehr dich ab von dem, der sich von unserer Mahnung abwendet |
وَلَمۡ يُرِدۡ إِلَّا ٱلۡحَيَوٰةَ ٱلدُّنۡيَا |
und nur das diesseitige Leben begehrt. |
ذَٰلِكَ مَبۡلَغُهُم مِّنَ ٱلۡعِلۡمِ ۗ |
30 Ihr Wissen reicht nun einmal nicht weiter; |
إِنَّ رَبَّكَ هُوَ أَعۡلَمُ بِمَن ضَلَّ عَن سَبِيلِهِۦ |
Gott aber weiß am besten, wer von seinem Weg abweicht, |
وَهُوَ أَعۡلَمُ بِمَنِ ٱهۡتَدَىٰ |
und er weiß am besten, wer rechtgeleitet ist. |
وَلِلَّهِ مَا فِی ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَمَا فِی ٱلۡأَرۡضِ |
31 Gottes ist, was in den Himmeln und auf Erden ist, |
لِيَجۡزِیَ ٱلَّذِينَ أَسَٰٓـُٔوا۟ بِمَا عَمِلُوا۟ |
auf dass er den Übeltätern gemäß ihren Taten vergelte |
وَيَجۡزِیَ ٱلَّذِينَ أَحۡسَنُوا۟ بِٱلۡحُسۡنَى |
und denen, die Gutes tun, mit Gutem, |
ٱلَّذِينَ يَجۡتَنِبُونَ كَبَٰٓئِرَ ٱلۡإِثۡمِ وَٱلۡفَوَٰحِشَ إِلَّا ٱللَّمَمَ ۗ |
32 denen, die schwere Sünden und Schändlichkeiten meiden und nur in Kleinigkeiten fehlen |
إِنَّ رَبَّكَ وَٰسِعُ ٱلۡمَغۡفِرَةِ ۚ |
dein Herr ist weit in seiner Barmherzigkeit; |
هُوَ أَعۡلَمُ بِكُمۡ |
er wusste schon wohl über euch Bescheid, |
إِذۡ أَنشَأَكُم مِّنَ ٱلۡأَرۡضِ |
als er euch aus der Erde hervorgehen ließ, |
وَإِذۡ أَنتُمۡ أَجِنَّةٌۭ فِی بُطُونِ أُمَّهَٰتِكُمۡ ۖ |
und als ihr noch ungeborene Kinder im Mutterleib wart. |
فَلَا تُزَكُّوٓا۟ أَنفُسَكُمۡ ۖ |
Darum erklärt euch nicht selbst für geläutert! |
هُوَ أَعۡلَمُ بِمَنِ ٱتَّقَىٰۤ |
Er weiß am besten, wer gottesfürchtig ist. |
أَفَرَءَيۡتَ ٱلَّذِی تَوَلَّىٰ |
II433 Was meinst du von dem, der sich abwendet, |
وَأَعۡطَىٰ قَلِيلًۭا وَأَكۡدَىٰۤ |
34 der nur wenig gibt und geizt? |
أَعِندَهُۥ عِلۡمُ ٱلۡغَيۡبِ فَهُوَ يَرَىٰۤ |
35 Hat er etwa Wissen um das Verborgene, so dass er sähe? |
أَمۡ لَمۡ يُنَبَّأۡ بِمَا فِی صُحُفِ مُوسَىٰ |
36 Oder wurde ihm nicht berichtet, was in den Schriften des Moses steht |
وَإِبۡرَٰهِيمَ ٱلَّذِی وَفَّىٰۤ |
37 und Abrahams, der seinen Auftrag erfüllte? |
أَلَّا تَزِرُ وَازِرَةٌۭ وِزۡرَ أُخۡرَىٰ |
538 Dass keine Seele die Last einer anderen trägt, |
وَأَن لَّيۡسَ لِلۡإِنسَٰنِ إِلَّا مَا سَعَىٰ |
39 dass dem Menschen nur sein eigenes Mühen zukommt, |
وَأَنَّ سَعۡيَهُۥ سَوۡفَ يُرَىٰ |
40 dass man dereinst auf sein Mühen sehen wird |
ثُمَّ يُجۡزَىٰهُ ٱلۡجَزَآءَ ٱلۡأَوۡفَىٰ |
41 und ihm dann voller Lohn gewährt wird, |
وَأَنَّ إِلَىٰ رَبِّكَ ٱلۡمُنتَهَىٰ |
42 und dass schließlich alles bei deinem Herrn enden wird; |
وَأَنَّهُۥ هُوَ أَضۡحَكَ وَأَبۡكَىٰ |
643 dass er es ist, der zum Lachen und Weinen bringt, |
وَأَنَّهُۥ هُوَ أَمَاتَ وَأَحۡيَا |
44 dass er es ist, der sterben lässt und lebendig macht, |
وَأَنَّهُۥ خَلَقَ ٱلزَّوۡجَيۡنِ ٱلذَّكَرَ وَٱلۡأُنثَىٰ |
45 dass er die Geschlechter erschafft, männlich und weiblich, |
مِن نُّطۡفَةٍ إِذَا تُمۡنَىٰ |
46 aus einem Tropfen, der vergossen wird, |
وَأَنَّ عَلَيۡهِ ٱلنَّشۡأَةَ ٱلۡأُخۡرَىٰ |
47 dass ihm auch die Wiederentstehung obliegt, |
وَأَنَّهُۥ هُوَ أَغۡنَىٰ وَأَقۡنَىٰ |
48 dass er Reichtum und Besitz verleiht, |
وَأَنَّهُۥ هُوَ رَبُّ ٱلشِّعۡرَىٰ |
49 und dass er der Herr des Sirius ist; |
وَأَنَّهُۥٓ أَهۡلَكَ عَادًا ٱلۡأُولَىٰ |
750 dass er zu Urzeiten das Volk der ʿĀd vernichtete |
وَثَمُودَا۟ فَمَآ أَبۡقَىٰ |
51 und Ṯamūd und nichts übrig ließ, |
وَقَوۡمَ نُوحٍۢ مِّن قَبۡلُ ۖ |
52 und zuvor das Volk Noahs |
إِنَّهُمۡ كَانُوا۟ هُمۡ أَظۡلَمَ وَأَطۡغَىٰ |
– die taten noch mehr Unrecht und waren noch widerspenstiger –, |
وَٱلۡمُؤۡتَفِكَةَ أَهۡوَىٰ |
53 und dass er es war, der die umgestürzte Stadt zu Fall brachte, |
فَغَشَّىٰهَا مَا غَشَّىٰ |
54 so dass sie bedeckte, was sie bedeckte. |
فَبِأَىِّ ءَالَآءِ رَبِّكَ تَتَمَارَىٰ |
55 An welchen der Wohltaten deines Herrn willst du also zweifeln? |
هَٰذَا نَذِيرٌۭ مِّنَ ٱلنُّذُرِ ٱلۡأُولَىٰۤ |
56 Dies ist eine Warnung wie die früheren Warnungen. |
أَزِفَتِ ٱلۡٴَازِفَةُ |
III857 Es naht, was nahe ist – |
لَيۡسَ لَهَا مِن دُونِ ٱللَّهِ كَاشِفَةٌ |
58 niemand außer Gott kann es abwenden! |
أَفَمِنۡ هَٰذَا ٱلۡحَدِيثِ تَعۡجَبُونَ |
59 Wundert ihr euch etwa über diese Kunde? |
وَتَضۡحَكُونَ وَلَا تَبۡكُونَ |
60 Lacht ihr etwa, anstatt zu weinen, |
وَأَنتُمۡ سَٰمِدُونَ |
61 und schreitet stolz einher? |
فَٱسۡجُدُوا۟ لِلَّهِ وَٱعۡبُدُوا۟ |
62 Fallt nieder vor Gott, und dient ihm! |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
wa-n-naǧmi ʾiḏā hawā] Zu grundsätzlichen Hinweisen zu den koranischen Schwüren sowie ihrer wahrscheinlichen, aber bis dato noch nicht hinreichend untersuchten Anlehnung an ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) s. die Anmerkung zu 100:1–5; zu Aufbau und Funktion des hier vorliegenden Schwurtypus s. die Anmerkung zu 93:1.2 mit zahlreichen Parallelstellen. Wörtlich wäre zu übersetzen: „Beim Stern, wenn er fällt“. Angesichts der übrigen koranischen Schwüre, die mehrfach bestimmte Tageszeiten (vorzugsweise Nacht und Morgen) bzw. mit diesen assoziierte Gestirne nennen (vgl. 84:16–18, 86:1, 91:1–4 und 74:32–34), ist der Schwur wohl nicht auf ein einmaliges Geschehen wie einen Meteoriteneinschlag zu beziehen, sondern auf ein regelmäßig wiederkehrendes und zur Zeitmessung nutzbares Himmelsphänomen. Zwar erwägt Kunitzsch („Planets and Stars“, EQ) wie bei 86:1–3 einen Meteoriten, denkt aber auch an das Gestirn der Plejaden, die der Tradition nach auch als an-naǧm bezeichnet wurden. Angesichts der folgenden Kommentare über die von Muḥammad empfangenen Eingebungen sowie der wahrscheinlich gleichfalls zu Gruppe IIIa gehörigen Sure 73, welche die koranischen Offenbarungen mit Vigilien assoziiert, könnte der vorliegende Vers auf nächtliche Gebetsübungen anspielen (s. aber die Anmerkung zu 93:1.2).
mā ḍalla ṣāḥibukum wa-mā ġawā / wa-mā yanṭiqu ʿani l-hawā] Das Verb ġawā begegnet frühmekkanisch nur hier (vgl. mittelmekkanisch 15:39 und 37:32). Neuwirth ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 651 ) bringt das Verspaar in Verbindung mit koranischen Zurückweisungen der Unterstellung, der Verkünder sei ein Dichter; vgl. 81:22 (wa-mā ṣāḥibukum bi-maǧnūn), wo der Verkünder ebenfalls wie hier als ṣāḥibukum identifiziert wird, und 68:2–4 (mā ʾanta bi-niʿmati rabbika bi-maǧnūn / ... / wa-ʾinnaka la-ʿalā ḫuluqin ʿaẓīm); zu V. 3 s. insbesondere 69:40–47 (insb. V. 42 und 44 ff.: wa-mā huwa bi-qauli šāʿirin qalīlan mā tuʾminūn / ... / wa-lau taqawwala ʿalainā baʿḍa l-ʾaqāwīl / la-ʾaḫaḏnā minhu bi-l-yamīn ...). Das Verb ġawā wird in der spätmekkanischen Stelle 26:124–126 ausdrücklich mit Anhängern „der Dichter“ assoziiert.
ʾin huwa ʾillā waḥyun yūḥā] Zu waḥy und ʾauḥā s. Izutsu 1964, 156–165 . Das Verb ʾauḥā bezeichnet ursprünglich lediglich eine sprachlich unartikulierte Mitteilung und wird auch im Koran gelegentlich noch im allgemeinen Sinne von „eingeben“ bzw. „eine Vorstellung vermitteln“ verwendet; vgl. 99:5 (bi-ʾanna rabbaka ʾauḥā lahā) mit Anmerkung. Hier und in V. 10 erscheinen ʾauḥā bzw. das Substantiv waḥy dagegen erstmals als terminus technicus für prophetische Offenbarungen. Interessant ist, dass der Koran als Bezeichnung für diese eng mit der biblischen Tradition verknüpfte Vorstellung gerade keine Lehnübersetzung aus dem Syrischen oder Griechischen wählt, sondern einen Ausdruck, der primär mit dem altarabische Qaṣīden einleitenden nasīb assoziiert ist, wo die vom Dichter vorgefundenen Spuren verlassener Wohnstätten mit unleserlichen Schriftzeichen (waḥy bzw. im Plural wuḥiyy) verglichen werden ( Izutsu 1964, 159 f. ). Vgl. die folgenden beiden Verse des Zuhair: li-man ṭalalun ka-l-waḥyi ʿāfin manāziluh / ʿafă r-rassu minhu fa-r-rusaisu fa-ʿāqiluh, „Wer bewohnt jetzt jene Wohnspuren, die aussehen wie Schrift, deren Wohnungen ausgelöscht sind? Ausgelöscht sind dort ar-Rass, ar-Rusais und ʿĀqil“ ( Ahlwardt 1870, 91 = Zuhair 15:5; zitiert in ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 652 ), sowie li-mani d-diyāru ġašītuhā bi-l-fadfad / ka-l-waḥyi fī ḥaǧari l-masīli l-muḫlidī, „Wer bewohnt jetzt die Wohnstätten, die ich zufällig auf dem harten Boden ausmachte, die sind wie eine überdauernde Inschrift auf dem Fels im Flussbett?“ ( Ahlwardt 1870, 189 = Zuhair, Fragment 4:1; zu weiteren Belegen s. Montgomery 1997, 284 ff. ).
ʿallamahū šadīdu l-quwā / ḏū mirratin fa-stawā] Das Personalsuffix in ʿallamahū kann sich entweder auf ṣāḥibukum aus V. 2 oder aber auf waḥy in V. 4 zurückbeziehen; entsprechend kann sowohl mit „belehrt hat ihn …“ als auch mit „gelehrt hat es …“ übersetzt werden. Für die zweite Möglichkeit spricht insbesondere ein Vergleich mit 55:1.2 (ar-raḥmān / ʿallama l-qurʾān), wo das Verb ʿallama ebenfalls für die Übermittlung von Offenbarungen gebraucht wird und wo als Akkusativ der Gegenstand und nicht der Empfänger der „Belehrung“ steht.
Zu den beiden Epitheta šadīdu l-quwā und ḏū mirratin vgl. 81:19.20, wo der die koranischen Offenbarungen übermittelnde Engel als ḏū quwwatin charakterisiert wird. Neuwirth merkt an, dass die Stärke Gottes auch in der biblischen Literatur betont, vgl. etwa Psalm 65:7 („Der die Berge mit seiner Kraft gründet, der sicht gürtet mit Stärke“,מֵכִ֣ין הָרִ֣ים בְּכֹח֑וֹ נֶ֜אְזָ֗ר בִּגְבוּרָֽה) oder 93:1 („der Herr hat sich bekleidet mit Macht, mit der er sich umgürtet hat“, לָבֵ֣שׁ יְ֭הוָה עֹ֣ז הִתְאַזָּ֑ר) sowie die in der Chrysostomos-Liturgie mehrfach gebrauchte Gottesbezeichnung „Heiliger und Starker“ (hagios ischyros) ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 654 ). Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine theologische Transposition dichterischer Ausdrucksweise, vgl. den folgenden Vers von Ṭufail Ibn ʿAuf al-Ġanawī (s. TUK, Nr. 683): „Doch als dich die große Entfernung ihres Reiseziels von ihr trennte, da legtest du große Kraft an den Tag (kunta ... šadīda l-quwā) und achtetest nicht auf die Rede des Unruhestifters“ (wa-kunta ʾiḏā bānat bihā ġarbatu n-nawā / šadīda l-quwā lam tadri mā qaulu mishghib).
Zu den folgenden beiden Visionsschilderungen, die mehrfach das Verb raʾā gebrauchen (V. 11.12.13.18; s. a. V. 19.33.35.40), vgl. insb. 81:22 ff. (insb. V. 23: wa-la-qad raʾāhu bi-l-ʾufuqi l-mubīn; wie in 53:7 wird hier auch der „Horizont“, ʾufuq, erwähnt). – Der mittelmekkanische VersQ 17:60 (ruʾyā) könnte sowohl auf eine weitere Vision anspielen als auch auf die vielleicht lange strittigen älteren Visionen zurückverweisen; vgl. in spätmekkanischer und medinensischer Zeit noch Q 48:27 und 8:43, wo von Träumen des Verkünders die Rede zu sein scheint (ruʾyā die Rede, nun aber im Sinne eines Traumgesichts des Propheten ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 656 f. ).
fa-kāna qāba qausaini ʾau ʾadnā] Manche Lexika erklären die Wendung als Umkehrung von fa-kāna qābay qaus, wobei qāb die Entfernung zwischen der mit der Hand umfassten Stelle des Bogens und dem Ende des gebogenen Teils meine, also eine halbe Bogenlänge betrage ( Lane, Bd. 7, 2570c ; Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 654 f. ). Qāba qausain wäre dann eher mit „eine Bogenlänge“ zu übersetzen. Die üblichere Übersetzung „zwei Bogenlängen“ stützt sich auf die Erklärung von qāb als „Länge“, „Maß“; eine genauere Quantifizierung stellt dann erst qausain dar.
fa-ʾauḥā ʾilā ʿabdihī mā ʾauḥā] S. die Anmerkung zu V. 4. Der Titel „Diener Gottes“ (עֶֽבֶד־יְהוָ֛ה) wird im Alten Testament mehrheitlich für Mose (vgl. Deuteronomium 34:5 u. a.), aber auch für andere prophetische Figuren wie David (2 Samuel 7:20) und Hiob (Hiob 1:8) verwendet (vgl. TUK, Nr. 483). Wenn er im vorliegenden Vers innerhalb einer Visionsschilderung auf Muḥammad angewandt wird, so transportiert er folglich sehr konkrete prophetologische Implikationen. Anders verhält es sich mit dem früheren Vorkommnis von ʿabd in 96:9.10 (ʾa-raʾaita llaḏī yanhā / ʿabdan ʾiḏā ṣallā), wo der Kontext deutlich macht, dass der Ausdruck (wie auch der Plural ʿibād in dem Einschub 89:29.30) lediglich allgemein den Typus des Gottesfürchtigen bezeichnet.
nazlatan ʾuḫrā] Zum Gebrauch der Wurzel n-z-l im Zusammenhang mit göttlichen Offenbarungen s. die Anmerkung zu 97:1.
ʿinda sidrati l-muntahā] Die Ortsangabe „Sidrabaum des Endes“ ist später in die Legende von der Himmelsreise (miʿrāǧ) des Propheten eingegangen (vgl. Berg 2006 ) und wird dort auf eine überirdische Lokalität bezogen, eine wohl durch die Wendung ǧannat al-maʾwā motivierte Entwicklung (s. Bell, Commentary, ad loc. ). Angesichts der expliziten Erwähnung einer „Herabkunft“ des Geschauten (nazla, V. 13) ist eine solche Deutung jedoch, wie Neuwirth betont, nicht gerechtfertigt ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 653 ; s. a. Bell 1934: 98 f. ). Zur Identität des Sidrabaumes (eine Art Dornbusch) vgl. Ambros 1990 .
ʿindahā ǧannatu l-maʾwā] Zu ǧanna vgl. die Anmerkung zu 81:13. Gemeint ist hier aber nicht das jenseitige Paradies, sondern wie im vorangehenden Vers eine irdische Lokalität in der Nähe Mekkas (vgl. Bell, Commentary, ad loc. ). Beide Visionsbeschreibungen schildern keine Entrückungen des Verkünders, sondern vielmehr Annäherungen eines überirdischen Wesens, vgl. V. 8 („dann näherte er sich und senkte sich herab“) und V. 13 („Er sah ihn noch bei einer anderen Herabkunft“).
mā zāġa l-baṣaru wa-mā ṭaġā] Zur Wurzel ṭ-ġ-w/y s. die Anmerkung zu 96:6.
la-qad raʾā min ʾāyāti rabbihi l-kubrā] Vgl. den ebenfalls zu Gruppe IIIa gehörigen Vers 79:20, wo eine ganz ähnliche Formulierung von Moses gebraucht wird (fa-ʾarāhu l-ʾāyata l-kubrā). Zum koranischen Gebrauch von ʾāya s. allg. die Anmerkung zu 74:16. 79:20 und 53:18 nehmen unter den übrigen Belegen für ʾāya insofern eine Sonderstellung ein, als die göttlichen „Zeichen“ sonst Gegebenheiten bezeichnen, die einem jeden Menschen zugänglich sind – woraus sich gerade ihre argumentative Funktion in der Auseinandersetzung mit den Gegnern der koranischen Verkündigungen ergibt –, während es sich hier bei Gottes „großen Zeichen“ um Moses und Muḥammad vorbehaltene Offenbarungserlebnisse handelt. Diese prophetologische Gebrauchsweise von ʾāya, die im Koran eine Ausnahme bleibt, stellt sicherlich eine Resonanz der biblischen Moses-Geschichte dar, denn der Begriff des göttlichen „Zeichens“ ist bereits in der biblischen Mose-Erzählung prominent (Exodus 3:12, 4:8.9, 4:17).
Der Abschnitt stellt – ohne den später eingeschobenen Vers 23 – die früheste koranische Stellungnahme zur Frage der Existenz anderer Gottheiten dar, die in der islamischen Tradition als wesentliche Ursache des eskalierenden Konflikts zwischen der koranischen Gemeinde und den übrigen Quraišiten identifiziert wird (vgl. summarisch Paret 1980, 102 f. ). Frühmekkanisch wird das in dem synkretistischen Wallfahrtsort Mekka offensichtlich höchst brisante Thema nur noch in zwei späteren Stellen angesprochen, die allerdings an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Es handelt sich dabei um die Adaption des ersten biblischen Gebots in 51:51 (wa-lā taǧʿalū maʿa llāhi ʾilāhan ʾāḫara) und in die später in das islamische Glaubensbekenntnis eingegangene Formel lā ʾilāha ʾillā huwa aus 73:9; beide Stellen gehören zu Gruppe IIIb (vgl. die Ausführungen zur Datierung von Q 73).
ʾa-fa-raʾaitumu l-lāta wa-l-ʿuzzā / wa-manāta ṯ-ṯāliṯata l-ʾuḫrā] Wörtlich: „Habt ihr gesehen …?“. Das zugrunde liegende Verb raʾā, „sehen“, ist bereits in V. 11.12.13.18 begegnet. Zu den in V. 19 und 20 genannten altarabischen Göttinnen s. generell Wellhausen 1887, 24–45 und Krone 1992 sowie Macdonald / Nehmé, „al-ʿUzzā“, EI , und Fahd, „Manāt“, EI . Vgl. auch Montgomery 2006, 89 ff. , mit zahlreichen weiteren Literaturangaben. Vgl. a. den konzisen Überblick in Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 657 : Manāt ist Göttin des Schicksals und Glücks und entspricht insofern Tychê ( Andrae 1932, 13 ); al-Lāt, die bereits von Herodot als Himmelsgöttin beschrieben wird, ist inschriftlich als Göttermutter bezeugt (s. Andrae, ebd., 13f. ); al-ʿUzzā kann mit dem Planeten Venus assoziiert werden (s. Rotter 1993 ).
ʾa-lakumu ḏ-ḏakaru wa-lahu l-ʾunṯā] Ähnliche Fragen stehen noch in 52:39 (ʾam lahu l-banātu wa-lakumu l-banūn) sowie in dem sehr viel ausführlicheren Passus 37:149 ff. (mittelmekkanisch), der explizit die Vorstellung von weiblichen Engeln zurückweist: fa-staftihim ʾa-li-rabbika l-banātu wa-lahumu l-banūn / ʾam ḫalaqnă l-malāʾikata ʾināṯan wa-hum šāhidūn / ʾa-lā ʾinnahum min ʾifkihim la-yaqūlūn / walada llāhu wa-ʾinnahum la-kāḏibūn / ʾa-ṣṭafă l-banāti ʿală l-banīn ...). In Q 53 ist von Engeln erst in dem Einschub V. 26 ff. (s. o., Literakritik) die Rede, während in Q 37 al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt nicht namentlich genannt werden. Trotz der ähnlichen Argumentationsfigur (die Hörer bevorzugen selbst männliche Kinder, schreiben Gott aber weibliche zu) ist deshalb keineswegs sicher, dass sich bereits 53:21 speziell gegen den Versuch wendet, die drei Göttinnen Allāh als weibliche Engel unterzuordnen. Bereits die Konzeption von „Töchtern Gottes“ (der Begriff wird nirgendwo im Koran ausdrücklich genannt, wird aber verschiedenen Koranversen impliziert; s. o., Literakritik) passt die drei Göttinen jedoch in eine monotheistische Sichtweise ein. Zur grundsätzlich monotheistischen Orientierung der koranischen „Beigeseller“ s. jetzt ausführlich Crone 2010 .
tilka ʾiḏan qismatun ḍīzā] Ḍīzā ist wohl mit den Lexikographen als weiblicher Elativ zu deuten, der eigentlich das Bildungsschema fuʿlā aufweisen müsste, hier jedoch aufgrund des schwachen mittleren Konsonanten modifiziert ist (vgl. Lane, Bd. 5, 1812a , sowie Lisān, ad loc. ).
ʾin hiya ʾillā ʾasmāʾun sammaitumūhā ʾantum wa-ʾābāʾukum mā ʾanzala llāhu bihā min sulṭānin] Neuwirth merkt an, dass das Problem göttlicher Namen – insbesondere das Verhältnis zwischen Allāh und ar-Raḥmān – sonst noch in dem mittelmekkanischen Vers 17:110 verhandelt wird ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 659 ). Der vorliegende Vers ist zudem mit einer Aussage Josefs in der spätmekkanischen Sure 12 (12:40: mā taʿbudūna min dūnihī ʾillā ʾasmāʾan sammaitumūhā ʾantum wa-ʾābāʾukum mā ʾanzala llāhu bihā min sulṭānin) identisch. Zum Gottesnamen Allāh vgl. die Anmerkung zu 95:8; zu ʾanzala s. die Anmerkung zu 97:1; zu dem für Gruppe IIIb charakteristischen Begriff sulṭān s. die Anmerkung zu 52:38. wa-mā tahwă l-ʾanfusu] Wörtl.: „und dem, was die Seelen begehren“. wa-la-qad ǧāʾahum min rabbihimu l-hudā] Zu hadā bzw. hudā vgl. die Anmerkung zu 93:7.
fa-li-llāhi l-ʾāḫiratu wa-l-ʾūlā] Vgl. 92:13: wa-ʾinnā lanā la-l-ʾāḫirata wa-l-ʾūlā. Zu al-ʾāḫira vgl. die Anmerkung zu 93:4.
wa-kam min malakin fĭ s-samāwāti lā tuġnī šafāʿatuhum šaiʾan ʾillā min baʿdi ʾan yaʾḏana llāhu li-man yašāʾu wa-yarḍā] Vgl. den ebenfalls sekundär in eine Sure aus Gruppe IIIa eingeschobenen Vers 78:38 (yauma yaqūmu r-rūḥu wa-l-malāʾikatu ṣaffan lā yatakallamūna ʾillā man ʾaḏina lahu r-raḥmānu wa-qāla ṣawābā), der gleichfalls eine bedingte Anerkennung der eschatologischen Interzession der Engel enthält, die in gewisser Spannung zu früheren Aussagen wie 74:48 steht (s. die Anmerkung zu 78:38). S. auch Andrae 1926, 71 und 144 . Zur Wurzel r-ḍ-y s. die Anmerkung zu 101:7.
ʾinna llaḏīna lā yuʾminūna bi-l-ʾāḫirati] S. die Anmerkung zu V. 25. Zu ʾāmana = „glauben“ s. die Anmerkung zu 69:33.
Nach šaiʾā setzt nur die kufische Zähltradition einen Versschluss. Damaskus und Ḥimṣ trennen stattdessen nach tawallā, außerdem zieht Damaskus den danach verbleibenden Teil von V. 29 mit V. 30 zusammen. Baṣra, Mekka und Medina betrachten V. 28 und V. 29 als einen einzigen Vers ( Spitaler, Verszählung, 59 f. ). Die unterschiedliche Abteilung ist sicherlich durch die vom Rest der Sure abweichende Länge der Verse 26–31 zu erklären, die wohl einen Einschub darstellen (s. o.). Insgesamt ist an der kufischen Abteilung festzuhalten (s. Neuwirth, Studien, 23 ). Eine Abtrennung nach tawallā anstatt šaiʾā würde zwar auch ein Reimwort ergeben, doch stünde der Verstrenner dann inmitten einer syntaktischen Einheit. Die Trennung von V. 29 und 30 nach dunyā ist reimlich plausibel; ihre Zusammenziehung, zu einem einzigen und außerordentlich langen Vers könnte allenfalls mit dem ebenfalls sehr langen Vers 32 wahrscheinlich gemacht werden.
wa-mā lahum bihī min ʿilmin] Ubayy liest statt bihībihā, „von ihnen“ ( Muʿǧam, ad loc. ).
fa-ʾaʿriḍ ʿan man tawallā ʿan ḏikrinā] Nimmt die Diktion des das Folgegesätz einleitenden Verses 33 vorweg: ʾa-fa-raʾaita llaḏī tawallā. Zu tawallā vgl. die Anmerkung zu 88:23.
ʾinna rabbaka huwa ʾaʿlamu bi-man ḍalla ʿan sabīlihī wa-huwa ʾaʿlamu bi-mani htadā] Vgl. 68:7 (ʾinna rabbaka huwa ʾaʿlamu bi-man ḍalla ʿan sabīlihī wa-huwa ʾaʿlamu bi-l-muhtadīn). Zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8. Zu dem bereits im Psalter belegten Bild des „Weges Gottes“ s. die Anmerkung zu 73:19.
wa-li-llāhi mā fĭ s-samāwāti wa-mā fĭ l-ʾarḍi] Die – in späteren Texten häufige – Wendung hat eine genaue Entsprechung in der biblischen Formulierung כִּי־כֹ֖ל בַּשָּׁמַ֣יִם וּבָאָ֑רֶץ לְךָ, „dein ist alles im Himmel und auf Erden“ (1 Chronik 29:11; s. Speyer, Biblische Erzählungen, 311 , der jedoch auf die Parallelstelle 2:255 Bezug nimmt). Allerdings ist die biblische Wendung in der zweiten Person formuliert, die koranische in der dritten. Die Satzkonstruktion im Targum steht aufgrund ihrer Verwendung des sächlichen Relativpronomens (ma) der Koranstelle sogar noch näher: כל מה די בשׁמיא וכל מה די בארעא דילך ייי.
wa-yaǧziya llaḏīna ʾaḥsanu bi-l-ḥusnā] Vgl. 92:6.9 (wa-ṣaddaqa bi-l-ḥusnā / wa-kaḏḏaba bi-l-ḥusnā).
huwa ʾaʿlamu bikum ʾiḏ ʾanšaʾakum mina l-ʾarḍi wa-ʾiḏ ʾantum ʾaǧinnatun fī buṭūni ʾummahātikum] Wie in diesem – später eingefügten – Vers wird das Vorauswissen über Natur und Geschlecht des Menschen vor seiner Geburt auch anderswo als Beweis der göttlichen Allmacht angeführt, s. spätmekkanisch 13:8 und 31:34, medinensisch auch 3:6 ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 661 ).
fa-lā tuzakkū ʾanfusakum] Zu zakkā s. die Anmerkung zu 91:9.
huwa ʾaʿlamu bi-mani ttaqā] Zum Verb ittaqā und dem zugehörigen Substantiv taqwā s. die Anmerkung zu 92:5.
ʾa-fa-raʾaita llaḏī tawallā] Vgl. insbesondere 96:13 (ʾa-raʾaita ʾin kaḏḏaba wa-tawallā) und 92:13 (allaḏī kaḏḏaba wa-tawallā); s. allg. die Anmerkung zu 88:23. Wörtlich wäre zu übersetzen: „Hast du gesehen …?“; vgl. die Anmerkung zu V. 19.20. Durch ʾa-fa-raʾaita llaḏī / man ... eingeleitete Beschreibungen eines exemplarischen Sünders begegnen frühmekkanisch noch in 96:9 und 107:1, mittelmekkanisch in 19:77, spätmekkanisch und medinensisch noch in 45:23 und 25:43. Vgl. a. die Anmerkung zu V. 29.
ʾa-ʿindahū ʿilmu l-ġaibi fa-huwa yarā] Vgl. 68:47 (ʾam ʿindahumu l-ġaibu fa-hum yaktubūn) und 52:41 (ʾam ʿindahumu l-ġaibu fa-hum yaktubūn). Zum Ausdruck ġaib vgl. die Anmerkung zu 81:24.
ʾam lam yunabbaʾ bi-mā fī ṣuḥufi mūsā / wa-ʾibrāhīma llaḏī waffā] Vgl. 87:18.19 (ʾinna hāḏā la-fĭ ṣ-ṣuḥufi l-ʾūlā / ṣuḥufi ʾibrāhīma wa-mūsā) sowie die Anmerkung dazu. V. 37 (wa-ʾibrāhīma llaḏī waffā) spielt auf Abrahams Bereitschaft, Gott seinen Sohn Isaak zu opfern, an (Genesis 22). Die sich darin bekundende Gottestreue Abrahams hat sich auch in einem vielleicht authentischen Gedicht Umayya b. abī ṣ-Ṣalts niedergeschlagen hat, wo ebenfalls der II. Stamm von w-f-y erscheint: samiʿa llāhu li-bni ʾādama nūḥin ... / wa-li-ʾibrāhīma l-muwaffi bi-naḏrin ʾihtisāban wa-ḥāmila l-ʾaǧzālī, „Es hörte Gott den Adamssohn Noah ... / und Abraham, der ein Gelübde erfüllte, damit es ihm angerechnet würde, mit dem, der die Holzscheite trug“ ( Schulthess 1911, 33, 92 , Nr. 29; s. TUK, Nr. 504) ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 662 ).– Zum Namen Ibrāhīm s. die Anmerkung zu 87:18.19.
ʾallā taziru wāziratun wizra ʾuḫrā] Vgl. 74:38 (kullu nafsin bi-mā kasabat rahīnah) und ähnlich auch 52:21. Der vorliegende Vers ist ein nahezu wörtliches Zitat aus Paulus’ Brief an die Galater 6:5 ( Gibb 1962, 274 ): „Denn jeder wird seine eigene Bürde zu tragen haben“ (ἕκαστος γὰρ τὸ ἴδιον φορτίον βαστάσει). Dass dieses paulinische Diktum auch im postbiblischen christlichen Diskus weiter in Gebrauch war, illustrieren zwei von Andrae 1926, 143 f., zitierte Passagen aus dem griechischen Ephrem-Korpus.
wa-ʾan laisa li-l-ʾinsāni ʾillā mā saʿā / wa-ʾanna saʿyahū saufa yurā / ṯumma yuǧzāhu l-ǧazāʾa l-ʾaufā] Zum Ausdruck saʿy s. noch 92:4 (ʾinna saʿyakum la-šattā) und 88:8.9 (wuǧūhun yaumaʾiḏin nāʿimah / li-saʿyihā rāḍiyah). Das mā in mā saʿā ist ein mā al-maṣdariyya, so dass die Wendung gleichbedeutend mit dem Infinitiv saʿy im folgenden Vers ist (vgl. Wright, Bd. 1, 277 ). Vor dem Hintergrund der Nähe von V. 38 zu einer Aussage aus dem Galaterbrief könnte man mit Gibb 1962, 274 , auch diesen Passus auf einen paulinischen Text, nämlich auf 1 Korinther 3:13.14, beziehen: „Das Werk eines jeden wird offenbar werden; jener Tag wird es sichtbar machen, weil es im Feuer offenbart wird. Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt. / Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn.“ Zwar ist die sprachliche Nähe hier weniger offenkundig als in V. 38, doch lassen sich die arabischen Wendungen mā saʿā bzw. saʿy (V. 39.40) als Übertragungen des in der paulinischen Argumentation zentralen Begriffs des „Werks“ (ἔργον) verstehen, während arab. ǧazāʾ (V. 41) dem von Paulus verheißenen „Lohn“ (μισθὸς) entspricht.
wa-ʾanna ʾilā rabbika l-muntahā] Vgl. 84:6 (yā-ʾayyuhă l-ʾinsānu ʾinnaka kādiḥun ʾilā rabbika kadḥan fa-mulāqīh) und 79:42–44 (yasʾalūnaka ʿani s-sāʿati ʾaiyāna mursāhā / ... / ʾilā rabbika muntahāhā).
wa-ʾannahū huwa ʾaḍḥaka wa-ʾabkā / wa-ʾannahū huwa ʾamāta wa-ʾaḥyā] Im Hintergrund der beiden Gegensatzpaare könnte Kohelet 3:1 ff. stehen (mit V. 43 vgl. Kohelet 3:4, „eine Zeit zu weinen, eine Zeit zu lachen“; mit V. 44 vgl. Kohelet 3:1, „eine Zeit zum Gebären, eine Zeit zum Sterben“) ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 663 , die eine „liturgische oder homiletische Vermittlung“ des Kohelet-Zitats annimmt). Speziell die in späteren Koranstellen häufige Beschreibung Gottes als der, „der lebendig macht und sterben lässt“ (vgl. 2:258, 7:158, 9:116, 10:56, 15:23, 23:80, 40:68, 44:8, 50:43, 53:44, 57:2) erscheint an prominenter Stelle (und unter Verwendung derselben semitischen Wurzeln wie im Koran) in dem liturgisch verwendeten Loblied der Hanna aus 1 Samuel 2:1–10 (hier V. 6): „Der Herr macht tot und lebendig“,יְהוָ֖ה מֵמִ֣ית וּמְחַיֶּ֑ה ( Gibb 1962, 275 ); vgl. aber auch 75:40 (ʾa-laisa ḏālika bi-qādirin ʿalā ʾan yuḥyiya l-mautā) mit Anmerkung. Ein weiterer Anklang an den Hymnus der Hanna findet sich in V. 48 (s. die Anmerkung ebd.).
wa-ʾannahū ḫalaqa z-zauǧaini ḏ-ḏakara wa-l-ʾunṯā / min nuṭfatin ʾiḏā tumnā] Vgl. die Anmerkung zu 92:3 (wa-mā ḫalaqa ḏ-ḏakara wa-l-ʾunṯā).
min nuṭfatin ʾiḏā tumnā] S. die Anmerkung zu 75:37 mit weiteren Belegen; vgl. a. die Anmerkung zum Wort ʿalaq in 96:2.
wa-ʾanna ʿalaihi n-našʾata l-ʾuḫrā] Vgl. 56:62 (wa-la-qad ʿalimtumu n-našʾata l-ʾūlā fa-lau-lā taḏakkarūn).
wa-ʾannahū huwa ʾaġnā wa-ʾaqnā] Wie V. 44 (s. o.) nimmt der Vers eine Aussage aus dem Loblied der Hanna in 1 Samuel 2:1–10 auf (V. 7): „Der Herr macht arm und macht reich“ ( Gibb 1962, 275 ).
wa-ʾannahū huwa rabbu š-šiʿrā] Aš-Šiʿrā ist der Sirius und hellste Fixstern. Er soll von manchen arabischen Stämmen verehrt worden sein ( Kunitzsch, „ash-Shiʿrā“, EI2 ), während Allāh angeblich in der Wallfahrtsanrufung (talbiya) der Ḥums als rabbu š-šiʿrā angerufen worden sei ( Kister 1980, 36 beide Verweise entstammen Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 664 ).
Zu den ʿĀd und Ṯamūd vgl. die Anmerkung zu 89:6–13 und 91:11–15, zu Noah s. Brinner, „Noah“, EQ .
wa-l-muʾtafikata ʾahwā] Zu al-muʾtafika (erscheint frühmekkanisch noch in 69:9) s. Hirschfeld 1886, 37 ; Horovitz 1925, 187 f. ; ders., Koranische Untersuchungen, 13 f. ; Jeffery, Foreign Vocabulary, 274 . Der Ausdruck, morphologisch ein Partizip des VIII. Stammes von ʾafaka, geht in letzter Instanz auf das hebräische Verbalsubstantiv mahpēḵā, „Umstürzung“, zurück, womit in der Hebräischen Bibel die Zerstörung Sodoms und Gomorrhas beschrieben wird (vgl. etwa Jesaja 13:19: כְּמַהְפֵּכַ֣ת אֱלֹהִ֔ים אֶת־סְדֹ֖ם וְאֶת־עֲמֹרָֽה, „wie damals, als Gott Sodom und Gomorrha umstürzte“). Da die aramäische Targumliteratur im Gegensatz zur Pschitta nominale Formen des Verbs hfak beibehält, hat das koranische Epitheton wohl einen rabbinischen Hintergrund. Im Arabischen wird das hebräische Substantiv durch ein Partizip Aktiv nachgebildet und wird so zu einem Attribut Sodoms bzw. Sodoms und Gomorrhas (in 69:9 wird der Plural al-muʾtafikāt verwendet). Das Wort erscheint später nur noch einmal, in 9:70. Die Zerstörung Sodoms wird frühmekkanisch noch in 51:31–37 berichtet.
fa-bi-ʾayyi ʾālāʾi rabbika tatamārā] Vgl. den ähnlichen Refrain von Q 55, der seinerseits eine Adaption des Refrains von Ps. 136 (כִּ֖י לְעוֹלָ֣ם חַסְדּֽוֹ, „denn in Ewigkeit währet seine Huld“) sein dürfte ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 666 ; vgl. die Anmerkung zu Q 55:13).
hāḏā naḏīrun mina n-nuḏuri l-ʾūlā] Wörtl.: „Die ist eine von den früheren Warnungen“. Vgl. die Anmerkung zu 74:36 mit weiteren frühmekkanischen Belegen für die Wurzel n-ḏ-r.
ʾazifati l-ʾāzifah] Enigmatische Bezeichnunge des Weltendes durch aktive Partizipien femininum begegnen auch in weiteren frühmekkanischen Texten, s. 101:1–3 (al-qāriʿa), 88:1 (al-ġāšiya), 80:33 (aṣ-ṣāḫḫa), 79:34 (aṭ-ṭāmmatu l-kubrā), 69:1–3 (al-ḥāqqa), 69:5 (aṭ-ṭāġiya), 69:15 (al-wāqiʿa) und 56:1 (ebenfalls al-wāqiʿa). Solche metonymischen Umschreibungen eines Substantivs durch ein Adjektiv stellen allgemein ein Charakteristikum der altarabischen Dichtung dar, s. die Anmerkung zu 101:1–3. Im Vergleich mit den vier frühmekkanischen fāʿilāt-Schwurserien Q 100:1–5, 79:1–5, Q 77:1–5 und 51:1–4, die das hereinbrechende Weltende durch prototypische Gegenwartserfahrungen (Reiterangriff und Sturm) präfigurieren, fällt auf, dass die Form des aktiven Partizips femininum auch dort zur Bezeichnung der endzeitlichen Katastrophe dient (s. insb. die Anmerkungen zu 100:1–5 und 79:1–5). Das morphologisches Schema fāʿila wird so innerhalb der frühmekkanischen Korantexte mit der Konnotation apokalyptischen Unheils aufgeladen.
ḥadīṯ] S. die Anmerkung zu 77:50.
fa-sǧudū li-llāhi wa-ʿbudū] Vgl. die ähnlichen, allerdings an den Verkünder im Singular adressierten Schlussrufe in 94:7.8, 93:11, 69:52, 56:96 (dort auch schon in V. 74) und 52:48.49.
Literaturliste
Vor dem Hintergrund der etwas späteren Passage 73:1–7, die den koranischen Offenbarungsempfang in den Kontext von Vigilien stellt, versteht Neuwirth ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 651 ) den einleitenden Schwur beim „untergehenden Stern“ als Anspielung auf gottesdienstliche Übungen und damit als Vorbereitung auf die folgenden Visionsberichte (s. aber die kritische Anmerkung zu 93:1.2); zugleich spielt sie mit der Idee, dass der Schwur auch als Vorwegnahme des in V. 49 genannten Sirius interpretiert werden könne ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 664 ). Die Schwureinleitung mag sich aber auch einfach daraus erklären, dass der früheren Visionsbeschreibung in 81:19 ff. ebenfalls eine u. a. auf die Planeten anspielende Schwurserie vorangeht (81:15–18). Die folgende Schwuraussage gliedert sich in einen negativen (V. 2.3) und einen positiven (V. 4–6) Teil. V. 2.3 nehmen den als „euer Gefährte“ identifizierten Verkünders gegen diverse Unterstellungen in Schutz; ab V. 4 folgt dann eine positive Bestimmung der koranischen Verkündigungen als „inspirierte Eingebung“, waḥyun yūḥā (V. 4), bzw. als Resultat einer göttlichen „Belehrung“ (V. 5: ʿallamahū) des Verkünders. Begriffe wie „Eingebung“ und „Belehrung“ ergänzen die vorangehende Bekräftigung, dass der Verkünder nicht unautorisiert, aus eigener „Neigung“ (V. 3), spreche. Im Zentrum des ersten, die folgenden beiden Visionsbeschreibungen vorbereitenden Gesätzes steht so bereits die Frage nach Ursprung und Herkunft der von Muḥammad vorgetragenen Texte.
Terminologisch fällt auf, dass die frühere Visionsbeschreibung 81:19–27 noch nicht den Begriff waḥy gebraucht und lediglich von qaul („Rede“) und ḏikr („Mahnung“) spricht, während die vorliegende Sure gleich viermal das Verb ʾauḥā bzw. das Substantiv waḥy („Eingebung“) verwendet (V. 4 und 10, je zweimal); der Text führt also eine neue Begrifflichkeit ein ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 654 ). An dieser Neuprägung ist bemerkenswert, dass die Sure hier gerade keinen in der biblischen Tradition etablierten Ausdruck wählt, sondern eine offenbar der altarabischen Dichtung entstammende Begrifflichkeit.
Der Eingangspassus weist auch insofern eine poetische Resonanz auf, als Gott, die Quelle der dem Verkünder attestierten Offenbarungen, nicht beim Namen genannt, sondern durch metonymische Beinamen (šadīdu l-quwā und ḏū mirratin) umschrieben wird, wie sie generell in der altarabischen Dichtung gang und gäbe sind ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 654 ); vgl. die ähnliche Reihung von Umschreibungen in 81:20 (dort allerdings auf einen Engel bezogen). Zumindest für die Metonymie šadīdu l-quwā lässt sich dabei sogar ein konkreter Intertext aus der altarabischen Dichtung nachweisen, dessen Sprecher sich rühmt, bei der Trennung von seiner früheren Geliebten „gewaltige Kraft“ gezeigt zu haben. Gott wird in 53:5 also mit einem Attribut beschrieben, welches sich anderswo ein altarabischer Dichterheros beilegt – Gott wird gleichsam als Über-Held präsentiert. Darüberhinaus mögen die beiden Metonymien auch eine „Scheu vor konkreter Nennung“ ausdrücken, insofern auch die folgenden Visionsbeschreibungen an mehreren Stellen tautologische Umschreibungen gebrauchen (V. 10: fa-ʾauḥā ʾilā ʿabdihī mā ʾauḥā, V. 11: mā raʾā, V. 16: ʾiḏ yaġšă s-sidrata mā yaġšā) ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 676 ).
Der Rest des ersten Gesätzes sowie das kürzere zweite Gesätz präsentieren dann zwei Visionen des Verkünders, die offenbar als Argument gegen die anderswo mehrmals abgewiesene Unterstellung einer Verbindung zu ‚niederen’ Inspirationsquellen wie Dämonen (vgl. für diesen Diskussionskontext insb. 81:19–28) intendiert sind. Sprachlich fällt hier der insgesamt viermalige Gebrauch von raʾā, „sehen“, am Ende des ersten und am Anfang des zweiten Gesätzes auf (V. 11.12 und V. 13.18). Die erste Visionsbeschreibung beginnt bereits in der zweiten Hälfte von V. 6 (fa-stawā), wodurch ein für koranische Verhältnisse außergewöhnliches Enjambement entsteht (vgl. Neuwirth, Studien, 207 f. ). Gegenstand beider Visionen ist sicherlich Gott selbst und nicht wie noch in Q 81 ein Mittlerengel: Denn Muḥammad, der in V. 10 als „Diener“ des in der Vision geschauten Wesens bezeichnet wird (ʾa-ʾauḥā ʾilā ʿabdihī ...), ist Diener Gottes, nicht eines – wenn auch noch so hochstehenden – Engels (vgl. Bell, Commentary, ad loc. , und Paret, Kommentar, ad loc. ). V. 10 ist auch deshalb interessant, weil bereits der Titel „Diener Gottes“, der in der Bibel vor allem auf Moses angewandt wird, eine Parallelisierung von Muḥammad und Moses suggeriert, die im nächsten Gesätz noch durch weitere Signale verstärkt wird (s. u.). Der eigentliche Inhalt der Schau wird nicht konkret bestimmt, sondern – wie bereits in V. 5.6 die Identität des Geschauten – umschrieben (V. 10: ʾauḥā ... mā ʾauḥā, V. 11) – ein bereits im ersten Gesätz begegnendes Stilmerkmal (vgl. das ebenfalls tautologisch formulierte waḥyun yūḥā aus V. 4). Die Beschreibung schließt mit einer polemischen Berufung auf die Evidenz des Geschauten: „Wollt ihr etwa mit ihm darüber streiten, was er sieht?“ – Angesichts des Rückbezugs von 53:7 auf 81:23, wo der Geschaute ebenfalls am „Horizont“ (ʾufuq) verortet wird, wäre vielleicht zu erwägen, ob in Sure 53 evtl. eine Neudeutung der bereits in Q 81 angedeuteten Vision anstatt ein davon verschiedenes, zusätzliches Visionserlebnis vorliegt.
Auf die erste Visionsbeschreibung folgt ein Bericht über eine zweite, offenbar davon unabhängige (vgl. V. 13: nazlatan ʾuḫrā) Gottesschau, die im Gegensatz zur vorigen Schilderung eine genaue Beschreibung der örtlichen Umgebung des Geschehens bietet. Die ausführliche Ortsbeschreibung intendiert sehr wahrscheinlich eine Beziehung zur Berufung des Mose, wie sie bereits in der Bezeichnung Muḥammads als „Diener Gottes“ (V. 10, s. o.) zum Ausdruck gekommen ist: Der zum Visionsszenario gehörende sidra-Baum entspricht dem brennenden Dornbusch aus Exodus 3:2 ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 655 ). Der Höhepunkt der Begegnung, auf dem der Angesprochene „von den großen Zeichen seines Herrn“ zu sehen bekommt, deckt sich mit einer ganz ähnlichen Formulierung in der Mose-Erzählung 79:15–20 (ebenfalls Gruppe IIIa), die ihrerseits die Tatsache reflektiert, dass der Begriff des göttlichen „Zeichens“ bereits in der biblischen Mose-Erzählung zentral ist. Offenbar ist die Berufungsvision des Verkünders in Q 53 also (anders als in Q 81, wo noch keine Mose-Referenzen begegnen) der Berufungsgeschichte des Moses nachempfunden. Von hier aus ist vielleicht auch die Tatsache zu erklären, dass es sich um eine Gottesvision handelt – denn auch die Berufung Moses enthält ja einen direkten Wortwechsel zwischen diesem und Gott, auch wenn Gott im Dornbusch verborgen ist (vgl. Exodus 3:4 ff.). Interessanterweise wird die implizite Übertragung von Motiven der Mose-Berufung auf Muḥammad stilistisch von einer Reihe von Poetizismen (V. 5.6, V. 9, s. o.) und allgemein von einer besonderen „Frequenz rhetorischer Figuren“ ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 676 ) begleitet (Enjambement in V. 6.7, tautologische Umschreibungen in V. 4.10.11.16, Hendiadyoin in V. 2 und 17); es scheint geradezu, als ob die hier beobachtbare koranische Aneignung von biblischen Topoi mit dem Bemühen um eine sprachlich besonders ins Auge springende Arabizität des Textes einhergeht.
Im Anschluss an die Visionsberichte – vielleicht geradezu auf der Basis der durch sie geleisteten Autorisierung des Verkünders ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 670 ) – wird die Frage erörtert, ob al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt als „Töchter Gottes“ gelten können. Die Einführung der Göttinnen mit dem in der Vision mehrfach gebrauchten Wort raʾā (V. 11.12.13.18) könnte ein Wortspiel zu sein: Zusammen mit der idiomatischen Bedeutung „Was meint ihr von…“, wie später in V. 33, ist vielleicht auch ein Verständnis im Sinne von „Habt ihr jemals al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt geschaut?“ intendiert ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 670 ). In seiner ursprünglichen Form endete das Gesätz und damit auch der gesamte erste Surenteil mit einer polemischen Frage, welche die Göttinnenverehrung als Auswuchs menschlichen Wunschdenkens (tamannā) klassifiziert, dem die Allmacht Gottes entgegengestellt wird: „Gott gehören das Jenseits und das Diesseits“.
Das dritte Gesätz ist – wohl in mittel- und spätmekkanischer Zeit – durch zwei Einschübe (V. 23 und V. 26–32) erweitert worden, die den Gesamtcharakter der Sure erheblich verändern ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 672 f. ). Jetzt erhält die auf den Visionsbericht folgende und im ursprünglichen Gesamtaufbau eigentlich nebensächliche Göttinnenpolemik, die durch zweimalige Erweiterung erheblich an Gewicht gewonnen hat, die zentrale Position, während der lange Katalog von warnenden und hymnischen Aussagen in V. 38–56 zum antiklimaktischen Nachspiel des heftigen Streits um die Göttinnen wird. Während die erstmalige koranische Stellungnahme zu anderen Gottheiten als Allāh in V. 19–22.24.25 noch in eher dialektisch-argumentativem Tonfall gehalten ist, wird der Tonfall in den beiden hierauf aufbauenden Alleinverehrungsgeboten 73:9 („ .... der Herr des Ostens und des Westens, es gibt keinen Gott außer ihm! So nimm ihn dir zum Sachwalter!) und 51:51 („Und setzt nicht neben Gott einen anderen Gott!“), die etwas später als der Grundbestand von Sure 53 zu datieren sind (nämlich in Gruppe IIIb), schon deutlich kategorischer. Eine weitere Phase der offenbar eskalierenden Auseinandersetzung zwischen der koranischen Gemeinde und den übrigen Quraiš über die Existenz anderer Gottheiten dokumentieren dann die umfangreichen Zusätze zu 53:19 ff.: Das zentrale Thema der koranischen Verkündigungen scheint sich nun endgültig vom Gerichtsgedanken zum Eingottglaube verschoben zu haben. Der erste dieser beiden Einschübe, V. 23, verschärft die bereits durch das ad-hominem-Argument aus V. 21.22 nur implizierte Leugnung der Göttinnen und führt ihre Verehrung auf einen willkürlichen, nicht durch Gott autorisierten, sondern lediglich auf unkritischer Übernahme von Vätertraditionen beruhenden Namensgebrauch zurück. Der Einschub greift damit auch auf die im Mittelpunkt der Visionsbeschreibungen stehende Authoritätsthematik zurück und wendet sie auf die Göttinnenpolemik an; terminologisch wird dieser Rückbezug auch dadurch markiert, dass den Verehrern der Göttinnen vorgeworfen wird, sie würden lediglich „dem folgen ..., wonach die Seelen geneigt sind“, während V. 3 dem Verkünder gerade absprach, lediglich „aus Neigung zu sprechen“.
Der zweite, längere Einschub, der sich terminologisch deutlich an den ersten anlehnt (vgl. insbesondere das in V. 23 und V. 28 erscheinende Scheltwort ʾin yattabiʿūna ʾillă ẓ-ẓanna), ist komplizierter. Anders als in 74:48 gesteht er die Existenz von Fürsprecherengeln (vgl. Andrae 1932, 17 ) zu, doch wird ihre Fürspracheberechtigung von einer vorgängigen Erlaubnis Gottes abhängig gemacht und bietet dem Menschen insofern keine Möglichkeit, Einfluss auf den göttlichen Richterspruch zu nehmen (V. 26). Es folgen polemische Aussagen (V. 27–30a) und theologische Prädikationen (V. 30b.31), die in eine Zusage der göttlichen Vergebungsbereitschaft und einen abschließenden paränetischen Appell (V. 32) übergehen. In der Diktion knüpft die Erweiterung an den ersten Zusatz an (vgl. V. 27: yusammūna und V. 23: ʾasmāʾun sammaitumūhā sowie V. 28 wie V. 23: ʾin yattabiʿūna ʾillă ẓ-ẓanna), doch lässt sie sich nicht allein aus der Notwendigkeit einer späteren Präzisierung von V. 23 motivieren. Der Passus könnte auf einen möglicherweise in der koranischen Gemeinde spätmekkanischer Zeit zirkulierenden Kompromiss zwischen dem koranischen Monotheismus und den traditionellen mekkanischen Gottheiten zielen: Gegen die Darstellung der Göttinnen als einflussreiche Fürsprecherinnen im himmlischen Hofstaat machen V. 26–28 geltend, dass erstens die Fürsprachemöglichkeiten von Engeln nur äußerst beschränkt, weil von der Erlaubnis Gottes abhängig, sind, und dass zweitens die Annahme von weiblichen Engeln (V. 27: la-yusammūna l-malāʾikata tasmiyata l-ʾunṯā) eine bloße Meinung (V. 28: ẓann vs. ʿilm) der Ungläubigen (V. 27: allaḏīna lā yuʾminūna bi-l-ʾāḫirati) ist. Die beträchtliche polemische Energie, mit der die vorausgesetzte Kompromissposition hier zurückgewiesen wird, lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass es hier nicht nur um die Auseinandersetzung mit einer gegnerischen Defensivstrategie – Übersetzung der paganen Vorstellung von „Töchtern Gottes“ in den vom Koran akzeptierten Engelsbegriff – geht (s. die Anmerkungen zur “Literarkritik“ von Q 53, sondern auch um die Stabilisierung der Grenzziehung zwischen der koranischen Gemeinde und ihren Gegnern geht: V. 29 fordert zur Abkehr von „dem, der sich von unserer Mahnung abgewendet hat und nur das diesseitige Leben begehrt“, auf; V. 30 bietet die Autorität Gottes gegen als unwissend abgetane Widersacher auf; V. 31 kontrastiert antithetisch die den Übeltätern und den Rechtschaffenen zugedachte Vergeltung; und V. 32 schließlich präzisiert die Rede des vorangehenden Verses von „denen, die Gutes tun“ im Sinne einer Reduktion der ethischen Ansprüche auf gesellschaftliches Normalmaß (kleinere Verfehlungen gefährden die jenseitige Seligkeit nicht), was die Realität der zahlenmäßig angewachsenen koranischen Gemeinde spätmekkanischer Zeit reflektieren dürfte.
Der zweite Teil setzt mit polemischen Fragen ein, die einem prototypischen Bösen sowohl soziale Verfehlungen als auch mangelndes religiöses Wissen vorwerfen; die enge kausale Aneinanderbindung beider Defizite ist schon seit frühster Zeit ein wesentlicher koranischer Topos, vgl. etwa Q 107. Erneut begegnet hier das bereits in den Visionsschilderungen mehrfach verwendete Verb raʾā (s. o.): Das negative Charakterporträt in V. 33.34 wird durch die Formel ʾa-fa-raʾaita (wörtlich: „Hast du gesehen …?“) eröffnet und setzt so anaphorisch die herausfordernde „Was meint ihr“-Frage aus V. 19 fort, während V. 35 dem Bösen sarkastisch seine fehlende Einsicht in das Übernatürliche vorhält (ʾa-ʿindahū ʿilmu l-ġaibi fa-huwa yarā), wie sie zuvor für Muḥammad reklamiert wurde, etwa am Ende des zweiten Gesätzes: ʾa-qad raʾā min ʾāyāti rabbihi l-kubrā (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 677 ). Das dem Verkünder zugängliche, jedoch dem Bösen verwehrte „Wissen um das Verborgene“ wird in V. 36.37 dann mit dem Inhalt der „Schriften Moses und Abrahams“ gleichgesetzt, deren im Folgenden referierten Hauptlehren offenbar auch die koranischen Offenbarungen anerkennen. Die im ersten Teil berichteten Visionserlebnisse des Verkünders stellen also Q 53 zufolge keineswegs den einzigen Weg zum „Wissen um das Verborgene“ dar; dieses liegt vielmehr auch in literarisch fixierter Gestalt in den Verkündigungen früherer Propheten vor. Wenn V. 36.37 den Gegner fragen, ob ihm „etwa nicht berichtet wurde, was in den Schriften Moses und Abrahams steht“, so setzt dies voraus, dass eine elementare Vertrautheit mit den folgenden Hauptlehren derselben keineswegs nur über außergewöhnliche Theophanien zu erhalten ist, sondern auch durch schlichtes Hörensagen. Neben der Berufung auf eine autobiographisch erlebte Theophanie steht in Q 53 damit als zweite Autoritätsquelle die Berufung auf Schriften ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 677 ): Die Übereinstimmung mit den Grundlehren der Schriftrollen Abrahams und Moses, die gegen Ende in V. 56 noch einmal explizit hervorgehoben wird („Dies ist eine Warnung wie die früheren Warnungen“), verbürgt die Wahrheit der koranischen Botschaft.
Die restlichen drei Gesätze des Mittelteils (V. 38–54) bestehen in einer litaneiartigen Aussagenreihung (V. 38–54), die sich in verschiedene thematische Schwerpunkte gliedert. Das fünfte Gesätz, V. 38–42, kreist um den Gedanken der Verantwortung des Einzelnen für seine Taten (V. 38.39), die am Jüngsten Tag „gesehen“ (V. 40: yurā – erneut begegnet hier das in der Sure ubiquitäre Verb raʾā) werden und die als Grundlage der eschatologischen Vergeltung fungieren (V. 41), auf die das Weltgeschehen unweigerlich zuläuft (V. 42). Zu der in V. 36.37 stehenden Ankündigung des Folgenden als eine Art Zusammenfassung der Hauptlehren der „Schriften Moses und Abrahams“ passt, dass V. 38 ein nahezu wörtliches Zitat aus dem Galaterbrief darstellt und V. 39–41 sich als Abriss eines zentralen Passus aus dem 1. Korintherbrief verstehen lassen. In V. 42 verweist der Ausdruck muntahā, „Ende“ (gemeint ist hier zeitlich das Weltende) auf V. 14 in der zweiten Visionsschilderung zurück, wo er die räumliche Grenze des Theophanieschauplatzes bezeichnet ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 677 ): Der Gott, der sich in der Gegenwart in Form von heftig umstrittenen Theophanien offenbart, tritt beim Jüngsten Gericht auch den hartnäckigsten Zweiflern gegenüber.
Das sechste Gesätz ist in einem hymnischen Grundton gehalten; es identifiziert Gott als alleinige Ursache so konträrer Befindlichkeiten wie Lachen und Weinen (V. 43), Sterben und Leben (V. 44), der Erschaffung und Wiedererweckung der Menschen – die sich wiederum in zwei komplementäre Geschlechter gliedern (V. 45–47) – und von Reichtum und Armut (V. 48). Wie im vorigen Gesätz lassen sich auch hier – passend zu der in V. 36.37 getroffenen Ankündigung des Folgenden als ein Resümee der „Schriften Moses und Abrahams“ – biblische Bezüge ausmachen, und zwar diesmal auf das Alte Testament: An zwei Stellen (V. 44 und 48) nimmt der Hymnus prominente Formulierungen aus dem Lobgesang der Hanna aus 1 Samuel 2 auf, der den koranischen Hörern aus liturgischer Praxis vertraut gewesen sein könnte. Der Hymnus kulminiert in der Aussage über Gottes Macht über den Sirius-Stern, auf den möglicherweise auch der einleitende Schwur beim „untergehenden Stern“ zu beziehen ist. Da auch der Sirius-Stern in vorislamischer Zeit als Gottheit verehrt wurde (s. Anm.), könnte sich V. 49 aber auch allgemein gegen die kultische Anbetung von Gestirnen wenden (vgl. Reyahi, „Sirius“, EQ ); der Hymnus würde dann pointiert an die in V. 19 ff. diskutierte Frage nach der Stellung anderer Gottheiten anknüpfen (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 664 ).
Auf die Darlegung der göttlichen Allmacht anhand von Schöpfungs-ʾāyāt folgen Geschichts-ʾāyāt, d. h. Aufzählungen von Vernichtungen früherer Völker, die allesamt wegen versäumter Einsicht in die Botschaft eines Gottgesandten einem göttlichen Strafgericht anheimfielen ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 665 ). Die enigmatische Schilderung des Untergangs der „umgestürzten Stadt“ durch fa-ġaššāhā mā ġaššā (V. 54) verweist auf die Theophanie am Sidrabaum aus V. 16; wiederum wird so durch eine tautologische Umschreibung das Geheimnisvolle am Handeln Gottes zum Ausdruck gebracht ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 666 ). Am Ende steht die Ermahnung fa-bi-ʾayyi ʾālāʾi rabbika tatamārā (V. 55), die dem Refrain der wohl aus etwa der gleichen Zeit stammenden Sure 55 ähnelt und an den Kehrvers von Ps. 136 erinnert. Der Mittelteil schließt mit einer erneuten Bekräftigung, dass die Koranverkündigung den „früheren Warnungen“ entspreche. Die Aussagenreihe V. 38–54 wird damit vorne und hinten von Bekräftigungen der wesentlichen Inhaltsidentität der koranischen Verkündigungen mit früheren Offenbarungen umrahmt.
Teil III beginnt wieder mit einer enigmatischen Tautologie, ʾazifati l-ʾāzifah, von denen bereits mehrere im ersten und zweiten Teil begegneten. Die nach den litaneiartigen ʾāyāt-Passagen unvermittelt einsetzende Einblendung der Endzeit (V. 57.58) geht ab V. 59 in eine abschließende Ermahnung über, welche die Konsequenz aus der im Mittelteil formulierten Allmacht Gottes, der Unausweichlichkeit des Gerichts und der Züchtigung früherer Völker zieht. V. 60 („Lacht ihr etwa, anstatt zu weinen?“) verweist auf die in V. 43 ausgesagte göttliche Verfügungsmacht über das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle zurück (V. 43: wa-ʾannahū huwa ʾaḍḥaka wa-ʾabkā; Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 667 ). Anstelle stolzen Einherschreitens, wie es den Gegnern vorgeworfen wird (V. 61), fordert der Schlussvers dazu auf, „vor Gott niederzufallen und ihn anzubeten“. Er macht so den Anspruch des Textes greifbar, in der vorangehenden Auseinandersetzung mit skeptischen Widersachern rhetorisch die Oberhand behalten zu haben (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 678 ).
Literaturliste
Unter stilistischen Gesichtspunkten (durchschnittliche Verslänge ohne Einschübe: 10,4 Silben, Gesamtlänge ohne Einschübe: 54 Verse, symmetrischer dreiteiliger Aufbau) ist die Sure am ehesten Gruppe IIIa der frühmekkanischen Texte zuzuordnen. Dafür spricht auch eine auffällige terminologische Überschneidung mit der Mose-Erzählung aus Q 79 (s. u. die Anmerkung sowie den Kommentar zu V. 18). Für die Datierung relevant ist insbesondere das Verhältnis zu der Visionsbeschreibung in Q 81. Während dort offenbar von einer Engelsvision die Rede ist, schildern die beiden Visionsberichte der vorliegenden Sure eine Gottesvision (s. Anmerkungen). Man könnte deshalb zunächst versucht sein, Q 53 als den früheren Text anzusehen: Die ursprüngliche Vorstellung einer Schau Gottes selbst sei später aufgrund theologischer Skrupel aufgegeben und durch eine bloße Engelsvision ersetzt worden (zur Datierung der beiden Texte s. ausführlicher die Ausführungen zur Datierung von Q 81 sowie Sinai 2011 ). Dafür, dass Q 53 der spätere Text ist, sprechen allerdings neben stilistischen Gründen auch seine größere terminologische Präzision (Verwendung von waḥy statt unbestimmterer Ausdrücke wie qaul in Q 81) und die Parallelisierung der beiden in Q 53 geschilderten Visionen des koranischen Verkünders mit dem Berufungserlebnis des Mose, die ein gegenüber Q 81 fortgeschrittenes Stadium der Aneignung von biblischen Mustern zur Untermauerung der prophetischen Autorität der Korantexte dokumentiert.
V. 23 und 26–32 sind bereits an ihrer auffallenden Länge als Zusätze erkennbar (vgl. GdQ, Bd. 1, 103 ). Es handelt sich wohl um zwei verschiedene Stadien der Texterweiterung. Neuwirth vermutet, V. 23 mit seiner Reflexion über den Status von Götternamen könnte in mittelmekkanischer Zeit eingefügt worden sein, in der das Verhältnis zwischen Name und Bezeichnetem auch im Hinblick auf Gott selbst debattiert wird (vgl. 17:110; s. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 659 und 681 ); für eine noch spätere Datierung könnte die Parallelität zum spätmekkanischen Vers 12:40 sprechen (s. die Anmerkung zu V. 23 weiter unten). Der zweite Zusatz, V. 26–32, legt insbesondere durch die um legalistische Präzision bemühte Unterteilung der Menschen in drei Verdienstklassen (V. 31.32: allaḏīna ʾasāʾū bi-mā ʿamilū, allaḏīna ʾaḥsanu bi-l-ḥusnā und allaḏīna yaǧtanibūna kabāʾira l-ʾiṯmi wa-l-fawāḥiša ʾillă l-lamam) eine Datierung in spätmekkanische Zeit nahe. Für seine sekundäre Hinzufügung spricht auch, dass V. 26 mit seiner bedingten Akzeptanz einer eschatologischen Fürsprache der Engel (mit göttlicher Erlaubnis) eine Parallele in dem ebenfalls sekundär in eine Sure der Gruppe IIIa eingeschobenen Vers 78:38 hat und dass die Wendung li-llāhi mā fĭ s-samāwāti wa-mā fĭ l-ʾarḍi (V. 31) ansonsten nur in späteren Texten belegt ist (vgl. etwa die beiden spätmekkanischen Verse 14:2 und 16:52).
Weniger einfach zu beurteilen ist ein in der westlichen Forschung als ‚Satanische Verse’ (s. GdQ, Bd. 1, 100ff. , und Paret, Kommentar, zu 53:19–25 ) bekanntes Textfragment, das ursprünglich auf V. 20 gefolgt sein soll, manchen Überlieferungen zufolge anstelle von V. 21.22 (s. den mit ausführlichen Literaturangaben unterfütterten Überblick von Ahmad, „Satanic Verses“, EQ ). In einer von mehreren, leicht divergierenden Fassungen lauten die beiden Verse: tilka l-ġarānīqu l-ʿulā / wa-ʾinna šafāʿatahunna la-turtaǧā – „diese sind die erhabenen Schwäne/Kraniche (Sg. ġurnaiq), deren Fürsprache erhofft wird“ (in den von Ṭabarī zu Q 22:52 zitierten Traditionen – Nr. 25327–25335 – finden sich auch die Varianten tilka l-ġarānīqu l-ʿulā / wa-šafāʿatuhunna turtaḍā und tilka l-ġarānīqu l-ʿulā / wa-šafāʿatuhunna turǧā / miṯluhunna lā yunsā). Anders als in der heutigen Textfassung wird also nicht nur die Existenz der unmittelbar zuvor (in V. 19.20) genannten Gottheiten anerkannt, sondern sie werden auch hymnisch als „erhabene Schwäne“ gepriesen und mit der Rolle von Fürsprechern zugunsten ihrer Verehrer ausgestattet. Der Überlieferung zufolge habe Muḥammad erst im Nachhinein erkannt, dass es sich bei den ġarānīq-Versen nicht um eine echte göttliche Offenbarung, sondern um eine Einflüsterung des Teufels gehandelt habe und sie wieder aus dem Korantext eliminiert. Westliche Wissenschaftler haben die „Kranichaffäre“ – wie islamische Quellen den betreffenden Vorfall nennen – überwiegend als historisch betrachtet. Denn da sie ein ungünstiges Licht auf die Zuverlässigkeit der Koranübermittlung werfe und dem islamischen Dogma von der Sündlosigkeit (ʿiṣma) der Propheten zuwiderlaufe, so die Überlegung, habe es keinen Anlass gegeben, eine derartige Episode zu erfinden, sondern es hätte eher ein Motiv bestanden, sie zu verschweigen – dass man die Begebenheit trotzdem überliefert habe, sei deshalb nur dadurch zu erklären, dass sie eben eine authentische historische Erinnerung konserviere, die sich allen dogmatischen Skrupeln zum Trotz durchgesetzt habe (vgl. GdQ, Bd. 1, 101 ; weitere Literaturangaben in Sinai 2011a, 10 ). Wie Shahab Ahmed ( Ahmad, „Satanic Verses“, EQ ) gezeigt hat, ist dies jedoch alles andere als ein durchschlagendes Argument: Bereits die Tatsache, dass sich die „Kranichaffäre“ noch im achten Jahrhundert in einer Vielzahl von Korankommentaren und Werken über das Leben Muhammads findet zeigt, dass frühe Muslime die Erzählung keineswegs als unvereinbar mit ihrem Glauben an die Aufrichtigkeit und göttliche Sendung Muhammads empfunden haben. Immerhin wird Muhammad seines Irrtums ja innerhalb kurzer Zeit inne, so dass die heute vorliegende Fassung der Sure als authentisches Gotteswort gelten kann; die Erzählung gibt also eigentlich keinen Anlass zu der Befürchtung, auch andere Koranpassagen könnten durch teuflische Einflüsterungen verfälscht worden sein, sondern erweist vielmehr, dass Gott in einem solchen Fall unverzüglich interveniert hätte.
Eine Bewertung der Problematik sollte folglich prioritär von innerkoranischen Gegebenheiten ausgehen. Solche haben in der Debatte durchaus eine gewisse Rolle gespielt: So führt Andrae 1932, 19 , als ein zentrales Argument für die Historizität der ġarānīq-Verse 22:52 ff. an. Tatsächlich lässt sich die Stelle als ein nachträglicher Kommentar zu der Affäre lesen, der zwar die Möglichkeit von satanischen Einwürfen zugibt, deren Brisanz jedoch durch den Hinweis auf eine unweigerlich erfolgende göttliche Korrektur derselben entschärft: „Und wir haben vor dir keinen Apostel noch Propheten gesandt, dem, wenn er etwas wünschte, Satan nicht etwas in seine Wünsche geworfen hätte. Gott widerruft die Einwürfe Satans und festigt dann seine Zeichen …“ (wa-mā ʾarsalnā min qablika min rasūlin wa-lā nabīyin ʾillā ʾiḏā tamannā ʾalqă š-šaiṭānu fī ʾumniyyatihī fa-yansaḫu llāhu mā yulqĭ š-šaiṭānu ṯumma yuḥkimu llāhu ʾāyātihī ...). Allerdings gehört dieser Passus zeitlich nach Medina; ob die Debatte um die ‚Satanischen Verse’ – die ja in einer frühmekkanischen Sure gestanden haben sollen – zu dieser Zeit noch so virulent war, dass sie eine weitere Stellungnahme erforderte, erscheint höchst fraglich. Dass es in 22:52 um eine mit göttlicher Sanktion vorgenommene Elimination von Textstücken geht, bleibt zwar wahrscheinlich, nicht aber, dass das in Frage stehende Textstück ohne weiteres mit den ‚Satanischen Versen’ identifiziert werden darf. Man könnte das von Andrae vorausgesetzte Verhältnis zwischen 22:52 und den ġarānīq-Versen sogar invertieren: Die Stelle wäre dann nicht ein Reflex derselben, sondern die in Q 22 zu findende Thematisierung von Gott zu korrigierender Einwürfe Satans hätte eine wesentliche Anregung dafür geliefert, den dort nur allgemein geschilderten Vorgang zu einem detailliert ausgeschmückten Geschehen zu konkretisieren, welches dann natürlich auf einen möglichst dramatischen Lapsus des Verkünders hinauszulaufen hatte (so die These von Burton 1970 ). Dafür, dass es die Überlieferung über die ‚Satanischen Verse’ aus 22:52 heraus entstanden ist, spricht die Tatsache, dass die Begebenheit in der tafsīr-Literatur in aller Regel im Zusammenhang mit diesem Vers geschildert wird ( „Satanic Verses“, EQ ; nur in Einzelfällen erscheint sie im Zusammenhang mit 53:19).
Vor dem Hintergrund dieses Verdachts empfiehlt es sich zu prüfen, ob sich die Verse gedanklich und formal überhaupt organisch in den Textzusammenhang integrieren lassen, in dem sie ursprünglich einmal gestanden haben sollen (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 679–683 ). Dies ist jedoch ganz offensichtlich nicht der Fall. Denn es erscheint wenig sinnvoll, das Verspaar einfach zwischen V. 20 und V. 21 einzuschieben: Ohne die Zusätze V. 23 und V. 26–32 weist die Sure klare Proportionen auf (s. u.), welche durch eine Einfügung der beiden apokryphen Verse wieder aufgebrochen würde; vor allem aber würde der in ihnen skizzierte Kompromiss – auch wenn er eine Herabstufung der Göttinnen zu Fürsprecherinnen impliziert, sie also in den monotheistischen Horizont hineinholt – die Argumentationslinie von V. 21.22 unterminieren, die auf eine unmissverständliche Absage an weibliche Engel oder Zwischenwesen hinausläuft. Die Unsinnigkeit der folgenden Textrekonstruktion zeigt dies ganz deutlich, im Übergang zu V. 21 ergäbe sich ein unübersehbarer gedanklicher Bruch (Gesätz 3 ohne die Zusätze V. 23.26–32): Ebenso unwahrscheinlich ist die von einigen islamischen Quellen angedeutete Hypothese, die apokryphen Verse hätten ursprünglich nicht vorV. 21.22, sondern anstelle von V. 21.22 gestanden, was folgende Textgestalt ergäbe:
Sie sind die erhabenen Schwäne, | 21Kommen euch die männlichen Nachkommen zu, ihm aber die weiblichen? |
deren Fürsprache begehrt ist. | 22 Das wäre aber eine unbillige Verteilung! |
Die Verse lassen sich folglich nicht in den Text setzen, ohne dass dieser deutlich an Kohärenz verliert, was die Hypothese, bei der Überlieferung über die ‚Satanischen Versen’ handele es sich um eine narrative Ausschmückung von 22:52, zusätzlich untermauert. Der konkrete Wortlaut der ‚Satanischen Verse’ ist dabei jedoch durch Sure 53 inspiriert: Sie knüpfen an die in V. 19.20 gestellte Frage über die weiblichen Gottheiten al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt an und schreiben ihnen die Fürsprachekompetenz zu, die 53:26 ihnen nur unter äußerst restriktiven Bedingungen (nämlich in Abhängigkeit von einer vorgängigen Erlaubnis Gottes) zugesteht, sind also also weitgehend als ein Widerspruch zum kanonischen Text der Sure konstruiert. Auch die Tatsache, dass die ‚Satanischen Verse’ insofern einen Vers des erst später eingefügten zweiten Zusatzes vorauszusetzen scheinen, spricht dagegen, dass sie ursprünglich Bestandteil der Sure gewesen sein könnten. Neuwirth (Frühmekkanische Suren, 681 f. ) geht demgegenüber davon aus, nicht die ‚Satanischen Verse’ würden V. 26 voraussetzen, sondern dieser nehme umgekehrt Bezug auf die ‚Satanischen Verse’. Sie schließt daraus, die apokryphen Verse, die auch ihrer Meinung nach niemals im Text gestanden haben können, müssten außerkoranisch bereits zu Lebzeiten Muḥammads im Umlauf gewesen sein – ein recht komplexes Szenario, welches sich durch Umkehrung des von Neuwirth postulierten Voraussetzungsverhältnisses zwischen V. 26 und den ‚Satanischen Verse’ beträchtlich vereinfachen lässt.
Bei den ‚Satanischen Verse’ handelt es sich also wohl um eine nachkoranische Konstruktion. Gleichwohl muss aus 22:52 geschlossen werden, dass in zumindest einem Fall – aber vielleicht erst in medinensischer Zeit – tatsächlich einmal ein bereits durch Muḥammad verkündetes koranisches Textstück nachträglich als ein „Einwurf“ des Satans ausgeschieden worden ist; welchen Wortlaut dieser Passus hatte, ist für uns allerdings nicht mehr rekonstruierbar. Zum anderen hat Neuwirth zumindest insofern Recht, als die Einschübe 53:23.26–32 tatsächlich nur Sinn ergeben, wenn ihnen irgendeine Debatte über den Status und eine etwaige Interzessionsbefugnis der in 53:19.20 genannten Gottheiten vorausging (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 682 f. ). Die reale Dynamik, aus welcher die Einschübe hervorgegangen sind, könnte sich deshalb folgendermaßen darstellen: Das Gesätz Q 53:19–22.24.25 warf erstmals im Prozess der Koranverkündigung explizit die Frage auf, ob die offenbar unter den koranischen Hörern gängige Vorstellung von „Töchtern Gottes“ (der Begriff wird nirgendwo im Koran ausdrücklich genannt, wird aber von Koranversen ganz verschiedener Perioden wie 53:21 und 6:100–101 impliziert; s. die in Crone 2010, 156 f. gesammelten Belege) akzeptabel ist. Diese Frage wird in V. 21.22 mit Hilfe eines später noch öfters wiederholten ad-hominem-Arguments verneint, und zwar in einem noch vergleichsweise unaufgeregten Tonfall. In der Folgezeit erwies es sich dann aber als nötig, noch zwei weitere Stellungnahmen zu den drei Göttinnen (V. 23 sowie V. 26–32) in die Sure aufzunehmen. Während der erste Zusatz nur nochmals, jetzt allerdings in wesentlich schärferen Worten, die Existenz der drei Gottheiten bestreitet und damit die Position von V. 21.22 wiederholt, richtet sich der zweite Zusatz ausdrücklich gegen die Vorstellung, al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt könnten Gott als Fürbitte leistende Engel untergeordnet werden. Dabei könnte es sich (1) um eine auf Q 53:19–22.24.25 reagierende Kompromissposition handeln, die versucht, die drei Göttinnen als Engel in ein grundsätzlich monotheistisches Weltbild hinüberzuretten; ein derartiger Brückenschlag zwischen koranischem Gottesbild und mekkanischem Polytheismus mochte auch Anhängern Muḥammads als eine durchaus attraktive Synthese erscheinen und könnte deshalb die polemische Absage im des zweiten Einschubs (V. 26–32) erfordert haben (in diesem Sinne Sinai 2011a, 20 ). Oder (2) der zweite Einschub wendet sich einfach gegen den Versuch der mekkanischen „Beigeseller“ (mušrikūn), „ihre Göttinnen als Engel ausgeben, um sie vor Muhammeds Angriffen in Schutz zu nehmen“ ( Eichler 1928, 99 ). Der Gebrauch des Engelsbegriffs durch Muḥammads Gegner wäre dann in erster Linie eine geschickte Verteidigungsstrategie gegen den in Q 53:19–22.24.25 vorgetragenen Angriff: Die dort zurückgewiesene pagane Vorstellung von „Töchtern Gottes“ wird in den vom Koran selbst verwendeten Engelsbegriff (vgl. 89:22 oder 78:38) übersetzt, um der koranischen Kritik so den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Neben den beiden oben genannten Alternativen (1) und (2) ist allerdings noch eine dritte Möglichkeit denkbar, nämlich dass (3) die Beschreibung von al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt als Engel nicht erst auf die koranische Kritik an der Vorstellung von „Töchtern Gottes“ reagiert, sondern bereits vor Beginn der Korangenese einen integralen Bestandteil des religiösen Vokabulars der Anbeter dieser drei Göttinnen darstellte (in diese Richtung gehen die Bemerkungen in Crone 2010, 156 ). Leider lässt der koranische Textbefund nicht eindeutig erkennen, ob der Engelsbegriff für die religiöse Perspektive der Gegner Muḥammads genauso grundlegend war wie die Vorstellung von „Töchtern Gottes“ bzw. ob es sich bei der Verehrung der Mittlergottheiten al-Lāt, al-ʿUzzā und Manāt wirklich um einen genuinen Engelskult gehandelt hat. Passagen wie Q 37:149–150 (Paret: „Frag sie doch um Auskunft: Sollen deinem Herrn die Töchter zukommen, und ihnen die Söhne? / Oder haben wir etwa die Engel als weibliche Wesen geschaffen“) oder Q 17:40 (Paret: „Hat denn euer Herr für euch die Söhne ausersehen und sich aus dem Kreis der Engel weibliche Wesen genommen?“) müssen jedenfalls keineswegs im Sinne von Alternative (3) verstanden werden, sondern sind durchaus auch mit (2) vereinbar. Dabei ist überdies noch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass etwa Q 17:40 gar keine wörtliche Behauptung der „Beigeseller“ zugrunde liegt, derzufolge es sich bei den drei in 53:19.20 genannten Gottheiten um weibliche Engel handelt; der Vers könnte lediglich ausdrücken, dass die religiösen Überzeugungen der „Beigeseller“ aus koranischer Perspektive die Existenz weiblicher Engel implizieren. (Generell ist nur sehr schwer abzuschätzen, in welchem Maße koranische Referate gegnerischer religiöser Ansichten diese Ansichten in Begrifflichkeiten gießen, welche ihre realen Vertreter selbst nicht gebraucht oder akzeptiert hätten.)
Wie andere mekkanische Texte wird die dreiteilige Sure von einem Schwur bei einem Himmelsphänomen (anderswo auch bei Tag- und Nachtzeiten) eingeleitet und endet mit einem – hier allerdings im Plural gehaltenen – Schlussimperativ. Teil I (V. 1–32) und Teil II (V. 33–56) reimen durchgängig auf 3K(K)a, in Teil III (V. 57–62) finden sich wie in älteren Suren häufigere Reimwechsel ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 648 ). Teil I und II werden außer durch den gleichen Reim auch durch eine ganze Reihe von gemeinsamen und z. T. seltenen Worten verbunden (etwa V. 1hawā und V. 53ʾahwā, V. 12tumārūnahū und V. 55tatamārā, V. 16yaġšā und V. 54ġaššā; s. ausführlicher Neuwirth, Studien, 208 ). Bezüge lassen sich auch zwischen den Verszahlen der einzelnen Surenteile ausmachen: Der erste und zweite Teil sind gleichlang, während die Länge des Schlussteils einen Teiler der Länge von Teil I und II darstellt. Trotz der grundsätzlich transparenten Struktur der Sure ist allerdings die Gesätzeinteilung des ersten Surenteils problematisch. Neuwirth (Studien, 207 f.) gliedert V. 1–12 in zwei Gesätze, wodurch sich ein Aufbau des ersten Teils aus vier symmetrischen Sechsergruppen ergibt. Allerdings liegt, wie sie selbst anmerkt, zwischen V. 6 und 7 keine klare Gesätzgrenze vor: „Die aus inhaltlichen Erwägungen (eingeschlossen Vergleich mit 81.19–25) anzusetzende Zaesur zwischen der allgemeinen Charakterisierung des qurʾān und dem konkreten Visionsbericht, in den sie übergeht, liegt aber nicht zwischen V. 6 und V. 7, sondern schon einen halben Vers vorher. Mit fa-stawā (6b) beginnt der konkrete Visionsbericht. Daß eine Zaesur in der Mitte eines Verses und nicht zwischen zwei Versen liegt, scheint in der I. Periode singulär. Man kann V. 1–12 also entweder als ein Doppelgesätz ansehen oder die Gesätzzaesur doch nach V. 6 ansehen und das leichte Vorgreifen über diese Gesätzgrenze hinweg als eine Art Enjambement verstehen“. Der vorliegende Kommentar folgt der ersten von Neuwirth genannten Alternative, fasst den Passus also als nicht weiter untergliederbares Doppelgesätz auf.
Inhaltlich geht es in den ersten beiden Surenteile aus verschiedener Perspektive um Modalität und Gehalt göttlicher Mitteilungen an den Menschen: Während der erste Teil vor allem zwei Visionsschilderungen gewidmet ist, welche die Realität der dem Verkünder attestierten Eingebungen ausweisen sollen, liefert der zweite Teil in Form eines Referats wesentlicher Aussagen der „Schriften Moses und Abrahams“ einen listenartigen Überblick über den Inhalt früherer göttlicher Offenbarungen. Dabei ist vor allem die Thematik des Jüngsten Gerichts und vorangegangener göttlicher Strafhandlungen prominent: Die Botschaft der koranischen Verkündigungen steht, so die Pointe, in grundsätzlichem Einklang mit derjenigen vorangehender Offenbarungsschriften. Mehrfach begegnen im ersten und zweiten Surenteil Formen des Verbs raʾā, „sehen“ – die Frage, „wer ‚Einblick’ in das Verborgene (ġaib[ V. 35]) hat“, macht geradezu das Grundthema der gesamten Sure aus ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 677 ). Während die Quelle solchen Einblicks in Teil I in Visionserlebnissen des Verkünders besteht, ist sie im zweiten Teil die schriftlich fixierte biblische Tradition. Der Text schließt mit einem eschatologischen Warnspruch und einem Hörerappell. „Die Gesamtsure weist im groben bereits das in mittelmekkanischer Zeit dominant werdende Schema Polemik/Apologetik – Heilsgeschichte bzw. Exzerpt aus einer auch anderen Propheten verliehenen Heiligen Schrift – Offenbarungsbestätigung auf.“ ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 672 )
Überblick
1–56 3(K)Kā(mit Varianten: 4.22.25.36.50 2Kā, 55 āKā) | I 1 1 Schwur (Stern) |
2–6 Schwuraussage: | |
2.3 Beglaubigung des Verkünders (negativ) |
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4–6 Offenbarungsbestätigung (positiv), Beginn Visionsbericht |
|
7–12 erster Visionsbericht | |
2 13–18 zweiter Visionsbericht | |
3 19–22 polemische Frage (über Göttinnen) | |
[23 ergänzender Zusatz: Kommentar zu den Göttinnen mit Scheltwort] | |
24 polemische Frage (implizite Rüge des ʾinsān) | |
25 theologische Prädikation | |
[26–32 weiterer Zusatz zu den Göttinnen (eingeschobenes Gesätz) mit Scheltwort (V. 27.28), Mahnung zur Abkehr von den Ungläubigen (V. 29.30), theologischen Prädikationen (V. 31.32), Tugendkatalog (V. 32) und Aufruf an die Hörer (V. 32)] | |
II 4 33–37 polemische Fragen | |
33.34 polemische Schilderung des Bösen |
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35–37 Fragen zu den früheren ṣuḥuf |
|
5 38–42 Inhalt der ṣuḥuf: | |
38.39 Warnsprüche |
|
40.41 Verheißungen |
|
42 theologische Prädikation |
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6 43–49 Inhalt der ṣuḥuf: Werkaffirmationen (V. 47.49: theologische Prädikationen) | |
7 50–54 Inhalt der ṣuḥuf: Strafreminiszenzen | |
55.56 abschließende polemische Frage und Offenbarungsbestätigung | |
57.58 āKifah | III 8 57.58 Warnspruch |
59–61 2n/m | 59–61 polemische Frage |
62 aʿbudū | 62 Aufruf an die Hörer |
Proportionen (ohne Einschübe):
Teil I: 24 Verse | Teil II: 24 Verse | Teil III: 6 Verse |
12+6+6 | 5+5+7+7 |