بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
حمٓ |
I11 Ḥā Mīm |
وَٱلۡكِتَٰبِ ٱلۡمُبِينِ |
22 Bei der deutlichen Schrift! |
إِنَّآ أَنزَلۡنَٰهُ فِی لَيۡلَةٍۢ مُّبَٰرَكَةٍ ۚ |
3 Wir sandten es herab in einer gesegneten Nacht |
إِنَّا كُنَّا مُنذِرِينَ |
– wir sind es ja, die warnen –, |
فِيهَا يُفۡرَقُ كُلُّ أَمۡرٍ حَكِيمٍ |
4 in der alle weisen Beschlüsse gefällt werden |
أَمۡرًۭا مِّنۡ عِندِنَآ ۚ |
5 auf Weisung von uns |
إِنَّا كُنَّا مُرۡسِلِينَ |
– wir sind es ja, die Gesandte aussenden –, |
رَحۡمَةًۭ مِّن رَّبِّكَ ۚ |
6 aus Barmherzigkeit von deinem Herrn |
إِنَّهُۥ هُوَ ٱلسَّمِيعُ ٱلۡعَلِيمُ |
– er ist der Hörende, der Wissende –, |
رَبِّ ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضِ وَمَا بَيۡنَهُمَآ ۖ |
37 des Herrn des Himmels und der Erde und was zwischen ihnen, |
إِن كُنتُم مُّوقِنِينَ |
wenn ihr es doch klar erkennen wolltet! |
لَآ إِلَٰهَ إِلَّا هُوَ يُحۡىِۦ وَيُمِيتُۖ |
8 Kein Gott außer ihm! Er macht lebendig und läßt sterben, |
رَبُّكُمۡ وَرَبُّ ءَابَآئِكُمُ ٱلۡأَوَّلِينَ |
euer Herr und der Herr eurer Vorväter! |
بَلۡ هُمۡ فِی شَكٍّۢ يَلۡعَبُونَ |
II49 Doch sie sind im Zweifel und treiben damit ihr Spiel. |
فَٱرۡتَقِبۡ |
10 Spähe aus nach dem Tag, |
يَوۡمَ تَأۡتِی ٱلسَّمَآءُ بِدُخَانٍۢ مُّبِينٍۢ |
an dem vom Himmel klar sichtbarer Rauch herabkommt, |
يَغۡشَى ٱلنَّاسَ |
11 der die Menschen bedeckt, |
هَٰذَا عَذَابٌ أَلِيمٌۭ |
das ist die schmerzliche Strafe. |
رَّبَّنَا ٱكۡشِفۡ عَنَّا ٱلۡعَذَابَ |
12 „Herr, nimm von uns ab die Strafe, |
إِنَّا مُؤۡمِنُونَ |
wir glauben!“ |
أَنَّىٰ لَهُمُ ٱلذِّكۡرَىٰ |
13 Was nützt ihnen die Besinnung, |
وَقَدۡ جَآءَهُمۡ رَسُولٌۭ مُّبِينٌۭ |
da zu ihnen doch schon ein Gesandter kam, der Klarheit brachte? |
ثُمَّ تَوَلَّوۡا۟ عَنۡهُ |
14 Sie aber wandten sich von ihm ab und sprachen: |
وَقَالُوا۟ مُعَلَّمٌۭ مَّجۡنُونٌ |
„Einer, den man lehrte, ein Dämonenbesessener!“ |
إِنَّا كَاشِفُوا۟ ٱلۡعَذَابِ قَلِيلًا ۗ |
15 Wir setzen die Strafe für eine Weile aus, |
إِنَّكُمۡ عَآئِدُونَ |
doch ihr werdet es immer wieder tun! |
يَوۡمَ نَبۡطِشُ ٱلۡبَطۡشَةَ ٱلۡكُبۡرَىٰۤ |
16 Am Tag, da wir zum gewaltigen Schlag ausholen! |
إِنَّا مُنتَقِمُونَ |
Wir rächen uns! |
وَلَقَدۡ فَتَنَّا قَبۡلَهُمۡ قَوۡمَ فِرۡعَوۡنَ |
517 Schon vor ihnen prüften wir das Volk Pharaos. |
وَجَآءَهُمۡ رَسُولٌۭ كَرِيمٌ |
Zu ihnen kam ein edler Gesandter: |
أَنۡ أَدُّوٓا۟ إِلَىَّ عِبَادَ ٱللَّهِ ۖ |
18 „Gebt mir die Gottesdiener heraus, |
إِنِّی لَكُمۡ رَسُولٌ أَمِينٌۭ |
ich komme zu euch als verläßlicher Bote. |
وَأَن لَّا تَعۡلُوا۟ عَلَى ٱللَّهِ ۖ |
19 Und erhebt euch nicht über Gott! |
إِنِّیٓ ءَاتِيكُم بِسُلۡطَٰنٍۢ مُّبِينٍۢ |
Ich bringe euch eine klare Vollmacht. |
وَإِنِّی عُذۡتُ بِرَبِّی وَرَبِّكُمۡ |
20 Ich beschwöre euch bei meinem und eurem Herrn, |
أَن تَرۡجُمُونِ |
mich nicht zu verjagen! |
وَإِن لَّمۡ تُؤۡمِنُوا۟ لِی فَٱعۡتَزِلُونِ |
21 Wenn ihr mir nicht glaubt, dann haltet euch von mir fern.“ |
فَدَعَا رَبَّهُۥٓ |
22 Dann rief er seinen Herrn an: |
أَنَّ هَٰٓؤُلَآءِ قَوۡمٌۭ مُّجۡرِمُونَ |
„Dies ist ein Volk von Frevlern.“ |
فَأَسۡرِ بِعِبَادِی لَيۡلًا |
23 „Brich auf des Nachts mit meinen Dienern! |
إِنَّكُم مُّتَّبَعُونَ |
Sie werden euch verfolgen. |
وَٱتۡرُكِ ٱلۡبَحۡرَ رَهۡوًا ۖ |
24 Laß das Meer ruhigen Schrittes hinter dir. |
إِنَّهُمۡ جُندٌۭ مُّغۡرَقُونَ |
Es sind ihre Heerscharen, die ertrinken werden!“ |
كَمۡ تَرَكُوا۟ مِن جَنَّٰتٍۢ وَعُيُونٍۢ |
625 Was alles ließen sie zurück – Gärten und Quellen, |
وَزُرُوعٍۢ وَمَقَامٍۢ كَرِيمٍۢ |
26 Saatfelder, einen ansehnlichen Aufenthaltsort |
وَنَعۡمَةٍۢ كَانُوا۟ فِيهَا فَٰكِهِينَ |
27 und angenehmes Leben, dessen sie sich erfreut hatten! |
كَذَٰلِكَ وَأَوۡرَثۡنَٰهَا قَوۡمًا ءَاخَرِينَ |
28 So war es. Wir gaben es anderen zum Erbe, |
فَمَا بَكَتۡ عَلَيۡهِمُ ٱلسَّمَآءُ وَٱلۡأَرۡضُ |
29 Himmel und Erde weinten nicht um sie. |
وَمَا كَانُوا۟ مُنظَرِينَ |
Und Aufschub wurde ihnen nicht gewährt. |
وَلَقَدۡ نَجَّيۡنَا بَنِیٓ إِسۡرَٰٓءِيلَ مِنَ ٱلۡعَذَابِ ٱلۡمُهِينِ |
730 Wir erretteten die Israeliten vor erniedrigender Strafe, |
مِن فِرۡعَوۡنَ ۚ |
31 vor Pharao. |
إِنَّهُۥ كَانَ عَالِيًۭا مِّنَ ٱلۡمُسۡرِفِينَ |
Er ragte hervor unter den Maßlosen. |
وَلَقَدِ ٱخۡتَرۡنَٰهُمۡ عَلَىٰ عِلۡمٍ عَلَى ٱلۡعَٰلَمِينَ |
32 Wir erwählten sie mit Bedacht vor allen Menschen |
وَءَاتَيۡنَٰهُم مِّنَ ٱلۡٴَايَٰتِ |
33 und gaben ihnen Zeichen, |
مَا فِيهِ بَلَٰٓؤٌۭا۟ مُّبِينٌ |
in denen offenkundig eine Prüfung ist. |
إِنَّ هَٰٓؤُلَآءِ لَيَقُولُونَ |
III834 Diese hier sagen: |
إِنۡ هِیَ إِلَّا مَوۡتَتُنَا ٱلۡأُولَىٰ |
35 „Es gibt nichts über unseren ersten Tod hinaus, |
وَمَا نَحۡنُ بِمُنشَرِينَ |
wir werden nicht erweckt werden! |
فَأۡتُوا۟ بِـَٔابَآئِنَآ |
36 Bringt unsere Väter herbei, |
إِن كُنتُمۡ صَٰدِقِينَ |
wenn ihr die Wahrheit sagt!“ |
أَهُمۡ خَيۡرٌ أَمۡ قَوۡمُ تُبَّعٍۢ |
937 Sind sie etwa besser als das Volk des Tubbaʿ |
وَٱلَّذِينَ مِن قَبۡلِهِمۡۚ |
und die vor ihnen waren? |
أَهۡلَكۡنَٰهُمۡ إِنَّهُمۡ كَانُوا۟ مُجۡرِمِينَ |
Wir ließen sie zugrunde gehen, denn sie waren Frevler. |
وَمَا خَلَقۡنَا ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضَ |
38 Wir erschufen die Himmel und die Erde und was zwischen ihnen |
وَمَا بَيۡنَهُمَا لَٰعِبِينَ |
nicht zum Zeitvertreib. |
مَا خَلَقۡنَٰهُمَآ إِلَّا بِٱلۡحَقِّ |
39 Nein, wir erschufen sie rechtens und in Wahrheit! |
وَلَٰكِنَّ أَكۡثرهُمۡ لَا يَعۡلَمُونَ |
Aber die meisten von ihnen erkennen es nicht. |
إِنَّ يَوۡمَ ٱلۡفَصۡلِ مِيقَٰتُهُمۡ أَجۡمَعِينَ |
1040 Der Tag der Entscheidung ist der für sie alle festgelegte Termin, |
يَوۡمَ لَا يُغۡنِی مَوۡلًى عَن مَّوۡلًۭى شَيۡـًۭٔا |
41 der Tag, an dem ein Schutzherr für seinen Schutzbefohlenen nichts vermag |
وَلَا هُمۡ يُنصَرُونَ |
und an dem sie keine Hilfe erhalten |
إِلَّا مَن رَّحِمَ ٱللَّهُ ۚ |
42 außer wem Gott Barmherzigkeit erweist. |
إِنَّهُۥ هُوَ ٱلۡعَزِيزُ ٱلرَّحِيمُ |
Er ist der Mächtige, Barmherzige. |
إِنَّ شَجَرَتَ ٱلزَّقُّومِ |
1143 Der Zaqqūm-Baum |
طَعَامُ ٱلۡأَثِيمِ |
44 ist Speise des Sünders |
كَٱلۡمُهۡلِ يَغۡلِی فِی ٱلۡبُطُونِ |
45 wie flüssiges Öl, das im Bauch kocht, |
كَغَلۡىِ ٱلۡحَمِيمِ |
46 wie das Kochen siedenden Wassers. |
خُذُوهُ فَٱعۡتِلُوهُ إِلَىٰ سَوَآءِ ٱلۡجَحِيمِ |
47 „Packt ihn und schleppt ihn mitten in den Höllenbrand! |
ثُمَّ صُبُّوا۟ فَوۡقَ رَأۡسِهِۦ مِنۡ عَذَابِ ٱلۡحَمِيمِ |
48 Dann schüttet ihm zur Qual siedendes Wasser über den Kopf.“ |
ذُقۡ إِنَّكَ أَنتَ ٱلۡعَزِيزُ ٱلۡكَرِيمُ |
49 „So schmecke! Du bist ja der Mächtige, der Edle!“ |
إِنَّ هَٰذَا مَا كُنتُم بِهِۦ تَمۡتَرُونَ |
50 Das ist es, worüber ihr stets in Zweifel wart. |
إِنَّ ٱلۡمُتَّقِينَ فِی مَقَامٍ أَمِينٍۢ |
1251 Die Gottesfürchtigen sind an sicheren Stätten |
فِی جَنَّٰتٍۢ وَعُيُونٍۢ |
52 in Gärten und an Quellen, |
يَلۡبَسُونَ مِن سُندُسٍۢ وَإِسۡتَبۡرَقٍۢ مُّتَقَٰبِلِينَ |
53 gekleidet in Seide und Brokat, einander gegenübersitzend. |
كَذَٰلِكَ وَزَوَّجۡنَٰهُم بِحُورٍ عِينٍۢ |
54 So wird es sein. Als Gattinnen geben wir ihnen großäugige junge Frauen. |
يَدۡعُونَ فِيهَا بِكُلِّ فَٰكِهَةٍ ءَامِنِينَ |
55 Sie können dort alle Art von Früchten verlangen, sind in Sicherheit. |
لَا يَذُوقُونَ فِيهَا ٱلۡمَوۡتَ إِلَّا ٱلۡمَوۡتَةَ ٱلۡأُولَىٰ ۖ |
56 Sie schmecken dort den Tod nicht über den ersten hinaus, |
وَوَقَىٰهُمۡ عَذَابَ ٱلۡجَحِيمِ |
er bewahrte sie vor der Qual des Höllenbrandes |
فَضۡلًۭا مِّن رَّبِّكَ ۚ |
57 als Huld von deinem Herrn. |
ذَٰلِكَ هُوَ ٱلۡفَوۡزُ ٱلۡعَظِيمُ |
Das ist der große Gewinn. |
فَإِنَّمَا يَسَّرۡنَٰهُ بِلِسَانِكَ |
1358 Wir haben es in deiner Sprache leichtgemacht, |
لَعَلَّهُمۡ يَتَذَكَّرُونَ |
vielleicht daß sie sich mahnen ließen. |
فَٱرۡتَقِبۡ |
59 So spähe aus |
إِنَّهُم مُّرۡتَقِبُونَ |
auch sie werden ausspähen. |
Die Sure ist Einheit. Doch fällt V. 42: ʾillā man raḥima llāhu ʾinnahū huwa l-ʿazīzu r-raḥīm als im Kontext problematische Verdiktmilderung auf. Er statuiert eine Ausnahme zu der den Gegnern prophezeiten Isolation am Jüngsten Tag, an dem sie keine Hilfe erhalten werden. Die Milderung erscheint gerade im Zusammenhang der von den Gegnern erwarteten militärischen Hilfe (yunṣarūn), wie sie nur von den – in Q 54 und Q 37 in ähnlichem Kontext thematisierten – Nebengöttern geleistet werden könnte, wenig passend. Sie mag sich einer späteren Absicht, auch den Gegnern Optionen der Umkehr offenzuhalten, verdanken.
Versabteilungsdifferenzen
Zu den verschiedenen von der kufischen Tradition abweichenden Versabteilungen, die alle keine plausiblen Alternativen bieten, siehe SKMS, S. 46 f. Die Sure reimt auf –ūn/-īn, ihre Komposition wird also nicht mehr wie früher üblich durch leicht kontrollierbare Reimserien untermauert. An der Ansetzung des Versendes nach der Buchstabensequenz ist festzuhalten, da sie mit dem Folgenden reimt. In SKMS, S. 46 f. war für die Zusammenziehung von V. 34 und V. 35 plädiert worden. Angesichts der sehr verschiedenen Verslängen innerhalb der Sure scheint das jedoch nicht zwingend.
Literaturliste
I Schwur und Hymnus | |
1 1 Buchstabensequenz (klangliche Eröffnung) | |
5 2-6X Herabsendung des Gotteswortes in „gesegneter Nacht“, Prophetenentsendung als Vermittlung zwischen Gott und Menschen | |
2 7-8 Hymnische Prädikationen Gottes | |
II Eschatologie und Straflegende | |
8 9-16 Drohung mit eingeblendeter eschatologischer Szenerie | |
8 17-24 Predigt des Boten vor Pharao, Hilferuf, Auftrag zum Auszug | |
5 25-29 Vergabe der Liegenschaften des Volkes des Pharao an andere | |
4 30-33 Rettung und Erwählung der Banū ʾIsrāʾīl | |
III Unglaube gegenüber Erweckung, Schöpfung als Teil des Heilsplans | |
3 34-36 Leugnung der Erweckung | |
3 37-39 Vernichtende Kraft Gottes vs. göttliche Schöpfungskraft | |
2 40-42 Eschatologische Szenerie (V. 42 späterer Zusatz) | |
8 43-50 Hölle mit Zaqqūm-Baum | |
7 51-57 Paradies | |
2 58-59 Offenbarungsbestätigung |
Strukturformel/Proportionen
Teil I: 8 Verse | Teil II: 25 Verse | Teil III: 25 Verse |
(1 + 5 + 2) | 8 + 17 (8 + 5 + 4) | 6 (3 + 3) + 17 (2 + 8 + 7) + 2 |
Literaturliste
V. 1-2ḥāʾ-mīm / wa-l-kitābi l-mubīn] Die Sure beginnt mit einer semantisch leeren Klangfolge, bestehend aus den Namen zweier arabischer Buchstaben (siehe dazu den Kommentar zu Q 15:1, siehe jetzt auch Stewart 2011). Es folgt ein Einzelschwur, der jetzt jedoch nicht mehr, wie in den frühmekkanischen Reimserien üblich, symbolisch auf kultische Zeiten und Orte bzw. eschatologische Phänomene verweist (siehe dazu Neuwirth 1991), sondern auf die transzendente Schrift, die zugleich ihren prominentesten Empfänger, Mose, evoziert. Am Anfang der Suren Q 15 und Q 50, die narrativ keinen Mose-Bezug haben, wurde die „Lesung“ (qurʾān) heraufbeschworen, mit der sich keine Mose-Referenz verbindet. Die „klare Schrift“ begegnet erst seit mittelmekkanischer Zeit: Q 37:117: wa-ʾātaināhumā l-kitāba l-mustabīn („und [wir] gaben beiden [d.h. Mose und Aaron] die Klarheit schaffende Schrift“), sie erscheint als programmsetzende Sureneinleitung zuerst in Q 26:2: tilka ʾāyātu l-kitābi l-mubīn („Das sind die Zeichen der klaren Schrift“), wo eine Mose-Erzählung folgt.
Dagegen war kitāb frühmekkanisch noch nicht mit der – sprachliche Verständlichkeit implizierenden – Qualifikation der Klarheit verbunden worden; es standen vielmehr noch verschiedene Manifestationen von kitāb nebeneinander: das Registerbuch der menschlichen Taten (Q 83:7, Q 83:9, Q 83:18, Q 83:20: kallā ʾinna kitāba l-fuǧǧāri la-fī siǧǧīn, „Nein, das Register der Frevler findet sich in Siǧǧīn“; Q 69:19, Q 69:25) oder ein materiell reales Buch (Q 68:37). Doch begegnete kitāb auch bereits in Frühmekka als das Inventarbuch göttlichen Wissens (Q 56:77-78: ʾinnahū la-qurʾānun karīm / fī kitābin maknūn, „Wahrlich es ist eine erhabene Lesung, / die stammt aus einer verborgenen Schrift“, und Q 52:1-2: wa-ṭ-ṭūr / wa-kitābin masṭūr, „Beim Berg Sinai! / Und bei einer Schrift, niedergeschrieben“, bereits auf Mose verweisend); die beiden Suren stehen am Ende der frühmekkanischen Periode. Bei synchroner Betrachtung (wie bei Madigan 2001) tritt die Entwicklung hin zur Autorität einer „klaren Schrift“ nicht in den Blick. Wie aber Dayeh (2010) zu Recht betont, deutet die Qualifikation der Schrift als „klar“ auf eine neue Debatte über die Sprache des Koran, wie sie am Schluß der Sure in V. 58: fa-ʾinnamā yassarnāhu bi-lisānika („Wir haben es in deiner Sprache leichtgemacht“) wiederaufgegriffen wird. Diese Debatte war bereits in Q 20:114 eröffnet worden, sie wurde in Q 26 weitergeführt, wo Sprachreferenzen in V. 2 und V. 195 wie in Q 44:2 und Q 44:58 den Surentext zusammenklammerten.
V. 3-6ʾinnā ʾanzalnāhu fī lailatin mubārakatin ʾinnā kunnā munḏirīn / fīhā yufraqu kullu ʾamrin ḥakīm / ʾamran min ʿindinā ʾinnā kunnā mursilīn / raḥmatan min rabbika ʾinnahū huwa s-samīʿu l-ʿalīm] Es folgt ein kunstvoll geformter Hymnus (V. 3-8), syntaktisch bestehend aus einem einzigen Satz, der durch Klauseln in V. 3, V. 6 und V. 7 (siehe dazu KTS, S. 755 f., und SKMS, S.157) sowie Enjambements in V. 4, V. 5, V. 6, V. 7 und V. 8 besonders feierlich gestaltet ist.
Das suffigierte Personalpronomen -hu bezieht sich (entgegen KÜ, S. 348 und Bobzin 2010:439) nicht auf das im Schwur evozierte kitāb, da Schwurgegenstände nie Thema der Schwuraussage sind. Vielmehr ist -hu als ‚freischwebend‘ zu verstehen wie in Q 97:1: ʾinnā ʾanzalnāhu fī lailati l-qadr („Wir sandten es herab in der Nacht der Bestimmung“), vgl. auch Q 74:54: kallā ʾinnahu taḏkirah („Und doch ist es eine Mahnung“) und Q 69:40: ʾinnahu la-qaulu rasūlin karīm („Es ist das Wort eines edlen Boten“) und wie auch wieder am Surenschluß (Q 44:58) selbst. An allen Stellen ist es bezogen auf das Wort Gottes, d.h. die durch Rezitation aktualisierte transzendente Botschaft. Nicht die transzendente Schrift selbst wird als herabgesandt vorgestellt, sondern die Kraft zu ihrem Empfang oder ihre „Lesung“ (qurʾān). Die Differenzierung ist wichtig, da, wie Madigan (2001) dargelegt hat, während der koranischen Entwicklung von einer Identifikation der Botschaft mit der himmlischen Schrift nicht die Rede sein kann.
Die Aussage, daß „es“, d.h. das aus der Schrift vorgetragene Gotteswort, in einer gesegneten Nacht vermittelt worden ist, nimmt den Gedanken der lailat al-qadr, der „Nacht der Bestimmung“, aus Q 97:1 wieder auf. Sie entspricht der kosmisch herausgehobenen Nacht, die besondere Gottesnähe verheißt und die in Judentum und Christentum liturgisch entsprechend ausgezeichnet ist. Der jüdische Kalender legt sie auf die Nacht des Versöhnungstages (siehe Zobel 1936:90f. zum abschließenden Gebet der „Schließung der Himmelstore“, Neʿila). Dagegen legt die christliche Tradition sie auf die Osternacht (siehe Lohse 1958 zu dem besonders bekannten christlichen Hymnus auf die Einzigartigkeit der Osternacht von Melito von Sardes). Auch die Weihnachtsnacht ist liturgisch hervorgehoben, Luxenberg (2003) hat Q 97 deswegen mit einem Weihnachtshymnus identifizieren wollen. Er ignoriert dabei aber die innerkoranisch eindeutigen kosmischen Implikationen der lailat al-qadr.
In Q 97 war lailat al-qadr noch mit dem vorislamischen heiligen Monat Raǧab verbunden (siehe Wellhausen 1897:98-100; Kister 1971 und HK 1zu). Sie wird auch noch in Q 44 erklärt als die Nacht, „in der alle weisen Beschlüsse gefällt werden“ (V. 4), als die „Nacht der Bestimmung“. Q 97: ʾinnā ʾanzalnāhu fī lailati l-qadr / wa-mā ʾadrāka mā lailatu l-qadr / lailatu l-qadri ḫairun min ʾalfi šahr / tanazzalu l-malāʾikatu wa-r-rūḥu fīhā bi-ʾiḏni rabbihim·min kulli ʾamr / salāmun hiya ḥattā maṭlaʿi l-faǧr („Wir sandten es herab in der Nacht der Bestimmung. / Weißt du, was ist die Nacht der Bestimmung? / Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate. / Die Engel steigen in ihr herab und der Geist mit der Erlaubnis ihres Herrn in jeder Sache. / Segen ist sie bis zum Anbruch der Morgenröte!“).
Doch während die Bezeichnung lailat al-qadr in Q 97 eindeutig die Vorstellung des Schicksals – qadr läßt qadar anklingen – evozierte, steht die Nacht in Q 44 in einem neuen – liturgischen – Zusammenhang: Die hier erstmals begegnende Qualifikation mubāraka (siehe zur Etymologie FVQ, S. 75; Horovitz 1964:47f.) gehört zur Doxologie tabāraka (siehe Q 55:78, wo tabāraka smu rabbika, „Gepriesen sei der Name deines Herrn“, die liturgieabschließende christliche Formel eiē to onoma kyriou eulogēmenon, „Der Name des Herrn sei gepriesen“, wiedergibt). Damit wird die vorher vor allem kosmisch konnotierte Zeit mit dem monotheistischen Gottesdienst verbunden.
Während in Q 97 der spätere Zusatz V. 4 hinsichtlich der Überbringer der Kommunikation für Eindeutigkeit sorgte (tanazzalu l-malāʾikatu wa-r-rūḥu fīhā bi-ʾiḏni rabbihim min kulli ʾamr, „Die Engel steigen in ihr herab und der Geist mit der Erlaubnis ihres Herrn in jeder Sache“), ist die Übermittlungsinstanz in Q 44 nicht explizit gemacht. Es ist unwahrscheinlich, daß auch hier Engel gemeint sind. Paret (KÜ, S. 548) erwägt „einen Gesandten“, ebenso Bobzin 2010:439. Der Gesandte als Empfänger ist auch in Q 97 impliziert; in Q 44 scheint es über ihn hinaus aber auch keine weitere Übermittlerinstanz zu geben. Die Verse V. 3 und V. 5 knüpfen damit an V. 3anzalnāhu an und stellen eine Verbindung zwischen der in kitāb impliziten Mose-Referenz und dem Verkünder her. Nicht mehr die geheimnisvolle, durch übernatürliche Kräfte vermittelte Eingebung von Gottes Wort steht zur Debatte, sondern die Instanz der Prophetie.
Darauf deuten auch die beiden parenthetischen Klauseln Q 44:3, Q 44:5, die in herausgehobener Stellung die Entsendung von Boten und Warnern thematisieren. Denn das Perfekt ʾinnā kunnā munḏirīn/mursilīn ist mit Reuschel (1968) im Sinne des durativen Aspekts zu verstehen; Q 44:3 und Q 44:5 sind also nicht wie bei Paret und Bobzin kontextfortsetzend und perfektisch, sondern parenthetisch und zeitneutral zu übersetzen als ‚Wir sind es ja, die warnen/herabsenden‘. Diese parenthetischen Klauseln (siehe dazu SKMS, S. 157-170; KTS, S. 753-757) sind stilistisch geeignet, die schwerwiegenden Aussagen des Redehauptstrangs durch semantisch kommentierende Puffer zu ‚entspannen‘ (siehe SKMS, S. 157-159). Ohne sie wäre die Aussagenfolge sperrig: „Wir sandten es herab in einer gesegneten Nacht ‚…‘, in der alle weisen Beschlüsse gefällt werden auf Weisung von uns ‚…‘, aus Barmherzigkeit ‚…‘“.
V. 7-8rabbi s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-mā bainahumā ʾin kuntum mūqinīn / lā ʾilāha ʾillā huwa yuḥyī wa-yumītu rabbukum wa-rabbu ʾābāʾikumu l-ʾawwalīn]V. 7 führt die Preisung Gottes als hörend und sehend mit weiteren Er-Prädikationen fort, die wieder durch eine parenthetische Klausel (ʾin kuntum mūqinīn) auseinandergehalten werden. V. 7 ist Zitat aus der Mose-Rede in Q 26:24: Gottes Macht, Leben und Tod zu geben, wurde schon – allerdings in umgekehrter Reihenfolge – in Q 53:43-44 auf Mose (und Abraham) zurückgeführt, nämlich als Inhalt der aṣ-ṣuḥuf al-ʾūlā: wa-ʾannahū huwa ʾaḍḥaka wa-ʾabkā / wa-ʾannahū huwa ʾamāta wa-ʾaḥyā („Daß er es ist, der weinen macht und lachen / und sterben und zum Leben erwachen“), vgl. HK 1 zu Q 53, siehe auch mittelmekkanisch Q 50:43, Q 15:23 und Q 26:81. Gerade die Macht, Leben und Tod zu geben, wird auch im Mose-Lied Dtn 32,39 hervorgehoben: ʾani ʾamit wa-ʾaḥayeh („Ich gebe Tod und gebe Leben“). Zu weiteren biblischen Zeugnissen, vor allem dem Gebet der Hanna (1 Sam 2,6), siehe TUK, Nr. 0152.
Schreiner (2012:251-261) hat die verschiedene Reihenfolge der Gedanken problematisiert (siehe auch O’Shaughnessy 1969:31). Nachdem aber die Belebung der Natur bereits auf die Wiederbelebung der Toten deutet, kann yuḥyī im doppelten Sinn als ‚Leben gebend‘ und ‚Leben wiedergebend‘ verstanden werden.
Zugleich findet mit dem Beharren auf der göttlichen Prärogative, Leben und Tod zu geben, eine Auseinandersetzung mit dem paganen Schicksalsglauben statt: Nicht das Schicksal (ad-dahr), das in vorislamischen Diskurs die Macht über Leben und Tod hat, sondern der eine Gott entscheidet darüber. Diese göttliche Verhängung des Todes wird bereits in einer der letzten frühmekkanischen Suren angekündigt: Q 56:60: naḥnu qaddarnā bainakumu l-mauta wa-mā naḥnu bi-masbūqīn („Wir haben unter euch den Tod verhängt, und niemand kann uns hindern“). Zu der sich in Mittelmekka durchsetzenden neuen Bewertung des Todes siehe die Einleitung (HK II/I S. 27f.) und den Kommentar zu Q 50.
Auch mit V. 8 stellt sich der Verkünder typologisch in die Nachfolge Moses, dessen Formulierung qāla rabbukum wa-rabbu ʾābāʾikumu l-ʾawwalīn aus Q 26:26 der seinen wörtlich entspricht (vgl. auch, vom Propheten Elia ausgesagt, Q 37:126). – Der Hinweis auf den Gott der Väter – bereits ein Argument des Mose (vgl. dazu Q 26:26) – überträgt die biblische Vätervorstellung ins Universale, die nun auch die Vorväter der Angesprochenen einbezieht. V. 8 ist mit seiner Doxologie ein typischer Hauptteil-Abschluss-Vers.
V. 9-11bal hum fī šakkin yalʿabūn / fa-rtaqib yauma taʾti s-samāʾu bi-duḫānin mubīn / yaġša n-nāsa hāḏā ʿaḏābun ʾalīm] Auf die hymnische Einleitung folgt eine Polemik mit anschließender Prophetentröstung; die Gegner verhalten sich ablehnend, nehmen die Ankündigung des Gerichts aus einem paganen Skeptizismus heraus nicht ernst; sie betrachten die Gott zugeschriebene Herrschaft über Leben und Tod als eine Prärogative der Schicksalsmacht. Dazu paßt die Aufforderung zu „spähen“, sich in Geduld zu üben, die in der Prophetentröstung am Surenschluß noch einmal aufgenommen wird (V. 59). Sie entspricht dem bereits in Q 52:30 thematisierten tarabbuṣ raib al-manūn, dem ‚Warten auf das Eintreffen des Schicksals‘: ʾam yaqūlūna šāʿirun natarabbaṣu bihī raiba l-manūn („Oder sagen sie: ‚Ein Dichter – laßt uns abwarten, was die Schicksalsmächte mit ihm tun!‘“), siehe dazu HK 1 zu Q 52. Dem Verkünder wird aufgegeben, auf den von Gott verhängten Jüngsten Tag zu harren (V. 59), während die Gegner auf das Eintreten des – von den Dichtern propagierten – blinden Schicksals ausblicken.
Die Einblendung einer ‚eschatologischen Szenerie‘ (yauma …; zur Textsorte siehe SKMS, S. 190 f.), beherrscht von einem alles einhüllenden Rauch, verweist zurück auf frühmekkanische Vorstellungen von der endzeitlichen Katastrophe in Form eines Bedecktwerdens: Q 88:1: hal ʾatāka ḥadīṯu l-ġāšiyah („Kam zu dir die Kunde von der Allbedeckenden?“). Verschiedene Bibeltexte erwähnen mit Rauch verbundene Vorzeichen einer göttlichen Selbstoffenbarung (Ex 19,18; 20,18; Jes 6,4; Ps 104,32; 144,5 und viele mehr). Man kann angesichts des von baṭša (V. 16) heraufbeschworenen Kriegsszenarios aber auch an Rauch als ein aus der Kriegspraxis bekanntes Strategem denken. Ghassan El Masri (mündliche Mitteilung) weist auf Poesieverse hin: al-Muraqqiš al-ʾakbar (in Mufaḍḍaliyyāt LIV.28) und an-Nābiġa aḏ-Ḏubyānī (in Ahlwardt 1870: 6:8).
V. 12-16rabbana kšif ʿanna l-ʿaḏāba ʾinnā muʾminūn / ʾannā lahumu ḏ-ḏikrā wa-qad ǧāʾahum rasūlun mubīn / ṯumma tawallau ʿanhu wa-qālū muʿallamun maǧnūn / ʾinnā kāšifu l-ʿaḏābi qalīlan ʾinnakum ʿāʾidūn / yauma nabṭišu l-baṭšata l-kubrā ʾinnā muntaqimūn] Eine direkte Rede der Bestraften am Jüngsten Tag begegnete schon in Q 37:27-34 und Q 50:27. Die Reue der bereits ihrer Strafe Ausgesetzten kommt zu spät (vgl. Q 89:23: wa-ǧīʾa yaumaʾiḏin bi-ǧahannama yaumaʾiḏin yataḏakkaru l-ʾinsānu wa-ʾannā lahu ḏ-ḏikrā, „Wenn jenen Tags Ǧahanna herangebracht wird, jenen Tags wird sich der Mensch besinnen, doch was nützt ihm dann die Besinnung?“). Die Bitte der Verurteilten um Erlaß der Strafe erinnert an die „Bilderreden“ des Ersten Henochbuchs (Hen 63,1-12; siehe TUK, Nr. 0912), ein apokalyptischer Text, dessen Bildlichkeit in mittelmekkanischer Zeit auch die Vorstellung von den Gerechten im Jenseits mitbestimmt hat. – Die in der Rückblende, die eine in die Zukunft projizierte Gegenwartsbeschreibung ist, geschilderte ablehnende Haltung der Zweifelnden gegenüber dem als ‚indoktriniert‘ und besessen abgelehnten Verkünder erinnert an diejenige der ‚Sich-Wundernden‘ in der etwas älteren Sure Q 50:2: bal ʿaǧibū ʾan ǧāʾahum munḏirun minhum fa-qāla l-kāfirūna hāḏā šaiʾun ʿaǧīb („Doch nein! Sie wundern sich darüber, daß ein Warner aus ihrer Mitte zu ihnen kam. Die Leugner sprechen: ‚Wundersames Ding!‘“). Der Vorwurf der Dämonenbesessenheit (maǧnūn) ist alt (vgl. Q 81:22; Q 51:52; Q 69:41; Q 68:2, Q 68:51; Q 52:29), sie assoziiert seine Inspirationsquelle mit der des Dichters durch Dämonen, die auch in Mittelmekka (in Q 26) noch zurückgewiesen werden muß (siehe dazu KTS, S. 685-689). Eine Deutung von maǧnūn als „verrückt“, „rasend“ in Anlehnung an Hos 9,7-8 erwägt David Kiltz (siehe TUK, Nr. 0783).
Die Unterstellung, der Verkünder sei belehrt worden (muʿallam), begegnet erstmals. Sie setzt die Wahrnehmung von ‚erworbenem‘, aus einer menschlichen Quelle bezogenem Wissen beim Verkünder voraus (siehe ähnlich auch später Q 25:4-25). Diese Selbstzeugnisse des Korans sind von Gilliot (1998) im Sinne eines Eingeständnisses von Informationsübernahmen gedeutet worden. Ob sich der Vorwurf an dieser Stelle auf den Sachverhalt der tatsächlich vorfindlichen Traditionen zu dem Zeichen des Rauchs (Ex 19,18; 20,18; Jes 6,4; Ps 104,32; 144,5) die Gegenstand der ‚Lehre‘ gewesen sein könnten, bezieht, ist nicht erkennbar. D.h. es ist unsicher, ob die biblischen Textstellen die Lehrinhalte seiner unterstellten ‚Gewährsleute‘ waren.
Die eschatologische Bitte der Gegner um Aufhebung der Strafe wird unter Wiedereinblendung der Gegenwart beantwortet: Sie werden ‚ein wenig‘, d.h. für kurze Frist, vor der Strafe bewahrt, doch werden sie „es immer wieder tun“, nämlich die Botschaft verwerfen und den Gesandten verleumden.
Der in der abschließenden Voraussage – einem elliptischen Zeitsatz – eingeführte Tag des großen Zuschlagens erinnert an frühmekkanisch Q 85:12: ʾinna baṭša rabbika la-šadīd („Wahrlich, der Schlag deines Herrn ist gewaltig“) und später Q 54:36: wa-la-qad ʾanḏarahum baṭšatanā fa-tamārau bi-n-nuḏur („Er hatte sie gewarnt vor unserem heftigen Zugriff, doch sie verwarfen die Warnungen“). Baṭša ist ein aus der Dichtung vertrautes Wort für einen heftigen Gewaltakt: Ein besonders prominenter Vers ist der von Muʿallaqa des ʿAmr: lanā d-dunyā wa-man amsā ʿalaihā / wa-nabṭišu ḥīna nabṭišu qādirīnā („Die Welt ist unser und alle die darauf sind; wenn wir angreifen, dann greifen wir mit Macht an“), siehe dazu Arberry 1957:209.
V. 17-21wa-la-qad fatannā qablahum qauma firʿauna wa-ǧāʾahum rasūlun karīm / ʾan ʾaddū ʾilayya ʿibāda llāhi ʾinnī lakum rasūlun ʾamīn / wa-ʾan lā taʿlū ʿala llāhi ʾinnī ʾātīkum bi-sulṭānin mubīn / wa-ʾinnī ʿuḏtu bi-rabbī wa-rabbikum ʾan tarǧumūn / wa-ʾin lam tuʾminū lī fa-ʿtazilūn] Beginn der narrativen zweiten Hälfte des Mittelteils. Die auf die Gerichtsdrohung an die Gegner folgende Erzählung von der Prüfung Pharaos bleibt ohne eindeutige Einleitung. Sie stellt sich nicht als vom Kontext abgehobene ‚Schriftlesung‘ dar, sondern liefert deutlich erkennbar eine heilsgeschichtliche Einkleidung der lokalen Situation, in der sich die Gegner gleichfalls in einer Prüfungssituation befinden, in der aber vor allem der Gesandte und die Seinen in einer Situation der Bedrängnis sind. Mose bleibt namentlich ungenannt, denn er tritt als ‚Typus‘ des Verkünders auf (siehe zu seiner Entwicklung in mekkanischer Zeit detailliert Neuwirth 2002 und KTS, S. 653-671).
Anders als in den früheren Pharao-Geschichten steht nicht die Vermittlung des Eingottglaubens im Zentrum. Vielmehr erbittet sich der Bote, der auf seine göttliche Vollmacht (sulṭān) verweist, daß seine Anhängerschaft, „die Gottesdiener“, seinem Schutz überlassen werden – vgl. dazu die sich in Q 96:9-10 spiegelnde Unterdrückung eines Gottesdieners aus der Anhängerschaft des Verkünders: ʾa-raʾaita llaḏī yanhā / ʿabdan ʾiḏā ṣallā („Was meinst du von dem, der hindert / einen Diener, wenn er betet?“) –, sowie Freiheit vor eigener Verfolgung. Die Szene, die stark auf die bedrängte Situation des Gesandten fokussiert, bildet offenbar die aktuelle Situation des Verkünders und seiner Anhänger ab.
V. 22-24fa-daʿā rabbahū ʾanna hāʾulāʾi qaumun muǧrimūn / fa-ʾasri bi-ʿibādī lailan ʾinnakum muttabaʿūn / wa-truki l-baḥra rahwan ʾinnahum ǧundun muġraqūn] Doch die Mission scheitert, so daß der Bote um göttliches Eingreifen bitten muß (vgl. dazu das Gebet Noahs, der in äußerster Bedrängnis explizit um Vernichtung der Gegner betet, in der etwa gleichzeitigen Sure Q 71). Die Begebenheit wird in die Form eines Dialogs gekleidet: Auf die Klage des Boten über die Unbotmäßigkeit des Volkes folgt der – nun wieder der biblischen Tradition folgende – Auftrag Gottes zum Auszug mit den Gottesdienern und zur unbedenklichen Durchquerung des Meeres, während die Gegner dem Tod durch Ertrinken anheimfallen sollen. Dem biblisch entsprechenden Auftrag Gottes an Mose in Ex 14,15-16 geht gleichfalls eine Gehorsamsverweigerung – jedoch seitens der Israeliten (Ex 14,11-12) – voraus. Mit ʾasra wird die bereits aus den beiden ausführlichen Mose-Geschichten in Q 20:77 (späterer Zusatz) und Q 26:52 bekannte Bezeichnung für den Exodus wiederaufgenommen. Hier wie dort erfolgt der Auszug ohne vorhergehende Bewältigung von Hindernissen – die weltgeschichtlich erschütternden Strafmaßnahmen gegen Ägypten, die der biblischen Erzählung ihre politische Dimension geben, sind in den koranischen Wiedergaben ausgeblendet. Es geht um die persönliche Rettung des Gesandten und der Seinen – Mose soll seinen Stab über das Meer erheben, um es zu spalten, so daß die Israeliten es trockenen Fußes (ba-yabbašah, so Ex 14,22) durchqueren können.
Die koranische Erzählung reduziert die Dramatik, indem sie die Durchquerung ohne explizites Wunder erfolgen läßt; auf die Außergewöhnlichkeit deutet lediglich rahwan („ruhig“). Es wird im allgemeinen als „weit auseinanderklaffend“ (Ambros 2004 nach Bell) gedeutet und sinnwidrig übersetzt (Paret: „Laß das Meer gespalten“, ähnlich Bobzin); die Erklärung scheint aus dem biblischen Bericht erschlossen. Für rahw findet sich in der Dichtung die Bedeutung „ruhig“, „langsam“ (siehe die Belege bei Ṭarafa 11:64 in Ahlwardt 1870), am ehesten auf die Bewegung der Menschen bezogen. Gemeint ist also wohl: Verlaß das Meer ruhigen Fußes (oder: als ruhiges Gewässer). Das Wunder der Meeresspaltung, das in anderen Suren beschrieben wird, ist hier offenbar nicht Thema.
V. 25-28kam tarakū min ǧannātin wa-ʿuyūn / wa-zurūʿin wa-maqāmin karīm / wa-naʿmatin kānū fīhā fākihīn / ka-ḏālika wa-ʾauraṯnāhā qauman ʾāḫarīn] Es folgt eine Klage über die Verluste der Bestraften, deren emphatischer Ton sich am ehesten aus der eigenen Nähe zur Katastrophe, d.h. der mitgedachten Beziehung des Geschehens auf die noch ihrer Bestrafung harrenden mekkanischen Gegner, erklärt, auf die vor allem die Nennung des maqām karīm zu verweisen scheint. – Die Zurücklassung der Segnungen Ägyptens könnte sich formal sowohl auf die zu Tode gekommenen Ägypter als auch auf die Israeliten beziehen. Doch scheint die Nachricht vom Erbe, das andere antreten – in Q 26:59 sind es die Israeliten –, auf die Ägypter zu verweisen. Im biblischen Kontext (Ex 16,1-3) wird der Verlust der Segnungen Ägyptens von den Israeliten für sich selbst beklagt, ohne daß jedoch Details übereinstimmten. Vielmehr ähneln die von den Ägyptern zurückgelassenen Zustände denen des wenig später thematisierten Paradieses (siehe V. 51-52: ʾinna l-muttaqīna fī maqāmin ʾamīn / fī ǧannātin wa-ʿuyūn). Die Schreiner (2012:282-292) aufgefallene Tatsache, daß hier nicht von einer Einnahme Palästinas, sondern einer Beerbung der bestraften Ägypter die Rede ist, zeigt das Desinteresse an der innerjüdisch so zentralen Landnahme an. Im Vordergrund steht der auch für die Hörer relevante Gedanke, daß Gott ein Volk durch ein anderes ersetzen kann, er begegnete schon in Q 70:40-41: ‚…‘ ʾinnā la-qādirūn / ʿalā ʾan nubaddila ḫairan minhum wa-mā naḥnu bi-masbūqīn („Wir vermögen / an ihrer Stelle bessere einzusetzen, niemand kann uns darin zuvorkommen“).
V. 29fa-mā bakat ʿalaihimu s-samāʾu wa-l-ʾarḍu wa-mā kānū munẓarīn] Die Zuschreibung von emotionalen Kräften an Himmel und Erde, das – freilich zurückgewiesene – Bild des Himmels und der Erde, die trauernd um strafweise zu Tode gekommene Menschen weinen, ist im Koran ungewöhnlich und ohne Parallele. Sie setzt die emotional geladene Klage der göttlichen Stimme aus V. 25-27 fort. Himmel und Erde werden im Koran allenfalls im Kontext ihrer Unterwerfung unter Gott personifiziert (siehe Q 84:1-5: ʾiḏa s-samāʾu nšaqqat / wa-ʾaḏinat li-rabbihā wa-ḥuqqat / wa-ʾiḏa l-ʾarḍu muddat / wa-ʾalqat mā fīhā wa-taḫallat / wa-ʾaḏinat li-rabbihā wa-ḥuqqat , „Wenn sich der Himmel spaltet, / sich seinem Herrn fügt und es recht ist, wenn die Erde sich ebnet, / auswirft, was in ihr ist, und sich ausleert / und sich ihrem Herrn fügt und es recht ist“). Anders im biblischen Kontext, wo der Himmel am Anfang des Mose-Liedes (Dtn 32,1-43), eines besonders zentralen biblischen Textes, emphatisch personifiziert ist: haʾazinu ha-šamayim wa-adabbera we-tišmaʿ ha-ʾareṣ ʾimre(y) fi („Hört zu, ihr Himmel wie ich rede, und höre, Erde, die Worte meines Mundes“, V. 1), doch bleibt das weitere Gedicht ohne Bezug zur Exodusgeschichte. Über einen Streit zwischen Himmel und Erde um die Aufnahme der gefallenen Ägypter berichtet dagegen eine Haggada bei Ginzberg 2003:561f.: “Was die an die Küste geschwemmten Leichen angeht, so blieben sie nicht unbestattet. Die Erde verschlang sie, als Belohnung dafür, dass Pharao die Gerechtigkeit der Bestrafung anerkannt hatte, die den Herrscher und sein Volk getroffen hatte. Bevor mit den Leichen auf diese Weise verfügt wurde, hatte es einen Streit zwischen Erde und Meer gegeben. Das Meer sprach zur Erde: ‘Nimm du deine Kinder wieder zu dir’, die Erde antwortete: ,Behalte du die, die du getötet hast!‘ Das Meer zögerte zu tun, wie die Erde verlangte, aus Furcht, dass Gott sie beim Jüngsten Gericht zurückfordern würde, und die Erde zögerte, weil sie sich mit Schrecken an den Fluch erinnerte, der über sie gesprochen worden war, da sie Abels Blut eingesogen hatte. Erst nachdem Gott einen Eid geschworen hatte, sie nicht für die Aufnahme der Leichen der Ägypter zu bestrafen, war die Erde bereit, sie zu verschlingen ”. (Bis auf die letzten beiden Sätze entspricht das dem Targum Neophyti zu Ex 15,12, siehe Kugel 1997:346.) Doch ist auch hier von einer emotionalen Beziehung zu den Getöteten nicht die Rede. Näher kommt der koranischen Aussage eine rabbinische Deutung; in bSanhedrin 39b heißt es: „Zu jener Zeit stimmten die himmlischen Heerscharen ein Loblied für den Heiligen, Er sei gepriesen, an, aber er widersprach ihnen und sagte: ‚Mein Werk [d.h. die Ägypter] wird im Meer ertränkt, wie könnt ihr also ein Loblied [zu meinen Ehren] anstimmen?‘“ (freundliche Mitteilung von Dirk Hartwig). Die koranische Aussage, Himmel und Erde hätten nicht um sie geweint, würde dann eine rabbinische Position, die den Wert selbst von ungläubigen und feindlichen Menschen vor Gott hervorhebt, negieren, aber immerhin ins Feld führen.
V. 30-33wa-la-qad naǧǧainā banī ʾisrāʾīla mina l-ʿaḏābi l-muhīn / min firʿauna ʾinnahū kāna ʿāliyyan mina l-musrifīn / wa-la-qadi ḫtarnāhum ʿalā ʿilmin ʿala l-ʿālamīn / wa-ʾātaināhum mina l-ʾāyāti mā fīhi balāʾun mubīn] Erst in einem Nachgang zur Erzählung werden die Israeliten beim Namen genannt. Ihre von Gott „mit Bedacht“ getroffene Erwählung vor allen Menschen begegnet hier erstmals. Sie klingt im Mose-Lied (Ex 15,1-19) an, V. 13: naḥita be-ḥaseddekha ʿam-zu gaʾaletta („In deiner Huld hast du dieses Volk, das du erlöst hast, geleitet“). Die ihnen gewährten Zeichen sind zur Prüfung – wohl als Exempla für die Späteren – gedacht. Die Privilegierung der Israeliten dürfte im Kontext ihrer neuen prototypischen Funktion für die Gemeinde stehen, die sich selbst in die Tradition der Mose-Anhänger stellt, sie wird später wiederholt zum Thema. Der Schluß der Erzählung verweist auf den Einleitungsvers zurück. Die Zeichen – vorher in den Kontext der Rettung vor Pharao gestellt – dürften die verschiedenen vorausgehenden Rettungsakte wie die Plagen einbegreifen, die gleichwohl von ihrer politischen Dimension entleert bleiben.
V. 34-36ʾinna hāʾulāʾi la-yaqūlūn / ʾin hiya ʾillā mautatuna l-ʾūlā wa-mā naḥnu bi-munšarīn / fa-ʾtū bi-ʾābāʾinā ʾin kuntum ṣādiqīn] Die Sure kehrt in ihrem Schlußteil zur polemischen Debatte zurück; es folgt eine Rede über die bereits in V. 9 heraufbeschworenen abwesenden Gegner, die die Auferweckung der Toten in Zweifel ziehen. Sie bedienen sich dabei sarkastisch der Redeweise der Gläubigen; denn der Ausdruck „unser erster Tod“ – im Sinne eines vorläufigen Todes, dem ein zweiter in Gestalt der Verdammung folgen kann – ist Bekenntnis zur Realität der Erweckung. Darauf verweist auch wieder die göttliche Verheißung eines nur vorläufigen, ersten Todes in V. 56. Die Rede vom ersten und zweiten Tod geht zurück auf Offb 20,6: epi toutōn ho deuteros thanatos ouk echei exousian („Über sie hat der zweite Tod keine Macht“), vgl. den Kommentar zu Q 37:58-59 und siehe TUK, Nr. 0547 und TUK, Nr. 0597. Wie zentral der Todesdiskurs aber gerade für die Weltsicht der heidnischen Zeitgenossen ist, zeigt die Herausforderung der Zweifler, der Verkünder solle die längst verstorbenen Vorväter erweckt wiedervorführen. Nur der empirische Beweis kann die im altarabischen Denken tief verwurzelte Überzeugung von der Macht und Endgültigkeit des Todes entkräften. Das Einklagen des sofortigen physischen Vollzugs der eschatologischen Verheißungen wird in mittelmekkanischer Zeit gängig (vgl. Q 17).
V. 37ʾa-hum ḫairun ʾam qaumu tubbaʿin wa-llaḏīna min qablihim ʾahlaknāhum ʾinnahum kānū muǧrimīn] In Erwiderung ihrer Leugnung werden die Zweifler ebenso sarkastisch mit historischen Ungläubigen, und zwar solchen aus der eigenen arabischen Geschichte, assoziiert, die bereits göttlicher Vernichtung anheimgefallen sind. Mit den ‚vor den Leuten des Tubbaʿ‘ bereits ausgelöschten Völkerschaften dürften die Bewohner von Leuke Kome (laika), Egra (al-Ḥiǧr) und die Arser (ʾaṣḥāb ar-Rass) gemeint sein. Das „Volk der Tubbaʿ“, das hier kalt als bereits vernichtet in Erinnerung gebracht wird, ist ein sensibles Thema der Polemik; denn es genießt – wie sich aus der Tradition noch erschließen läßt – als Träger der südarabischen Kultur hohes Ansehen im paganen arabischen Weltbild.
Der Name Tubbaʿ, der schon in Q 50:14 unkommentiert in einer Liste begegnete, wird in Teilen der islamischen Tradition als Sammelbezeichnung für die Könige von Himyar verstanden. Andere nehmen dagegen eine individuelle Figur der Vorzeit an, die von einigen sogar mit Abraha, dem in Q 95 unbenannt gelassenen Angreifer Mekkas, identifiziert wurde (siehe die Literaturnachweise in KU, S. 102 f.). Robin (2004) erwägt, Tubbaʿ – in Anlehnung an eine nachkoranische Tradition – mit einem bedeutenden südarabischen Herrscher des sechsten Jahrhunderts, Abū Karib Asʿad, zu identifizieren, angesichts von dessen religiöser und politischer Statur „es nicht überraschen würde, wenn sein Name oder einer seiner Beinamen als Name eines Propheten in Erinnerung geblieben wäre“ (siehe Robin 2004:878). Robin hat in einer neuen Untersuchung (2015:48-54) in Tubbaʿ eine koranische Evokation einer von uns nicht mehr identifizierbaren, im Jemen spielenden Katastrophe gesehen. Er gibt dieser Hypothese vor einer anderen den Vorzug, nach welcher erst die jemenitische Tradition eine koranisch vorgefundene vage Geschichtsanspielung auf ihre eigene himyaritische Vergangenheit bezogen habe.
Die im Koran sonst marginale Figur – sie begegnet nur noch ein weiteres Mal (Q 50:14), wieder in einem Straflegendenkatalog – spielt in Q 44:37 im Kontext der Konfrontation von pagan-arabischen und biblischen Wertevorstellungen aber eine wichtige Rolle (siehe zu Tubbaʿ die Lexikonartikel Firestone 2006 und Beeston 2000). Puin (2005:331-333) versucht, auch in Tubbaʿ eine Ortsbezeichnung aufzudecken. Er erwägt, das Konsonantengerüst vielmehr als ‚YBʿ‘ zu deuten, so daß eine Identifikation des im Koran ja nicht weiter bestimmten Tubbaʿ mit dem (allerdings seinerseits erschlossenen) Ortsnamen Yanbūʿ oder Yanbuʿ möglich würde, ein Ort, der in den Kontext der übrigen in Mittelmekka heraufbeschworenen Orte auf der Halbinsel oder angrenzend an sie wie Egra (al-Ḥiǧr), Leuke Kome (laika) und Sodom (al-muʿtafika) – siehe die Karte bei Puin 2005:339 – passen würde. Angesichts der Prominenz von Tubbaʿ in außerkoranischen Texten ist diese Hypothese aber wenig wahrscheinlich.
Der Gedanke der ‚Vernichtung‘ früherer Völker, ʾahlaknāhum, begegnet so explizit erst in mittelmekkanischer Zeit (Q 54:51: wa-la-qad ʾahlaknā ʾašyāʿakum fa-hal min muddakir, „Wir haben schon euresgleichen zugrunde gehen lassen, doch ist da jemand, der sich mahnen läßt?“). Vorher wurde ihr sie strafweise ereilender Untergang erzählt. Die Provokationsformel ʾa-hum + Elativ ʾam wird nach Q 79:27 auch in mittelmekkanischen Suren als polemisches Instrument gängig (vgl. Q 37:11).
V. 38-39wa-mā ḫalaqna s-samāwāti wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā lāʿibīn / mā ḫalaqnāhumā ʾillā bi-l-ḥaqqi wa-lākinna ʾakṯarahum lā yaʿlamūn] Neuer emphatischer Einsatz mit Verweis auf die kosmische Schöpfung; vgl. dazu den ebenfalls am Anfang eines Hauptteils stehenden mittelmekkanischen Vers Q 50:38, wo der Akzent jedoch auf Gottes Unermüdlichkeit liegt: wa-la-qad ḫalaqna s-samāwāti wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā fī sittati ʾayyāmin wa-mā massanā min luġūb („Wir haben doch Himmel und Erde und was zwischen ihnen in sechs Tagen geschaffen, ohne daß uns Ermüdung überkam“). Die Schöpfung ist Teil eines Wahrheit und Recht (ḥaqq) statuierenden göttlichen Plans, geschieht also nicht absichtslos (lāʿibīn). „Gerechtigkeit“ ist nur eine annähernde Übersetzung von ḥaqq, man könnte auch an „mit berechtigtem Plan“ denken. Absichtslos und planlos handelt dagegen die von den Paganen vertretene Schicksalsmacht, von der die Zweifler ausgehen.
V. 40-42ʾinna yauma l-faṣli mīqātuhum ʾaǧmaʿīn / yauma lā yuġnī maulan ʿan maulan šaiʾan wa-lā hum yunṣarūn / ʾillā man raḥima llāhu ʾinnahū huwa l-ʿazīzu r-raḥīm]Die Beschreibung des Tages der Entscheidung, yaum al-faṣl (entsprechend hēmera kriseōs, Mt 10,15; 12,36; Lk 21,22.34; siehe HK 1 zu Q 78:17), als einer Situation des Auf-sich-selbst-gestellt-Seins ist bereits aus frühmekkanischen Texten bekannt. Die ausbleibende Hilfe seitens der Beschützer – gemeint sind am ehesten die in Mittelmekka auch sonst als eschatologische Streitpartei thematisierten Nebengötter (vgl. Q 54:44) – kam bereits in Q 37:25 zur Sprache. – V. 42 ist eine spätere Verdiktmilderung, die die Situationsbeschreibung der Verdammten, die in V. 43ff. weitergeht, unterbricht; der Vers dürfte in Spätmekka hinzugekommen sein (siehe dazu „Literarkritik“).
V. 43-50ʾinna šaǧarata z-zaqqūm / ṭaʿāmu l-ʾaṯīm / ka-l-muhli yaġlī fi l-buṭūn / ka-ġalyi l-ḥamīm / ḫuḏūhu fa-ʿtilūhu ʾilā sawāʾi l-ǧaḥīm / ṯumma ṣubbū fauqa raʾsihī min ʿaḏābi l-ḥamīm / ḏuq ʾinnaka ʾanta l-ʿazīzu l-karīm / ʾinna hāḏā mā kuntum bihī tamtarūn] Die Ankündigung der Strafe mündet in eine Höllenbeschreibung ein, die sogleich auf den Zaqqūm-Baum rekurriert, der bereits frühmekkanisch in Q 56:52 (vgl. dazu HK 1) und wieder mittelmekkanisch in Q 37:62-68 (siehe den Kommentar) beschrieben worden war, nun aber in seiner organverbrennenden Wirkung noch konkreter ausgemalt wird. Radscheit (2010), der – nicht völlig überzeugend – zaqqūm aus einer Verballhornung der syrischen Bezeichnung für Feigenbaum (sykos) ableiten will (siehe HK I zu Q 56:52 und den Kommentar zu Q 37:62), hat die wichtige intertextuelle Beziehung des Höllenbaums als einer Perversion des Paradiesbaums erkannt. Wie dieser ein „Begehren der Augen“ (taʾavah-huʾ la-ʿenayim, Gen 3,6) bewirkt, so löst jener ein unstillbares Begehren des Bauches aus, dessen Befriedigung große Qualen verursacht. Siedende Getränke werden auch anderswo thematisiert (Q 78:24-25, Q 56:42, Q 56:54, Q 56:93; mittelmekkanisch: Q 37:57). – Der Auftrag an die Höllenwärter ist aus Q 69:30-31 bekannt: ḫuḏūhu fa-ġullūh / ṯumma l-ǧaḥīma ṣallūh („Ergreift ihn und fesselt ihn! / Dann laßt ihn im Höllenfeuer brennen!“). Hier folgen noch die zynische Aufforderung zum ‚Genuß‘ der pervertierten Bewirtung (so schon Q 51:14: ḏūqū fitnatakum hāḏā llaḏī kuntum bihī tastaʿǧilūn, „Schmeckt eure Prüfung! Das ist es, was ihr beschleunigen wolltet!“) und die Erinnerung an die frühere Verhöhnung in den Höllendrohungen. Der Bestrafte wird zynisch mit seinen paganen Ehrentiteln als „mächtig und edel“ angesprochen, die ihn als Vertreter altarabischer Werte, besonders der Gastfreundschaft, ausweisen.
V. 51-53ʾinna l-muttaqīna fī maqāmin ʾamīn / fī ǧannātin wa-ʿuyūn / yalbasūna min sundusin wa-ʾistabraqin mutaqābilīn] Die Paradiesbeschreibung, die mit ǧannātin wa-ʿuyūn die Charakterisierung Ägyptens aus V. 25-27 wiederaufnimmt, schließt im Übrigen aber mit dem Gelageszenario (mutaqābilīn, vgl. Q 54:15, Q 15:47) an frühe Schilderungen des Paradieses als eines materiell luxuriös ausgestatteten Raumes an (ʾistabraq als preziöse Importtextilie begegnete schon in Q 55:54). Hier sind die Luxustextilien (siehe FVQ, S. 58-60) aber nicht Ausstattung des Raums, in den die Seligen geladen sind, vielmehr dienen die aus kostbaren, offenbar aus einem anderen Kulturraum geläufigen Stoffe (siehe zu dem etymologisch ungeklärten sundus FVQ, S. 179) der Einkleidung der Seligen. Dieses Detail verweist auf den – in mittelmekkanischer Zeit durch apokalyptische Texte wie das Erste Henochbuch geprägte Bilder vermittelten – Status der Seligen als Teil des himmlischen Hofstaats; sie sind nun nicht mehr nur anwesend, sondern selbst ‚eingekleidet‘ (vgl. dazu den Kommentar zur etwa gleichzeitigen Sure Q 76:21). Dennoch bleibt das zentrale Element der apokalyptischen Jenseitsbeschreibungen, die unmittelbare Nähe Gottes, ausgeblendet, lediglich zwei Paradiesevokationen (Q 75:22-23: wuǧūhun yaumaʾiḏin nāḍirah / ʾilā rabbihā nāẓirah, „Gesichter werden jenen Tags strahlend blicken, / zu ihrem Herrn aufschauend“ und wieder Q 54:54-55: ʾinna l-muttaqīna fī ǧannātin wa-nahar / fī maqʿadi ṣidqin ʿinda malīkin muqtadir, „Die Gottesfürchtigen sind in Gärten und an Flüssen / auf dem Sitz der Gerechten, bei einem allbestimmenden König“) bilden diese Vorstellung ab. Muttaqīna dürfte dem liturgisch zentralen Ideal der eusebeia, also eusebeis, entsprechen; zu möglichen weiteren Entsprechungen siehe TUK, Nr. 0647. Es übersetzt allerdings noch genauer phobos theou („Gottesfurcht“, yirʾat YHWH wie Jes 11,2-3 [siehe TUK, Nr. 0647], siehe auch Ps 19,10).
V. 54-57ka-ḏālika wa-zawwaǧnāhum bi-ḥūrin ʿīn / yadʿūna fīhā bi-kulli fākihatin ʾāminīn / lā yaḏūqūna fīha l-mauta ʾilla l-mautata l-ʾūlā wa-waqāhum ʿaḏāba l-ǧaḥīm / faḍlan min rabbika ḏālika huwa l-fauzu l-ʿaẓīm] Im Vordergrund stehen weiterhin die Paradiesesfreuden; vgl. zur Vermählung mit Jungfrauen schon frühmekkanisch Q 52:20, allgemeiner, als Gefährtinnen der Seligen, begegnen die Frauen in Q 56:22-24, Q 56:35-37 und Q 55:56, Q 55:70, Q 55:72, mittelmekkanisch in Q 37:48. Zunächst wurde lediglich die Anwesenheit von Frauen konstatiert (Q 78:33). Zur These von Horovitz (1964 und 1975), der in den koranischen Paradiesbeschreibungen Reflexe poetischer Gelageszenen sehen wollte, siehe KTS, S. 711-716, wo auch eine tieferreichende Verbindung zwischen der Natur- und der Gesellschaftswahrnehmung in Koran und Poesie hergestellt wird; dort werden die Paradiesbeschreibungen, die das Verlustszenario aus dem Einleitungsteil der altarabischen Qaside, dem nasīb, umkehren, als Formen der im Koran verfolgten Kontingenzbewältigung diskutiert.
Zu dem in der Dichtung ubiquitären Schönheitsideal der ḥūr ʿīn siehe TUK, Nr. 0809. Aḥwar (Femininum ḥaurāʾ, Plural ḥūr) zielt auf den starken Kontrast zwischen schwarzer Pupille und weißem Augapfel, der für Wildkühe charakteristisch und in der Dichtung als Abbreviatur für „schönäugige Frau“ in Gebrauch ist. Horovitz (1975:67) zitiert mehrere Dichterverse, in denen ḥūr metonymisch für schön(äugig)e Frauen begegnen, darunter von al-Aʿšā (bei Geyer 1905:196; 1919:80): wa-miskun wa-raiḥānun wa-rāḥun tuṣaffaqū / wa-ḥūrun ka-ʾamṯāli d-dumā wa-manāṣifū („Und Moschus und Basilikum und gewässerter Wein / und großäugige Schöne gleich Statuen und Diener“). Dasselbe Schönheitsideal reflektiert sich in Homers boōpis Athēnē, der „kuhäugigen“ Athene (siehe dazu Saleh 2008:109, der allerdings von einer direkten Übernahme ausgeht). ʿīn ist Plural zu aʿyan, das ebenfalls auf die Ausdrucksstärke der Augen zielt.
Wieder wird betont, daß den Seligen nur der „erste“, d.h. der vorläufige Tod bevorsteht, ein Gedanke, der in V. 35 noch Gegenstand der Verhandlung war. – Der bildhafte Ausdruck „den Tod schmecken“ – der hier organisch in ein Bewirtungsszenario eingepaßt ist – entstammt den Evangelien, wo Jesus voraussagt (Mt 16,28): Legō hymin hoti eisin tines tōn hōde estōtōn hoitines ou mē geusōntai thanatou heōs an idōsin ton hyion tou anthrōpou erchomenon en tē basileia autou („Ich sage euch: Einige von denen, die hier stehen, werden den Tod nicht schmecken, bevor sie sie den Menschensohn in seiner Herrschaft kommen sehen“; vgl. Mk 9,1; Lk 9,27 und siehe TUK, Nr. 0547). – Die Bewahrung vor der Höllenstrafe wird aus Q 52:18, Q 52:27 wiederaufgenommen.
V. 58-59fa-ʾinnamā yassarnāhu bi-lisānika laʿallahum yataḏakkarūn / fa-rtaqib ʾinnahum murtaqibūn] Abschließender Prophetentrost – mit Rückbezug auf V. 10 – durch Hinweis auf die leichtgemachte Lesung. Der Vers nimmt den Refrain aus Q 54:17, Q 54:22, Q 54:32, Q 54:40: wa-la-qad yassarnā l-qurʾāna li-ḏ-ḏikri fa-hal min muddakir („Wir machten die Lesung leicht zur Mahnung: Doch ist da jemand, der sich mahnen läßt?“) wieder auf, jedoch mit neuem Akzent auf die Sprache und – durch das mehrdeutige lisān nahegelegt – auf die Artikulation durch den Verkünder. Zwar ist nicht ausdrücklich von ‚arabischer Sprache‘ die Rede, doch wird das bereits in Q 26:195 thematisierte Sprachenkriterium, wie Dayeh (2010) gezeigt hat, in den mit ḥāʾ-mīm eingeführten Suren, den sog. ḥawāmīm (siehe oben zu V. 1), zu einem zentralen Diskurs. Dennoch könnte bi-lisānika auch „mit Hilfe deiner Zunge“ meinen. Denn auf den Prozeß der Artikulation nimmt auch Q 75:16 Bezug: lā tuḥarrik bihi lisānaka li-taʿǧala bih („Bewege deine Zunge nicht mit ihm, damit du es nicht übereilst“). Die Disposition des Verkünders wäre dann in Kontrast zu der des Mose gestellt, dessen Zunge eine Verknotung (ʿuqda) aufweist; in Q 26:13 heißt es: wa-yaḍīqu ṣadrī wa-lā yanṭaliqu lisānī („Mir ist eng ums Herz, und meine Zunge ist nicht gelöst. So schicke doch zu Aaron!“), siehe auch die bereits frühere Sure Q 20:27: wa-ḥlul ʿuqdatan min lisānī („löse mir den Knoten von der Zunge“). In Q 44:58 dürften beide Aussagen mitschwingen.
In einem Rückverweis auf den Anfangsteil (fa-rtaqib) wird noch einmal die Aufforderung zur abwartenden Beobachtung ausgesprochen, da die Gegner gleichfalls beobachten; doch während der Verkünder auf das Eintreffen der Verheißung wartet, harren die Ungläubigen des Gangs des Schicksals (siehe oben zu V. 10).
Literaturliste
Der einleitende Hymnus auf die Vermittlung der Botschaft in der Nacht der Bestimmung nimmt die frühmekkanische Sure Q 97 wieder auf, legt nun aber den Akzent nicht mehr auf das rätselhaft-übernatürliche, durch Engel vermittelte Kommunikationsereignis, sondern betont den Faktor der Botenentsendung. Die Nacht ist nicht mehr kosmisch, sondern monotheistisch-liturgisch konnotiert. Es folgt eine kurze Polemik, einmündend in eine Rückblende, die die Gegner als Verleumder des Verkünders zitiert: Er wird als ‚belehrt und besessen‘ (V. 14) verunglimpft. Während die Besessenheit bereits ein Topos ist (vgl. Q 81:22; Q 51:52; Q 69:41; Q 68:2, Q 68:51; Q 52:29), ist der Vorwurf, menschliche Lehrer zu haben, neu. Er setzt die gegnerische Wahrnehmung von ‚erworbenem‘, von menschlichen Vermittlern übernommenem, nicht aus übernatürlicher Quelle stammendem Wissen seitens des Verkünders voraus. Eine historische Einordnung des Vorwurfs in die Prophetenvita ist gegenwärtig noch nicht möglich.
Gänzlich neu ist auch die besondere Akzentsetzung der Pharao-Geschichte, in der das lokale mekkanische Szenario typologisch mit dem biblischen verschmilzt. In der Prüfung des Volkes Pharaos spiegelt sich die Prüfungssituation der zeitgenössischen Gegner. Die Klage des ungenannt bleibenden Boten über seine Bedrängnis gibt der Situation des Verkünders Ausdruck, sie erinnert zugleich an das aus derselben Zeit stammende Gebet Noahs in Q 71, der um die Vernichtung seiner Feinde betet. Gebete werden in Frühmittelmekka zu einem wichtigen neuen Ausdrucksmittel, eine Entwicklung, die gewiß nicht ganz unabhängig von der Einführung der Fātiḥa als Gemeindegebet gesehen werden kann.
Die Erzählung kulminiert im Auszug der Gottesdiener und im Untergang der Leute des Pharao. Ihre Verlustsituation – sie lassen paradiesische Lebensverhältnisse hinter sich – ist, einzigartig im Koran, in die Form einer Klage gekleidet. Sie attestiert eine emotionale Beteiligung des Sprechers, die noch einmal auf die Nähe der Katastrophe, die bei ausbleibender Umkehr auch die mekkanischen Hörer treffen wird, verweist. Um die innere Beteiligung des göttlichen Schicksalslenkers am Ergehen seiner Geschöpfe geht es auch im Folgenden: Die in der jüdischen Tradition noch diskutierte Frage der Betrauernswürdigkeit der Feinde wird im Koran kategorisch negativ entschieden. Der in der Geschichte exemplifizierte Verlust des Bequemlichkeit und Prestige verbürgenden Siedlungsortes als Strafe für die Repression eines Gottesvolkes dient als abschreckendes Beispiel; denn auch Mekka kann als maqām karīm („ansehnlicher Aufenthaltsort“), als Basis für ein angenehmes Leben (vgl. V. 27: naʿmatin kānū fīhā fākihīn), gelten, die gefährdet ist.
Zum ersten Mal begegnet der Gedanke der wohlbedachten Erwählung der Banū ʾIsrāʾīl vor allen Menschen, iḫtarnāhum ʿalā ʿilmin ʿalā l-ʿālamīn („Wir erwählten sie mit Bedacht vor allen Menschen “, V. 32), sie werden von nun an immer deutlicher in ihrer Vorbildrolle für die Gemeinde erkennbar. Dieser Wahrnehmung entspricht die hier nicht nur narrativ, sondern auch auf einer subtextuellen Ebene etablierte Typologie zwischen Mose und dem Verkünder: Die Schrift erhalten zu haben ist Prärogative des Mose, wenn dies auch bis dahin zumeist nur implizit ausgesprochen wurde. So nannte Q 52:1-2: wa-ṭ-ṭūr / wa-kitābin masṭūr („Beim Berg Sinai! / Und bei einer Schrift, niedergeschrieben“) Mose nicht ausdrücklich, noch erwähnte ihn Q 95:1-3: wa-t-tīni wa-z-zaitūn / wa-ṭūri sīnīn / wa-hāḏā l-baladi l-ʾamīn („Beim Feigenbaum und Ölbaum! Beim Berg Sinai und dieser sicheren Stadt“). Genannt wurden dagegen die ṣuḥuf Ibrāhīm wa-Mūsā, die „Blätter Abrahams und Moses“ (Q 87:19, Q 53:36); doch erst in der mittelmekkanischen Sure Q 37:117 wird Mose – in Personalunion mit Aaron – mit der Schrift belehnt: wa-ʾataināhum l-kitāba l-mustabīn („[Wir] gaben beiden die Klarheit schaffende Schrift“).
Mit dem kitāb-Schwur am Surenanfang ist Mose folglich als der Prototyp des Schriftempfängers bereits heraufbeschworen. Daß die Herabsendung des Wortes Gottes (-hu) laut Q 44:3 an den Verkünder ergeht, macht diesen von Anfang an zu einem Antitypus Moses. Der Surenschluß mit der Unterstreichung der ‚leichtgemachten Lesung‘ (fa-ʾinnamā yassarnāhu bi-lisānika) trägt allerdings eine Differenzierung nach: Während Mose – wie aus Q 20:27 und späteren Suren erhellt – unter einer ‚Verknotung seiner Zunge‘ leidet, kommt die Lesung dem Verkünder leicht über die Zunge.
Im dritten Teil begegnet neu der emphatisch vorgetragene Gedanke der in einem göttlichen Plan stehenden Schöpfung. Dagegen schließt die in die Höllenbeschreibung eingeführte Polemik um den „ersten Tod“ eng an Q 37:59 an. Die militärische Metapher wa-lā hum yunṣarūn (V. 41) nimmt ein Bild aus Q 54:33 und Q 37:25 wieder auf, das endzeitliche Kriege zwischen den Heerscharen Gottes und den Nebengöttern der Gegner evoziert (siehe den Kommentar zu Q 54 und Q 37). In der Paradiesbeschreibung fällt der Rückgriff auf die auch in Q 76:21 begegnenden Gewänder der Seligen auf, mit denen sie – entsprechend den Gerechten aus der apokalyptischen Literatur – in den himmlischen Hofstaat integriert werden. Die Sure ist daher in die Gruppe Q 54, Q 37, Q 50, Q 20, Q 26, Q 15, Q 71, Q 76 einzuordnen, wohl am ehesten nach Sure Q 71, in der die Bitte des Gesandten um Vernichtung einer gegnerischen Gruppe noch etwas plakativer als in Q 44 gestaltet ist.
Die Sure entspricht in ihrer Struktur dem sich bereits am Ende der frühmekkanischen Zeit einspielenden dreiteiligen Schema, bei dem eine biblische Erzählung im Mittelteil steht, wenn diese Erzählung hier auch in die Argumentation integriert scheint, statt wie sonst als ‚Lesung‘ außerhalb der diskursiven Auseinandersetzung mit den Hörern zu stehen. Die Sure beginnt mit einem Schwur, wie er seit Q 50:1 (wa-l-qurʾāni l-maǧīd, „bei der preisenswerten Lesung“) nicht mehr sakralen Orten bzw. Zeiten oder apokalyptischen Erscheinungen gilt, sondern selbstreferentiell der Offenbarung. Hier ist jedoch im Schwur selbst ausdrücklich von „Schrift“, d.h. der Quelle der Offenbarung, die Rede. Es folgt dann aber eine Aussage über den Empfang der „Lesung“, der für die Menschen aktualisierten Manifestation der Schrift. Ihre Kommunikation erfolgt während der Nacht der Bestimmung. Der Gedanke ist eingebettet in einen Hymnus auf Gott als Entsender von prophetischen Boten, eine Korrektur der in Q 97 gebotenen kosmisch orientierten Darstellung.
Der hymnisch eingeleitete Anfangsteil fährt polemisch fort; die stark betonte Macht Gottes über Leben und Tod (V. 8), die der paganen Schicksalsgläubigkeit diametral widerspricht, stößt auf Zweifel. Die Androhung einer bereits früher genannten Katastrophe, vom Himmel fallender Rauch, löst nur Spott gegenüber dem Verkünder aus, gipfelnd in der Unterstellung, er erhalte von einem Außenstehenden Belehrung. Rück- und Vorausblenden, die die Situation der Gegner als arrogante Zweifler, dann – im Jenseits – als reuige Sünder beleuchten, beleben den Bericht.
Der Mittelteil, sonst abgehoben, hier eher beiläufig eingeführt, gilt einer – deutlich als Analogie zur Prüfungssituation der Gegner präsentierten – Prophetenerzählung, die bereits mehrmals ausführlich entfaltet worden war. Der Akzent liegt aber nicht auf der aktiven Rolle des Boten noch auch auf der wunderbaren Rettung, sondern auf der desolaten Lage der Gläubigen: Der ungenannte Bote fordert, daß ihm die Gottesdiener überlassen werden und er selbst unbehelligt bleiben kann, eine nur locker an die Exodusgeschichte angelehnte Darstellung, die vor allem auf den Verkünder paßt. Auf sein Gebet hin erhält der Bote den göttlichen Auftrag, mit den Gottesdienern auszuziehen, wobei der wunderbare Durchzug durchs Schilfmeer trockenen Fußes, in seiner Formulierung ein Zitat aus Q 20 und Q 26, nur angedeutet wird. Der Fokus gilt Pharaos Untergang und dem Verlust seiner Liegenschaften, die an andere Besitzer übergehen. Insofern sich hier die privilegierten Lebensumstände in Mekka spiegeln, ist der Fall Pharaos warnendes Beispiel: Gottes ‚wohlbedachte‘ Erwählung eines privilegierten Volkes, dessen Gegner dann der Bestrafung verfallen, kann sich wiederholen. Typus und Antitypus sind hier narrativ bereits ineinander verwoben. Wie anderswo auch, so wird hier die Exodusgeschichte zunächst entpolitisiert, indem die dem Auszug vorausgehenden Plagen, die im biblischen Bericht als staatsgefährdende göttliche Eingriffe in die ägyptische Geschichte dargestellt sind, ausgeblendet bleiben, so daß der Exodus im Koran auf eine persönliche Rettungsaktion heruntergeschaltet wird. Die Erzählung wird aber wieder politisiert, insofern sie die Gefährdung des mekkanischen Staatswesens signalisiert.
Der Schlußteil setzt mit dem Zitat einer provokanten Aussage der Gegner ein, die die Auferstehung, d.h. das, was über den ersten, natürlichen Tod hinausgeht, in Abrede stellen. Daß der Gedanke an den Tod in der paganen Gesellschaft Allpräsenz besitzt, daß das Bewußtsein des jederzeit lauernden, aber keiner Ordnung unterworfenen Todes dem gesamten Ethos der altarabischen Dichtung unterliegt, ist von Hamori (1974:3-30) und wieder von al-Kindy (1988:35-80) deutlich herausgearbeitet worden. Die Entmachtung des Todes als nur vorläufig, als „erster Tod“, widerspricht diesem Ethos diametral. Die Paganen fordern daher den empirischen Beweis, die physische Vorführung der Erweckung. Doch spricht der Akt der Schöpfung als solcher bereits für den ihm unterliegenden Plan, nämlich ḥaqq („Recht“) zu etablieren, eine Anspielung auf den Leben und Tod mit einer Ordnung überwölbenden Gerichtstag.
Eine kurze eschatologische Szenerie geht über in eine Höllenbeschreibung, die ganz auf den Zaqqūm-Baum als Emblem der pervertierten Gastfreundschaft in der Hölle – die Gottes mit dem Paradiesbaum erwiesene Großmut in ihr Gegenteil wendet – konzentriert ist. Diese Umkehrung der im paganen Kontext zentralen sozialen Praxis der Gastfreundschaft (siehe zu ihr Hamori 1974:10-12) ist Ausdruck der Verhöhnung der Gegner, die sich selbst als „edel“ (karīm) verstehen und sarkastisch auch so angesprochen werden (V. 49). Es folgt eine kontrastierende Einblendung der Seligen im Paradies, denen dort ein Tod über den ersten hinaus, also eine eschatologische Strafe, erspart bleibt. Eine Prophetenbestätigung, die Versicherung der Gabe, die Lesung ohne Hemmung – oder: in der Muttersprache – vortragen zu können, und ein zum Abwarten mahnender Schlußruf beschließen die Sure.
Literaturliste
Bereits der einleitende Hymnus spricht Hörer an (V. 7-8). Die Rede verlagert sich dann auf abwesende Zweifler, die in einer Vorausblende ihrer jenseitigen Bestrafung (V. 12) zwar sprechen, aber keine Anrede erfahren. In der Wiedereinblende der realen Zeit provozieren sie – wiederum in einer von ihnen nur kolportierten Rede – den Verkünder mit Unterstellungen, die seine Autorität untergraben. Die Rede an sie geht nicht als Anrede, sondern indirekt weiter: Eine nur oberflächlich heilsgeschichtlich eingekleidete Erzählung exemplifiziert die Fatalität ihres Verhaltens, der Unterdrückung eines Gottesvolkes, sie kulminiert im Tod und in der Enterbung der Unterdrücker und der Erwählung des Gottesvolkes. Das in V. 8 begonnene Gespräch über die Macht über Leben und Tod wird im Schlußteil wiederaufgenommen. Die vom Propheten vertretene Zuschreibung dieser Macht an Gott widerspricht dem Schicksalsglauben der Gegner, nach welchem der Tod allgegenwärtig und unwiderruflich ist. Ihm kann vom Menschen nur mit Todesmut, d.h. mit absoluter Verlustbereitschaft, begegnet werden – ein Ethos, das man bei den „Zweiflern“ voraussetzen kann. Der Umdeutung des Todes treten sie in direkter Rede (V. 34-36) entgegen. Weitere Rede wird ihnen nicht konzediert, vielmehr widerlegt der weitere Text durch Einblenden des postmortalen Weiterlebens ihr Todesverständnis; er invertiert darüber hinaus auch ihre – letztlich auf Todesverachtung basierende – zentrale Tugend der großzügigen Gastfreundschaft, die sie selbst in pervertierter Form, die Gerechten aber in Üppigkeit von Gott erfahren.
Die gesamte Aussage wird autorisierend gerahmt durch eine Prophetentröstung am Anfang, die indirekte Bestätigung, eine ‚Herabsendung‘ erfahren zu haben, und eine weitere Tröstung am Schluß, die das Vertrauen in die Sprache, aber auch in die göttliche Macht über die Zukunft bestärkt.