بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
الٓمٓ |
I11 ʾAlif Lām Mīm. |
تَنزِيلُ ٱلۡكِتَٰبِ |
2 Herabsendung der Schrift |
لَا رَيۡبَ فِيهِ |
– an ihr ist kein Zweifel – |
مِن رَّبِّ ٱلۡعَٰلَمِينَ |
vom Herrn der Welten. |
أَمۡ يَقُولُونَ ٱفۡتَرَىٰهُۖ |
3 Oder sagen sie: „Das hat er sich ausgedacht“? |
بَلۡ هُوَ ٱلۡحَقُّ مِن رَّبِّكَ لِتُنذِرَ قَوۡمًۭا |
Aber nein, es ist die Wahrheit von deinem Herrn, damit du Leute warnst, |
مَّآ أَتَىٰهُم مِّن نَّذِيرٍۢ مِّن قَبۡلِكَ |
zu denen kein Warner vor dir kam, |
لَعَلَّهُمۡ يَهۡتَدُونَ |
dass sie sich leiten lassen! |
ٱللَّهُ ٱلَّذِی خَلَقَ ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضَ وَمَا بَيۡنَهُمَا فِی سِتَّةِ أَيَّامٍۢ |
24 Gott ist es, der die Himmel, die Erde und was dazwischen ist in sechs Tagen erschuf. |
ثُمَّ ٱسۡتَوَىٰ عَلَى ٱلۡعَرۡشِۖ |
Dann setzte er sich aufrecht auf den Thron nieder. |
مَا لَكُم مِّن دُونِهِۦ مِن وَلِیٍّ وَلَا شَفِيعٍۖ |
Außer ihm habt ihr keinen Beistand und keinen Fürsprecher. |
أَفَلَا تَتَذَكَّرُونَ |
Lasst ihr euch denn nicht erinnern? |
يُدَبِّرُ ٱلۡأَمۡرَ مِنَ ٱلسَّمَآءِ إِلَى ٱلۡأَرۡضِ |
5 Er lenkt das Wort vom Himmel zur Erde. |
ثُمَّ يَعۡرُجُ إِلَيۡهِ فِی يَوۡمٍۢ |
Dann kehrt es zu ihm zurück an einem Tag, |
كَانَ مِقۡدَارُهُۥٓ أَلۡفَ سَنَةٍۢ مِّمَّا تَعُدُّونَ |
dessen Maß nach eurer Zählung tausend Jahre sind. |
ذَٰلِكَ عَٰلِمُ ٱلۡغَيۡبِ وَٱلشَّهَٰدَةِ ٱلۡعَزِيزُ ٱلرَّحِيمُِ |
36 Derart ist der Wissende des Verborgenen und des Offenbaren, der Mächtige und Barmherzige, |
ٱلَّذِیٓ أَحۡسَنَ كُلَّ شَىۡءٍ خَلقَهُۥ |
7 der alles gut gemacht hat bei seiner Schöpfung; |
وَبَدَأَ خَلۡقَ ٱلۡإِنسَٰنِ مِن طِينٍ |
Und er begann den Menschen aus Lehm zu erschaffen, |
ثُمَّ جَعَلَ نَسۡلَهُۥ مِن سُلَٰلَةٍۢ مِّن مَّآءٍۢ مَّهِينٍۢ |
8 dann machte er seine Nachkommen aus dem Extrakt wertlosen Wassers. |
ثُمَّ سَوَّىٰهُ وَنَفَخَ فِيهِ مِن رُّوحِهِۦ |
9 dann formte er sie und blies in sie von seinem Geist. |
وَجَعَلَ لَكُمُ ٱلسَّمۡعَ وَٱلۡأَبۡصَٰرَ وَٱلۡأَفۡـِٔدَةَۚ |
Und er gab euch Gehör, Gesicht und Herz. |
قَلِيلًۭا مَّا تَشۡكُرُونَ |
Wie wenig dankbar seid ihr! |
وَقَالُوٓا۟ أَءِذَا ضَلَلۡنَا فِی ٱلۡأَرۡضِ أَءِنَّا لَفِی خَلۡقٍۢ جَدِيدٍۭۚ |
II410 Sie sagen: „Sollen wir etwa, wenn wir uns in der Erde verloren haben, in einer neuen Schöpfung sein?“ |
بَلۡ هُم بِلِقَآءِ رَبِّهِمۡ كَٰفِرُونَ |
Nein, sie glauben nicht an die Begegnung mit ihrem Herrn. |
قُلۡ يَتَوَفَّىٰكُم مَّلَكُ ٱلۡمَوۡتِ ٱلَّذِی وُكِّلَ بِكُمۡ |
11 Sprich: „Der Engel des Todes, der über euch eingesetzt ist, nimmt euch hinweg.“ |
ثُمَّ إِلَىٰ رَبِّكُمۡ تُرۡجَعُونَ |
Dann werdet ihr zu eurem Herrn zurückgebracht. |
وَلَوۡ تَرَىٰۤ إِذِ ٱلۡمُجۡرِمُونَ نَاكِسُوا۟ رُءُوسِهِمۡ عِندَ رَبِّهِمۡ |
512 Sähest du nur, wenn die Übeltäter ihre Köpfe bei ihrem Herrn senken: |
رَبَّنَآ أَبۡصَرۡنَا وَسَمِعۡنَا |
„Unser Herr, wir haben gesehen und gehört. |
فَٱرۡجِعۡنَا نَعۡمَلۡ صَٰلِحًا |
So bring uns zurück, damit wir Gutes tun. |
إِنَّا مُوقِنُونَ |
Wir sind überzeugt.“ |
وَلَوۡ شِئۡنَا لَٴَاتَيۡنَا كُلَّ نَفۡسٍ هُدَىٰهَا |
13 Hätten wir gewollt, hätten wir jedem seine Leitung gegeben. |
وَلَٰكِنۡ حَقَّ ٱلۡقَوۡلُ مِنِّی |
Aber meine Rede bewahrheitet sich: |
لَأَمۡلَأَنَّ جَهَنَّمَ مِنَ ٱلۡجِنَّةِ وَٱلنَّاسِ أَجۡمَعِينَ |
„Ich fülle gewiss die Hölle mit Dschinnen und Menschen zusammen.“ |
فَذُوقُوا۟ بِمَا نَسِيتُمۡ لِقَآءَ يَوۡمِكُمۡ هَٰذَآ |
14 So kostet, weil ihr die Begegnung mit diesem euren Tag vergessen habt. |
إِنَّا نَسِينَٰكُمۡ |
Wir haben euch vergessen. |
وَذُوقُوا۟ عَذَابَ ٱلۡخُلۡدِ بِمَا كُنتُمۡ تَعۡمَلُونَ |
Kostet die ewige Strafe für das, was ihr stets getan habt. |
إِنَّمَا يُؤۡمِنُ بِـَٔايَٰتِنَا ٱلَّذِينَ إِذَا ذُكِّرُوا۟ بِهَا خَرُّوا۟ سُجَّدًۭا |
615 Nur die an unsere Zeichen glauben, die sind es, wenn sie mit ihnen erinnert werden, anbetend niederfallen |
وَسَبَّحُوا۟ بِحَمۡدِ رَبِّهِمۡ |
und ihren Herrn lobpreisen, |
وَهُمۡ لَا يَسۡتَكۡبِرُونَ |
während sie dabei nicht hochmütig sind. |
تَتَجَافَىٰ جُنُوبُهُمۡ عَنِ ٱلۡمَضَاجِعِ |
16 Sie meiden die Betten, |
يَدۡعُونَ رَبَّهُمۡ خَوۡفًۭا وَطَمَعًۭا |
sie rufen ihren Herrn in Furcht und Begehren an |
وَمِمَّا رَزَقۡنَٰهُمۡ يُنفِقُونَ |
und sie spenden von dem wir sie versorgt haben. |
فَلَا تَعۡلَمُ نَفۡسٌۭ مَّآ أُخۡفِیَ لَهُم مِّن قُرَّةِ أَعۡيُنٍۢ جَزَآءًۢ بِمَا كَانُوا۟ يَعۡمَلُونَ |
17 Keiner weiß, was ihnen an Augentrost verborgen ist, als Vergeltung für das, was sie stets getan haben. |
أَفَمَن كَانَ مُؤۡمِنًۭا كَمَن كَانَ فَاسِقًۭاۚ |
718 Ist denn einer, der glaubt wie einer, der frevelt? |
لَّا يَسۡتَوُۥنَ |
Sie sind nicht gleich! |
أَمَّا ٱلَّذِينَ ءَامَنُوا۟ وَعَمِلُوا۟ ٱلصَّٰلِحَٰتِ |
819 Diejenigen nun, die glauben und gute Werke tun, |
فَلَهُمۡ جَنَّٰتُ ٱلۡمَأۡوَىٰ نُزُلًۢا بِمَا كَانُوا۟ يَعۡمَلُونَ |
haben die Gärten der Heimstatt als Unterkunft, für das, was sie stets getan haben. |
وَأَمَّا ٱلَّذِينَ فَسَقُوا۟ فَمَأۡوَىٰهُمُ ٱلنَّارُ ۖ |
20 Diejenigen aber, die freveln, haben das Feuer als ihre Heimstätte. |
كُلَّمَآ أَرَادُوٓا۟ أَن يَخۡرُجُوا۟ مِنۡهَآ أُعِيدُوا۟ فِيهَا |
Sooft sie aus ihm herauskommen wollen, werden sie zurückgebracht, |
وَقِيلَ لَهُمۡ ذُوقُوا۟ عَذَابَ ٱلنَّارِ |
und es wird zu ihnen gesagt: „Kostet die Strafe des Feuers, |
ٱلَّذِی كُنتُم بِهِۦ تُكَذِّبُونَ |
die ihr stets für Lüge erklärt habt!“ |
وَلَنُذِيقَنَّهُم مِّنَ ٱلۡعَذَابِ ٱلۡأَدۡنَىٰ دُونَ ٱلۡعَذَابِ ٱلۡأَكۡبَرِ |
21 Wir werden sie bestimmt von der näheren Strafe vor der größeren Strafe kosten lassen. |
لَعَلَّهُمۡ يَرۡجِعُونَ |
Vielleicht kehren sie doch um! |
وَمَنۡ أَظۡلَمُ مِمَّن ذُكِّرَ بِـَٔايَٰتِ رَبِّهِۦ |
922 Wer ist ungerechter als der, der durch die Zeichen seines Herrn erinnert wird |
ثُمَّ أَعۡرَضَ عَنۡهَآۗ |
und sich dann von ihnen abwendet? |
إِنَّا مِنَ ٱلۡمُجۡرِمِينَ مُنتَقِمُونَ |
An den Übeltätern rächen wir uns! |
وَلَقَدۡ ءَاتَيۡنَا مُوسَى ٱلۡكِتَٰبَ |
III1023 Wir haben Moses die Schrift gegeben – |
فَلَا تَكُن فِی مِرۡيَةٍۢ مِّن لِّقَآئِهِۦۖ |
so sei nicht in Zweifel über die Begegnung mit ihm [Gott] – |
وَجَعَلۡنَٰهُ هُدًۭى لِّبَنِیٓ إِسۡرَٰٓءِيلَ |
und machten sie zu einer Leitung für die Israeliten. |
وَجَعَلۡنَا مِنۡهُمۡ أَئِمَّةًۭ |
24 Wir brachten aus ihnen Vorbilder hervor, |
يَهۡدُونَ بِأَمۡرِنَا |
die leiteten nach unserer Weisung, |
لَمَّا صَبَرُوا۟ۖ |
nachdem sie sich geduldig erwiesen hatten |
وَكَانُوا۟ بِـَٔايَٰتِنَا يُوقِنُونَ |
und von unseren Zeichen überzeugt waren. |
إِنَّ رَبَّكَ هُوَ يَفۡصِلُ بَيۡنَهُمۡ يَوۡمَ ٱلۡقِيَٰمَةِ فِيمَا كَانُوا۟ فِيهِ يَخۡتَلِفُونَ |
25 Dein Herr wird es sein, der am Tag der Auferstehung zwischen ihnen über das entscheidet, worüber sie stets uneins waren. |
أَوَلَمۡ يَهۡدِ لَهُمۡ كَمۡ أَهۡلَكۡنَا مِن قَبۡلِهِم مِّنَ ٱلۡقُرُونِ |
1126 Leitet es sie nicht, wie viele Generationen wir vor ihnen zugrunde gehen ließen, |
يَمۡشُونَ فِی مَسَٰكِنِهِمۡۚ |
in deren Wohnstätten sie umhergehen? |
إِنَّ فِی ذَٰلِكَ لَٴَايَٰتٍۖ |
Darin sind Zeichen! |
أَفَلَا يَسۡمَعُونَ |
Hören sie denn nicht? |
أَوَلَمۡ يَرَوۡا۟ أَنَّا نَسُوقُ ٱلۡمَآءَ إِلَى ٱلۡأَرۡضِ ٱلۡجُرُزِ |
27 Sehen sie nicht, dass wir das Wasser auf dürres Land leiten |
فَنُخۡرِجُ بِهِۦ زَرۡعًۭا |
und dadurch Getreide hervorbringen, |
تَأۡكُلُ مِنۡهُ أَنۡعَٰمُهُمۡ وَأَنفُسُهُمۡۖ |
von dem ihr Vieh und sie selbst essen? |
أَفَلَا يُبۡصِرُونَ |
Sehen sie denn nicht? |
وَيَقُولُونَ مَتَىٰ هَٰذَا ٱلۡفَتۡحُ |
1228 Sie sagen: „Wann ist dieses Urteil, |
إِن كُنتُمۡ صَٰدِقِينَ |
wenn ihr die Wahrheit sagt?“ |
قُلۡ يَوۡمَ ٱلۡفَتۡحِ لَا يَنفَعُ ٱلَّذِينَ كَفَرُوٓا۟ إِيمَٰنُهُمۡ |
29 Sag: „Am Tag des Urteils nützt denen, die nicht glaubten, ihr Glauben nicht. |
وَلَا هُمۡ يُنظَرُونَ |
Man wird sie nicht warten lassen.“ |
فَأَعۡرِضۡ عَنۡهُمۡ وَٱنتَظِرۡ |
1330 Kehre dich von ihnen ab und warte! |
إِنَّهُم مُّنتَظِرُونَ |
Sie warten auch. |
Die Sure ist eine Einheit.
8 ṯumma ǧaʿala naslahū min sulālatin min māʾin mahīn]
Der Vers sprengt den inhaltlichen Zusammenhang des auf die biblische Tradition bezogenen Schöpfungsgeschehens (Schaffung des Menschen aus Lehm (V. 7) und Geisteinblasung (V. 9)). Er weist auf die natürliche Fortpflanzung der Menschen durch das Sperma. Von daher erscheint der Vers als ein zusätzliches Interpretament. Er kann einerseits die Niedrigkeit des Menschen betonen – der Mensch ist aus wertlosem Wasser erschaffen. Dadurch erhält das Gesätz eine polemische Ausrichtung. Andererseits kann das Motiv auch als ein zusätzlicher Verweis auf Gottes Wirken verstanden werden - Gott erschafft Gutes und auch den Menschen aus bloßem Wasser (vgl. Q 70:20). Der argumentative Charakter der Verse würde dadurch unterstützt. Beide Verständnismöglichkeiten entsprechen dem Duktus des ersten Surenteils, der sowohl argumentativ als auch polemisch ausgerichtet ist. Obschon der Vers störend wirkt und ohne weiteres aus dem Textzusammenhang herausgenommen werden kann, ist dennoch zu fragen, welches Motiv einer späteren Hinzufügung zugrunde liegen könnte, da durch eine Hinzufügung keine maßgebliche interpretative Änderung vorgenommen wird. Von daher betrachten wir den Vers als ursprünglich zum Textzusammenhang gehörend.
16 tataǧāfā ǧunūbuhum ʿani l-maḍāǧiʿi yadʿūna rabbahum ḫaufan wa-ṭamaʿan wa-mimmā razaqnāhum yunfiqūn [...] 18 a-fa-man kāna muʾminan ka-man kāna fāsiqan lā yastawūn/ 19 ʾamma llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilu ṣ-ṣāliḥāti fa-lahum ǧannātu l-maʾwā nuzulan bi-mā kānū yaʿmalūn/ 20 wa-ʾamma llaḏīna fasaqū fa-maʾwāhumu n-nāru kullamā ʾarādū ʾan yaḫruǧū minhā ʾuʿīdū fīhā wa-qīla lahum ḏūqū ʿaḏāba n-nāri llaḏī kuntum bihī tukaḏḏibūn]
In der islamischen Tradition werden V. 16 und die V. 18-20 als medinensisch betrachtet (Nagel 1995, 69f). Im Hintergrund stehen Überlieferungen von Offenbarungsanlässen, die die Verse in Zusammenhang mit Ereignissen aus der medinensischen Zeit bringen. So wird V. 16 mit einer Begebenheit während des Feldzugs nach Tabouk in Verbindung gebracht (zurückgehend auf eine Überlieferung von Muʾāḏ b. Ǧabal), die V. 18-20 stehen in Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung in Medina zwischen ʿAli und unaufrichtigen Gemeindemitgliedern. Auf literarkritischer Ebene kann jedoch keine spätere Einfügung festgestellt werden. Weder Lexeme, noch theologische Aussagen oder etwa die Verslängen weisen auffallende Besonderheiten auf, die einen nachträglichen Zusatz plausibel erscheinen lassen. Im Gegenteil enthalten die Verse Termini und Motive, die sie klar in den Kontext mittel- und vor allem spätmekkanischer Suren stellen – etwa der Verweis auf nächtliche Gebete und das Teilen von Hab und Gut, ebenso der Gebrauch von Sentenzen oder die Bitte um die Möglichkeit eines Neuanfangs (s. im Einzelnen den kursorischen Kommentar zu den Versen). Zudem ist es nicht möglich, die V. 18-20 aus dem Zusammenhang herauszutrennen ohne den inhaltlichen Zusammenhang zu zerstören. Ohne sie würde an den Tugendkatalog und den Verweis auf das Paradies unvermittelt ein Drohwort anschließen. V. 19-21 enthalten jedoch eine antithetische Darstellung, die sich auf die Frage nach den Gläubigen und den Frevlern (V. 18) bezieht. Von daher ist literarkritisch von einer ursprünglichen Zugehörigkeit der Verse zur Sure auszugehen.
Zur Disposition stehen jedoch die Verse 15-17, die wie eine Einblendung wirken (s. etwa Blachère 1977, 442). Es wird Bezug auf den monastischen Lebensstil genommen. Dies und der Verweis auf den dereinstigen Lohn, der sprachlich an christliche Traditionen erinnert, ändern den polemischen Duktus. Die Verse nehmen einen Diskurs auf, der aus mittelmekkanischen Suren bekannt ist und das vorbildhaften Verhalten christlicher Asketen in den Blick nimmt (s. Kommentar zu den Versen). Ohne diese Verse würde nach dem Drohwort (V. 14) bruchlos die Frage anschließen, welche die Gläubigen und die Ungläubigen vergleicht (V. 18), und die zur Antithese überleitet, in der das jenseitige Ergehen beider Gruppen dargestellt wird. Die Verse ließen sich also problemlos herauslösen. Es scheint jedoch wahrscheinlicher, dass diese Verse ursprünglich sind: Nimmt man eine Übertragung dieser monastisch-christlichen Tugenden auf die Gläubigen an, so ist hier kein Verweis auf andere zu sehen, sondern es handelt sich um eine erweiterte antithetische Darstellung des Verhaltens der Gläubigen und der Ungläubigen. Es wird also auf einen mittelmekkanischen Diskurs angespielt und weiterentwickelt und in einen polemischen Diskurs eingefügt.
23 wa-la-qad ʾātainā mūsa l-kitāba fa-lā takun fī miryatin min liqāʾihī wa-ǧaʿalnāhu hudan li-banī ʾisrāʾīl]
Der Einschub fa-la takun fī miryatin min liqāʾihī („so sei nicht im Zweifel über die Begegnung mit ihm“) unterbricht den Satzverlauf. Nöldeke und auch Blachère nehmen an, dass es sich hierbei um eine spätere Interpolation handelt (Nöldeke, GdQ, 144, Blachère 1977, 443). Zwei Indizien sprechen für einen Einschub: Die Aussage stört den Satzzusammenhang. Zudem erfolgt ein Pronominawechsel (1. P. Pl. zu 3. P. Plural). Allerdings ist ein solcher Einwurf nicht einzigartig, etwa zu Beginn der Sure in V. 2 oder auch in Q 18:22 finden sich derartige Sperrungen. Auch die eschatologische Tendenz des Einwurfs entspricht der maßgeblichen thematischen Richtung der Sure und wird auch in V. 25 fortgeführt. Paret verweist auf den Vergleichsvers Q 6:154 (s. Paret Kommentar zu 32:23). Dieser Vers stellt ebenfalls eine Verbindung zwischen Schriftgabe an Moses und dem Glauben an das Gericht Gottes her und nimmt Diskussionen um den Inhalt der Offenbarung und ihrer Legitimation auf (s. Q 6:154-157, vgl. auch Q 11:17). Offensichtlich handelt es sich hier um einen Rückbezug auf Q 32. Für Q 32 ergibt sich außerdem eine Verbindung zur zeitgleichen Q 41:54 (ʾa-lā ʾinnahum fī miryatin min liqāʾi rabbihim ...). Während dort der Zweifel der Gegner zum Ausdruck gebracht wird, dient der Verweis in Q 32 als Bestätigung des Verkünders und dessen Verkündigung. Ein späterer Einschub erscheint aufgrund dieser Beobachtungen unwahrscheinlich.
Literaturliste
1 ʾ-l-m]
Bei den Lesern in Baṣra, Damaskus, Mekka und Medina wird hier keine Verstrennung gesetzt.
7 llaḏī ʾaḥsana kulla šaiʾin ḫalaqahū wa-badaʾa ḫalqa l-ʾinsāni min ṭīn]
Die Lesart von ʿĀṣim nach Ḥafṣ lautet an dieser Stelle ḫalaqahu („(was) er erschaffen hat“). Verschiedene andere Leser, etwa Ibn Kathīr oder Abū ʿAmr, lesen stattdessen Nomen + Suffix ḫalqahu („(bei) seiner Schöpfung“) (s. Lesart zu Q 32:7). Die erste Variante stellt ein Resümee über Gottes Geschöpftes dar: Alles ist gut, was er erschaffen hat. Die zweite bezieht sich hingegen offensichtlich auf die Schöpfung des Menschen, auf die im Folgenden Bezug genommen wird und auf die das Suffix –hū verweist: Gott hat bei der Schöpfung des Menschen alles gut gemacht. In Anbetracht der argumentativ ausgerichteten Verse 6-9, die auf die Einsicht der Hörer abzielen, wird hier die zweite Variante bevorzugt.
10 wa-qālū ʾa-ʾiḏā ḍalalnā fi l-ʾarḍi ʾa-ʾinnā la-fī ḫalqin ǧadīdin bal hum bi-liqāʾi rabbihim kāfirūn]
Die Leser von Damaskus, Mekka und Medina setzen hinter ǧadīdin einen Versschluss. Neuwirth hat darauf hingewiesen, dass dadurch einen Reimschluss vorläge (3K2d), der nicht noch einmal in der Sure erscheint. Inhaltlich verweist sie auf den dadurch auftretenden Bruch zwischen der Aussage der Ungläubigen und deren Kommentierung. Der so entstehende vergleichsweise kurze V. 10c mache diese Versabteilung noch unwahrscheinlicher (Neuwirth 2007, 58).
Verschiedene Leser lesen statt ʾiḏā ḍalalnā fī l-ʾarḍi („wenn wir uns in der Erde verloren haben“) ʾiḏā ṣalalnā fī l-ʾarḍī („wenn wir in der Erde stinken“) bzw. ʾiḏā ṣalilnā fī l-ʾarḍī („wenn wir in der Erde vertrocknet sind“) (s. Lesart zu Q 32:10). Sie ergibt sich wahrscheinlich aus der Defektivschreibung (ḍ > ṣ). Diese Varianten erscheinen in ihrer Aussage drastischer und greifbarer, so dass die Frage der Gegner provokanter und authentischer wirkt. Die Wurzel ṣ-l-l findet im Korantext jedoch keine Verwendung. Hingegen werden Ableitungen von der Wurzel ḍ-l-l häufig gebraucht. Die Lesart wäre also diejenige, die aus dem Kontext heraus wahrscheinlicher erscheint. Vielleicht hat der metaphorische Gebrauch von ḍ-l-l die leichtere Lesevariante provoziert.
Literaturliste
-2n/m, -2l (V. 23 ʾIsrāʾīl) | I Affirmierende Rede |
A 1 1 Sigle | |
2-3 Offenbarungsbestätigung (tanzīl-Ankündigung) und gegnerischer Vorwurf (Erfindung) | |
4 Polemische Klausel | B 2 4-5 Bekräftigung von Gottes Handeln (Hymnus auf Allāh) und Anrede der Gegner |
3 6 Prädikation Gottes (Beschreibung Allāhs) | |
3 7-9 Bekräftigung von Gottes Macht (Hymnus auf Schöpfermacht) und Anrede der Gegner | |
II Polemik | |
4 10-11 Gegnerischer Einwand und Zurückweisung (Auferstehung) | |
5 12-14 Höllenbeschreibung und Drohwort | |
6 15-16 Tugendkatalog | |
6 17 Verheißung | |
7 18 Vergleichende Frage (Ungleichheit von Gläubigen und Ungläubigen) | |
21 Polemische Klausel | 8 19-21 Antithese (Gläubige und Ungläubige) |
9 22 Polemische Frage (Ablehnung der Botschaft) und Drohwort | |
III Polemik und affirmierende Rede | |
23 2l | 10 23-25 Rückblick (Moses und Israeliten) |
26.27 polemische Klauseln | 11 26-27 Polemische Fragen (Untergang der Völker) |
12 28-29 Einwand der Gegner und Zurückweisung (Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts) | |
13 30 Anrede des Verkünders (Mahnung zur Abkehr) |
Strukturformel/Proportionen
Teil I: 8 [9] Verse | Teil II: 13 Verse | Teil III: 8 Verse |
[1]+2+2+4 | 2+3+3+1+3+1 | 3+2+2+1 |
Literaturliste
V. 1-3 ʾ-l-m/ tanzīlu l-kitābi lā raiba fīhi min rabbi l-ʿālamīn/ ʾam yaqūlūna ftarāhu bal huwa l-ḥaqqu min rabbika li-tunḏira qauman mā ʾatāhum min naḏīrin min qablika laʿallahum yahtadūn] Die Sure gehört zu einer Reihe von Suren, denen eine Buchstabenfolge vorangeht, deren Funktion umstritten ist. Das Siglum ʾalif lām mīm findet sich hier und zu Beginn der spätmekkanischen Q 29, Q 30, Q 31 und der medinensischen Q 2 und Q 3. Zu den Siglen und ihrer möglichen Funktionalität s. einführend die Anmerkungen zu Q 15:1 und Q 68:1.
Die Offenbarungsbestätigung in V. 2 deklariert die Verkündigung als Teil einer himmlischen Urschrift (tanzīlu l-kitābi). Die Bezeichnung der Offenbarungsübermittlung als tanzīl („Herabsendung“) findet sich zum ersten Mal in den frühmekkanischen Q 69:43 und Q 56:80 und markiert dort eine Festsetzung der offenbarungstheologischen Verwendung der Wurzel n-z-l (s. die Anmerkung von Nicolai Sinai zu Q 97:1), vgl. auch den Gebrauch in Q 26:192, Q 36:5. In spätmekkanischen Suren tritt mit al-kitāb als Rektum der Genitivverbindung (tanzīl al-kitāb) ein spezifizierendes Element hinzu (s. Q 39:1, Q 45:2, Q 46:2, Q 40:2, in abgewandelter Form auch in Q 41:2-3). Diese Erweiterung weist auf eine theologische Entwicklung hin: die Auseinandersetzung mit dem Konzept „Schrift“, dessen Funktion und Bedeutung in Hinblick auf die Herkunft und Art der Offenbarung (s. KTS, 145-158). Die Vorstellung, dass die Verkündigung Teil einer „transzendenten Urschrift“ im Himmel ist, wird schon in Q 85:21 zum Ausdruck gebracht (KTS, 133), aber erst in den spätmekkanischen Suren wird die Frage nach dem Umgang mit der Teilhabe an der himmlischen Schrift in Hinblick auf weitere Schriftbesitzer reflektiert. Diese hymnischen Offenbarungsbestätigungen am Beginn der jeweiligen Suren unterstreichen die Authentizität der Verkündigung als Teil einer nur durch Offenbarung zugänglichen himmlischen Schrift und die Teilhabe am Schriftbesitz; sie sagen nichts über die äußere Form, etwa als einer Art Kodex, aus.
Die Einlassung lā raiba fīhi („an ihr ist kein Zweifel“) bzw. der Relativsatz („an der kein Zweifel ist“) in V. 2 kann sowohl auf den Vorgang der Offenbarung (tanzīl) als auch auf die himmlische Urschrift (kitāb) bezogen werden. Nur an zwei weiteren Stellen wird diese Parenthese in Bezug auf die Schrift bzw. deren Darlegung gesetzt (vgl. Q 10:37 und die medinensische Q 2:2). Der Passus wird ansonsten im Zusammenhang mit der Ankündigung des Jüngsten Gerichts gebraucht und entwickelt sich beginnend in den späten mittelmekkanischen Q 17:99, Q 18:21 zu einer stehenden apologetischen Wendung (vgl. Q 42:7, Q 45:26, Q 6:12, Q 40:59 u. ö.). Dessen Gebrauch in vorliegender Sure versieht die Verkündigung somit mit einer eschatologischen Note und stellt eine Konvergenz zu den eschatologisch ausgerichteten Versen 4–5 her.
Die Bezeichnung der Quelle der Offenbarung als rabb al-ʿālamīn („Herr der Weltenr“) stellt einen Bezug zu der jüdischen Titulierung Gottes als „Herrscher der Welten“ (melek ha-ʿôlām) her, s. dazu die Anmerkung zu Q 56:80 und Q 1:2 und TUK, Nr. 0349, TUK, Nr. 0906. Dadurch wird auch die koranische Verkündigung in eine eschatologische Tradition gestellt, in der Gott nicht nur der Herrscher über die Menschen, sondern zugleich über die diesseitige und jenseitige Welt ist.
Die Anschuldigung der Gegner einer Fabrikation des Verkündeten (ʾam yaqūlūna ftarāhu) in V. 3 macht als formelhafte Polemik die anhaltende Kontroverse über den Offenbarungscharakter der koranischen Verkündigung deutlich. Neuwirth verweist im Kommentar zu 44:3 darauf, dass das Suffix –hu als „freischwebend“ zu verstehen sei (s. Q 44:3) und sich auf das Wort Gottes beziehe, das in der Rezitation aktualisiert wird, nicht auf die transzendente Schrift. Dies ist auch an dieser Stelle der Fall: Nach der Offenbarungsbestätigung (V. 2.) folgt nun mit der Polemik der Gegner eine neue Textform, die einen inhaltlichen Neueinsatz markiert. Die Authentizität der vom Verkünder als göttlich deklarierten Botschaft wird in Zweifel gezogen.
Der Vorwurf wird zuerst in der mittelmekkanischen Q 21:5 referiert und ist dort Teil einer Aufzählung, in der dem Verkünder andere Quellen als eine göttliche Offenbarung zugeschrieben werden. Auch in Q 25:4 wird ihm vorgeworfen, keine göttliche Inspiration erfahren zu haben. Die Beschuldigung ist an diesen Stellen und in weiteren spätmekkanischen Versen jeweils ein Ausgangspunkt zur Bekräftigung der Botschaft und der Legitimation des Verkünders (vgl. Q 46:8, Q 11:13, Q 16:101). Der Einwand findet sich nicht nur als unmittelbares Zitat der Gegner, sondern auch als paradigmatischer Einspruch innerhalb von Prophetenerzählungen wieder (s. Q 11:35, Q 28:36). Er bildet dadurch formal den Gegenpol zum wiederholten Vorwurf an die Gegner, über Gott Lüge auszudenken (wa-man ʾaẓlamu mimmani ftarā ʿala llāhi l-kaḏiba), vgl. Q 29:28, Q 34:8, Q 16:116, Q 11:18, Q 10:69, Q 10:17 u. ö.
Der Vorwurf wird mit einem Verweis auf die Funktion des Verkünders als Warner (naḏīr) zurückgewiesen. Diese Bezeichnung ist aus dem altarabischen Kontext bekannt und benennt dort den Überbringer von Neuigkeiten, der ansonsten keine weiteren Handlungsvollmachten besitzt. Die Wurzel n-ḏ-r erscheint bereits in den frühmekkanischen Suren. Sinai bemerkt dazu, dass die auch in späteren Texten häufige Bezeichnung des Verkünders als „Warner“ (naḏīr, munḏir) bzw. der koranischen Offenbarungen als „Warnung“ (naḏīr) durch den Gebrauch des Verbs ʾanḏara vorbereitet werde (s. die Anmerkung zu Q 74:36). In den mittel- und spätmekkanischen Suren wird die Bezeichnung verstärkt gebraucht, während ihre Verwendung in medinensischen Suren abnimmt. Das kann ein Hinweis auf die mit der Bezeichnung verbundenen Vorstellungen sein, die in Medina durch andere Qualifikationen des Verkünders abgelöst werden. So tritt in Medina verstärkt der aus dem jüdischen Kontext bekannte Begriff nabī auf, der zuvor nur selten auf den Verkünder angewendet wurde. Naḏīr wurde im vorislamischen arabischen Kontext derjenige genannt, der einen Stamm vor einem kommenden Krieg oder Angriff warnte. So sucht der Protagonist in einem Gedichtfragment von ʿAlqama (lebte 2. Hälfte 6. Jhd.) einen Warner, der die Banū Tamīm vor einem angreifenden Feind in Kenntnis setzt (s. TUK, Nr. 1291). In diesem Sinne kann auch der Verkünder als ein zuerst an seine Leute entsandter Warner verstanden werden, der seine Legitimation und seine Botschaft von Gott erhält, zum Begriff s. auch den Kommentar von Angelika Neuwirth zu Q 15:89.
V. 4-5 llāhu llaḏī ḫalaqa s-samāwāti wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā fī sittati ʾayyāmin ṯumma stawā ʿala l-ʿarši mā lakum min dūnihī min waliyyin wa-lā šafīʿin ʾa-fa-lā tataḏakkarūn/ yudabbiru l-ʾamra mina s-samāʾi ʾila l-ʾarḍi ṯumma yaʿruǧu ʾilaihi fī yaumin kāna miqdāruhū ʾalfa sanatin mimmā taʿuddūn] Die Verse betonen die eschatologische Teleologie der Schöpfung. Sie verweisen auf Gottes Wirken als Weltschöpfer, das übergeht in sein Amt als auf einem Thron residierender allmächtiger Richter. Der Hinweis auf den Schöpfungsakt durch Gott in sechs Tagen und die darauf folgende Niederlassung Gottes auf seinen Thron wird an mehreren Stellen in vor allem spätmekkanischen Suren referiert. Auffällig ist dabei der eschatologische Bezugsrahmen, in dem die Aussage in fast allen Suren steht: Die sechstätige Schöpfung führt nicht zu einem an der Schöpfungserzählung in Genesis 1 anlehnenden Ruhen Gottes am siebten Tag. Dies wird in der mittelmekkanischen Q 50:38 explizit zurückgewiesen (wa-la-qad ḫalaqnă s-samāwāti wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā fī sittati ʾayyāmin wa-mā massanā min luġūb). Stattdessen wird Gottes Richter- und Weltlenkerfunktion hervorgehoben (zur Vorstellung des Gottesthrons s. TUK, Nr. 0698 mit weiteren Verweisen). In Q 50 ist die Aussage in eine Mahnung an den Verkünder eingebettet, die in einen eschatologischen, von Gott gelenkten Vorgang mündet. Q 25:59 verdeutlicht mit Hinweis auf Schöpfung und Richteramt Gottes dessen Barmherzigkeit (llaḏī ḫalaqa s-samāwāti wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā fī sittati ʾayyāmin ṯumma stawā ʿala l-ʿarši r-raḥmānu fa-sʾal bihī ḫabīr). In den spätmekkanischen Q 11:7, Q 13:2, Q 7:54, Q 10:3 sowie in der medinensischen Q 57:4 wird die Prädikation Gottes als Schöpfer, Lenker und Richter ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Dabei scheinen Q 10:3 und auch Q 13:2 auf vorliegende Verse zu rekurrieren und diese zu modifizieren. Neben der Weltschöpfung in sechs Tagen und der Niederlassung auf dem Thron wird in beiden Versen auch auf das von Gott gelenkten ʾamr verwiesen, in Q 10 ebenfalls auf die Fürsprecher.
Der Verweis auf das Aussenden und die Rückkehr des ʾamr schließt offensichtlich an das Konzept der memrā („Wort, Ausspruch“) an, wie es etwa aus den Targumim bekannt ist: Nach Abrahams bezeichnet der Begriff memrā die Manifestation der göttlichen Macht in der Schöpfung und in der Geschichte und agiere als sein Bote (Word, 214). Die Phrase yudabbiru l-ʾamra findet in drei spätmekkanischen Suren jeweils in einem eschatologischen Zusammenhang Verwendung (Q 10:3-31, Q 13:2, Q 32:5): ʾAmr erscheint als eine Art Mittlerwesen (so auch Sinai, Anmerkung zu Q 97:4). Auch Baljon beschreibt ʾamr als einen Agenten, der Gottes Befehle zur Ausführung bringt, und außerdem als Synonym für Gottes Leitung und Gnade, sein Richten und Verdammen (Baljon 1958, 9; zum Gebrauch des Begriffs ʾamr im Koran allgemein s. die Anmerkung von Sinai zu Q 97:4). An vorliegender Stelle weist ʾamr auch Gemeinsamkeiten mit rūḥ („Geist“) auf, der ebenfalls ausgesandt wird und zu Gott zurückkehrt (vgl. Q 70:4). In Q 44:4-5 ist statt etwas Agierendem eher an die Entscheidungsgewalt Gottes zu denken, wenn in Bezug auf Q 97:4 von der Herabsendung der transzendenten Botschaft und der Erfüllung des ʾamr die Rede ist (fīhā yufraqu kullu amrin ḥakīm/ amran min ʿindinā...). An jener Stelle scheint die Übersetzung „Verfügung/ weiser Beschluss“ passender, während hier ʾamr übersetzt als „Wort“ auf die aufgeführten intertextuellen Interferenzen hinweisen soll.
Nicht nur die Nähe zwischen ʾamr und rūḥ, sondern auch eine eschatologisch ausgerichtete Zeitvorstellung verbinden Q 32:4 und Q 70:4 miteinander. Das Motiv des tausendjährigen Tages (s. auch Q 22:47) hat seinen traditionsgeschichtlichen Ausgangspunkt in Psalm 90:4 („Denn tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht“, s. TUK, Nr. 0160, dazu auch TUK Nr. 0918, TUK, Nr. 0959). Nicolai Sinai deutet das Motiv als eine Hyperbole, die die „prinzipielle Überzeitlichkeit“ Gottes ausgesagt (s. den Kommentar zu Q 97:4). Sinais Zurückhaltung hinsichtlich eines eschatologischen Verständnisses des Motivs kann in Hinblick auf dessen Gebrauch in frühchristlicher Literatur jedoch ausgeräumt werden, wie Emmanouela Grypeou zeigt (s. TUK, Nr. 1186, TUK, Nr. 1234, TUK Nr. 1233, TUK, Nr. 1183). Die im spätantiken Christentum weit verbreitete teleologische Zeitvorstellung wird im Koran reflektiert. Danach zählt die Welt sieben Zeitalter, analog zur siebentägigen Schöpfung, wobei jeder Tag tausend Jahre sind. Die Welt wird im 7. Zeitalter im Endgericht zur Vollendung gebracht, so wie die Schöpfung im 7. Tag ihre Kulmination fand. Vor allem in Q 32:4-5 tritt die Verbindung von Schöpfung und Gericht deutlich hervor, ebenso verweisen Q 70:4 und Q 22:47 auf das Endgericht. In vorliegender Sure gehört neben dem Hinweis auf den sechstägigen Schöpfungsakt Gottes und das Niederlassen auf den Thron als Richter und Weltlenker auch der Verweis auf Fürsprecher und Beistand und die Aussage der Rückkehr (yaʿruǧ) des ʾamr an einem Tag (fī yaum) zur eschatologischen Motivik. Auch wenn eine dezidierte Auseinandersetzung mit der christlich geprägten Zeitvorstellung nicht stattfindet, steht sie doch offensichtlich im Hintergrund der Ausführungen.
V. 6-9 ḏālika ʿālimu l-ġaibi wa-š-šahādati l-ʿazīzu r-raḥīm/ llaḏī ʾaḥsana kulla šaiʾin ḫalaqahū wa-badaʾa ḫalqa l-ʾinsāni min ṭīn/ ṯumma ǧaʿala naslahū min sulālatin min māʾin mahīn/ ṯumma sawwāhu wa-nafaḫa fīhi min rūḥihī wa-ǧaʿala lakumu s-samʿa wa-l-ʾabṣāra wa-l-ʾafʾidata qalīlan mā taškurūn] Die theologische Prädikation Gottes (V. 6) ist dem Allwissen Gottes gewidmet. Paret weist darauf hin, dass das Pronomen ḏālika hier mit „so einer“ zu übersetzen sei (Paret, Kommentar, Anmerkung zu 30:50). Auch Birnstiel weist darauf hin, dass ḏālika hier die Funktion einer rückweisenden Partikel hat und den Schluss einer Beschreibung markiert: „The pronoun [ḏālika] indicates often topic progress, serving as paragraph marker or introducing a concluding judgment“ (Birnstiel, 2011, 203, 209 f.). An dieser Stelle muss jedoch die Scharnierfunktion des Verses berücksichtigt werden: Der Vers besitzt sowohl eine abschließende kommentierende Funktion als auch eine die nächsten Verse einführende und antizipierende Funktion.
Die Werkaffirmation (V. 7-9) – die Darstellung des Wirken Gottes in der Schöpfung – fokussiert auf die Erschaffung des Menschen. Sie beginnt mit einer Bewertung des göttlichen Schöpfungshandelns (s. dazu TUK, Nr. 1189). Es wird nicht nur auf das aus der Bibel bekannte Schöpfungsgeschehen (Genesis 2) angespielt, sondern auch auf die biologisch angelegte Fortpflanzung des Menschen (s. dazu Literarkritik). Die Erschaffung des Menschen aus Lehm erinnert an den zweiten biblischen Schöpfungsbericht (Genesis 2:7, s. dafür TUK, Nr. 0442 und TUK, Nr. 1235). Emmanouela Grypeou weist mit Recht darauf hin, dass im Hebräischen und in der Septuaginta von „trockener Erde“ die Rede ist. Ein Verweis auf die Erschaffung des Menschen aus Lehm bzw. Ton findet sich dagegen etwa in Hiob 10:9 (TUK, Nr. 1187) und ist in spätantiken frühjüdischen und christlichen Texten geläufig, etwa in Sirach 33,10-13, den Dankeshymnen aus Qumran (1 QH 1,21; 3,21 u.ö.) oder im „Leben Adams und Evas“ 27,2.
Ein ausführlicher Bericht über die Erschaffung der Welt und die Schöpfung des Menschen findet sich im Koran nicht. Die Vorstellung der Erschaffung des Menschen aus Ton wird zuerst in der späten frühmekkanischen Q 55:16 aufgenommen (ḫalaqa l-ʾinsāna min ṣalṣālin ka-l-faḫḫār), wobei die Betonung auf der Vorstellung Gottes als Töpfer liegt (vgl. dazu Jeremia 18:1-6, wo der Vergleich „Gott als Töpfer“ gebraucht wird). In Q 15:26, Q 15:28, Q 15:33 wird wie in Q 55 von der Schöpfung des Menschen aus ṣalṣāl („Ton“) gesprochen. Dort ist die Erschaffung des Menschen ebenso wie in Q 17:61, Q 38:71-76 und in der spätmekkanischen Q 7:12 in die Geschichte der Auflehnung von ʾIblīs eingebettet. In diesen Versen, in Q 23:12, Q 32:7 sowie in der spätmekkanischen Q 6:2 wird zur Bezeichnung der Erde der Begriff ṭīn („Lehm- oder Tonerde”) verwendet; zur Etymologie von ṭīn siehe FVQ, 208. In weiteren, polemisch ausgerichteten – vor allem spätmekkanischen – Versen wird turāb („Staub, Erde”) gebraucht (in den mittelmekkanischen Suren nur in Q 18:37, sonst in Q 40:67, Q 35:11, Q 30:22, Q 16:59, Q 22:5). Dadurch wird der Bezug auf eine positiv konnotierte Darstellung der Erschaffung des Menschen zugunsten einer Betonung der Nichtigkeit des Menschen abgeschwächt. Der Hinweis auf die Schöpfung hat in diesen Fällen vorrangig eine polemische und weniger eine affirmative, die Macht Gottes unterstreichende Funktion. Zugleich wird jedoch auch ein Bezug zu einer Argumentation der Gegner genommen und widerlegt: Nach dem Tode zu Staub geworden, kann der Mensch nicht mehr neu erschaffen werden (etwa Q 37:16-53, Q 23:82, Q 13:5). Dieser Gedanke wird durch den Verweis auf die Schöpfungsmacht Gottes, der den Menschen aus Staub erschaffen hat, widerlegt. Auf dieser Ebene tritt der argumentative Gebrauch des Begriffs stärker hervor.
Die Darstellung min sulālātin min māʾin mahīn („aus dem Extrakt wertlosen Wassers“) beschreibt die Entstehung des Menschen durch das Sperma, vgl. Q 77:20-22 (ʾa-lam naḫluqkum min māʾin mahīn / fa-ǧaʿalnāhu fī qarārin makīn/ ʾilā qadarin maʿlūm). Das Wort mahīn wird häufig mit „verächtlich“ (s. die Übersetzung von Paret KÜ, Zirker, 2003) übersetzt. Dadurch wird ein Bezug zur rituellen Unreinheit hergestellt, die durch das Austreten von Sperma hergestellt wird. Im Lisān und in den Kommentaren wird dagegen die Schwäche (ḍaʿf) und damit Wertlosigkeit dieses Wassers betont (Lisān, Bd. 14, 145). Auch der Gebrauch des Wortes in Q 68:10 und Q 43:52 in Bezug auf Menschen und ihr Verhalten, scheint eher auf die Wertlosigkeit als auf ihre Verurteilungswürdigkeit ausgerichtet zu sein. Statt von wertlosem Wasser (māʾin mahīn) wird jedoch sehr viel häufiger von nuṭfa („Tropfen“) gesprochen (z. B. Q 80:19, Q 76:2, Q 18:37, Q 40:67 u. ö.), zur Möglichkeit einer späteren Interpolation des Verses s. Literarkritik.
Die göttliche Geisteinblasung erinnert auf den ersten Blick wiederum an Genesis 2:7. Dort wird berichtet, dass Gott dem Menschen den Lebensodem (nišmat ḫaiyyim) einhauchte. Im Gegensatz zur Genesis – auch zu der Stelle in den Targumim und der Peshitta – wird hier jedoch von ruḥī („mein Geist“) gesprochen. Offensichtlich wird im Koran ein pneumatologisches Konzept aufgegriffen, das in der Genesis selbst noch nicht auftritt, aber bereits in späteren Schriften der hebräischen Bibel nachgewiesen werden kann, bspw. in Psalm 104:30: Die ruaḫ Gottes ist dort eine eigenständige, lebensbringende Kraft, die aus Gott ausgeht und ohne die kein Leben sein kann. Dieses Konzept ist auch Bestandteil der rabbinischen und christlichen Theologie (s. Cramer, 1979). Der göttliche Schöpfungsvorgang wird in vergleichbarer Wortwahl bereits in den mittelmekkanischen Suren Q 15:29 (fa-ʾiḏā sawwaituhū wa-nafaḫtu fīhi min rūḥī...) und Q 38:72 wiedergegeben (fa-ʾiḏā sawwaituhū wa-nafaḫtu fīhi min rūḥī...). In der mittelmekkanischen Sure Q 21:91 (fa-nafaḫnā fihā min rūḥī) und in der medinensischen Sure Q 66:12 (fa-nafaḫnā fihī min rūḥī) wird mit dieser Wendung das Werden der Schwangerschaft Marias beschrieben, die dadurch deutlich in den Zusammenhang mit der Schöpfungsmacht Gottes gestellt wird.
Diese Affirmation des Schöpferwirkens endet in dem Hinweis auf Gottes Gabe von Gehör, Gesicht und Gefühl, jeweils Mittel für menschliche Erkenntnis, auf die in den nachfolgenden Versen wiederholt verwiesen wird. Die Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist zentraler Bestandteil der Argumentation in den spätmekkanischen Suren (s. dazu die Einleitung zu den spätmekkanischen Suren).
V. 10-11 wa-qālū ʾa-ʾiḏā ḍalalnā fi l-ʾarḍi ʾa-ʾinnā la-fī ḫalqin ǧadīdin bal hum bi-liqāʾi rabbihim kāfirūn/ qul yatawaffākum malaku l-mauti llaḏī wukkila bikum ṯumma ʾilā rabbikum turǧaʿūn] Die Auseinandersetzung mit den Gegnern über die Auferstehung umfasst Motive, wie die Rede von der „neuen Schöpfung“ (ḫalq ǧadīd) und den Todesengel (malaku l-maut), die an christliche und jüdischen Traditionen erinnern. Für den Begriff der „neuen Schöpfung“ scheint jedoch eine Anbindung an christliche Vorstellungen, wie Ahrens sie vorschlägt, eher unwahrscheinlich: Ein direkter Rückgriff auf den christologischen Begriff kainē ktisis (griech. „neue Schöpfung“), auf den dieser mit Hinweis auf 2. Korinther 5:17 und Galater 6:15 verweist (s. TUK, Nr. 0305) und der in der frühchristlichen Literatur ein wiederkehrender Topos ist, etwa bei Origenes (De principiis, 2, 10:8), lässt sich nicht ablesen. Nimmt man einen Bezug an, müsste mit einer radikalen Entchristologisierung gerechnet werden. Das paulinische Konzept basiert auf Ideen einer Neuschöpfung von Himmel und Erde (vgl. Jesaja 65:17-25, 1. Henoch 72:1) und wird auf Christus hin spezifiziert. Der koranische Ausdruck steht vor allem in einem eschatologischen Zusammenhang (vgl. noch Q 14:19, Q 35:16), jedoch auch nicht durchgängig. Über eine neue Schöpfung wird vorwiegend in polemischen Kontexten gesprochen, um die Macht Gottes zu demonstrieren und nicht um die Hoffnung und den Glauben auf ein durch Gott bzw. Christus verändertes neues Leben zum Ausdruck zu bringen.
Die Vorstellung von einem Todesengel (malaku l-maut) ist hingegen ein sowohl im Judentum als auch im Christentum der Spätantike weit verbreitetes Motiv. Aber die mit dieser Figur verbundenen Vorstellungen sind so unterschiedlich, dass kein einheitliches Bild existiert. Bereits in der hebräischen Bibel wird der Tod personifiziert (s. etwa Psalm 49:15) oder es ist von einem Engel die Rede, der auf Gottes Geheiß den Tod bringt (z. B. Jesaja 37:36). In der nachbiblischen Tradition entwickelt sich der Todesengel zu einer eigenständigen Figur, die etwa im Talmud mit Samael bzw. Satan identifiziert wird (Angel of Death, 147-150). Auch das Christentum kennt die Figur des Todesengels, etwa die des Abbaton, wie sie in einem apokryphen koptischen Text des 4. Jahrhunderts überliefert wird (s. TUK, Nr. 1204). Während dieser Todesengel bedrohliche Züge aufweist, gibt es auch Vorstellungen von beschützenden Engeln, die jeden Verstorbenen begleiten (s. TUK, Nr. 1088). Im Koran ist nur in Q 32:11 explizit vom Todesengel die Rede. Er wird nicht als eigenständig dargestellt, sondern in der Funktion eines Wächters im Dienste Gottes (llaḏī wukkila bikum). Insofern wäre es möglich, dass der Todesengel hier pars pro toto für die Engel, die den Tod bringen, steht (s. Q 16:28-32, Q 6:93, Medina: Q 8:50, Q 47:27, Q 4:97) und weniger in Verbindung mit einer selbständig und auch gegen Gott agierenden Figur zu sehen ist.
V. 12-14 wa-lau tarā ʾiḏi l-muǧrimūna nākisū ruʾūsihim ʿinda rabbihim rabbanā ʾabṣarnā wa-samiʿnā fa-rǧiʿnā naʿmal ṣāliḥan ʾinnā mūqinūn/ wa-lau šiʾnā la-ʾātainā kulla nafsin hudāhā wa-lākin ḥaqqa l-qaulu minnī la-ʾamlaʾanna ǧahannama mina l-ǧinnati wa-n-nāsi ʾaǧmaʿīn/ fa-ḏūqū bi-mā nasītum liqāʾa yaumikum hāḏā ʾinnā nasīnākum wa-ḏūqū ʿaḏāba l-ḫuldi bi-mā kuntum taʿmalūn] Die Rückblende ist vor allem durch innerkoranische Bezüge gekennzeichnet. Die Bitte der Ungläubigen in V. 12, angesichts ihres Urteils und ihrer Strafe, zurückkehren zu dürfen, um Gutes zu tun (fa-rǧiʿnā naʿmal ṣāliḥan) bzw. zu den Gläubigen zu gehören, findet sich an verschiedenen Stellen in mittel-, spätmekkanischen und medinesischen Suren. In Q 26:102 wünschen die Verurteilten im Feuer, umzukehren und zu den Gläubigen zu gehören (fa-lau ʾanna lanā karratan fa-nakūna mina l-muʾminīn). In Q 39:58 wird diese Formulierung etwas abgewandelt wieder aufgenommen (ʾau taqūla ḥīna tara l-ʿaḏāba lau ʾanna lī karratan fa-ʾakūna mina l-muḥsinīn). Q 23:99-111 kann als ausführliche Referenz gelten für die Beschreibung der Unwiderrufbarkeit des letzten Urteils angesichts der Taten bzw. der Unterlassungen und für die Unmöglichkeit einer zweiten Chance. Diese Möglichkeit wurde vergeben, indem die Zeichen Gottes verleugnet bzw. verachtet wurden, die den Menschen vorgetragen bzw. an welche sie erinnert wurden. Die späteren Verweise sind meist kürzer gefasst und haben je nach Kontext eine spezifische Ausrichtung (vgl. Q 35:37, Q 14:44, Q 7:53, Q 6:27, Medina: Q 63:10, Q 2:167). Es handelt sich bei allen vorliegenden Stellen um eine literarische Strategie innerhalb von Jenseitsschilderungen, den Gegnern ihre letztendliche Unterlegenheit polemisch zu unterbreiten.
Der Verweis auf Gottes Macht, alle Menschen zu führen (wa-lau šiʾnā la-ʾātainā kulla nafsin hudāhā), findet sich fast ausschließlich in spätmekkanischen Suren. Wahrscheinlich in der Auseinandersetzung mit der kontinuierlichen Ablehnung der koranischen Botschaft ist diese Aussage ein Erklärungsmuster, die Gegnerschaft bzw. Glaubensvielfalt als gottgewollte menschliche Entscheidungsfreiheit zu erläutern (s. Q 6:149, Q 16:9, Q 13:31 und Medina Q 5:48). Gleichzeitig ist die Aussage aber auch mit einer Art Prädestinationsgedanken verbunden, der Gott das Recht einräumt, nur den zum Glauben an ihn zu leiten, den er will (Q 10:99, Q 11:118, Q 16:93, Q 42:8). Die Dialektik zwischen Freiheit und Vorherbestimmung, wie sie sich in diesen Aussagen manifestiert, bestimmt die koranische Verkündigung vor allem in den mittel- und spätmekkanischen Suren. Sie lässt sich des Weiteren auch in der wiederholten Aufforderung sich zu erinnern und mahnen zu lassen mit dem gleichzeitigen Hinweis auf die Verstockung (z. B. Q 18:54-58) wiederfinden (s. dazu Kommentar zu Q 45:15, auch Ringgren, 1955).
Der Hinweis in V. 14, dass sich folgende Rede nun bewahrheitet: la-ʾamlaʾanna ǧahannama mina l-ǧinnati wa-n-nāsi ʾaǧmaʿīn („Ich fülle die Hölle gewiss mit Dschinnen und Menschen zusammen“) ist keine Referenz auf eine koranische Aussage (vgl. auch Q 11:119). Es gibt im Koran also keine gleichlautende Ausführung, auf die sich dieses Zitat bezieht. Es wird aber an drei mittelmekkanischen Stellen davon berichtet, dass Gott die Hölle mit ʾIblīs und seinem Gefolge, seien es Dschinnen, Satane oder Menschen, füllen wird (Q 15:41-43, Q 17:63, Q 38:84-85 spätmekkanisch: Q 7:18). In den spätmekkanischen Suren Q 41:25 und Q 46:18 wird auf diese Aussagen Bezug genommen, wenn davon die Rede ist, dass das Wort gegen sie in Erfüllung geht, wie bereits zuvor gegen Gemeinschaften von Dschinnen und Menschen (... ḥaqqa ʿalaihimu l-qaulu fī ʾumamin qad ḫalat min qablihim mina l-ǧinni wa-l-ʾinsi ʾinnahum kānū ḫāsirīn). In Q 7:179 wird noch einen Schritt weitergegangen, wenn von der Prädestination vieler Menschen und Dschinnen für die Hölle die Rede ist. Offensichtlich spielt der vorliegende Vers also auf diese Vorstellungen an.
V. 15-18 ʾinnamā yuʾminu bi-ʾāyātina llaḏīna ʾiḏā ḏukkirū bihā ḫarrū suǧǧadan wa-sabbaḥū bi-ḥamdi rabbihim wa-hum lā yastakbirūn/ tataǧāfā ǧunūbuhum ʿani l-maḍāǧiʿi yadʿūna rabbahum ḫaufan wa-ṭamaʿan wa-mimmā razaqnāhum yunfiqūn/ fa-lā taʿlamu nafsun mā ʾuḫfiya lahum min qurrati ʾaʿyunin ǧazāʾan bi-mā kānū yaʿmalūn/ ʾa-fa-man kāna muʾminan ka-man kāna fāsiqan lā yastawūn] Die Verse umfassen einen Tugendkatalog (V. 15-16), eine Verheißung an die Gläubigen (V. 17) und eine vergleichende rhetorische Frage (V. 18). Der ganze Abschnitt steht unter dem Eindruck eines Lebensideals, das im Christentum dem Gerechten (dikaios) zugeschrieben wird (TUK, Nr. 1295). Glaube, Demut, Lobpreis, nächtliche Gebete und Spenden sind nach den Koranversen wesentliche Bestandteile eines gottgefälligen Lebens, und gehören ebenso zum Grundinventar eines monastischen Lebenswandels. Auch innerkoranisch lassen sich Hinweise finden, dass hier eine Übertragung eines Lebens vorbildhafter Menschen auf die Gemeinde stattfindet. Vor allem die Beschreibung der Erschütterung beim Hören der göttlichen Botschaft nimmt Bezug auf die Aussagen in Q 19:58 und Q 17:107-109. Alle drei Stellen verbindet in erster Linie die Verwendung der Formulierung ḫarrū suǧǧadan (vgl. auch noch Q 12:100). Beide Begriffe haben synonyme Bedeutung („niederfallen“), wobei ḫarrū eher das unabsichtliche Niederfallen durch äußere Einflüsse beschreibt (s. Lane, Bd. 1, 715), während suǧǧadan wahrscheinlich die rituelle Niederwerfung im Gebet beschreibt (vgl. die Herleitung bei FVQ, 162f). In Q 19 wird von früheren Propheten berichtet, die beim Vernehmen der Zeichen Gottes anbetend niederfielen (... ʾiḏā tutlā ʿalaihim ʾāyātu r-raḥmāni ḫarrū suǧǧadan wa-bukiyyā). Sie sind beispielgebend für nachfolgende Gläubige: So wird in Q 17:107-109 nun die gleiche Reaktion derjenigen beim Hören der koranischen Verkündigung beschrieben, die bereits göttliche Unterweisung erhalten haben, also wohl Juden oder Christen. An vorliegender Stelle wird nun nicht nur auf Gläubige aus bereits bestehenden Religionsgemeinschaften verwiesen, sondern die Beschreibung bezieht sich ebenfalls und vor allem auf die Mitglieder der sich entwickelnden koranischen Urgemeinde.
Zwei sprachliche Feinheiten im Vers sind erwähnenswert: Zum einen macht Paret auf die mögliche Bedeutungsnuance der Konstruktion ḏakkara + bi aufmerksam. Das mit der Präposition bi- eingeleitete Nomen kann das Objekt sein, an das erinnert wird, oder ein Mittel oder Hinweis mit dessen Hilfe etwas in Erinnerung gerufen werden soll (Paret, Kommentar zu 5:13, vgl. auch Ambros 2004, 104). Im vorliegenden Fall kann also verstanden werden „mit ihnen (den Zeichen) erinnert werden“ bzw. „durch sie (den Zeichen) (an etwas/ jemanden) erinnert werden“. Da sich das Wort ʾāya bereits zu einem Homonym für die Schrift (kitāb) bzw. die Lesung (qurʾān) entwickelt hat, ist hier wohl die Erinnerung mit der koranischen Offenbarung gemeint (vgl. KTS, 436). Zum anderen wird der Teilsatz wa-hum lā yastakbirūn üblicherweise als Aufzählung in den Übersetzungen fortgeführt („und sie sind nicht hochmütig“). Birnstiel wendet dagegen ein, dass es sich hier grammatikalisch um einen Nebensatz handelt: „However, in our view fa/wa-hum marks a low degree of topic contrast or progress in the circumstantial clause with regard to the main close...“ (Birnstiel, 2011, 61). Folgt man seinem Einwand, tritt durch diesen Nebensatz („während sie nicht hochmütig sind“) eine Referenz zu Polemiken deutlicher zutage, die den Hochmut der Gegner beklagen (Q 45:31, Q 40:47, Q 28:39 u. ö.).
Die Formulierung in V. 16tataǧāfā ǧunūbuhum ʿani l-maḍāǧiʿ („ihre Seiten vermeiden die Schlaflager“) findet sich nur an dieser Stelle im Koran. Sie erinnert in Verbindung mit der ihr nachfolgenden Beschreibung des Betens an das monastische Ideal der Enthaltsamkeit, insbesondere des Schlafverzichts zugunsten des Gottesdienstes und des Abhaltens nächtlicher Vigilien (s. auch Bell 1991 zu Q 32:15). Die in diesem Vers ebenfalls auftretende Wendung wa-mimma razaqnāhum yunfiqūn („und sie spenden von dem wir sie versorgt haben“) findet hingegen ab der spätmekkanischen Zeit häufige Verwendung und beschreibt eine wesentliche Tugend der Gläubigen (vgl. Q 42:38, Q 13:22, Q 14:31, Q 35:29, Q 28:54, Q 36:37, s. auch Q 2:3, Q 8:3, Q 22:35, Q 4:39). Die soziale und religiöse Pflicht, von lebenserhaltenen Gütern zu spenden, ist nicht nur ein Verweis auf ein Ideal, dass bereits biblisch angelegt ist (z. B. Matthäus 6:3), sondern geht einher mit der Aufrichtung eines gemeindlichen Almosenwesens (s. Nanji, 2011, EQ).
Auch in V. 17 findet sich ein Anklang an Formulierungen, die aus der christlichen Tradition bekannt sind. Der erste Teilvers erinnert, so David Kiltz und Yousef Kouriyeh, an eine Formulierung aus einem Gebet aus der syrischsprachigen Liturgie. Dort wird den Märtyrern gedacht und ihnen als Belohnung eine Schau dessen versprochen, „was das Auge nicht gesehen hat“ (TUK, Nr. 0173). Bell verweist auf 1. Korinther 2:9 und den darin zitierten Vers aus Jesaja 64:3: „Nein, wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“. Dort ist allerdings von Gottes Weisheit in der Welt in der Person von Jesus Christus die Rede, kein nachweltliches Geschehen (s. TUK, Nr. 1180). Die Liturgie zeigt somit bereits eine Weiterentwicklung des Motivs, das eine Aufnahme im Koran erfährt. Der zweite Teilvers macht hier den Bezug zum Paradies deutlich, indem eine frühere Wendung Wiederaufnahme findet: In Q 56:24 und in Q 46:14 wird ebenfalls die Formulierung ǧazāʾan bi-mā kānū yaʿmalūn („Vergeltung/Lohn für das, was sie stets getan haben“) gebraucht (vgl. auch Q 78:36ǧazāʾan min rabbika ʿaṭāʾan ḥisāba). An diesen Stellen wird jeweils das Wohlergehen der Gläubigen im Paradies beschrieben.
V. 19-21 ʾamma llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilu ṣ-ṣāliḥāti fa-lahum ǧannātu l-maʾwā nuzulan bi-mā kānū yaʿmalūn/ wa-ʾamma llaḏīna fasaqū fa-maʾwāhumu n-nāru kullamā ʾarādū ʾan yaḫruǧū minhā ʾuʿīdū fīhā wa-qīla lahum ḏūqū ʿaḏāba n-nāri llaḏī kuntum bihī tukaḏḏibūn/ wa-la-nuḏīqannahum mina l-ʿaḏābi l-ʾadnā dūna l-ʿaḏābi l-ʾakbari laʿallahum yarǧiʿūn] Diese antithetische Darstellung nimmt das Ergehen der Gläubigen und Ungläubigen im Jenseits in den Blick (vgl. auch Q 30:15-16). Eine ausführliche Darlegung von Paradies und Hölle unterbleibt, weil die Anspielungen offensichtlich ausreichend sind, um die ausführlichen Beschreibungen, etwa von Q 37:40-70, in Erinnerung zu bringen. Zum Begriff ǧanna s. die Anmerkung zu Q 81:13.
V. 21 berichtet von zwei Strafen – einer näheren und einer größeren (al-ʿaḏāb al-ʾadnā, al-ʿaḏāb al-ʾakbar). Offensichtlich wird zwischen einer innerweltlichen und einer jenseitigen Strafe unterschieden. So ist auch an anderen Stellen davon die Rede, dass einer ersten, innerweltlichen Strafe noch eine größere jenseitige folgen wird, vgl. Q 68:33, Q 52:47 und Q 39:26. Inwiefern hier auf eine erzieherische Komponente der ersten Strafe verwiesen wird, wenn von einer möglichen Umkehr gesprochen wird (laʿallahum yarǧiʿūn), ist vor allem abhängig vom Verständnis der Partikel laʿalla („auf dass“ bzw. „vielleicht“), s. dazu TUK, Nr. 0635.
V. 22 wa-man ʾaẓlamu mimman ḏukkira bi-ʾāyāti rabbihī ṯumma ʾaʿraḍa ʿanhā ʾinnā mina l-muǧrimīna muntaqimūn] Die polemische Frage ist eine gekürzte Version von Q 18:57. Während dort die Verstockung als Erklärung für das Abwenden angeführt wird, folgt an vorliegender Stelle ein Drohwort. Die Drohung umfasst den Gedanken des Rächens, der sich wahrscheinlich an den biblischen Gebrauch anlehnt. Dort wird die Vergeltung zum Bestandteil der göttlichen Gerechtigkeit gerechnet (vgl. Deuteronomium 32:35: „Mein ist die Strafe und die Vergeltung zu der Zeit, da ihr Fuß wanken wird.“; s. auch Brief an die Römer 12:19). Ab der mittelmekkanischen Periode beschreiben Ableitungen des VIII. Stammes von n-q-m (+min) („sich an jmd. rächen“) (Ambros 2004, 274) Gottes Handeln als Reaktion auf Missetaten von Menschen (s. Q 43:25, Q 43:41, Q 43:55, Q 44:16, in späteren Suren noch in Q 32:22, Q 30:47, Q 7:136). Die Bezeichnung ḏū ntiqām wird in der spätmekkanischen Periode zu einem Attribut Gottes (s. Q 14:47, Q 39:37, Medina: Q 5:95, Q 3:4).
V. 23-25 wa-la-qad ʾātainā mūsa l-kitāba fa-lā takun fī miryatin min liqāʾihī wa-ǧaʿalnāhu hudan li-banī ʾisrāʾīl/ wa-ǧaʿalnā minhum ʾaʾimmatan yahdūna bi-ʾamrinā lammā ṣabarū wa-kānū bi-ʾāyātinā yūqinūn/ ʾinna rabbaka huwa yafṣilu bainahum yauma l-qiyāmati fī-mā kānū fīhi yaḫtalifūn] Der Rückblick nimmt die Schriftgabe an Moses und den Umgang damit in den Blick und setzt sie in Bezug zum endzeitlichen Ergehen. Die Hinweise auf die an Moses offenbarte Schrift setzen in den mittelmekkanischen Suren ein (Q 37:117, Q 17:2, Q 23:49, Q 25:35), wo auch insgesamt eine wachsende Bezugnahme auf biblische Vorgängertraditionen auftritt und das Konzept von durch Gott auserwählte „Schriftgemeinschaften“ ausgeformt wird (s. dazu KTS, 133-137). Während in dieser ersten Phase vor allem Moses und die Offenbarungsgabe an ihn im Mittelpunkt stehen, ändert sich der Bezug graduell, indem nun auch die Israeliten in den Blick geraten (s. als erste Referenz Q 17:2: wa-ʾātainā mūsa l-kitāba wa-ǧaʿalnāhu hudan li-banī ʾisrāʾīla ʾallā tattaḫiḏū min dūnī wakīlā). Während die Schriftgabe an Moses auch in den spätmekkanischen Suren weiterhin durchweg positiv konnotiert ist (Q 28:43, Q 40:53), wird die damit zusammenhängende Schriftgabe an die Israeliten zunehmend kritisch gewertet. Immer häufiger stehen im unmittelbaren Zusammenhang Hinweise auf Abweichungen von und Streitigkeiten über die von Moses offenbarte Schrift (vgl. Q 11:110 und Q 41:45, Q 45:16-17). Die Schrift des Moses wird zudem stärker universal als an alle Menschen gerichtete Offenbarung wahrgenommen (s. Q 46:12 und Q 6:154).
Die Vorbilder (wa-ǧaʿalnā minhum ʾaʾimmata) werden an anderen Stellen näher spezifiziert: In der mittelmekkanischen Sure Q 21:73 werden Abraham, Lot und deren Nachkommen Isaak und Jakob als solche bezeichnet, ebenso bitten die Gottesfürchtigen in Q 25:74 um Nachkommen, die auch zu beispielhaften Menschen werden sollen. In der spätmekkanischen Sure Q 28:5 werden noch einmal die Israeliten insgesamt als beispielgebende Vorbilder bezeichnet. Auffällig ist eine wiederholte Betonung auf die Vorbilder aus der Nachkommenschaft Abrahams und Lots und der Israeliten. Es gibt jedoch auch zwei Stellen, an denen der Begriff eine negative Konnotation aufweist, wenn Pharao und seine Leute in Q 28:41 als Negativbeispiele aufgeführt werden ebenso wie Eidbrecher in der medinensischen Sure Q 9:12. Ursprünglich wurde mit ʾimām (Pl. ʾaʾimmah) eine „Richtschnur, ein Lot, ein Balken mit dessen Hilfe man ein Gebäude errichtet“ bezeichnet (Lisān, s. v. ʾ-m-m). Die Bedeutung „Vorbild, Beispiel“ ist eine daraus resultierende Übertragung.
Die Aussage in V. 25, dass am Tag der Auferstehung darüber entschieden wird, worüber die Menschen uneins waren, ist ein wiederkehrendes Thema in spätmekkanischen und medinensischen Suren. Bereits in den mittelmekkanischen Suren wird auf Jesus und die koranische Verkündigung verwiesen, die gesandt wurden, um Streitigkeiten auszuräumen (s. Q 43:63, Q 27:76). Aber die eschatologische Aussage – der Verweis auf die letztgültige Gottesentscheidung über die Uneinigkeiten – tritt erst ab den spätmekkanischen Suren auf und zieht sich bis in medinensische Suren (s. Q 16:92-124, Q 39:3-46, Q 42:10, Q 10:93, Q 45:17, Q 6:164, Medina: Q 22:69, Q 3:55, Q 5:48, Q 2:213). Offensichtlich wird dieser Gedankengang durch die Wahrnehmung der Unterschiedlichkeiten innerhalb von Glaubensgemeinschaften virulent ebenso wie durch die Diskrepanzen und Auseinandersetzungen mit Juden und Christen. Da eine Einheit aller Gläubigen nicht möglich erscheint, wird die abschließende Klärung über die Streitthemen ein eschatologisches Motiv. Dadurch wird es auch möglich (s. Q 5:48) die präsente Unterschiedlichkeit als gottgegeben und letztendlich positiv zu deuten.
V. 26-27 ʾa-wa-lam yahdi lahum kam ʾahlaknā min qablihim mina l-qurūni yamšūna fī masākinihim ʾinna fī ḏālika la-ʾāyātin ʾa-fa-lā yasmaʿūn/ ʾa-wa-lam yarau ʾannā nasūqu l-māʾa ʾila l-ʾarḍi l-ǧuruzi fa-nuḫriǧu bihī zarʿan taʾkulu minhu ʾanʿāmuhum wa-ʾanfusuhum ʾa-fa-lā yubṣirūn] Der Abschnitt fungiert mit seinen rhetorischen Fragen und klauselhaften Wendungen als Kommentierung und Aufruf: Die Art der rhetorischen Frage über die Mahnkraft der baulichen Überreste untergegangener Völker (V. 26) findet sich als Klausel in argumentativen Passagen bereits in der mittelmekkanischen Sure Q 20:128. Ähnlich wird in Q 6:6 und Q 36:31 argumentiert. Nicht als Klausel, sondern als Aussage über verlassene Wohnstätten s. Auch Q 28:58, Q 46:25, Q 29:38 und Q 14:45. Der Hinweis auf untergegangene Völker als mahnendes Beispiel ist bereits Teil der frühen Verkündigung (s. etwa Q 69:9, Q 53:53, Q 17:17, Q 50:36, Q 28:78, Q 38:3), aber auch in den spätmekkanischen Suren bleibt er als Mahnwort Bestandteil der Verkündigung. Allerdings wird die Mahnung nun häufig in Zusammenhang mit dem Umherziehen im Land gebracht, wo die Menschen die Überreste früheren menschlichen Lebens gewahr werden (s. Q 30:9-42, Q 35:44, Q 40:21-82).
Die Wendung ʾinna fī ḏālika la- hat einen den Abschnitt abschließenden Charakter. Birnstiel beschreibt sie als Formulierung, die einen vorangehenden Redeabschnitt als wichtige spirituelle Unterrichtung für die Hörer auszeichnet, über die diese nachdenken sollen (Birnstiel, 2011, 220-221). Aus formaler Sicht handelt es sich bei dieser Wendung auch um eine Klausel (s. Neuwirth 2007, 162). Auffällig ist dieser Klauselgebrauch vor allem in den spätmekkanischen Suren, die stark argumentativ ausgerichtet sind. Die Klausel wirkt dabei vor allem textstrukturierend, vgl. etwa Q 16:11-13, Q 16:65, Q 16:67, Q 16:69; Q 29:24, Q 29:44, Q 29:51; Q 30:21-24, Q 30:27, für eine vollständige Auflistung der Stellen s. Birnstiel, 2011, ebd.
Die Werkaffirmationen, die Gottes Wirken in der Schöpfung aufweisen, sind bereits seit frühemekkanischer Zeit wiederkehrende Motive (s. Textsortenregister). Die Beschreibung, dass Gott den Regen vom Himmel sendet und damit Gedeihen und Nahrung auf der Erde schafft, ist eine Werkaffirmation, die in mittel- und spätmekkanischen Suren und noch einmal in Medina Verwendung findet. Sie kann dabei sowohl in einem hymnischen Zusammenhang stehen, vgl. Q 20:53, Q 14:32, Q 31:10 oder wie hier eine polemische Funktion haben, vgl. Q 27:60, Q 7:57, Q 35:27, Medina: Q 2:22.
V. 28-30 wa-yaqūlūna matā hāḏa l-fatḥu ʾin kuntum ṣādiqīn/ qul yauma l-fatḥi lā yanfaʿu llaḏīna kafarū ʾīmānuhum wa-lā hum yunẓarūn/ fa-ʾaʿriḍ ʿanhum wa-ntaẓir ʾinnahum muntaẓirūn] Die Frage in V. 28matā hāḏa l-fatḥu ʾin kuntum ṣādiqīn ist nach der häufiger auftretenden Formulierung matā hāḏā l-waʿdu ʾin kuntum ṣādiqīn gestaltet, vgl. für Mekka II Q 21:38, Q 36:48, Q 67:25, Q 27:71 und Mekka III Q 32:28, Q 10:48, Q 34:29. An allen Stellen wird die koranische Botschaft eines göttlichen Gerichts in Frage gestellt. Durch diesen Zusammenhang erscheint auch fatḥ als ein Begriff, der die Einlösung eines Versprechens beschreibt. Nach Jeffery, der hier Horovitz folgt (FVQ, 221 f.) scheint fataḥa/ fatḥ hier und in Q 26:118 nicht im Sinne von „öffnen“ zu verstehen sein, sondern in der Bedeutung eines „richterlichen Urteils“. Er verweist auf das äthiopische fatḥa („urteilen“) und das sabäische ftḥ („juristisches Urteil“). Diese semantische Herleitung unterstützt die Beobachtungen am Text, so dass unter yaum al-fatḥ offensichtlich ein Tag verstanden wurde, an dem Gott als Richter auftritt und ein Urteil ausgeführt wird. Inwiefern dieses göttliche Gericht endzeitlich ist oder noch auf das Diesseits bezogen ist, bleibt dabei offen. Auffällig ist hier und an allen Stellen die Ansprache eines Kollektivs, offensichtlich die Gemeinde um den Verkünder. Dadurch gewinnt die Frage einen spottenden und auch nach Antwort drängenden Charakter. Deswegen und häufig unter Zuhilfenahme medinensischer Verse interpretieren muslimische Kommentatoren fatḥ häufig als Entscheidung zwischen den Gegnern und Anhängern des Verkünders und verbinden damit die Eroberung Mekkas (fatḥ erscheint als terminus technicus) und den Erfolg der Gläubigen (s. dazu Paret, Kommentar, ad loc.). Die Aufforderung in V. 30, das göttliche Urteil gemeinsam mit den Gegnern abzuwarten, impliziert die Unvorhersagbarkeit der angekündigten Ereignisse. Diese Mahnung tritt nur in spätmekkanischen Suren auf, was auf ein verstärktes Drängen der Gegner schließen lässt, die präzise Vorhersagen verlangen, vgl. Q 6:158, Q 11:122, Q 7:71, Q 10:20-102.
Literaturliste
[Vorbemerkung: Die Einzelbeobachtungen an der Sure können nicht als voneinander und von anderen Suren unabhängige Parameter betrachtet werden, die eine Entwicklung jeweils nachweisen. Die aufgeführten Punkte sind vorläufig und noch nicht vollständig.]
Die Sure gehört zu einer Reihe von Suren etwa Q 45 und Q 40, die Debatten fortsetzen, die bereits in mittelmekkanischen Suren manchmal sogar in frühmekkanischen Suren ihren Ausgangspunkt haben. Zugleich weisen sie aber signifikante inhaltliche und auch formale Unterschiede und Weiterentwicklungen auf, so dass sie zeitlich nachgeordnet werden müssen. Sie führt mit ihrem dreiteiligen Aufbau, der keine späteren Einschübe aufweist, formal den mittelmekkanischen Surenaufbau und auch deren durchschnittlichen Umfang der Verslänge (Q 34:8) fort. Allerdings weist sie im Unterschied zu diesen Suren keinen Erzählteil mehr auf und ist dadurch schon Teil der stärker argumentativ ausgerichteten spätmekkanischen Suren.
Zu Beginn der Sure wird mit der Bezeichnung der Offenbarung als tanzīlu l-kitābi min rabbi l-ʿālamīn an frühere offenbarungstheologische Verse über die Verkündigung als Herabsendung und über den Sender – dem Herrn der Welten – angeschlossen (Q 69:43, Q 56:80, Q 26:192, Q 36:5). Aber die hier und in weiteren spätmekkanischen Suren zu verzeichnende Erweiterung tanzīl al-kitāb weist auf eine Entwicklung hin. Die Teilhabe am Schriftbesitz wird dadurch mit Nachdruck unterstrichen, bedeutsamer noch ist die Reflektion über den Umgang mit der Schriftgabe (s. dazu den Kommentar zu V. 1-3). Q 32:23-25 sind eine der ersten Verse die einen kritischen Blick auf die Israeliten wirft. In den mittelmekkanischen Suren finden sich gehäuft Verweise auf die an Mose offenbarte Schrift (Q 37:117, Q 17:2, Q 23:49, Q 25:35), die Israeliten geraten bereits auch in Q 17:2 in den Blick. Während die Schriftgabe an Moses auch in den spätmekkanischen Suren weiterhin durchweg positiv konnotiert ist (Q 28:43, Q 40:53), wird die damit zusammenhängende Schriftgabe an die Israeliten zunehmend aus einer kommentierenden Position heraus kritisch gewertet (Q 41:45, Q 45:16-17) (s. dazu den Kommentar zu V. 23-25). Auffällig ist auch die Übergangsposition, die Q 32 einnimmt, bei der Bezeichnung des Offenbarungssender: War es in den früheren Suren bis auf Q 36:5 und auch noch in Q 32 jeweils rabb al-ʿālamīn („Herr der Welten“), wird diese Gottesbezeichnung hernach durch Allāh ersetzt. Vielleicht ein Hinweis auf die bereits einsetzende Gleichsetzung beider Bezeichnungen und einer nun zumindest quantitativ nachweisbaren Bevorzugung des Gottesnamens Allāh.
Q 32:15-16 nimmt die zuvor in mittelmekkanischen Suren dargestellten Glaubens- und Handlungsweisen früherer Propheten, Gesandten und wohl auch zeitgenössischer christlicher und jüdischer Gläubiger auf und entwirft nun ein Bild der Gläubigen der Urgemeinde. Die Pflichten und Tugenden der Gläubigen werden im Gegensatz zu den vorangehenden Suren nun noch stärker thematisiert (s. dazu den Kommentar zu V. 15-16).
Die Wendung liqāʾ rabbihim /- yaumikum/ liqāʾihi (V. 10, V. 14, V. 23) als Beschreibung für das göttliche Endgericht taucht zuerst in den späten mittelmekkanischen Suren (Q 18:105-110, Q 23:33, Q 25:21) auf. Ihr Gebrauch erhöht sich in den spätmekkanischen Suren markant und findet in medinensischen Suren keine Anwendung mehr. Vor allem in den ersten spätmekkanischen Suren findet sie sich häufig (Q 32:10, Q 32:14Q 32:23, Q 41:54, Q 29:5-23, Q 39:71, Q 45:34, Q 30:8-16). Die das Ende der spätmekkanischen Verkündigungsperiode markierenden Suren nehmen vielfach die Inhalte der vorangegangenen Suren reflektierend wieder auf, so dass auch dort die Wendung noch einmal gehäuft auftritt (Q 6:130-154, Q 7:51-147, Q 10:7, Q 10:11, Q 10:15, Q 10:45, Q 13:2). Deutlich wird, dass die direkte Konfrontation mit Gott am Ende der Zeiten ein zentrales Thema der ersten spätmekkanischen Suren ist. Die eigene, persönliche Verantwortlichkeit des Menschen für dessen Verhalten und der Tun-Ergehen-Zusammenhang, ebenso wie das Aufzeigen von Konsequenzen werden innerhalb von vor allem kosmologischen Beweisketten stärker thematisiert. Das Wirken Gottes beschränkt sich nicht nur auf die bereits bestehende Welt, sondern ebenfalls auch auf dessen Handeln in der Zukunft, so dass das Zukünftige bereits Teil des Gegenwärtigen ist. Die Beschreibung des Jüngsten Tages (yaumu l-qiyāmah) als liqāʾ allāh verdeutlicht dabei die Involviertheit Gottes in das menschliche Geschick, die von den Gegnern vehement bestritten wird.
Der Verweis auf die kognitiven Fähigkeiten der Menschen (V. 9) schließt an Aussagen in Sure Q 23:78 und Q 17:36 an. Die Sure weist jedoch noch keine für spätere Suren signifikante Weiterentwicklung des Themas in Form von Klauseln oder in die Überführung anderer Textformen auf.
Q 32 weist einen neuen Klauseltyp auf: ʾa-fa-lā...“ (Q 32:4, Q 32:26-27, Q 41:53, Q 30:8, Q 14:9, Q 7:100-185). Diese Formulierung impliziert, dass die Hörerschaft mit dem zuvor referierten Inhalt vertraut ist und bestimmte Schlussfolgerungen logisch zu ziehen sein sollten, etwa bei den Fragen nach Gottes Allmacht angesichts seiner sichtbaren Zeichen in der Welt und in Hinblick auf den Untergang früherer Völker.
Die Sure besteht aus drei Teilen, die jeweils argumentativ ausgerichtet sind und um einen gegnerischen Einwand Frage kreisen. Klauseln markieren dabei Übergänge zu neuen Teilabschnitten und auch die Reimdurchbrechung in V. 23 unterstützt auf phonetischer Ebene einen inhaltlichen Neueinsatz. Der erste Teil (V. 1-9) besteht aus zwei Abschnitten, wobei der erste Abschnitt die Verkündigung gegen den gegnerischen Vorwurf der Erfindung verteidigt und sie als göttliche Niedersendung qualifiziert (V. 1-3). Der zweite Abschnitt unterstreicht die eschatologische Dringlichkeit der Botschaft, indem Gott als Weltschöpfer, -richter und -lenker dargestellt wird (V. 4-5). Der Teil endet in einer Prädikation Gottes (V. 6), dem Verweis auf dessen Schöpfung der Menschen und die Gabe von Auffassungsvermögen und Verständnis (V. 7-9). Dieser Verweis wird am Ende der Sure wieder aufgenommen (V. 26-27), so dass der Mittelteil in eine legitimatorisch-polemische Argumentation eingebettet ist, die denjenigen eine Entscheidung nahelegt, denen diese Gaben zur Verfügung stehen, die diese aber nicht in rechter Form gebrauchen.
Der Mittelteil beinhaltet eine Argumentation über den Glauben an die Auferstehung und das Jüngste Gericht. Er beginnt mit einer Frage der Kontrahenten über eine Neuschaffung des Menschen nach dem Tod (V. 10) und einer kommentierenden Aussage, dass diese nicht an das Jüngste Gericht glauben. Die Frage wird mit dem Hinweis auf Gottes Verfügungsmacht über den Tod, einer Höllenbeschreibung und einem Drohwort (V. 11-14) beantwortet. Diese Zukunftsansage für die Gegner wird durch die Beschreibung der Tugenden der Gläubigen und einer Anspielung auf zukünftige ewige Freuden für diese kontrastiert (V. 15-17). Diese antithetische Beschreibung endet in einer vergleichenden Frage und bildet einen ersten Schluss der Argumentation (V. 18). Es folgt eine weitere Antithese, die das Ergehen in Paradies und Hölle beschreibt (V. 19-21). Diese Beschreibung endet im zweiten Argumentationsschluss: in einer polemisch ausgerichteten Frage und einem Drohwort (V. 22) an diejenigen, die Gottes Zeichen nicht beachten.
Der Schlussteil der Sure kehrt zurück auf die Ebene der Offenbarungsbestätigung und Legitimation der Botschaft und rahmt gemeinsam mit den Eingangsversen den Surenmittelteil. Er beginnt mit einem Verweis auf die Schriftgabe an Moses (V. 23). Die Herabsendung der Schrift an den Verkünder (V. 2) erhält durch diesen typologischen Bezug zusätzliche Legitimierung. Die Anspielung auf beispielgebende Gläubige unter den Israeliten und den Streit zwischen ihnen (V. 23-25) kann eine allgemeine Aussage über die Israeliten oder die rabbinische Streitkultur sein. Die Verse (V. 23-25) im Zusammenhang der Sure können aber auch auf Meinungsverschiedenheiten in Hinblick auf die Auferstehung verweisen. Die folgenden zwei Verse (V. 26-27) nehmen in polemische Fragen gekleidet das Argument der menschlichen, von Gott gegebenen Auffassungsgabe (V. 9) wieder auf und weisen auf die göttlichen Zeichen in Geschichte und Natur hin. Die Sure endet mit einer weiteren Frage der Gegner (V. 28) über das „Urteil“, die sich an ein Kollektiv – wahrscheinlich die Gemeinde – richtet. Sie wird mit dem Hinweis auf das unvermeidliche Ende der Gegner beantwortet (V. 29) und dem Verkünder wird aufgetragen, sich abzukehren (V. 30). Somit wird dem Verkünder keine weitere Rolle als die des Überbringers der Botschaft – eines Warners (V. 3) zugedacht.
Die Sure hat sich als eine intendierte literarische Einheit (s. Inhalt und Struktur) erwiesen, wobei jeder Surenteil durch eine Frage bzw. einen Einwand der Gegner gekennzeichnet ist. Diese Fragen mögen nie in dieser Weise gestellt worden sein. Sie können rhetorische Mittel sein, um bestimmte gegnerische Positionen zurückzuweisen. Sie mögen auch Probleme thematisieren, die innerhalb der Gemeinde Bedeutung hatten: V. 3: ʾam yaqūlūna ftarāhu (Oder sagen sie: „Er hat es sich ausgedacht“?), V. 10: wa-qālū ʾa-ʾiḏā ḍalalnā fi l-ʾarḍi ʾa-ʾinnā la-fī ḫalqin ǧadīdin (Sie sagen: „Sollen wir etwa, wenn wir uns in der Erde verloren haben, in einer neuen Schöpfung sein?“), V. 28: wa-yaqūlūna matā hāḏa l-fath ʾin kuntum ṣādiqīna (Sie sagen: „Wann ist dieses Urteil, wenn ihr die Wahrheit sagt?“). Die Einwände sind Bestandteil von schon länger anhaltenden Debatten. Der erste Frage weist auf den Vorwurf, dass es sich bei der koranischen Verkündigung um etwas Selbstersonnenes und nicht um eine göttliche Offenbarung handelt. Dieser erscheint bereits in früheren, mittelmekkanischen Suren, etwa Q 21:5, und steht dort in Verbindung mit der Identifizierung des Verkünders als ein Dichter (šāʿir). Die Inspirationsquelle wird in diesem Zusammenhang ebenfalls in Frage gestellt (s. etwa auch Q 25:4). Die Unterscheidung von Dichtung und Prophetie und die Abweisung von offensichtlich fremden religiösen Konzepten oder Traditionen können ein Hinweis auf einen Konflikt zwischen einer dominierenden nicht biblisch orientierten kulturell-religiösen Tradition und einer entstehenden religiösen Gemeinschaft sein, die ihre Identität auf anderen Werten und Überzeugungen gründet (s. dazu die Einleitung zu den mittelmekkanischen Suren).
Die zweite Frage ist verbunden mit der Diskussion über die Ablehnung der Allmacht Gottes und seiner Ankündigung der Auferweckung der Toten; Themen, die bereits in mittelmekkanischen Suren verhandelt werden. Der in V. 10 gebrauchte Ausdruck ḫalq ǧadīd findet sich an weiteren Stellen und hat Forscher wie Karl Ahrens dazu geführt, hier eine Verbindung zum christologische Konzept der kainē ktisis („neuen Schöpfung [durch und in Christus]”) herzustellen. (z. B. 2. Korinther 5:17). Nimmt man eine solche Referenz an, muss mit einer radikalen Entschärfung der Christologie gerechnet werden. Die Phrase impliziert an den Belegstellen nicht den Glauben an ein durch Jesus Christus neu gewonnenes Leben in dieser Welt, sondern sie ist immer Teil von polemischen Diskussionen und stellt pointiert Gottes Macht zur Auferweckung der Toten dar. Sie ist aber nicht nur eine Aussage über Gottes Macht und Möglichkeiten, sie ist Teil einer Debatte, die eine bestimmte Gottesvorstellung in Frage stellt: Der Glaube an einen in der Geschichte an den Menschen handelnden Gott. Vielleicht ist es deswegen auch sinnvoller, nicht nach denen zu suchen, die nicht an die Auferstehung glauben, sondern nach denjenigen, die die Konsequenzen des Glaubens an eine neue Schöpfung ablehnen. Die Sure vermittelt einen guten Einblick in die Gottesvorstellung von einem allmächtigen, beobachtenden, in der Geschichte agierenden und richtenden Gott. Die Polemiken kreisen häufig um die implizite Frage des menschlichen Verhaltens in dieser Welt und die göttliche Reaktion.
Auch die letzte Frage ist Bestandteil dieser anhaltenden Diskussionen. Sie zielt auf Gottes Wirken im menschlichen Leben und in der Geschichte und auf die Wahrhaftigkeit der angekündigten Bestrafung ab. Waren zuvor der Charakter der Offenbarung (V. 3) und die Wiedererweckung der Menschen (V. 10) bezweifelt worden, wird nun nach dem Zeitpunkt des Gerichts gefragt (V. 28). Der dabei gebrauchte Begriff fatḥ („richterliches Urteil“) spiegelt eine juristische Bedeutungsebene des Wortes wieder, wie sie wahrscheinlich aus dem Äthiopischen bzw. Sabäischen ins Arabische geflossen ist. Da die Sure die Richterfunktion Gottes in besonderer Weise hervorhebt, scheint der Gebrauch dieses Begriffs statt des sonst üblichen wa˓d („Versprechen“) diese Funktion noch einmal zu verdeutlichen. Der fast spottende Teilsatz ʾin kuntum ṣādiqīna richtet sich an ein Kollektiv, dem dadurch indirekt die Glaubwürdigkeit entzogen wird, vermag sie keine Antwort darauf zu geben. Es spiegelt sich auch die Erwartung wieder, dass das Verkündete Erfüllung finden muss. Ob es sich dabei ausschließlich um eine Außensicht handelt oder auch eine Meinung innerhalb der Gemeinde ist, kann nicht entschieden werden. Die Frage zeigt jedoch, dass Spott und auch Zweifel wegen der ausbleibenden Verwirklichung der Ankündigungen ein großes Problem für die Gemeinde ist.