بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
كٓهيعٓصٓ |
I11 Kāf Hā Yā ʿAin Ṣād |
ذِكۡرُ رَحۡمَتِ رَبِّكَ عَبۡدَهُۥ زَكَرِيَّا |
2 Die Erinnerung an die Barmherzigkeit deines Herrn gegenüber seinem Diener Zacharias. |
إِذۡ نَادَىٰ رَبَّهُۥ نِدَآءً خَفِيًّۭا |
23 Damals, als er insgeheim zu seinem Herrn rief. |
قَالَ رَبِّ |
4 Er sprach: „Mein Herr! |
إِنِّی وَهَنَ ٱلۡعَظۡمُ مِنِّی |
Mein Gebein ist schwach |
وَٱشۡتَعَلَ ٱلرَّأۡسُ شَيۡبًۭا |
und mein Haupt schlohweiß geworden. |
وَلَمۡ أَكُنۢ بِدُعَآئِكَ رَبِّ شَقِيًّۭا |
Wenn ich dich im Gebet rief, mein Herr, war ich niemals trostlos. |
وَإِنِّی خِفۡتُ ٱلۡمَوَٰلِیَ مِن وَرَآءِی |
5 Ich fürchte meine Verwandten nach mir, |
وَكَانَتِ ٱمۡرَأَتِی عَاقِرًۭا |
denn meine Frau ist unfruchtbar. |
فَهَبۡ لِی مِن لَّدُنكَ وَلِيًّۭا |
So schenke mir von dir her einen Nachkommen, |
يَرِثُنِی وَيَرِثُ مِنۡ ءَالِ يَعۡقُوبَ ۖ |
6 der mich und die Familie Jakobs beerbt. |
وَٱجۡعَلۡهُ رَبِّ رَضِيًّۭا |
Und mach ihn, mein Herr, wohlgefällig!“ |
يَٰزَكَرِيَّآ إِنَّا نُبَشِّرُكَ بِغُلَٰمٍ ٱسۡمُهُۥ يَحۡيَىٰ |
37 „Zacharias, wir verkünden dir einen Jungen, dessen Name Johannes sei. |
لَمۡ نَجۡعَل لَّهُۥ مِن قَبۡلُ سَمِيًّۭا |
Niemals zuvor haben wir jemandem diesen Namen gegeben.“ |
قَالَ رَبِّ |
8 Er sagte: „Mein Herr, |
أَنَّىٰ يَكُونُ لِی غُلَٰمٌۭ |
wie soll ich einen Jungen bekommen, |
وَكَانَتِ ٱمۡرَأَتِی عَاقِرًۭا |
wo meine Frau doch unfruchtbar ist |
وَقَدۡ بَلَغۡتُ مِنَ ٱلۡكِبَرِ عِتِيًّۭا |
und ich schon ein hohes Alter erreicht habe?“ |
قَالَ كَذَٰلِكَ قَالَ رَبُّكَ |
9 Er sprach: „So spricht dein Herr: |
هُوَ عَلَىَّ هَيِّنٌۭ |
‚Das ist mir ein Leichtes, |
وَقَدۡ خَلَقۡتُكَ مِن قَبۡلُ |
denn ich habe doch zuvor auch dich erschaffen, |
وَلَمۡ تَكُ شَيۡـًۭٔا |
als du noch nichts warst.’“ |
قَالَ رَبِّ |
10 Er sagte: „Mein Herr, |
ٱجۡعَل لِّیٓ ءَايَةًۭ ۖ |
lass mir ein Zeichen zuteil werden!“ |
قَالَ ءَايَتُكَ |
Er sprach: „Dein Zeichen besteht darin, |
أَلَّا تُكَلِّمَ ٱلنَّاسَ ثَلَٰثَ لَيَالٍۢ سَوِيًّۭا |
dass du drei Tage lang ohne Unterbrechung nicht zu den Leuten sprichst.“ |
فَخَرَجَ عَلَىٰ قَوۡمِهِۦ مِنَ ٱلۡمِحۡرَابِ |
11 Da ging er aus dem Tempel zu seinem Volk hinaus |
فَأَوۡحَىٰۤ إِلَيۡهِمۡ |
und tat ihnen kund: |
أَن سَبِّحُوا۟ بُكۡرَةًۭ وَعَشِيًّۭا |
„Lobpreiset am Morgen und am Abend!“ |
يَٰيَحۡيَىٰ خُذِ ٱلۡكِتَٰبَ بِقُوَّةٍۢ ۖ |
412 „Johannes, nimm die Schrift kraftvoll entgegen!“ |
َءَاتَيۡنَٰهُ ٱلۡحُكۡمَ صَبِيًّۭا |
Wir verliehen ihm bereits als Kleinkind Urteilskraft |
وَحَنَانًۭا مِّن لَّدُنَّا وَزَكَوٰةًۭ ۖ |
13 sowie Mitgefühl von uns und Lauterkeit. |
وَكَانَ تَقِيًّۭا |
Er war gottesfürchtig |
وَبَرًّۢا بِوَٰلِدَيۡهِ |
14 und ehrerbietig gegenüber seinen Eltern |
وَلَمۡ يَكُن جَبَّارًا عَصِيًّۭا |
und war kein widersetzlicher Gewalttäter. |
وَسَلَٰمٌ عَلَيۡهِ يَوۡمَ وُلِدَ وَيَوۡمَ يَمُوتُ وَيَوۡمَ يُبۡعَثُ حَيًّۭا |
15 Friede über ihn an dem Tag, da er geboren wurde, und an dem Tag, da er stirbt, und an dem Tag, da er zum Leben auferweckt wird! |
وَٱذۡكُرۡ فِی ٱلۡكِتَٰبِ مَرۡيَم |
516 Und gedenke in der Schrift an Maria! |
إِذِ ٱنتَبَذَتۡ مِنۡ أَهۡلِهَا مَكَانًۭا شَرۡقِيًّۭا |
Als sie sich vor den Ihren an einen Ort im Osten zurückzog |
فَٱتَّخَذَتۡ مِن دُونِهِمۡ حِجَابًۭا |
17 und sich vor ihnen einen Vorhang nahm. |
فَأَرۡسَلۡنَآ إِلَيۡهَا رُوحَنَا |
Da sandten wir unseren Geist zu ihr, |
فَتَمَثَّلَ لَهَا بَشَرًۭا سَوِيًّۭا |
und er erschien ihr als wohlgestalteter Mensch. |
قَالَتۡ إِنِّیٓ أَعُوذُ بِٱلرَّحۡمَٰنِ مِنكَ |
18 Sie sprach: „Ich suche beim Barmherzigen Zuflucht vor dir, |
إِن كُنتَ تَقِيًّۭا |
wenn du gottesfürchtig bist!“ |
قَالَ إِنَّمَآ أَنَا۠ رَسُولُ رَبِّكِ |
19 Er sagte: „Ich bin der Gesandte deines Herrn, |
لِأَهَبَ لَكِ غُلَٰمًۭا زَكِيًّۭا |
um dir einen lauteren Jungen zu schenken.“ |
قَالَتۡ أَنَّىٰ يَكُونُ لِی غُلَٰمٌۭ |
20 Sie sagte: „Wie soll ich einen Jungen bekommen, |
وَلَمۡ يَمۡسَسۡنِی بَشَرٌۭ |
wo mich doch kein Mensch berührt hat |
وَلَمۡ أَكُ بَغِيًّۭا |
und ich keine Dirne gewesen bin?“ |
قَالَ كَذَٰلِكِ قَالَ رَبُّكِ |
21 Er sprach: „So spricht dein Herr: |
هُوَ عَلَىَّ هَيِّنٌۭ ۖ |
‚Das ist mir ein Leichtes. |
وَلِنَجۡعَلَهُۥٓ ءَايَةًۭ لِّلنَّاسِ وَرَحۡمَةًۭ مِّنَّا ۖ |
Wir wollen ihn zu einem Zeichen für die Menschen und zu einer Barmherzigkeit von uns machen; |
وَكَانَ أَمۡرًۭا مَّقۡضِيًّۭا |
Es ist beschlossene Sache.’“ |
فَحَمَلَتۡهُ فَٱنتَبَذَتۡ بِهِۦ مَكَانًۭا قَصِيًّۭا |
622 Da wurde sie mit ihm schwanger und zog sich mit ihm an einen fernen Ort zurück. |
فَأَجَآءَهَا ٱلۡمَخَاضُ إِلَىٰ جِذۡعِ ٱلنَّخۡلَةِ |
23 Dann trieben sie die Wehen zum Stamm der Palme. |
قَالَتۡ يَٰلَيۡتَنِی مِتُّ قَبۡلَ هَٰذَا |
Sie sagte: „Wäre ich doch nur schon zuvor gestorben |
وَكُنتُ نَسۡيًۭا مَّنسِيًّۭا |
und ganz und gar vergessen!“ |
فَنَادَىٰهَا مِن تَحۡتِهَآ |
24 Da rief er ihr von unten zu: |
أَلَّا تَحۡزَنِی |
„Sei nicht traurig! |
قَدۡ جَعَلَ رَبُّكِ تَحۡتَكِ سَرِيًّۭا |
Dein Herr hat unter Dir ein Bächlein fließen lassen. |
وَهُزِّیٓ إِلَيۡكِ بِجِذۡعِ ٱلنَّخۡلَةِ |
25 Rüttle den Palmenstamm zu dir hin, |
تُسَٰقِطۡ عَلَيۡكِ رُطَبًۭا جَنِيًّۭا |
dann lässt sie frische Datteln auf dich fallen. |
فَكُلِی وَٱشۡرَبِی وَقَرِّی عَيۡنًۭا ۖ |
26 Iss, trink und sei guten Muts! |
فَإِمَّا تَرَيِنَّ مِنَ ٱلۡبَشَرِ أَحَدًۭا |
Wenn du jemanden von den Menschen siehst, |
فَقُولِیٓ إِنِّی نَذَرۡتُ لِلرَّحۡمَٰنِ صَوۡمًۭا |
sprich: ‚Ich habe dem Barmherzigen ein Fasten gelobt, |
فَلَنۡ أُكَلِّمَ ٱلۡيَوۡمَ إِنسِيًّۭا |
deswegen werde ich heute mit keinem Menschen reden.’“ |
فَأَتَتۡ بِهِۦ قَوۡمَهَا تَحۡمِلُهُۥ ۖ |
727 Da kam sie mit ihm auf dem Arm zu ihren Leuten. |
قَالُوا۟ يَٰمَرۡيَمُ |
Sie sagten: „Maria, |
لَقَدۡ جِئۡتِ شَيۡـًۭٔا فَرِيًّۭا |
da hast du etwas Unerhörtes getan! |
يَٰٓأُخۡتَ هَٰرُونَ |
28 Schwester Aarons, |
مَا كَانَ أَبُوكِ ٱمۡرَأَ سَوۡءٍۢ |
dein Vater war kein schlechter Mann |
وَمَا كَانَتۡ أُمُّكِ بَغِيًّۭا |
und deine Mutter keine Dirne.“ |
فَأَشَارَتۡ إِلَيۡهِ ۖ |
29 Da zeigte sie auf ihn. |
قَالُوا۟ كَيۡفَ نُكَلِّمُ مَن كَانَ فِی ٱلۡمَهۡدِ صَبِيًّۭا |
Sie sagten: „Wie sollen wir mit einem sprechen, der noch ein Kind in der Wiege ist?“ |
قَالَ إِنِّی عَبۡدُ ٱللَّهِ |
830 Er sagte: „Ich bin Gottes Diener. |
ءَاتَىٰنِیَ ٱلۡكِتَٰبَ |
Er hat mir die Schrift gegeben |
وَجَعَلَنِی نَبِيًّۭا |
und mich zu einem Propheten gemacht; |
وَجَعَلَنِی مُبَارَكًا أَيۡنَ مَا كُنتُ |
31 er verleiht mir Segen, wo immer ich bin, |
وَأَوۡصَٰنِی بِٱلصَّلَوٰةِ وَٱلزَّكَوٰةِ مَا دُمۡتُ حَيًّۭا |
hat mir das Gebet und die Almosengabe anbefohlen, so lange ich lebe, |
وَبَرًّۢا بِوَٰلِدَتِی |
32 und Ehrerbietung gegen meine Mutter. |
وَلَمۡ يَجۡعَلۡنِی جَبَّارًۭا شَقِيًّۭا |
Er hat mich nicht zu einem elenden Gewalttäter gemacht. |
وَٱلسَّلَٰمُ عَلَىَّ يَوۡمَ وُلِدتُّ وَيَوۡمَ أَمُوتُ وَيَوۡمَ أُبۡعَثُ حَيًّۭا |
33 Friede über mir an dem Tag, da ich geboren wurde, und an dem Tag, da ich sterbe, und an dem Tag, da ich zum Leben auferweckt werde!“ |
ذَٰلِكَ عِيسَى ٱبۡنُ مَرۡيَمَ |
934 Das ist Jesus, der Sohn Marias; |
قَوۡلَ ٱلۡحَقِّ ٱلَّذِی فِيهِ يَمۡتَرُونَ |
das Wort der Wahrheit, über das sie streiten. |
مَا كَانَ لِلَّهِ أَن يَتَّخِذَ مِن وَلَدٍۢ ۖ سُبۡحَٰنَهُۥٓ ۚ |
35 Es kommt Gott nicht zu, sich ein Kind zu nehmen. Gepriesen sei er! |
إِذَا قَضَىٰۤ أَمۡرًۭا |
Wenn er eine Sache beschließt, |
فَإِنَّمَا يَقُولُ لَهُۥ كُن فَيَكُونُ |
sagt er nur zu ihr: „Sei!“, und sie ist. |
وَإِنَّ ٱللَّهَ رَبِّی وَرَبُّكُمۡ فَٱعۡبُدُوهُ ۚ |
36 „Gott ist mein Herr und euer Herr, so dient ihm! |
هَٰذَا صِرَٰطٌۭ مُّسۡتَقِيمٌۭ |
Das ist ein gerader Weg.“ |
فَٱخۡتَلَفَ ٱلۡأَحۡزَابُ مِنۢ بَيۡنِهِمۡ ۖ |
1037 Da sind die Parteien uneins untereinander geworden. |
فَوَيۡلٌۭ لِّلَّذِينَ كَفَرُوا۟ مِن مَّشۡهَدِ يَوۡمٍ عَظِيمٍ |
Wehe den Ungläubigen vor dem Erleben eines gewaltigen Tages! |
أَسۡمِعۡ بِهِمۡ |
38 Wie gut sehen sie |
وَأَبۡصِرۡ يَوۡمَ يَأۡتُونَنَا ۖ |
und wie gut hören sie am Tag, an dem sie zu uns kommen. |
لَٰكِنِ ٱلظَّٰلِمُونَ ٱلۡيَوۡمَ فِی ضَلَٰلٍۢ مُّبِينٍۢ |
Aber die, die Unrecht tun, sind heute in einem klaren Irrtum. |
وَأَنذِرۡهُمۡ يَوۡمَ ٱلۡحَسۡرَةِ |
39 Warne sie vor dem Tag des Jammers, |
إِذۡ قُضِیَ ٱلۡأَمۡرُۖ |
wenn die Sache beschlossen ist, |
وَهُمۡ فِی غَفۡلَةٍۢ |
während sie achtlos sind |
وَهُمۡ لَا يُؤۡمِنُونَ |
und nicht glauben. |
إِنَّا نَحۡنُ نَرِثُ ٱلۡأَرۡضَ وَمَنۡ عَلَيۡهَا |
40 Wir erben die Erde und alle, die auf ihr sind |
وَإِلَيۡنَا يُرۡجَعُونَ |
und zu uns werden sie zurückgebracht. |
وَٱذۡكُرۡ فِی ٱلۡكِتَٰبِ إِبۡرَٰهِيمَ ۚ |
1141 Und gedenke in der Schrift des Abraham! |
إِنَّهُۥ كَانَ صِدِّيقًۭا نَّبِيًّا |
Er war ein Gerechter und ein Prophet. |
إِذۡ قَالَ لِأَبِيهِ يَٰٓأَبَتِ |
42 Als er zu seinem Vater sagte: „Vater, |
لِمَ تَعۡبُدُ مَا لَا يَسۡمَعُ وَلَا يُبۡصِرُ وَلَا يُغۡنِی عَنكَ شَيۡـًۭٔا |
warum dienst du etwas, das nicht hört, nicht sieht und dir nichts nützt? |
يَٰٓأَبَتِ إِنِّی قَدۡ جَآءَنِی مِنَ ٱلۡعِلۡمِ مَا لَمۡ يَأۡتِكَ |
43 Vater, Wissen ist zu mir gekommen, das nicht zu dir kam. |
فَٱتَّبِعۡنِیٓ أَهۡدِكَ صِرَٰطًۭا سَوِيًّۭا |
So folge mir, ich leite dich einen ebenen Weg. |
يَٰٓأَبَتِ لَا تَعۡبُدِ ٱلشَّيۡطَٰنَ ۖ |
44 Vater, diene nicht dem Satan! |
إِنَّ ٱلشَّيۡطَٰنَ كَانَ لِلرَّحۡمَٰنِ عَصِيًّۭا |
Der Satan widersetzt sich dem Barmherzigen. |
يَٰٓأَبَتِ إِنِّیٓ أَخَافُ أَن يَمَسَّكَ عَذَابٌۭ مِّنَ ٱلرَّحۡمَٰنِ |
45 Vater, ich fürchte, dass dich die Strafe des Barmherzigen trifft, |
فَتَكُونَ لِلشَّيۡطَٰنِ وَلِيًّۭا |
und du ein Freund des Satans bist.“ |
قَالَ أَرَاغِبٌ أَنتَ عَنۡ ءَالِهَتِی يَٰٓإِبۡرَٰهِيمُ ۖ |
46 Er sagte: „Verschmähst du meine Götter, Abraham? |
لَىِٕن لَّمۡ تَنتَهِ لَأَرۡجُمَنَّكَ ۖ |
Wenn du nicht aufhörst, werde ich dich steinigen. |
وَٱهۡجُرۡنِی مَلِيًّۭا |
Halte dich eine zeitlang fern von mir.“ |
قَالَ سَلَٰمٌ عَلَيۡكَ ۖ |
47 Abraham sagte: „ Friede über dich! |
سَأَسۡتَغۡفِرُ لَكَ رَبِّیٓ ۖ |
Ich werde meinen Herrn für dich um Vergebung bitten. |
إِنَّهُۥ كَانَ بِی حَفِيًّۭا |
Er ist mir freundlich gesinnt. |
وَأَعۡتَزِلُكُمۡ وَمَا تَدۡعُونَ مِن دُونِ ٱللَّهِ |
48 Ich trenne mich von euch und dem, was ihr außer Gott anruft. |
وَأَدۡعُوا۟ رَبِّی |
Ich rufe meinen Herrn an; |
عَسَىٰۤ أَلَّآ أَكُونَ بِدُعَآءِ رَبِّی شَقِيًّۭا |
vielleicht werde ich dadurch, dass ich meinen Herrn anrufe, nicht elend.“ |
فَلَمَّا ٱعۡتَزَلَهُمۡ وَمَا يَعۡبُدُونَ مِن دُونِ ٱللَّهِ |
1249 Als er sich von ihnen und von dem, was sie außer Gott dienten, getrennt hatte, |
وَهَبۡنَا لَهُۥٓ إِسۡحَٰقَ وَيَعۡقُوبَ ۖ |
schenkten wir ihm Isaak und Jakob. |
وَكُلًّۭا جَعَلۡنَا نَبِيًّۭا |
Beide machten wir zu Propheten. |
وَوَهَبۡنَا لَهُم مِّن رَّحۡمَتِنَا |
50 Wir schenkten ihnen von unserer Barmherzigkeit |
وَجَعَلۡنَا لَهُمۡ لِسَانَ صِدۡقٍ عَلِيًّۭا |
und gaben ihnen einen hohen ehrenhaften Ruf. |
وَٱذۡكُرۡ فِی ٱلۡكِتَٰبِ مُوسَىٰۤ ۚ |
1351 Und gedenke in der Schrift des Moses. |
إِنَّهُۥ كَانَ مُخۡلَصًۭا وَكَانَ رَسُولًۭا نَّبِيًّۭا |
Er war auserwählt, ein Gesandter und Prophet. |
وَنَٰدَيۡنَٰهُ مِن جَانِبِ ٱلطُّورِ ٱلۡأَيۡمَنِ |
52 Wir riefen ihn von der rechten Seite des Berges |
وَقَرَّبۡنَٰهُ نَجِيًّۭا |
und ließen ihn nahe kommen zu einem vertraulichen Gespräch. |
وَوَهَبۡنَا لَهُۥ مِن رَّحۡمَتِنَآ أَخَاهُ هَٰرُونَ نَبِيًّۭا |
53 Wir schenkten ihm in unserer Barmherzigkeit seinen Bruder Aaron als Propheten. |
وَٱذۡكُرۡ فِی ٱلۡكِتَٰبِ إِسۡمَٰعِيلَ ۚ |
1454 Und gedenke in der Schrift des Ismael! |
إِنَّهُۥ كَانَ صَادِقَ ٱلۡوَعۡدِ وَكَانَ رَسُولًۭا نَّبِيًّۭا |
Er war dem Versprechen treu, ein Gesandter und ein Prophet. |
وَكَانَ يَأۡمُرُ أَهۡلَهُۥ بِٱلصَّلَوٰةِ وَٱلزَّكَوٰةِ |
55 Er gebot seinen Leuten das Gebet und die Almosengabe |
وَكَانَ عِندَ رَبِّهِۦ مَرۡضِيًّۭا |
und war seinem Herrn wohlgefällig. |
وَٱذۡكُرۡ فِی ٱلۡكِتَٰبِ إِدۡرِيسَ ۚ |
1556 Und gedenke in der Schrift des Idris! |
إِنَّهُۥ كَانَ صِدِّيقًۭا نَّبِيًّۭا |
Er war ein Gerechter und ein Prophet. |
وَرَفَعۡنَٰهُ مَكَانًا عَلِيًّا |
57 Wir erhoben ihn an einen hohen Ort. |
أُو۟لَٰٓئِكَ ٱلَّذِينَ أَنۡعَمَ ٱللَّهُ عَلَيۡهِم مِّنَ ٱلنَّبِيِّۧنَ مِن ذُرِّيَّةِ ءَادَمَ وَمِمَّنۡ حَمَلۡنَا مَعَ نُوحٍۢ وَمِن ذُرِّيَّةِ إِبۡرَٰهِيمَ وَإِسۡرَٰٓءِيلَ وَمِمَّنۡ هَدَيۡنَا وَٱجۡتَبَيۡنَآ ۚ |
1658 Das sind Propheten, denen Gott Gnade erwiesen hat, aus der Nachkommenschaft Adams und von denen, die wir mit Noah trugen und aus der Nachkommenschaft Abrahams und Israels und von denen, die wir rechtleiteten und erwählten. |
إِذَا تُتۡلَىٰ عَلَيۡهِمۡ ءَايَٰتُ ٱلرَّحۡمَٰنِ خَرُّوا۟ سُجَّدًۭا وَبُكِيًّۭا |
Als ihnen die Zeichen des Barmherzigen vorgetragen wurden, warfen sie sich anbetend und weinend nieder. |
فَخَلَفَ مِنۢ بَعۡدِهِمۡ خَلۡفٌ |
59 Ihnen folgten solche, |
أَضَاعُوا۟ ٱلصَّلَوٰةَ وَٱتَّبَعُوا۟ ٱلشَّهَوَٰتِ ۖ |
die das Gebet verloren gehen ließen und ihren Begierden folgten. |
فَسَوۡفَ يَلۡقَوۡنَ غَيًّا |
Sie werden im Irrtum sein |
إِلَّا مَن تَابَ وَءَامَنَ وَعَمِلَ صَٰلِحًۭا |
60 außer denen, die bereuen, glauben und gute Werke tun; |
فَأُو۟لَٰٓئِكَ يَدۡخُلُونَ ٱلۡجَنَّةَ |
jene betreten den Garten |
وَلَا يُظۡلَمُونَ شَيۡـًۭٔا |
und ihnen wird kein Unrecht getan, |
جَنَّٰتِ عَدۡنٍ ٱلَّتِی وَعَدَ ٱلرَّحۡمَٰنُ عِبَادَهُۥ بِٱلۡغَيۡبِ ۚ |
61 in die Gärten Edens, die der Barmherzigen seinen Dienern im Geheimen versprochen hat. |
إِنَّهُۥ كَانَ وَعۡدُهُۥ مَأۡتِيًّۭا |
Sein Versprechen trifft ein! |
لَّا يَسۡمَعُونَ فِيهَا لَغۡوًا إِلَّا سَلَٰمًۭا ۖ |
62 In ihnen hören sie kein Gerede, nur: „Friede!“ |
وَلَهُمۡ رِزۡقُهُمۡ فِيهَا بُكۡرَةًۭ وَعَشِيًّۭا |
und erhalten dort ihren Unterhalt morgens und abends. |
تِلۡكَ ٱلۡجَنَّةُ |
63 Das ist der Garten, |
ٱلَّتِی نُورِثُ مِنۡ عِبَادِنَا مَن كَانَ تَقِيًّۭا |
den wir denen von unseren Dienern zum Erbe geben, die gottefürchtig sind. |
وَمَا نَتَنَزَّلُ إِلَّا بِأَمۡرِ رَبِّكَ ۖ |
1764 „Wir kommen nur auf Verfügung deines Herrn herab; |
لَهُۥ مَا بَيۡنَ أَيۡدِينَا وَمَا خَلۡفَنَا وَمَا بَيۡنَ ذَٰلِكَ ۖ |
ihm gehört, was vor uns, hinter uns und dazwischen ist. |
وَمَا كَانَ رَبُّكَ نَسِيًّۭا |
Dein Herr vergisst nicht, |
رَّبُّ ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضِ وَمَا بَيۡنَهُمَا |
65 der Herr der Himmel und der Erde und was dazwischen ist. |
فَٱعۡبُدۡهُ وَٱصۡطَبِرۡ لِعِبَٰدَتِهِۦ ۚ |
So diene ihm und sei geduldig in seinem Dienst. |
هَلۡ تَعۡلَمُ لَهُۥ سَمِيًّۭا |
Kennst du jemanden mit gleichem Namen?“ |
وَيَقُولُ ٱلۡإِنسَٰنُ أَءِذَا مَا مِتُّ لَسَوۡفَ أُخۡرَجُ حَيًّا |
II1866 Der Mensch sagt: „Soll ich, wenn ich gestorben bin, wieder lebendig hervorgebracht werden?“ |
أَوَلَا يَذۡكُرُ ٱلۡإِنسَٰنُ أَنَّا خَلَقۡنَٰهُ مِن قَبۡلُ وَلَمۡ يَكُ شَيۡـًۭٔا |
67 Gedenkt der Mensch denn nicht, dass wir ihn zuvor geschaffen haben und er nichts gewesen ist? |
فَوَرَبِّكَ لَنَحۡشُرَنَّهُمۡ وَٱلشَّيَٰطِينَ |
68 Bei deinem Herrn; wir werden sie und die Satane bestimmt versammeln, |
ثُمَّ لَنُحۡضِرَنَّهُمۡ حَوۡلَ جَهَنَّمَ جِثِيًّۭا |
sie dann kniend um die Hölle herum vorführen, |
ثُمَّ لَنَنزِعَنَّ مِن كُلِّ شِيعَةٍ |
69 und dann aus jeder Gruppe die herausziehen, |
أَيُّهُمۡ أَشَدُّ عَلَى ٱلرَّحۡمَٰنِ عِتِيًّۭا |
die sich am heftigsten dem Barmherzigen widersetzten. |
ثُمَّ لَنَحۡنُ أَعۡلَمُ بِٱلَّذِينَ هُمۡ أَوۡلَىٰ بِهَا صِلِيًّۭا |
70 Dann wissen wir am besten, wer von ihnen am ehesten in ihr brennen wird. |
وَإِن مِّنكُمۡ إِلَّا وَارِدُهَا ۚ |
71 Es gibt keinen unter euch, der nicht zu ihr hinabkommt; |
كَانَ عَلَىٰ رَبِّكَ حَتۡمًۭا مَّقۡضِيًّۭا |
das ist bei deinem Herrn endgültig entschieden. |
ثُمَّ نُنَجِّی ٱلَّذِينَ ٱتَّقَوا۟ |
72 Dann erretten wir diejenigen, die gottesfürchtig waren |
وَّنَذَرُ ٱلظَّٰلِمِينَ فِيهَا جِثِيًّۭا |
und lassen die, die Unrecht taten, in ihr auf Knien. |
وَإِذَا تُتۡلَىٰ عَلَيۡهِمۡ ءَايَٰتُنَا بَيِّنَٰتٍۢ |
1973 Wenn ihnen unsere Zeichen als klare Beweise vorgetragen werden, |
قَالَ ٱلَّذِينَ كَفَرُوا۟ لِلَّذِينَ ءَامَنُوٓا۟ |
sagen die Ungläubigen zu denen, die glauben: |
أَىُّ ٱلۡفَرِيقَيۡنِ خَيۡرٌۭ مَّقَامًۭا وَأَحۡسَنُ نَدِيًّۭا |
„Welche der beiden Gruppen ist von besserem Rang und schönerer Gesellschaft?“ |
وَكَمۡ أَهۡلَكۡنَا قَبۡلَهُم مِّن قَرۡنٍ |
74 Wie viele Generationen haben wir vor ihnen zugrunde gehen lassen, |
هُمۡ أَحۡسَنُ أَثَٰثًۭا وَرِءۡيًۭا |
die in Ausstattung und Aussehen besser waren! |
قُلۡ مَن كَانَ فِی ٱلضَّلَٰلَةِ |
2075 Sprich: „Wer sich Verirrung befinden, |
فَلۡيَمۡدُدۡ لَهُ ٱلرَّحۡمَٰنُ مَدًّا ۗ |
den bestärke der Barmherzige kräftig darin.“ |
حَتَّىٰۤ إِذَا رَأَوۡا۟ مَا يُوعَدُونَ |
Wenn sie sehen, was ihnen angedroht ist – |
إِمَّا ٱلۡعَذَابَ وَإِمَّا ٱلسَّاعَةَ |
entweder die Strafe oder die Stunde –, |
فَسَيَعۡلَمُونَ مَنۡ هُوَ شَرٌّۭ مَّكَانًۭا وَأَضۡعَفُ جُندًۭا |
dann werden sie sehen, wer die schlechtere Stellung und das schwächere Heer hat. |
وَيَزِيدُ ٱللَّهُ ٱلَّذِينَ ٱهۡتَدَوۡا۟ هُدًۭى ۗ |
76 Gott mehrt die Rechtleitung denen, die sich leiten lassen. |
وَٱلۡبَٰقِيَٰتُ ٱلصَّٰلِحَٰتُ خَيۡرٌ عِندَ رَبِّكَ ثَوَابًۭا وَخَيۡرٌۭ مَّرَدًّا |
Was bleibt – die guten Werke – ist bei deinem Herrn am besten in Hinblick auf Lohn und Rückkehr. |
أَفَرَءَيۡتَ ٱلَّذِی كَفَرَ بِـَٔايَٰتِنَا |
77 Was meinst du von dem, der unsere Zeichen leugnet |
وَقَالَ لَأُوتَيَنَّ مَالًۭا وَوَلَدًا |
und sagt: „Mir werden Besitz und Kinder gegeben.“? |
أَطَّلَعَ ٱلۡغَيۡبَ |
78 Hat er das Verborgene erblickt |
أَمِ ٱتَّخَذَ عِندَ ٱلرَّحۡمَٰنِ عَهۡدًۭا |
oder beim Barmherzigen ein Versprechen erhalten? |
كَلَّا سَنَكۡتُبُ مَا يَقُولُ |
79 Doch nein, wir werden aufschreiben, was er sagt, |
وَنَمُدُّ لَهُۥ مِنَ ٱلۡعَذَابِ مَدًّۭا |
ihm die Strafe verstärken |
وَنَرِثُهُۥ مَا يَقُولُ |
80 und von ihm das erben, von dem er gesprochen hat. |
وَيَأۡتِينَا فَرۡدًۭا |
Er wird allein zu uns kommen. |
وَٱتَّخَذُوا۟ مِن دُونِ ٱللَّهِ ءَالِهَةًۭ |
81 Sie nahmen sich außer Gott Götter, |
لِّيَكُونُوا۟ لَهُمۡ عِزًّۭا |
damit sie ihnen zur Macht gereichen. |
كَلَّا سَيَكۡفُرُونَ بِعِبَادَتِهِمۡ |
82 Doch nein, sie werden leugnen, dass sie ihnen gedient haben, |
وَيَكُونُونَ عَلَيۡهِمۡ ضِدًّا |
und gegen sie sein. |
أَلَمۡ تَرَ أَنَّآ أَرۡسَلۡنَا ٱلشَّيَٰطِينَ عَلَى ٱلۡكَٰفِرِينَ تَؤُزُّهُمۡ أَزًّۭا |
83 Hast du nicht gesehen, dass wir die Satane gegen die Ungläubigen sandten, um sie heftig aufzuwiegeln? |
فَلَا تَعۡجَلۡ عَلَيۡهِمۡ ۖ |
84 Dränge nicht ihretwegen! |
إِنَّمَا نَعُدُّ لَهُمۡ عَدًّۭا |
Wir zählen ihnen genau vor. |
يَوۡمَ نَحۡشُرُ ٱلۡمُتَّقِينَ إِلَى ٱلرَّحۡمَٰنِ وَفۡدًۭا |
2185 Am Tag, an dem wir die Gottesfürchtigen zum Barmherzigen versammeln wie eine Abordnung |
وَنَسُوقُ ٱلۡمُجۡرِمِينَ إِلَىٰ جَهَنَّمَ وِرۡدًۭا |
86 und die Übeltäter zur Hölle führen wie zu einer Tränke, |
لَّا يَمۡلِكُونَ ٱلشَّفَٰعَةَ |
87 da verfügen sie über keine Fürsprache, |
إِلَّا مَنِ ٱتَّخَذَ عِندَ ٱلرَّحۡمَٰنِ عَهۡدًۭا |
außer dem, der beim Barmherzigen ein Versprechen erhalten hat. |
وَقَالُوا۟ ٱتَّخَذَ ٱلرَّحۡمَٰنُ وَلَدًۭا |
2288 Sie sagen: „Der Barmherzige hat sich ein Kind genommen.“ |
لَّقَدۡ جِئۡتُمۡ شَيۡـًٔا إِدًّۭا |
89 Da habt ihr eine furchtbare Sache begangen. |
تَكَادُ ٱلسَّمَٰوَٰتُ يَتَفَطَّرۡنَ مِنۡهُ |
90 Fast zerbrechen die Himmel, |
وَتَنشَقُّ ٱلۡأَرۡضُ |
spaltet sich die Erde |
وَتَخِرُّ ٱلۡجِبَالُ هَدًّا |
und die Berge fallen zusammen davon, |
أَن دَعَوۡا۟ لِلرَّحۡمَٰنِ وَلَدًۭا |
91 dass sie dem Barmherzigen ein Kind zuschreiben. |
وَمَا يَنۢبَغِی لِلرَّحۡمَٰنِ |
92 Es kommt dem Barmherzigen nicht zu, |
أَن يَتَّخِذَ وَلَدًا |
dass er sich ein Kind nimmt. |
إِن كُلُّ مَن فِی ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضِ إِلَّآ ءَاتِی ٱلرَّحۡمَٰنِ عَبۡدًۭا |
93 Jeder in den Himmeln und auf Erden kommt zum Barmherzigen nur als Diener. |
لَّقَدۡ أَحۡصَىٰهُمۡ وَعَدَّهُمۡ عَدًّۭا |
94 Er hat sie gezählt und genau berechnet. |
وَكُلُّهُمۡ ءَاتِيهِ يَوۡمَ ٱلۡقِيَٰمَةِ فَرۡدًا |
95 Alle kommen allein zu ihm am Tag der Auferstehung. |
إِنَّ ٱلَّذِينَ ءَامَنُوا۟ وَعَمِلُوا۟ ٱلصَّٰلِحَٰتِ سَيَجۡعَلُ لَهُمُ ٱلرَّحۡمَٰنُ وُدًّۭا |
96 Denjenigen, die Glauben und die guten Werke tun wird der Barmherzige Liebe entgegen bringen. |
فَإِنَّمَا يَسَّرۡنَٰهُ بِلِسَانِكَ |
2397 Wir haben sie in deiner Sprache leicht gemacht, |
لِتُبَشِّرَ بِهِ ٱلۡمُتَّقِينَ |
damit du sie den Gottesfürchtigen als frohe Botschaft verkündest |
وَتُنذِرَ بِهِۦ قَوۡمًۭا لُّدًّۭا |
und mit ihr ein widerspenstiges Volk warnst. |
وَكَمۡ أَهۡلَكۡنَا قَبۡلَهُم مِّن قَرۡنٍ |
98 Wie viele Generationen haben wir vor ihnen zugrunde gehen lassen, |
هَلۡ تُحِسُّ مِنۡهُم مِّنۡ أَحَدٍ |
Spürst du noch einen einzigen von ihnen |
أَوۡ تَسۡمَعُ لَهُمۡ رِكۡزًۭا |
oder hörst von ihnen einen Laut? |
Die Sure hat mehrere Entstehungs- bzw. Überarbeitungsphasen durchlaufen. Sie trägt, wie in Mittelmekka bereits selten, pänultima-betonten Reim, erhebt also mit einer nicht einfach zu erreichenden morphologischen Form des Versendes Anspruch auf poetische Gestalt. Sie reimt von V. 2-74 – einzig im Koran (siehe SKMS, Tabelle nach S. 90) – auf -īyā, dann aber, ab V. 75, d.h. mit Beginn des Schlußteils, auf das weniger markante, wenn auch gleichfalls pänultima-betonte 3(C)Cā. Die orthographisch als Bruch des Reimschemas erscheinde Form šaiʾā in V. 9 und V. 42 ist angesichts der für das Ḥiǧāzenische anzusetzenden Erleichterung des Hamza (siehe SKMS, Exkurs S. 325-359) für die Aussprache des Reims die mit dem Schema kompatible Form šaiyā vorauszusetzen. Nöldeke (GdQ I, S. 130) hat aus dem mit V. 75 einsetzenden Reimwechsel auf eine spätere Zusammenfügung der Teile geschlossen. Sein Reimargument wird durch weitere Beobachtungen gestützt: Durch 3(C)Cā-Reimzwang entstehen markante syntaktische und stilistische Formen, die den Teil V. 75-98 deutlich vom Vorausgehenden abheben. Vor allem aber rekurriert die Kind-Gottes-Argmumentation im Schlußteil (V. 88-92) auf V. 35 im Erzählteil, „es steht Gott nicht an, Nachkommen anzunehmen“, der seinerseits Teil eines später hinzugekommenen Interpretaments (V. 34-40) ist. Insofern die Versgruppe V. 75-98 mit der im Zusatz V. 34-40 eröffneten Diskussion über den kontroversen Status Jesu verzahnt ist, hat auch sie als später zu gelten.
Dennoch schließt der Teil V. 75-98 plausibel an den ersten an. Zwar würde V. 74 als Schlußvers gut zu der am Ende der Prophetenerzählungen und der nachfolgenden Polemik deutlich werdenden resignativen Stimmung passen, doch ermöglicht die Fortsetzung weitere – christliches Gedankengut evozierende – Aussagen, etwa über die „Liebe“ Gottes in V. 96 und die „frohe Kunde“ in V. 97. Sie trägt auch die für das Surenende in Mittelmekka stereotyp zu erwartende Offenbarungsbestätigung nach. Der definitive Schlußvers V. 98 nimmt in Tenor und Thematik den ‚vorläufigen‘ (V. 74) wieder auf. Die Sure dürfte also in mehreren Schüben verkündet sein: Den Kernteil machen aus: V. 1-33 und V. 41-74, nicht viel später kamen wohl V. 34-40 und damit verbunden V. 75-98 hinzu, in Medina schließlich V. 58.
Hinsichtlich der Späterdatierung der Versgruppe V. 34-40 kann kein Zweifel bestehen. Sie fällt nicht nur mit dem stark abweichenden Reim auf 2n/m aus dem Rahmen, sie ist auch als diskursiver Einschub in eine Erzählserie als späterer Zusatz erkennbar. Er soll den in der Geburtsgeschichte V. 16-29 namenlos gebliebenen Jesus namentlich identifizieren und ihn nun auch theologisch – nicht als Sohn Gottes, sondern als Sohn Marias – eindeutig einstufen. Der Zusatz trägt dabei neues, in der späteren Sure Q 43 diskutiertes Wissen über Jesus nachträglich in die frühere Sure 19 ein (siehe dazu den Exkurs „Maria und Jesus in den mekkanischen Suren“ in HKII/1, 645-650 und KTS, S. 477-489).
Während sich dieser Zusatz in eine noch mekkanische Debatte einbringt, ist V. 58, der sich schon durch seine Überlänge als spätere Hinzufügung erweist, bereits medinisch. Er nimmt mit seinen Genealogiereferenzen die – in der auch thematisch mit Q 19 eng verwandten Sure Q 3 geführte – Auseinandersetzung um den Status der christlichen heiligen Familie wieder auf (siehe dazu KTS, S. 590-595 und Neuwirth 2014:80-90). Dieser Vers wird wegen seines zum Schema der Sure passenden Reims von Nöldeke (GdQI, S. 130), der sogar die ausdrückliche Späterdatierung durch die Tradition verwirft, und ihm folgend Bell und Paret nicht als Zusatz anerkannt.
Versabteilungsdifferenzen
Von den gegenüber der kufischen Zählung traditionell überlieferten drei Abteilungsdifferenzen (V. 1, V. 41, V. 75, siehe SKMS, S. 39) sind zwei zu übernehmen: Die Buchstabenfolge in V. 1 bildet keinen Reim und sollte daher mit fünf traditionellen Zählern zu V. 2 gezogen werden. Innerhalb von V. 75 ist wiederum mit fünf traditionellen Zählern nach maddā(n), das einen einwandfreien Reim bildet, ein Versende anzusetzen. Unabhängig von der Tradition waren in SKMS, S. 39 die Verse V. 91 und V. 92 zusammengezogen worden. Die mehrmalige Nennung von wuldā im Reim dient aber der hier angestrebten Emphase. SKMS ist zu revidieren.
Literaturliste
Auch Lesartendifferenzen sind zu beachten: Warš ʿan Nāfiʿ tradiert in V. 19 anstelle des von allen anderen Lesern vertretenen Botenwortes an Maria li-ʾahaba (wörtlich: „damit ich dir gebe“) die Textvariante li-yahaba (wörtlich: „damit er dir gebe“), siehe ‚www.corpuscoranicum.de‘, „Lesarten“ zur Sure. Die Lesart li-yahaba ist theologisch unanstößiger, vielleicht aber gerade deswegen entstanden.
In V. 88 überliefern Ḥamza und al-Kisāʾī anstelle von waladā die Lautung wuldā, Ibn Masʿūd wildā (siehe ‚www.corpuscoranicum.de‘, „Lesarten“). Diese beiden Lesarten würden, indem sie wuldā/wildā als Kollektiv verstehen, die hier eigentlich intendierte Bedeutung nicht von „einem Sohn, einem Kind“, sondern von „Nachkommenschaft“ unterstützen, sie wird deswegen übernommen. Dasselbe gilt für V. 91 und V. 92. Diese Nuancierung ist allerdings nicht überall gefordert; in V. 77, wo al-Kisāʾī und Ḥamza ebenfalls wuldā anbieten, geht es bei waladā nicht um „Nachkommenschaft“, sondern um eine Mehrzahl von Söhnen, vgl. zu dem Topos „Vermögen und Söhne“ Q 68:14: ʾan kāna ḏā mālin wa-banīna, „nur weil er Reichtum und Söhne hat“, Q 71:12: wa-yumdidkum bi-ʾamwālin wa-banīna, „daß er euch mit Gütern und mit Söhnen“, zu deren generischer Bezeichnung der Singular waladā durchaus legitim ist. In der Transkription wird (für V. 88, V. 91 und V. 92) wuldā statt waladā eingesetzt; übersetzt wird jedoch nicht mit „Kind“, sondern mit „Nachkommen“.
Literaturliste
(Revision der in SKMS, S. 269, getroffenen Abgrenzung der Hauptteile, zur Begründung siehe den kursorischen Verskommentar)
I Erzählungen aus biblischer Tradition | |
A Zacharia | |
1 [1Semantisch leere Lautfolge von Buchstabennamen] | |
1 2Einleitungsformel | |
4 3-6Zacharias' Gebet | |
5 7-11Sohnesverheißung und Zeichen | |
4 12-15Schrift (kitāb) und andere Segnungen Johannes’ (Yaḥyās), Segensformel | |
B B Maria | |
6 16-21Sendung des Boten an Maria, Ankündigung des Knaben | |
5 22-26Geburt | |
3 27-29 Wunderzeichen des Knaben: sein Sprechen als Säugling | |
4 30-33Schrift (kitāb) und andere Segnungen des Knaben; Segensformel | |
3 34-36Späterer Zusatz: Polemik gegen Lehre von Gottessohnschaft, Aufforderung zur Alleinverehrung Gottes | |
4 37-40Zusatz: Sektierertum, Unglaube; Zuspruch an Propheten, Warnung vor Gericht | |
C Abraham und andere Gesandte | |
6 41-46Abrahams Auseinandersetzung mit seinem Vater | |
4 47-50Abwendung vom Götzendienst des Vaters; Nachkommenschaft; Segnung | |
3 51-53Mose, seine Berufung, Mitberufung Aarons | |
2 54-55Ismael | |
2 56-57Idrīs | |
1 58(Späterer Zusatz:) Prophetensendungen in der Geschichte | |
1 59Spätere gegenüber Offenbarung Gleichgültige | |
4 60-63Lohn der Frommen: Garten | |
2 64-65Rede der Engel, Offenbarungsbestätigung (=Ende des ersten Hauptteils des Kerntextes) | |
6 66-71Zweifel an Erweckung; Strafankündigung an Zweifler (Schlußteil des Kerntextes) | |
1 72Rettung der Frommen | |
2 73-74Spott der Leugner; Erinnerung an Vernichtung Früherer (= Ende des Kerntextes) | |
II Polemik gegen Mehrgottverehrung, Offenbarungsbestätigung (neuer Schlußteil) | |
7 75–8275-82 Erklärung der ungleichen sozialen Situation, herausfordernde Rede der Leugner und Entgegnung ( V. 75 = zwei Verse) | |
5 83–87Vorbereitung der Strafe | |
8 88–95Streit um Nachkommenschaft Gottes, Strafandrohung (V. 91 / V. 92 = ein Vers) | |
1 96Einschränkung | |
2 97–98 qurʾān-Bestätigung, Erinnerung an Vernichtung Früherer |
Strukturformel, Proportionen a) des Kerntextes ohne die Zusätze (V. 34-40, V. 58 und V. 75-98)
Teil I: 56 Verse | Teil II: 9 Verse | |
14: (1+4+5+4) + 18: (6+5+3+4) + 10 (6+4) + 14 (3 + 2 +2 + 1 + 4 + 2) | 9: (6 + 1 + 2) |
Strukturformel, Proportionen b) der erweiterten Sure (ohne medinischen Zusatz V. 58)
Teil I: 72 Verse | Teil II: 9 Verse | |
14: (1+4+5+4) + 18: (6+5+3+4) + 7 (3+4) + 10 (6+ 4) + 14 (3 + 2 +2 + 1 + 4 + 2) + 9 (6 + 1 + 2) | 25: 14 (9 + 5) + 11 (8 + 1 + 2) |
Literaturliste
V. 1-2kāf hā yā ʿain ṣād / ḏikru raḥmati rabbika ʿabdahū zakariyyā] Auf die Sequenz von semantisch leeren Buchstabennamen – die längste im Koran (siehe dazu den Kommentar zu Q 15:1, KTS, S. 246-248.447-449 und Stewart 2011) – folgt mit ḏikr die übliche Schriftreferenz. Ḏikr dürfte analog zu V. 16 (wo es wa-ḏkur fī l-kitāb, „und gedenke in der Schrift“, heißt) auf die Schrift in ihrer mündlichen Erscheinungsform der Verkündigung deuten; Paret übersetzt „Gedacht sei (in dieser Verkündigung)“ (siehe zur Entwicklung des Schriftgedankens Neuwirth 2017). Zugleich wird in V. 2 das übergeordnete Thema des ersten Surenteils angekündigt: Gottes Barmherzigkeit (raḥma). Sie wird mit mehreren der Prophetenfiguren verbunden: in V. 2 mit Zacharia, in V. 21 mit Jesus, in V. 50 mit Abraham, Isaak und Jakob, in V. 53 mit Mose. Der erbaulich-heitere Tenor der Erzählserie wird auch im kommentierenden Abspann (V. 58-65) durchgehalten. Dagegen rekurriert der zweite, polemische Surenteil immer wieder auf die gegenteilige göttliche Selbstmanifestation, seine Strafgerechtigkeit (ʿaḏāb).
Die Position der Geschichte in der Sure ist ungewöhnlich, Narratives begegnet sonst fast ausschließlich im Mittelteil. Die beiden zuerst erzählten Geschichten stehen aber auch bei Lukas (Lk 1,5-80, nach einer kurzen Zueignung) einleitungslos gleich am Anfang des Textes. Die mit Q 19:2 angekündigte Geschichte wird explizit unter den Aspekt der göttlichen Barmherzigkeit (raḥma) gestellt. Vgl. die Ankündigung der Abraham-Lot-Geschichte in der früheren Sure Q 15:49-51, die unter dem Doppelaspekt der Barmherzigkeit und der strafenden Gerechtigkeit stehen, wobei die Barmherzigkeit dem Gesandten und die Strafe – wie auch im Fall der sonstigen ʾumam ḫāliya-Geschichten (siehe KTS, S. 224-226) – seinen frevlerischen Gegnern gilt. In Q 19 wird für diese Gegner, soweit sie überhaupt thematisiert werden (wie in V. 41-50 bei Abraham), göttliche Vergebung erfleht.
Während die Exempla für göttliche Strafgerechtigkeit (dīn, ʿaḏāb) – der rabbinischen Kategorie middat ha-dīn entsprechend – frühmekkanisch zahlreich sind, tritt in Mittelmekka zunehmend die göttliche Barmherzigkeit (middat ha-ḥesed, raḥma) in den Vordergrund. In dieser Zeit setzt sich der Gottesname „Allerbarmer“ (ar-Raḥmān) durch, die diesen Gottesnamen enthaltenden Suren werden als Raḥmān-Suren zusammengefaßt. Unter ihnen ist Q 19 besonders eng mit dem Gedanken der Barmherzigkeit verbunden; hier begegnet raḥma viermal, der Gottesname ar-Raḥmān durchgehend, 16mal, die höchste Frequenz für eine einzelne Sure.
V. 3-6ʾiḏ nādā rabbahu nidāʾan ḫafīyā / qāla rabbi ʾinnī wahana l-ʿaẓmu minnī wa-štaʿala r-raʾsu šaiban wa-lam ʾakun bi-duʿāʾika rabbi šaqīyā / wa-ʾinnī ḫiftu l-mawāliya min warāʾī wa-kānati mraʾatī ʿāqiran fa-hab lī min ladunka walīyā / yariṯunī wa-yariṯu min ʾāli yaʿqūba wa-ǧʿalhu rabbi raḍīyā] Der Priester Zacharia – laut V. 11 im Tempel (miḥrāb) Dienst tuend – wird bei seinem stillen Gebet (nidāʾ ḫafī) eingeblendet, in dem er um einen gottgefälligen Nachfolger im Amt betet (vgl. die Rede des Engels in Lk 1,13, die ein solches Gebet bereits voraussetzt). Daß solche stillen Gebete zu Gott dringen, geht auch aus Q 20:7 hervor, wo stille und hörbare Anrufungen Gottes den gleichen Status erhalten. Auffallend ist die intime Anrede, in der die eigene Angst, zugleich aber das Vertrauen in den Angeredeten zum Ausdruck kommt. Anders als in Lk 1,7, wo vom vorgerückten Alter Zacharias und seiner Frau Elisabeth narrativ die Rede ist, wird der Sachverhalt im Koran von Zacharia selbst zur Sprache gebracht. Mit seiner poetisch formulierten Rede nimmt er damit einen Klagetopos der altarabischen Dichtung auf, wo der Dichter sich für sein vorgerücktes Alter, sein „weißes Haar“ (šaib), entschuldigen zu müssen glaubt (siehe etwa an-Nābiġa, Dīwān 9:23; siehe SEAP, S. 633: daʿāka l-hawā wa-staǧhalatka l-manāzilu wa-kaifa taṣābiyu l-marʾi wa-š-šaibu šāmilu, „Leidenschaft ruft dich, doch die Zeltlager wollen dich nicht kennen – wie kann auch ein Mann jung erscheinen, wenn sein Haupt weißes Haar bedeckt?“). Für Zacharia ist das Alter nicht Hindernis am Genuß, sondern Anlaß zur Sorge um die Zukunft seines Amtes. Doch verleiht die im Koran einzigartige šaib-Metapher der Erzählung eine poetische Dimension – der Sachverhalt des Altgewordenseins wird sonst einfach mit kibar (siehe Q 15:54, Q 14:39 und öfter) wiedergegeben. Auch die analytische Konstruktion ʾar-raʾsu minnī statt raʾsī deutet auf einen poetischen Anspruch des Verses (vgl. zu solchen Formulierungen Bloch 1946). Karl-Josef Kuschel (2007:473-485) hat zu Recht auf die künstlerisch anspruchsvolle Gestaltung der beiden Erzählungen aufmerksam gemacht.
Paret (KKK, S. 321) kontrastiert mawālī – als ‚weitläufigere Verwandte‘ – mit walī – einem Sohn, was sich aber mit Zacharias Erstaunen angesichts der Sohnesankündigung nicht gut vertragen würde. Es geht ihm eher um einen – vielleicht nahestehenden (so Bobzin 2010:263) – Vertreter im Amt. In V. 45 wird das Wort walī für Gefolgsmann (des Satan) gebraucht.
Der Verweis auf die Sippe Jakobs könnte eine verallgemeinernde Wiedergabe der in Lk 1,5 genannten Priesterordnung Abija sein, der Zacharia angehört.
V. 7-8yā-zakariyyā ʾinnā nubašširuka bi-ġulāmin-i smuhū yaḥyā lam naǧʿal lahū min qablu samīyā / qāla rabbi ʾannā yakūnu lī ġulāmun wa-kānati mraʾatī ʿāqiran wa-qad balaġtu mina l-kibari ʿitiyyā] Die Antwort erfolgt ohne Vermittlung eines Engels; sie verheißt einen Sohn, dem auch gleich ein Name, Yaḥyā, gegeben wird. Die ungläubige Reaktion Zacharias nimmt diejenige Marias auf ihre Verheißung vorweg.
Yaḥyā, eine dem neutestamentlichen Namen Johannes (hebräisch Yoḥanān) klanglich nur entfernt verwandte arabische Namensform, soll, der gängigen Deutung zufolge – wie der Name Johannes in Lk 1,60 – vorher (in der Familie) noch keinen Träger gehabt haben. Während dieses Detail im Evangelium aber funktional ist – die Namensgeberin muß sich wegen des in der Familie nicht üblichen Namens rechtfertigen (siehe TUK, Nr. 0225) –, bleibt es im Koran rätselhaft, da hier die Behauptung aufgestellt wird, daß der Name als solcher noch nie vergeben war – obwohl Yaḥyā im Arabischen geläufig gewesen sein könnte. Läßt man den Evangelien-Intertext unberücksichtigt, kann man samī innerarabisch aber auch als „erhaben“ deuten, wie vom zweiten Vorkommen in V. 65, wo samī auf Gott bezogen ist, nahegelegt. Die Femininform asmāʾ (zu samī, „erhaben“) ist als Eigenname bereits altarabisch geläufig. Mit lahū verbunden läßt sich samī dann als „(ihm gleichermaßen) erhaben“ übersetzen, man hätte dann allerdings etwas wie sawiyan lahū oder musāwin lahū hinzuzudenken. Ambros (2004:139), bietet für beide Vorkommen „namensgleich“ an, Bobzin (2010:263) und Paret (KÜ) übersetzen entsprechend. Da der Koran den Einsatz von individuellen Wörtern in verschiedenem Sinn im gleichen Diskurs zuläßt – siehe etwa ḥamīm („enger Freund“ in Q 70:10 und öfter und „kochendes Wasser“ in Q 78:25 und öfter) –, ist auch im Falle von samī eine verschiedene Übersetzung legitim. Es wird in V. 7, anders als in V. 65, mit dem im syntaktischen Kontext glatteren ‚namensgleich‘ wiedergegeben.
Der seltene Reim auf -īya, der als 3. Stammkonsonant des Reimworts yāʿ oder waw erfordert, führt zu einer ungewöhnlichen Frequenz von seltenen Wörtern: ʿitīy begegnet nur in Q 19 (zweimal: V. 8 und V. 69). ʿAtā bedeutet „exzessiv“, „impertinent sein“ (siehe Ambros 2004:182), was in V. 69, bezogen auf Personen, passt, in V. 8 ist dagegen an ein „Übermaß“ zu denken; Zacharia ist „hochbetagt“.
V. 9qāla ka-ḏālika qāla rabbuka huwa ʿalayya haiyinun wa-qad ḫalaqtuka min qablu wa-lam taku šaiʾā] Die Zurückweisung der Zweifel Zacharias erfolgt mit demselben Argument wie bei Maria (V. 21) und in der frühmekkanischen Sure Q 51:30 bei Sara. Sie verweist zurück auf Q 76:1: hal atā ʿala l-ʾinsāni ḥīnun mina d-dahri lam yakun šaiʾan maḏkūrā („Mußte der Mensch nicht einmal eine Zeit durchlaufen, in der er nichts Nennenswertes war?“).
V. 10qāla rabbi ǧʿal lī ʾāyatan qāla ʾāyatuka ʾallā tukallima n-nāsa ṯalāṯa layālin sawīyā] Wie in Lk 1,28 verlangt Zacharia nach einem Zeichen, das in seiner Sprechunfähigkeit bestehen wird. Während diese in Lk 1,20 als Strafe für den Zweifel bis zur Geburt des Kindes anhalten wird, ist sie im Koran als erbetenes göttliches Zeichen auf drei Tage begrenzt. Das dem Vers rhythmisch einen poetischen Charakter verleihende Reimwort sawīyā ist in V. 10 semantisch nicht gefordert, koranische Zeitangaben mit layālin sind auch ohne dies eindeutig (vgl. Q 69:7). Mit Bobzin (2010:263) und Rückert (1995:225) läßt sich sawī, das in V. 17 für „wohlgestaltet“, „stattlich“ und in V. 43 für „gerade“ steht, als Unterstreichung der Kontinuität der durchzuhaltenden Schweigezeit verstehen.
V. 11fa-ḫaraǧa ʿalā qaumihī mina l-miḥrābi fa-ʾauḥā ʾilaihim ʾan sabbiḥū bukratan wa-ʿašīyā] Die Szene hat im Evangelium kein Vorbild. Während in Lk 1,21-22 die Perspektive auf die wartenden zeitgenössischen Kultteilnehmer gerichtet ist, behält Zacharia im Koran liturgisch die Initiative bei sich. Mit seiner Anweisung an seine Gemeinde, stellvertretend für ihn selbst, der die Sprachfähigkeit verloren hat, „Gotteslob am Morgen und am Abend“ darzubringen, nimmt er bereits eine liturgische Konvention der Kirche vorweg: die Praxis des morgendlichen und abendlichen Gotteslobes, die für den Morgen das Magnifikat (den Gesang Marias, Lk 1,46-55) und für den Abend das Benediktus (Zacharias eigenen Gesang, Lk 1,68-79) vorsieht.
Der Jerusalemer Tempel heißt nur im Kontext der christlichen Geschichten miḥrāb (Q 19:11; Q 3:37, Q 3:39), das Wort steht im profanen Kontext für eine Bogenarchitektur. Es begegnet in vorislamischen jemenitischen Inschriften, siehe Robin (1991:153) zur Nāʿiṭ-Inschrift, wo es einen Empfangssaal bezeichnet (siehe dazu TUK, Nr. 1036, zu weiteren epigraphischen Vorkommen siehe TUK, Nr. 1040,1041,1042 und 1043). Die einzige weitere koranische Erwähnung von miḥrāb in Q 38:21 betrifft den Ort von Davids Urteilsspruch, der offenbar in seinem Palast erfolgt. Der Plural maḥārīb steht in Q 34:13 für monumentale Bauten. Doch wird die Identifikation des miḥrāb mit dem Jerusalemer Tempel oder doch mit einem Bereich des Tempels durch die byzantinische Ikonographie gestützt, in der Marias Aufenthalt im Tempel gewöhnlich als eine mit einem Baldachin überdachte, also überwölbte Struktur innerhalb des Tempels erscheint (siehe dazu Marx 2009).
Dagegen findet sich in den koranischen Kontexten, in denen vom jüdischen Tempel die Rede ist, der der mittelmekkanischen Gemeinde als die monotheistische Anbetungsstätte schlechthin gilt, die Bezeichnung masǧid (Q 17:1-7) (siehe Neuwirth 1993 und 1995). Es geht in diesen Kontexten nicht um die Lokalität, sondern um die Funktion des Heiligtums, die bereits spätantik wahrgenommen, d.h. in der Beherbergung von blutlosen Riten – suǧūd steht für rituelle Gebete – gesehen wird.
V. 12-15yā-yaḥyā ḫuḏi l-kitāba bi-qūwatin wa-ʾātaināhu l-ḥukma ṣabīyā / wa-ḥanānan min ladunnā wa-zakātan wa-kāna taqīyā / wa-barran bi-wālidaihi wa-lam yakun ǧabbāran ʿaṣīyā / wa-salāmun ʿalaihi yauma wulida wa-yauma yamūtu wa-yauma yubʿaṯu ḥaiyā] Die koranischen Voraussagen über Johannes insgesamt erinnern an Jes 11,1-5 (siehe TUK, Nr. 0647).
Die direkte Anrede an Johannes/Yaḥyā – vielleicht durch einen Engel – formuliert die Evangelienweissagung des Engels für Johannes (Lk 2,13-17) um: Die Aufforderung, an der Schrift festzuhalten, entspricht vielleicht der bei Lukas (Lk 1,16) erwähnten Erfüllung mit dem Heiligen Geist. Die Gabe des ḥukm – Bobzin übersetzt mit „Weisheit“ – könnte phronēsis dikaiōn („das Denken der Gerechten“, Lk 1,17) wiedergeben. Es könnte aber auch – mit Paret, KÜ – „Urteilskraft“ meinen; an den Q 19 vorausgehenden Stellen Q 68:48, Q 52:48 und Q 76:24: fa-ṣbir/wa-ṣbir li-ḥukmi rabbika („Warte auf die Entscheidung deines Herrn“) ist stets von Entscheidung, Urteil die Rede. Die Voraussage in Q 19:13-14 der Milde (ḥanān), Lauterkeit (zakāt) und Gottesfurcht (taqī) sowie der Pietät gegenüber den Eltern (barr) entspricht denjenigen in Lk 1,17, wo von Johannes’ Bekehrung der Aufsässigen, griechisch epistrepsai ‚…‘ apeitheis, und der Versöhnung von Eltern und Kindern die Rede ist. Die Gabe des ḥanān ist eine Erinnerung an den biblischen Namen Yōḥanān (= „Gott ist Milde“). Von Gottes Milde, seiner zartfühlenden Barmherzigkeit, mit der er Sünden vergibt, dia splangchna eleous theou hēmōn („durch die barmherzige Liebe unseres Gottes“), ist im Zacharia-Gesang (Lk 1,78) die Rede.
Johannes wird in Q 19 das Prädikat nabī, das im Hymnus des Zacharias (Lk 1,76) Teil einer Voraussage ist: „Du, Kind, wirst Prophet des höchsten Gottes genannt werden“, noch nicht explizit zuerkannt, es wird in Q 3:39 nachgetragen. Siehe zur Entwicklung von nabī im Koran Bobzin 2010b.
Nicht im koranischen Text reflektiert wird auch Johannes’ Bestimmung zu einem Nasiräer, einem Gottgeweihten (Lk 1,15), sie kommt erst in der medinischen Wiederaufnahme der Geschichte, in Q 3:39, mit ḥaṣūr zur Sprache (siehe dazu Strack-Billerbeck II 1989:79-89).
Die deutlichste Differenz zwischen dem christlichen und dem koranischen Bericht ist aber eine theologische: Dem koranischen Johannes kommt nicht die Rolle eines Vorläufers (prodromos) Christi zu, die in Lk 1,16, noch deutlicher aber in Mt 3,1-17, hervorgehoben wird. Kuschel (2007:487) hat für die koranische Figur des Yaḥyā von einer „Parallelfigur“ Jesu gesprochen. Johannes’ in den Evangelien berichtete Rolle, seine öffentliche Bußpredigt (Lk 3,1-8; Mt 3,1-18) oder sein gewaltsamer Tod (Mk 6,27-29; Mt 14,1-12), bleiben im Koran unerwähnt. Es ist aber vor allem die negative Intertextualität, die Durchtrennung der bei Lukas bestehenden Verbindung der beiden Prophetengeburten, die eine solche Rolle bereits ausschließt. Yaḥyā/Johannes stellt im Koran eine eigenständige Prophetenfigur dar. Sie begegnet ausschließlich in Q 19 und ihrer medinischen Neubearbeitung (Q 3:39) sowie in einer Liste (Q 6:85) und ist insofern zwar nicht funktional, doch typologisch eng mit Jesus verbunden.
V. 16-17wa-ḏkur fi l-kitābi maryama ʾiḏi ntabaḏat min ʾahlihā makānan šarqīyā / fa-ttaḫaḏat min dūnihim ḥiǧāban fa-ʾarsalnā ʾilaihā rūḥanā fa-tamaṯṯala lahā bašaran sauīyā] Wie bei Lukas schließt der Bericht über Maria an, die einzige weibliche Figur, die im Koran namentlich genannt wird. Ihre Person wird als bekannt vorausgesetzt, der Ort ihres Aufenthalts braucht nicht explizit bestimmt zu werden. Sie hat sich vor ihren Angehörigen an einen „östlichen Ort“ zurückgezogen und sich durch einen Vorhang oder Schleier abgeschirmt, als sie der Gottesbote erreicht, mit dessen Ankündigung des Sohnes die Geschichte bei Lukas beginnt. Der Gottesbote wird nicht wie in Lk 1,26 mit dem Engel Gabriel identifiziert; vielmehr ist von einer Erscheinung des Geistes Gottes die Rede, die Menschengestalt hat. Diese Ausdrucksweise kann – wie Rami Tannous (unveröffentlichte Dissertation) erwägt als uneindeutig belassene Nennung Gottes selbst gedeutet werden. Denn im koranischen Horizont kann göttliche Offenbarung nur mittelbar, etwa „von hinter einem Vorhang“ (Q 42:51: min warāʾi ḥiǧāb) erfolgen. Der Vorhang figuiert auch in der Maria-Geschichte, wo er allerdings als Trennwand, zur Abschirmung von Marias Privatsphäre vor ihrer Familie, erscheint. Er hat eine lange Geschichte, die Tannous nachzeichnet: Der Tempelvorhang (parōḫet, Ex 26,33-35; 2 Chr 3,14), der das Allerheiligste verhüllt, wurde bereits im Protoevangelium mit Maria verbunden, siehe unten zu V. 17.
Die koranische Maria-Erzählung ist von Hosn Abboud 2014 monographisch behandelt worden. Abboud stellt einen intertextuellen Bezug zur altarabischen Qasida her, wo der raḥīl- (Reise-)Teil einen Übergangsritus reflektiert, bei dem die Wiedergewinnung der psychischen Stabilität des Dichters im abschließenden Preislied ihren Ausdruck findet. Abboud erwägt für Marias Gang in die Abgeschiedenheit, eventuell die Wüste, den Reflex einer solchen Seelenbewegung seitens des Propheten, der in Maria präfiguriert erscheint. Die äußerst knappe Erzählung, die dem Hörer die Deutung der unbestimmten Ortsangabe und der Funktion des Schleiers selbst überläßt, wirkt, wie etwa Kuschel (2007:482-484) betont, dennoch in sich vollständig; sowohl der unbestimmte Ort als auch der Vorhang deuten für ihn auf eine Rückzugsbewegung, die sie auf ihre Bestimmung vorbereitet.
Es ist daher nicht sicher, ob sie über die narrative Absicht hinaus noch ein traditionskritisches Ziel verfolgt: ob sie durch eine gezielte Entallegorisierung frühere Traditionen überlagern sollte oder ob Geschichte bereits von ihren Allegorien gelöst in Umlauf war. Denn der veritativen Erzählung unterliegt deutlich eine allegorische Vorform: Was innerhalb des Berichts schlicht als eine Etappe des Rückzugs Marias aus der Welt (V. 16), in Kuschels Deutung: als geistige Vorbereitung auf die Begegnung mit dem göttlichen Boten, erscheint, zeigt noch Spuren einer in der Spätantike verbreiteten, weit über das Narrative hinausgehenden Auslegung der Lukas-Geschichte. Wie schon Rudolph 1922 (nach Dettinger 1831) erkannt hat, ist die Angabe „östlicher Ort“ symbolbeladen. Die Lokalisierung birgt eine christologische Reminiszenz, die die allegorische Deutung Marias als Bild der Kirche, und damit des Tempels, voraussetzt. Das geschlossene Osttor des Tempels, durch das nach Ez 44,1-2 Gott aus Jerusalem ausgezogen ist und das seither geschlossen ist, soll sich jüdischer und später christlicher Tradition zufolge erst für den Messias wieder öffnen. „Die alte Kirche (Hieronymos, Ambrosius) übertrug bei ihrer Allegorese, mit der sie den Tempel mit Maria gleichsetzte, diese Prophezeiung auf Christus: solus Christus clausas portas vulvae aperuit. Nur Christus hat die verschlossenen Tore des Schoßes geöffnet“ (Dettinger 1831:33). Diese Allegorie wird in der Ostkirche auch liturgisch manifest gemacht: Der Ezechiel-Abschnitt ist die Prophetenlesung am Fest von Mariae Entschlafung. Zur allegorischen Dimension der Marienfigur siehe weiter Marx 2009 und KTS, S. 590-595.
Auch das Detail des Vorhangs erinnert an eine symbolbesetzte apokryphe Mariengeschichte (siehe TUK, Nr. 0035). Der bereits von Bell (1937), vor allem aber Tannous herangezogenen Darstellung des Protevangeliums des Jakobus (Protev 10) zufolge wird Maria durch das Los dazu bestimmt, für den Tempelvorhang Purpur und Scharlach zu spinnen (siehe Paret, KKK, S. 323) – deren Farbe unmißverständlich auf die Passion ihres Sohnes vorausweist. Angesichts der in Koran ausgeblendeten Passionsgeschichte verwundert es nicht, daß auch der ominöse Vorhang im Koran zu einem eher marginalen Accessoire, zu einer Marias Privatsphäre schützenden Trennwand, herabgestuft ist. Wie im Fall des „östlichen Ortes“, so auch im Fall des Vorhangs wird ein in der christlichen Tradition allegorisch eingesetztes Bild ‚entallegorisiert‘, beide symbolbesetzten Details begegnen in der koranischen Version als alltägliche Realien wieder, siehe Exkurs I in HKII/1, S. 645-650.
V. 18-20qālat ʾinnī ʾaʿūḏu bi-r-raḥmāni minka ʾin kunta taqiyyā / qāla ʾinnamā ʾana rasūlu rabbiki li-ʾahaba laki ġulāman zakīyā / qālat ʾannā yakūnu lī ġulāmun wa-lam yamsasnī bašarun wa-lam ʾaku baġīyā] Marias Reaktion – laut dem Evangelientext ist sie bestürzt (dietarachthē, Lk 1,29) – wird im Koran durch ihre eigene ebenfalls eine geschockte Abwehr ausdrückende Rede wiedergegeben: Sie verwahrt sich gegen die Annäherung, nimmt Zuflucht zu Gott (ar-raḥmān) vor dem offenbar nicht als Gottesboten erkannten Mann. Auf die Ankündigung des Knaben – eine von Warš ʿan Nāfiʿ tradierte Textvariante liest weniger anstößig li-yahaba („damit er dir gebe“), läßt Gott also statt des Gesandten instrumental werden – reagiert sie so ungläubig wie vorher Zacharia und weist wie er auf die physische Unmöglichkeit einer Schwangerschaft hin, wobei sie sich zugleich als ehrbare Frau gegen die Unterstellung einer außerehelichen Beziehung verwahrt. Es fällt in dieser Phase der Erzählung kein Wort über Marias göttliche Erwählung wie in Lk 1,28-29.
V. 21qāla ka-ḏāliki qāla rabbuki huwa ʿalaiya haiyinun wa-li-naǧʿalahū ʾāyatan li-n-nāsi wa-raḥmatan minnā wa-kāna ʾamran maqḍīyā] Die Antwort entspricht der an Zacharia. Zu Gottes ihm ‚leichtfallender‘ Schöpfung, die durch das Wort allein möglich ist, siehe TUK, Nr. 0067 aus einem syrischen Gebetbuch. – Wie in Lk 1,31-33 wird die besondere Bestimmung des Kindes enthüllt, ein Zeichen für die Menschen und (ein Zeugnis) göttlicher Barmherzigkeit zu sein.
V. 22-25fa-ḥamalathu fa-ntabaḏat bihī makānan qāṣiyyā / fa-ʾaǧāʾaha l-maḫāḍu ʾilā ǧiḏʿi n-naḫlati qālat yā-laitanī mittu qabla hāḏā wa-kuntu nasyan mansīyā / fa-nādāhā min taḥtihā ʾallā taḥzanī qad ǧaʿala rabbuki taḥtaki sarīyā / wa-huzzī ʾilaiki bi-ǧiḏʿi n-naḫlati tusāqiṭ ʿalaiki ruṭaban ǧaniyyā] Der Reim auf -īyā bringt es mit sich, daß am Satz- und Versende oft ausgefallene Lexeme stehen. Christoph Luxenberg 1999:119-121 hat das Hapaxlegomenon (aus V. 24) sarīyā aramäisch zu deuten versucht und kommt vermittels komplizierter Eingriffe für V. 24 zu der theologischen Aussage: „Dein Herr hat deine Niederkunft legitim gemacht“. Sarīyā ist aber ebenso wie ǧanīyā, (V. 25), die regelkonforme faʿīl-Bildung einer auf ya‘ endenden Wurzel. Es handelt sich hier also nicht um eine Crux, vielmehr ist die kreative morphologische Neubildung von Lexemen ein Mittel der Überraschung und Beeindruckung der Hörer.
Die Geburt vollzieht sich an einem ‚abgelegenen Ort‘, in gänzlicher Isolation von den Menschen. Die historische Rahmengebung des Evangeliums, der Gang nach Bethlehem, entfällt. An die Stelle einer topographisch und chronologisch zumindest indirekt determinierten Handlung tritt eine mythische Szene um die Niederkunft einer verlassenen Frau. Als die Wehen sie überkommen, flieht die Verzweifelte zum Stamm einer Palme. Ihre emphatische Klage bringt ihre Emotionen unverhüllt zum Ausdruck. Der Baum erweist sich als wundertätig, er wird Früchte abwerfen, wie auch eine Quelle vor ihr aufbrechen wird. Die bei Lukas und im Protevangelium unbekannte Episode erinnert an die Geschichte Hagars und Ismaels aus Gen 21,19-21, in der ein Engel vom Himmel Hagar Mut zuspricht und ihr den rettenden Brunnen zeigt. Daß diese Geschichte im Koran selbst nicht erzählt wird, bedeutet nicht notwendig, daß sie unbekannt gewesen sein muß. Doch hat die koranische Mariengeschichte – wie Suleiman Mourad 2002 (nach Rudolph 1922, vgl. auch Sidersky 1933:142 f.) gezeigt hat – auch eine christliche Parallele: in dem apokryphen Evangelium des Pseudo-Matthäus, verfaßt zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert. Dieses apokryphe Evangelium stellt das Palmenwunder allerdings in den Kontext der Flucht der heiligen Familie nach Ägypten: Die erschöpften Eltern Jesu werden dank eines vom Kind erwirkten Wunders erfrischt, indem es eine Palme veranlaßt, sich zu neigen und Früchte abzuwerfen. Gleichzeitig springt eine Quelle auf, die die Familie vor dem Verdursten rettet. Der Kontext ist denkbar verschieden: bei Pseudo-Matthäus eine kollektive Erfahrung, an der Josef, Maria und das inzwischen handlungsfähige Kind aktiv teilhaben, im Koran die Niederkunft einer isolierten weiblichen Figur, die von jeder menschlichen Umgebung abgeschnitten ist und von überirdischen Mächten versorgt wird. Als Referenz für Q 19 ist diese Geschichte wenig relevant. In der Tat ist umgekehrt die Möglichkeit der Abhängigkeit der christlichen Erzählung von der koranischen erwogen worden. Zu neuer, gerade auf dieser Geschichte weitreichende Spekulationen über die Koranexegese aufbauender Forschung siehe jetzt Tannous (unveröffentlichte Dissertation).
Mourad verweist jedoch noch auf eine weitere Parallele, die ebenfalls mit einer geheiligten Palme verbundene Geburtslegende Apollos, dessen Mutter, Leto, ebenfalls vom Vater des Kindes verlassen, unter einer Palme an einem abgelegenen Ort niederkommt. Mourad hält es für „nicht unmöglich, daß einige frühe Christen, die das Lukasevangelium nicht kannten oder nicht von ihm überzeugt waren, eine Geschichte in Umlauf brachten, die die Umstände von Marias Wehen und Niederkunft beschreiben sollte ‚…‘. Eine mögliche solche Gruppe könnten die Christen von Nadjran in Westarabien sein, die eine Palme verehrten, bevor sie zum Christentum konvertierten. Die Ersetzung der Palmengeschichte um Leto/Apollo durch eine Palmengeschichte, passend zu Maria/Jesus, hätte ihnen erlaubt, einen Teil ihrer Tradition zu bewahren, ihm aber ein christliches Aussehen zu geben“ (vgl. Mourad 2002:103). Ihre Verbindung der Palmengeschichte mit Maria hätte dann – Mourad zufolge – sowohl der koranischen als auch der apokryphen Version aus Pseudo-Matthäus Modell gestanden.
V. 26-28fa-kulī wa-šrabī wa-qarrī ʿainan fa-ʾimmā tarayinna mina l-bašari ʾaḥadan fa-qūlī ʾinnī naḏartu li-r-raḥmāni ṣauman fa-lan ʾukallima l-yauma ʾinsīyā / fa-ʾatat bihī qaumahā taḥmiluhū qālū yā-maryamu la-qad ǧiʾti šaiʾan farīyā / yā-ʾuḫta hārūna mā kāna ʾabūki mraʾa sauʾin wa-mā kānat ʾummuki baġīyā] Maria wird von der göttlichen Stimme in einer persönlichen Trost-Zusprache, die auf ihre Klage antwortet, mental wieder aufgerichtet. Ihr wird verheißen, auch vor Verfolgung sicher zu sein; denn ihr Sohn wird für sie sprechen, während sie sich selbst mit – durch ein Gelübde begründeter – Sprachlosigkeit dem Konflikt mit ihren aufgebrachten Verwandten entziehen kann. Die Aufforderung qarrī ʿainan („Sei guten Mutes“, wörtlich: „Laß dein Auge kühl sein!“) reflektiert die Emphatie, die bereits einer anderen weiblichen Figur, Moses' Mutter (Q 20:40), erzeigt worden war, die durch den Rückerhalt ihres Sohnes aufgerichtet wurde: kai taqarra ʿainuhā, „daß sie sich freue“.
Es fällt auf, daß sich der Vorwurf der Angehörigen an sie als „Schwester Aarons“ richtet. Diese Benennung wurde, nachdem lange einfach mit einer bloßen Personenverwechslung argumentiert worden war, in neuerer Zeit zumeist im Sinne einer typologischen Zuordnung – Maria ist von Gott angesprochen wie Miriam, die Schwester Aarons, sie ist folglich ihr Antitypus – gelöst (siehe Busse 1991; Tottoli 2002:109). Auch diese Lektüre ist jedoch kürzlich von Suleiman Mourad (2008) zugunsten eines genealogischen Verständnisses revidiert worden (siehe auch Bauschke 2013:26-40). Marias außereheliche Niederkunft ist angesichts ihrer Zugehörigkeit zur Familie Aarons besonders anstößig. Dieses Verständnis ist hinreichend, wenn man von einer schon vor der koranischen Darstellung erfolgten Entallegorisierung der Marienfigur ausgeht, sie ist dann einfach eine Verwandte Aarons. Was jedoch noch durchhallt, ist eine andere Aussage: Die Beziehung Marias zu Aaron ist aber historisch gesehen keine Familienverbindung, sondern gehört wieder in den Kontext der Tempelallegorie. Insofern Maria die Kirche symbolisiert, ist sie Erbin des Tempels und als solche „Schwester“ des Begründers des Tempelkults, Aarons. Diese symbolgeschichtliche Deutung wird noch durch weitere Umwelttexte gestützt (siehe TUK, Nr. 0051, TUK, Nr. 0066, TUK, Nr. 0070-0072, dazu auch Marx 2009 und KTS, S. 590-594). Siehe weitherhin den Exkurs zu Maria und Jesus in HKII/1, S. 645-650.
Die hier von den Verwandten erhobene Beschuldigung Marias, eine Dirne zu sein, ist nicht nur ein Topos der jüdischen Polemik, siehe Schäfer 2007:15-24; sie ist auch aus der syrischen Hagiographie bekannt, wo über Unzuchtsbezichtigungen bereits während der Schwangerschaft berichtet wird (siehe TUK, Nr. 0037).
V. 29-33fa-ʾašārat ʾilaihi qālū kaifa nukallimu man kāna fi l-mahdi ṣabīyā / qāla ʾinnī ʿabdu llāhi ʾātāniya l-kitāba wa-ǧaʿalanī nabīyā / wa-ǧaʿalanī mubārakan ʾaina mā kuntu wa-ʾauṣānī bi-ṣ-ṣalāti wa-z-zakāti mā dumtu ḥaiyā / wa-barran bi-wālidatī wa-lam yaǧʿalnī ǧabbāran šaqīyā / wa-s-salāmu ʿalaiya yauma wulidtu wa-yauma ʾamūtu wa-yauma ʾubʿaṯu ḥaiyā] Der Neugeborene stellt sich mit ähnlichen Auszeichnungen vor, wie sie bereits Johannes zugeschrieben worden waren. Er gibt sich selbst als Gottesdiener zu erkennen (zur Mose-Analogie [Dtn 34,5] siehe TUK, Nr. 0483) und weist damit jeden Anspruch auf einen Rang als Sohn Gottes zurück. Er bezeichnet sich als Empfänger von Schrift und Prophet und bezeugt für sich selbst – wie Johannes/Yaḥyā zuvor –, mit besonderen ethischen und religiösen Pflichten belegt und mit einer Eulogie geehrt zu sein. Die Eulogie sollte nicht – wie bei Bauschke (2013) – als Friedensverheißung gedeutet werden, die Formel as-salāmu ʿalaihi („Friede über mir“) ist metatextuell zu verstehen; sie stellt eine göttliche Auszeichnung dar, die sich in einer besonderen öffentlichen Privilegierung der geehrten Person manifestieren soll, deren Namensnennung fortan mit ʿalaihi/hā s-salām verbunden sein wird; ähnliche Auszeichnungen sind aus der rabbinischen Praxis vertraut.
Zakāt ist hier wie in der Segnung des Yaḥyā/Johannes (Q 19:13) eventuell noch in seinem wörtlichen Sinn als „Lauterkeit“ zu verstehen (zur Wortentwicklung siehe Spitaler 1998:190-205). Die Bezeichnung Jesu als nabī, der die Klassifizierung von sechs weiteren Personen (Abraham, Isaak, Jakob, Mose, Aaron, Ismael) als nabī folgt, begegnet hier erstmals im Koran (siehe dazu Bobzin 2010b).
Jesu Umschreibung seiner Lebenszeit durch sein Geborenwerden, sein Sterben und Wiedererwecktwerden dürfte einfach im Sinne von ‚immer‘ zu verstehen sein. Über die Realität von Jesu Tod werden sich später, im Kontext der Kreuzigung (Q 4:157), Debatten entzünden (siehe dazu Lawson 2009). Seine Wiederkehr, Parusie, ist Gegenstand apokalyptischer Spekulationen, wie sich noch in der Q 19 nahestehenden Sure Q 43:61 in der Lesart ʿalamun li-s-sāʿa („Er [Jesus] ist ein [Vor-]Zeichen der Stunde“, siehe ‚www.corpuscoranicum.de‘, „Lesarten“) abzeichnen. Die Lesart, die die – im Koran sonst gemiedenen – apokalyptischen Projektionen der Person Jesu, dessen Wiederkunft das Weltende ankündigt, anklingen läßt, ist offenbar von den kanonischen Lesern zu dem harmlos klingenden ʿilmun li-s-sāʿa („Er ist das Wissen um die Stunde“) geglättet worden (siehe den Kommentar zu Q 43). Solche theologischen Probleme scheinen in der Selbstaussage in V. 33 noch nicht mitzuschwingen.
V. 34ḏālika ʿīsā bnu maryama qaula l-ḥaqqi llaḏī fīhi yamtarūn] Unvermittelt wird am Ende der erbaulich erzählten Geschichte Jesus als Träger von dogmatischen Wahrheiten eingeführt. Die nichtnarrative Versgruppe V. 34-40 ist bereits an ihrem Reimgebrauch (2n/m inmitten von -īyā-Reimen) als späterer Zusatz erkennbar. Sie setzt deiktisch ein: Gleich eingangs wird das bis dahin nicht benannte Kind identifiziert, es trägt zusätzlich zu seinem Namen ʿĪsā das Matronym Ibn Maryam („Sohn Marias“), das leicht als eine Ersetzung des christologischen Prädikats ‚Sohn Gottes‘ zu erkennen ist. Diese Zuordnung zu Maria, die dem christlichen Titel entgegenläuft, erhält durch den parenthetischen Ausruf „Wort der Wahrheit!“ besondere Emphase. Die Zuordnung erscheint an drei Stellen im Neuen Testament (Mk 6,3; Mt 13,55; Apg 1,14), während Jesus sonst mit Josef verbunden wird (Lk 3,23; 4,22; Joh 1,45; 6,42). Sie ist dagegen in apokryphen Texten geläufig. Die beiden Genealogien Jesu enden mit Josef (Mt 1,1-17) oder beginnen mit ihm (Lk 3,23-38), siehe Bauschke 2013:22.
Mit dieser ‚offiziellen‘ Einführung der Person Jesu wechselt der Diskurs vom Mythischen zum Politischen, zur sozialen Realität der Gemeinde. Denn Jesus, Sohn Marias, ist nicht mehr nur Zeichen göttlicher Barmherzigkeit (V. 21), sondern auch Gegenstand des Disputs (V. 34), und zwar zwischen den Gegnern des Verkünders, die sich über seinen Status uneins sind.
V. 35mā kāna li-llāhi ʾan yattaḫiḏa min waladin subḥānahū ʾiḏā qaḍā ʾamran fa-ʾinnamā yaqūlu lahū kun fa-yakūn]. Die Feststellung antwortet auf eine – nicht explizierte – Rede der Gegner, die offenbar Jesus als einen Sohn Gottes (min waladin) ins Gespräch bringen wollen. Dabei sind nicht Christen vorauszusetzen, Jesus gilt ihnen nur als zur göttlichen Familie gehörig. Die emotional mit „Bewahre Gott“ (subḥāna) eingeleitete Entgegnung hält fest, daß Gott alles unmittelbar, durch sein Wort, schaffen kann, sich keine Kinder anzunehmen braucht (V. 35). Zum Werden Jesu durch das bloße Schöpfungswort vgl. Ps 33,9: kī hū amar way-yehī, hū ṣiwwā way-yaʿmōd („Denn er spricht, und es ist, er befiehlt, und es ist da“).
V. 36-37wa-ʾinna llāha rabbī wa-rabbukum fa-ʿbudūhu hāḏā ṣirāṭun mustaqīm / fa-ḫtalafa l-ʾaḥzābu min bainihim fa-wailun li-llaḏīna kafarū min mašhadi yaumin ʿaẓīm] Der Diskurs kehrt zur historischen Person Jesu zurück. Ihm wird ein mottoähnlicher Ausspruch zugeschrieben (V. 36, übernommen aus Q 43:64, siehe Exkurs in HKII/1, S. 650-655), der ihm auch in Medina bleibt: Q 3:51, Q 5:117: „Gott ist mein Herr und euer Herr, so dienet ihm. Das ist ein gerader Weg.“ In seiner leicht abweichenden Form in Q 21:92 und Q 23:52 läßt es das von Jesus am Ende der Versuchungsgeschichte (Mt 4,10) zitierte erste der Zehn Gebote (Ex 20,3; siehe Busse 1988:133) durchklingen: „Du sollst anbeten deinen Herrn und ihm allein dienen.“ Dieses kompromißlose Bekenntnis zur Einheit Gottes schließt ein Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Gott und Jesus aus.
Die Person Jesu ist aber nicht nur in der Gegenwart Objekt des Disputs, sondern war dies auch in der Vergangenheit, als nach seinem Tode ein Schisma eintrat (V. 37); gemeint ist eventuell die historische Spaltung zwischen Juden/Judenchristen und (Heiden-)Christen oder auch die bis in die Zeit des Propheten fortbestehende Aufspaltung der Christen in Gruppen. Mit aḥzāb werden in Mekka sonst (Q 38:11, Q 38:13 und Q 40:5, Q 40:30) nur die „Leugnerparteien“, die Angehörigen der vernichteten Völker, bezeichnet.
Die nachträglich an die Geschichte angehängte Versgruppe V. 34-40 zeigt also einen Stand der Debatte an, bei dem die Rezitation einer mythischen Geschichte (wie sie im Kerntext von V. 11-33 erzählt wird) bereits durch diskursive Kommentare abgestützt werden mußte. Es steht hier zwar noch nicht die christliche Erhöhung Jesu zum Sohn Gottes zur Debatte, wohl aber geht es um eine Gotteskindschaft Jesu analog zu derjenigen, die die Paganen für ihre weiblichen Gottheiten vertreten. Die Aussagen über Jesus sind an dieser Stelle also noch keine antichristliche Polemik, sondern werden, wie ein Vergleich mit Q 43:57-75 zeigt, einer offenbar paganen gegnerischen Gruppe entgegengehalten, die Jesus in ihr Pantheon aufgenommen hatte (siehe KTS, S. 491-495).
V. 38-40ʾasmiʿ bihim wa-ʾabṣir yauma yaʾtūnanā lākini ẓ-ẓālimūna l-yauma fī ḍalālin mubīn / wa-ʾanḏirhum yauma l-ḥasrati ʾiḏ quḍiya l-ʾamru wa-hum fī ġaflatin wa-hum lā yuʾminūn / ʾinnā naḥnu nariṯu l-ʾarḍa wa-man ʿalaihā wa-ʾilainā yurǧaʿūn] Den Gegnern droht eschatologische Strafe; sie wird eingeleitet mit einer rhetorisch ungewöhnlichen Aufforderung, das Schreckensszenario des Jüngsten Tages hörend und sehend zu erleben – ein bildharmonischer Ausklang der beiden Geschichten, in denen immer wieder Hörbares Nichthörbarem (wie das nicht hörbare Gebet Zacharias und Marias durch Schweigen unhörbar gemachte Selbstverteidigung) gegenüberstand. Die Gegner sind noch ahnungslos, obwohl die Dinge schon entschieden sind; quḍiya l-ʾamru nimmt den Gedanken der Unumstößlichkeit göttlicher Entscheidungen aus V. 21 wieder auf. Das Bestehen auf Gottes Prärogative, das Land zu erben und seiner Sammlung der Menschen zu sich, mag hier wie auch sonst im Koran als Abweisung der Vorstellung von Christi Erben des Landes (siehe Hebr 1,2) zu verstehen sein – eine angesichts der in Q 19 erstmals figurierenden Person Jesu nicht abwegige Assoziation.
V. 41-43wa-ḏkur fi l-kitābi ʾibrāhīma ʾinnahū kāna ṣiddīqan nabīyā / ʾiḏ qāla li-ʾabīhi yā-ʾabati li-ma taʿbudu mā lā yasmaʿu wa-lā yubṣiru wa-lā yuġni ʿanka šaiʾā / yā-ʾabati ʾinnī qad ǧāʾanī mina l-ʿilmi mā lam yaʾtika fa-ttabiʿnī ʾahdika ṣirāṭan sawīyā] Das anaphorische wa-ḏkur fī l-kitābi („Gedenke in der Schrift“) rekurriert wie auch im Folgenden (V. 54 und V. 56) auf das einleitende ḏikru raḥmati rabbika (V. 2). Die Abraham-Geschichte ist zwar durch den eschatologischen Exkurs (V. 38-40) von den langen Erzählungen getrennt und steht als eigene Episode für sich, sie ist aber mit den beiden vorausgehenden Geschichten durch das gemeinsame Motiv einer besonderen Eltern-Kind-Beziehung verbunden.
Auch diese Erzählung fällt durch ihre emotionale Prägung auf, Abrahams Anrede an seinen Vater ist betont einfühlend und freundlich. Wie im weisheitlichen Kontext eine Vaterfigur den Sohn mit der Koseform yā bunayya (etwa Q 31:13, Q 31:16) anspricht, so hier Abraham seinen belehrungsbedürftigen Vater mit yā abati, vgl. Prov 1,8: shemaʿ benī, Prov 1,10: benī. In dieser Fassung der Episode tritt an die Stelle der üblichen Demonstration der Machtlosigkeit der Götzen wie in Q 37:83-100 und Q 26:70-73 eine antipagane Argumentation. Abraham beruft sich für seine bessere Einsicht nicht mehr auf Empirie, sondern auch auf offenbar transzendentes Wissen.
Die Abraham-Geschichte um die Ablehnung des Götzendienstes seines Vaters ist eine Standarderzählung aus der rabbinischen wie auch christlich-apokryphen Tradition (vgl. BEQ, S. 130-140 und Q 37:83-100, wo die Abkehr Abrahams von seinem Vater als Verletzung der Sohnespflicht problematisiert wird, siehe den Kommentar). In Q 19 ergreift der Vater selbst die Initiative der Trennung, Abraham, der sich vorher (in Q 37) noch selbst von seinem Vater abkehrte, wird also exkulpiert.
Der Ehrentitel ṣiddīq leitet sich von hebräisch ṣaddiq („Gerechter“) ab (siehe dazu Horovitz, KU, S. 49; Horovitz 1925:213; Shapiro 1907:36 und Speyer, BEQ, S. 202 f.). Der Titel wird in Q 19:56 auch Idrīs/Henoch verliehen, er erinnert – ebenso wie die in Q 54:55 an die Seligen ergehende Verheißung von Rängen der Gerechten, miqʾad ṣidq, an die sich besonders mit Henoch verbindende apokalyptische Literatur.
V. 44-45yā-ʾabati lā taʿbudi š-šaiṭāna ʾinna š-šaiṭāna kāna li-r-raḥmāni ʿaṣīyā / yā-ʾabati ʾinnī ʾaḫāfu ʾan yamassaka ʿaḏābun mina r-raḥmāni fa-takūna li-š-šaiṭāni walīyā] Die Berufung auf den šaiṭān setzt die Verführungsgeschichte aus Q 20:115-123 voraus, in der Iblīs erstmals als der eine Šaiṭān zur aus jüdisch-christlicher Tradition bekannten Verkörperung des Bösen aufrückt. Šaiṭāns dortige Identifikation mit Iblīs begründet seine Verurteilung als „widerspenstig“ (ʿaṣī) in V. 44. Im koranischen Dekalog (Q 17:27) wird vor dem Šaiṭān als seinem Herrn gegenüber Undankbaren gewarnt. Neu ist die Sorge um die Rechtleitung des Vaters angesichts der Ansprüche Gottes (ar-raḥmān) an den Menschen. Walī – im Sinne von „Gefolgsmann“ – nimmt negativ gewendet auf V. 5 Bezug.
V. 46-48qāla ʾa-rāġibun ʾanta ʿan ʾālihatī yā-ʾibrāhīmu la-ʾin lam tantahi la-ʾarǧumannaka wa-hǧurnī malīyā / qāla salāmun ʿalaika sa-ʾastaġfiru laka rabbī ʾinnahū kāna bī ḥafīyā / wa-ʾaʿtazilukum wa-mā tadʿūna min dūni llāhi wa-ʾadʿū rabbī ʿasā ʾallā ʾakūna bi-duʿāʾi rabbī šaqīyā] Auf die harsche, mit einer Drohung verbundene Ablehnung des Vaters kehrt sich Abraham friedfertig von ihm ab und tauscht – wie in Q 37 – die genealogische Bindung gegen eine spirituelle ein. Die Drohung des Vaters – ihr entspricht in der apokryphen Literatur ein Rechtfertigungsversuch des Abraham-Vaters Teraḥ – wiederholt diejenige der Ungläubigen gegen Noah in Q 26:116 und gegen Lot in Q 26:167. Dennoch ist eine neue Stufe der Reflexion und Introspektion erreicht: Abraham nimmt den Irrgang seines engsten Verwandten nicht als gegeben hin, sondern betont seine Absicht, bei Gott Fürbitte für den Vater einzulegen. Die alte Geschichte nimmt damit einen aktuellen Charakter an: Zur spätantiken Sorge um das Selbst gehört auch die Sorge um das Heil der engsten Verwandten, wie sie die Gemeinde beschäftigt haben dürfte. Ähnlich trat Noah in Q 71:28 für sein Volk ein: rabbī ġfir lī wa-li-wālidaiya („Mein Herr, vergib mir und meinen Eltern“), vgl. zu Abraham in Q 26:86: wa-ġfir li-ʾabī innahu kāna mina ḍ-ḍāllīn („und vergib meinem Vater, denn er war ein Irrender“, siehe dazu BEQ, S. 144 f.). Abrahams Zuversicht in die Erfüllung des Gebets reflektiert diejenige Zacharias (V. 4). Sein Ausruf salāmun ʿalaihā („Friede sei mit dir“) ist als Abschiedsformel zu verstehen.
V. 49-50fa-lammā ʿtazalahum wa-mā yaʿbudūna min dūni llāhi wahabnā lahū ʾisḥāqa wa-yaʿqūba wa-kullan ǧaʿalnā nabīyā / wa-wahabnā lahum min raḥmatinā wa-ǧaʿalnā lahum lisāna ṣidqin ʿalīyā] Die Abkehr von der verderbten Gesellschaft wird mit einer Erneuerung – Abraham begründet eine eigene Genealogie – belohnt. An dieser Stelle wird der – im Kerntext von Q 37 noch nicht genannte – Name des Sohnes, hier zusammen mit dem Namen von dessen Sohn, nachgetragen. Diese exklusiv jüdisch-christliche Genealogie Abraham-Isaak-Jakob wird erst später (in Q 14) aufgebrochen, wo auch Ismail als Abraham-Sohn ins Bild tritt (siehe Neuwirth 2016). Zur Verheißung eines lisān ṣidq vgl. Q 26:84, wo Abraham um ebendiesen „Ruf eines Gerechten“ bittet.
V. 51-53wa-ḏkur fi l-kitābi mūsā ʾinnahū kāna muḫlaṣan wa-kāna rasūlan nabīyā / wa-nādaināhu min ǧānibi ṭ-ṭūri l-ʾaimani wa-qarrabnāhu naǧīyā / wa-wahabnā lahū min raḥmatinā ʾaḫāhu hārūna nabīyā] Die weiteren Prophetenerinnerungen nehmen die Form einer Liste an. Für die kurze Zusammenfassung der Mose-Geschichte, die nun nicht wie in den frühesten Beispielen um die Auseinandersetzung mit Pharao kreist, sondern unter dem Aspekt seiner Erwählung (muḫlaṣ) und der ihm zuteil gewordenen persönlichen einzigartig intimen Ansprache Gottes am Berg Sinai sowie seiner Unterstützung durch Aaron erzählt wird, siehe KU, S. 124 f. und BEQ, S. 255 f. Zu min ǧānibi ṭ-ṭūri l-ʾaimani („wir riefen zu ihm von der rechten Flanke des Berges“) vgl. Dtn 33,2: „YHWH kam vom Sinai her ‚…‘, zu seiner Rechten ein loderndes Feuer“ (siehe Paret, KKK, S. 326). Wie den anderen Propheten Nachkommen geschenkt werden, so erhält Mose seinen Bruder zum Helfer, und mehr noch: wird Mose durch ein vertrauliches Gespräch mit Gott geehrt.
V. 54-55wa-ḏkur fi l-kitābi ʾismāʿīla ʾinnahū kāna ṣādiqa l-waʿdi wa-kāna rasūlan nabīyā / wa-kāna yaʾmuru ʾahlahū bi-ṣ-ṣalāti wa-z-zakāti wa-kāna ʿinda rabbihī marḍīyā] Erstmalige Erwähnung Ismaels, der im Koran keine eigene Geschichte besitzt und an dieser Stelle auch in keine genealogische Beziehung zu Abraham gesetzt wird. Das von ihm entworfene Bild ist dem Abrahams als eines Getreuen ähnlich (Q 53:37: wa-ʾIbrāhīma llaḏī waffā, „und Abrahams, der die Treue bewahrte“), darüber hinaus tritt er als Autorität für die Respektierung der wichtigsten sozialen Pflichten auf; er ist offenbar nicht Warner-Prophet bei einem widerspenstigen Volk, sondern nur für seine eigenen Angehörigen verantwortlich (vgl. BEQ, S. 171).
V. 56-57wa-ḏkur fi l-kitābi ʾidrīsa ʾinnahū kāna ṣiddīqan nabīyā / wa-rafaʿnāhu makānan ʿalīyā] Der Name Idrīs stellt ein ungelöstes Problem dar: Selbst wenn er etymologisch – wie von einigen angenommen (siehe KU, S. 88 f.) – „Andreas“ reflektieren sollte, so dürfte doch die gemeinte Person am ehesten dem durch eine Aufstiegsgeschichte ausgezeichneten Henoch entsprechen (siehe KU, S. 88 f.; Horovitz 1925:175 f.; KKK, S. 327), siehe dazu Schäfer (2015). Auch der Erzähler aus dem 4. Esra Buch, einer jüdischen Apokalypse kommt in frage, siehe Bell 1937:288. Aufstiegstraditionen reflektieren sich in den Suren dieser Zeit vor allem in Details des himmlischen Hofstaats, dessen die in den Himmel aufgenommenen Gerechten ansichtig werden (siehe dazu im Koran vor allem Q 71 und zur Sitzrangordnung Q 54:55).
V. 58ʾulāʾika llaḏina ʾanʿama llāhu ʿalaihim mina n-nabiyyīna min ḏurrīyati ʾādama wa-mimman ḥamalnā maʿa nūḥin wa-min ḏurrīyati ʾibrāhīma wa-ʾisrāʾīla wa-mimman hadainā wa-ǧtabainā ʾiḏā tutlā ʿalaihim ʾāyātu r-raḥmāni ḫarru suǧǧadan wa-bukīyā]V. 58 erfüllt die Funktion einer Zusammenfassung der Erzählungen und Aufzählungen. Es handelt sich aber um einen medinischen Zusatz, vielleicht eine Überarbeitung einer älteren Version. V. 58 setzt bereits die Erwählungsverse Q 3:33-34 voraus: inna llāha ṣṭafā Ādama wa-Nūḥan wa-Āla Ibrāhīma wa-Āla ʿImrāna ʿalā l-ʿālamīn / ḏurriyyatan baʿḍuhā min baʿḍin wa-llāhu samīʿun ʿalīm („Gott erwählte Adam, Noah, das Haus Abraham und das Haus Amram vor allen Menschen, die einen als Nachkommen der anderen. Gott ist der Hörende, der Sehende“). Q 19:58 wird auch von der islamischen Tradition als späterer Zusatz anerkannt (siehe Nagel 1995).
Wie in Q 3:33 wird in V. 58 den späterhin jüdischen Nachkommen Adams und Noahs, der Familie Abrahams und Israels, d.h. der Linie Abraham-Isaak-Jakob, eine neue Gruppe entgegengesetzt: nicht namentlich genannte Rechtgeleitete (mimman‚…‘), die ebenfalls als von Gott begünstigt erklärt werden. Dabei zeichnet sich die anonyme Gruppe durch besonders asketische Frömmigkeit aus; sie ist daher unschwer als christlicher Herkunft zu identifizieren, vgl. die ähnliche Beschreibung in Q 6:84-85, wo nach der Nennung der Abraham-Isaak-Jakob-Linie die Angehörigen der christlichen Gründerfamilie aufgezählt werden: wa-wahabnā lahu [dem Abraham] Isḥāqa wa-Yaʿqūba kullan hadainā wa-Nūḥan hadainā min qablu wa-min ḏurrīyatihi Dāwūda wa-Sulaimāna wa-ʾAiyūba wa-Yūsufa wa-Mūsā wa-Hārūn wa-ka-ḏālika naǧzi l-muḥsinīn / wa-Zakarīyā wa-Yaḥyā wa-ʿĪsā wa-ʾLlyāsa kullun mina ṣ-ṣāliḥīn /‚…‘ („Wir schenkten dem Abraham Isaak und Jakob; alle leiteten wir recht, Noah schon zuvor, unter ihren Nachkommen auch David und Salomo, Hiob und Josef, Mose und Aaron, so vergelten wir es denen, die Gutes tun. Und Zacharias und Johannes, Jesus und Elias [leiteten wir] – alle sind Gerechte“). Die Aufzählung in Q 19:58 nimmt diese Listen wieder auf, betrachtet die zweite Gruppe aber aus der Gegenwartsperspektive unter dem Aspekt ihrer besonderen Reaktion auf die koranische Verkündigung.
Bell (1937:288) und Paret erkennen den Vers nicht als einen späteren Zusatz an, der auf einen außerhalb des mekkanischen Horizonts stehenden Diskurs zielt, nämlich die – in Mekka noch gar nicht interessierende – Prophetensukzession (siehe KTS, S. 230-234). Sie übersehen den Sonderstatus der am Schluß genannten Gruppe, die offenbar Zeitgenossen sind (die weinen, wenn sie die Verse des Raḥman, d.h. die koranische Verkündigung, hören). Sie beziehen die Beschreibung der asketischen Frommen auf die gesamte Prophetenkette und kommen zu einer sinnwidrigen Aussage. Paret (KKK, S. 327): „Doch stimmt auch so das Ganze nicht recht zusammen.“ Der Vers kann nur zusammen mit seiner Referenz, dem medinischen Doppelvers Q 3:33-34, verstanden werden, in dem die Nachkommenschaft Adams und der mit Noah Geretteten in zwei prophetische Genealogien aufgeteilt werden: das Haus Abraham, Träger der jüdischen Tradition, und das Haus Amram, Träger der christlichen Tradition. Auch in Q 19:58 lassen sich die besprochenen Propheten diesen beiden Linien zuweisen, die christichen Figuren werden hier aber durch ihre zeitgenössischen Nachkommen repräsentiert.
V. 59fa-ḫalafa min baʿdihim ḫalfun ʾaḍāʿu ṣ-ṣalāta wa-ttabaʿu š-šahauāti fa-saufa yalqauna ġaiyā] Antithetisch zum Lob der Propheten in der Erzählserie wird der kultische und moralische Niedergang nach dem Erscheinen der Propheten (V. 2-57) konstatiert.
Offenbar reflektieren die beanstandeten Laster, die kultischen Vernachlässigungen und der unmoralische Lebenswandel, die Lage der Jetztzeit. Diese Konstruktion eines Niedergangs ist neu, er begegnet erst wieder in Q 43:60 (der Sure, aus der sich der Zusatz zu Q 19 speist), wo Engel als Nachfolger der Menschen erwogen werden.
Über kultische Nachlässigkeit wurde schon früher geklagt (siehe Q 107:5: allaḏīna hum ʿan ṣalātihim sāhūn, „die ihr Gebet nicht ernst nehmen“, vgl. auch Q 75:31; auch Frühere folgten schon ihren Lüsten, wa-ttabaʿū ahwāʾahum, siehe Q 54:3). Das seltene Wort šahwa („Lust“), überhaupt die Wurzel ŠHW, begegnet jedoch zum ersten Mal, verwandt ist der Ausdruck in dem wenig späteren Vers Q 43:71: wa-fīhā mā taštahīhi l-ʾanfusu („Darin ist, was das Herz begehrt“).
Der Sachverhalt des In-die-Irre-Gehens wird hier mit der seltenen Verbalnomen-Konstruktion zu dem sonst nur als flektiertes Verb geläufigen ġawā ausgedrückt.
V. 60-63ʾillā man tāba wa-ʾāmana wa-ʿamila ṣāliḥan fa-ʾulāʾika yadḫulūna l-ǧannata wa-lā yuẓlamūna šaiʾā / ǧannāti ʿadnin-i llatī waʿada r-raḥmānu ʿibādahū bi-l-ġaibi ʾinnahū kāna waʿduhū maʿtīyā / lā yasmaʿūna fīhā laġwan ʾillā salāman wa-lahum rizquhum fīhā bukratan wa-ʿašīyā / tilka l-ǧannatu llatī nūriṯu min ʿibādinā man kāna taqīyā] Eine Ausnahmeformel, wie nach Verdikten häufig (siehe die späteren Zusätze zu frühmekkanischen Suren: Q 103:3; Q 95:6; Q 87:7; Q 84:25; Q 70:22), leitet eine kurze Paradieserinnerung ein. Sie nimmt bekannte Charakteristika auf (siehe zur Absenz von Geschwätz bereits frühmekkanisch Q 88:11: lā tasmaʿu fīhā lāġiyah, „wo man kein Geschwätz hört“; Q 78:35: lā yasmaʿūna fīhā laġwan wa-lā kiḏḏābā, „Sie hören dort nicht Geschwätz noch Lügen“; und Q 56:25: lā yasmaʿūna fīhā laġwan wa-lā taʾṯīmā, „Sie hören darin kein Geschwätz noch unpassende Rede“). Die Vorstellung des Friedens im Paradies entspricht der christlichen Paradieshoffnung auf aiōnian eirēnēn („ewigen Frieden“), die in Gedenkgottesdiensten ausgesprochen wird. – Auffallend ist die zweimal tägliche Bewirtung, die an den Gedanken des zweimal täglichen Gotteslobs aus V. 11 erinnert.
V. 64-65wa-mā natanazzalu ʾillā bi-ʾamri rabbika lahū mā baina ʾaidīnā wa-mā ḫalfanā wa-mā baina ḏālika wa-mā kāna rabbuka nasīyā / rabbu s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-mā bainahumā fa-ʿbudhu wa-ṣṭabir li-ʿibādatihī hal taʿlamu lahū samīyā] Unvermittelte Rede der Engel wie in Q 37:164-166. Sie erfolgt vielleicht in Respons auf eine Herausforderung an den Verkünder, die Engel doch physisch vorzuführen, wie in Q 15:7: lau mā taʾtīnā bi-l-malāʾikati in kunta mina ṣ-ṣādiqīn / mā nunazzilu l-malāʾikata illā bi-l-ḥaqqi ‚…‘ („Warum bringst du nicht die Engel zu uns herab, wenn du aufrichtig bist? Nur in der Stunde der Wahrheit senden wir die Engel nieder, dann aber wird kein Aufschub gewährt“), ähnlich auch – im Munde Pharaos – Q 43:53. Sie unterstehen dem Auftrag des Allmächtigen – und daher auch um das Tun und Lassen der Menschen wissenden – Gottes, der kein Vergessen kennt; siehe dazu Q 20:52: lā yaḍillu rabbī wa-lā yansā („Mein Herr irrt nicht vom Wege ab, und er vergisst nicht“). Die Anwesenheit der Engel wird erst am Gerichtstag unter den Menschen gefordert sein. Ihr Status ist Gegenstand auch der Kontroverse in Q 43:19. Sie begegnen auch wieder in der etwas späteren Raḥmān-Sure Q 21:26-29, wo sie als absolut abhängig von Gott erscheinen. Siehe für den weiteren religiösen Kontext der Engel und ihrer umstrittenen Kompetenzen Schäfer 1975.
Mit samī verweist die Sure wieder auf ihren Anfang zurück: samī ist homonym, es bedeutet sowohl „namensgleich“ als auch „hoch erhaben“. Die ‚einzigartige Benennung‘ oder die Einzigartigkeitspreisung – in der Zacharia-Geschichte in V. 7 von Johannes/Yaḥyā ausgesagt – wird in V. 65 zu einer Gottesprädikation. Zwar übersetzen Rückert (1995:229), Paret (KÜ) und Bobzin (2010:266) mit „namensgleich“, eine Deutung, die auch von Ambros (2004:139) vorgeschlagen wird, was aber bezogen auf Gott keinen Sinn ergibt: „Kennst du wohl einen, der den gleichen Namen hat?“ Sie scheinen aber in der vom Lukas-Intertext für die Johannes-Geschichte (V. 7) nahegelegten Deutung befangen zu sein. Von der Tradition wird das wohl auch von V. 7 beeinflußte „ähnlich, vergleichbar“ bevorzugt (siehe Ibn Kaṯīr zur Stelle). Die etymologisch legitime Deutung im Sinne von „erhaben“ ist vorzuziehen, auch wenn man musāwin lahu hinzudenken muß (siehe oben zu V. 7).
Der Passus V. 58-65 schließt mit einem Aufruf an den Verkünder, Geduld zu bewahren und in seinem Dienst zu verharren, einem typischen Surenschluß- oder doch Hauptteilschluß-Thema. Mit V. 65 liegt offenbar der Schluß des ersten Hauptteils der unerweiterten Sure vor. Ihm folgte bei gleichbleibendem Reim ein Schlußteil (V. 66-74). In der erweiterten Sure wurde dieser Teil weitergeführt. Die Hauptzäsur lag nun, markiert durch den Reimwechsel, zwischen V. 74 und V. 75. In der Strukturformel wird für die unerweiterte Sure von einer Zäsur nach V. 65, für die erweiterte Sure von der Hauptzäsur nach V. 74 ausgegangen.
V. 66-67wa-yaqūlu l-ʾinsānu ʾa-ʾiḏā mā mittu la-saufa ʾuḫraǧu ḥaiyā / ʾa-wa-lā yaḏkuru l-ʾinsānu ʾannā ḫalaqnāhu min qablu wa-lam yaku šaiʾā] Es beginnt nun ein polemischer Schlußteil (des Kerntextes). Er nimmt Rekurs auf den noch rein geschöpflichen Menschen (insān), dessen Negativbeurteilung schon ein frühmekkanischer Topos ist (siehe Q 106:2, Q 106:6; Q 99:3 und öfter). Ihm werden nun Zweifel an der Auferstehung vorgeworfen, auch dies ein gängiger Vorwurf an die Paganen, die den postmortalen Zustand des Menschen als empirischen Gegenbeweis ins Feld führen (vgl. schon frühmekkanisch Q 56:47: wa-kānū yaqūlūna a-ʾiḏā mitnā wa-kunnā turāban wa-ʿiẓāman a-ʾinnā la-mabʿūṯūn, „Sie pflegten zu sagen: ‚Sollen wir, wenn wir einmal Staub und Knochen sind, etwa wiedererweckt werden?‘“, vgl. später Q 37:16, Q 37:53 und Q 50:3). Demgegenüber wird hier positiv mit der pränatalen Nichtigkeit des Menschen argumentiert, die schon in V. 9 als Argument für die göttliche Erweckungsmacht angeführt wurde; vgl. auch Q 76:1, wo der Mensch wie hier daran erinnert wird, einmal „nichts“ gewesen zu sein.
V. 68-72fa-wa-rabbika la-naḥšurannahum wa-š-šaiāṭīna ṯumma la-nuḥḍirannahum ḥaula ǧahannama ǧiṯīyā / ṯumma la-nanziʿanna min kulli šīʿatin ʾayyuhum ʾašaddu ʿala r-raḥmāni ʿitīyā ṯumma la-naḥnu ʾaʿlamu bi-llaḏīna hum ʾaulā bihā ṣilīyā / wa-ʾin minkum ʾillā wāriduhā kāna ʿalā rabbika ḥatman maqḍīyā / ṯumma nunaǧǧi llaḏīna ttaqau wa-naḏaru ẓ-ẓālimīna fīhā ǧiṯīyā] Die Entgegnung auf die Erweckungszweifel ist leidenschaftlich: Der dreimalige Einsatz des Energeticus – wie sonst nur noch in Q 38:82-85 und Q 26:94-95, in der Wechselrede zwischen Gott und Iblīs – gibt der Voraussage besondere Emphase. Sie trägt die eschatologische Drohung vor, die Ungläubigen mit den Satanen, d.h. mit den von ihnen verehrten niederen Geistwesen, zu versammeln (vgl. Q 26:94-95) und den jeweils exemplarischen Aufsässigen gesondert zu bestrafen. Ǧiṯīyā („kniend“, V. 68), eine seltene Bildung, begegnet ein weiteres Mal in V. 72.
Die Notwendigkeit, die Reimposition mit Lexemen mit drittem Wurzelradikal YĀʿ zu füllen, führt zu ungewöhnlichen Konstruktionen wie aulā bihā ṣilīyā („denen am ehesten Recht geschieht, daß sie dort brennen“, Bobzin; wörtlich: „vorrangig berechtigt auf die Hölle, das Brennen betreffend“ – ṣilīy ist abgeleitet von ṣalā, „im Feuer brennen“). Die Formulierung wirkt zynisch: Die sonst durch aulā ausgedrückte Privilegiertheit steht in diametralem Gegensatz zur knienden Demutshaltung der Gruppe. Mit den gesuchten bzw. spontan geprägten Ausdrücken dürfte eine besonders markante Rede beabsichtigt sein.
V. 73-74wa-ʾiḏā tutlā ʿalaihim ʾāyātunā baiyinātin qāla llaḏīna kafarū li-llaḏīna ʾāmanū ʾaiyu l-farīqaini ḫairun maqāman wa-ʾaḥsanu nadīyā / wa-kam ʾahlaknā qablahum min qarnin hum ʾaḥsanu ʾaṯāṯan wa-riʾyā] Beim Anhören der Koranrezitation protzen die Leugner mit ihrem privilegierten sozialen Status, doch sind schon besser Ausgestattete und Ansehnlichere der Vernichtung zum Opfer gefallen. Die reale soziale Überlegenheit der Gegner wird durch Rückblicke auf die Geschichte relativiert. Der resignative Vers würde als Schluß zur Negativbilanz der Prophetenentsendungen passen, auch die Erwähnung der Lesung könnte einen ursprünglichen Schluß der Sure an dieser Stelle rechtfertigen. Es schließt aber noch ein Schlußteil an.
V. 75-76qul man kāna fi ḍ-ḍalālati fa-l-yamdud lahu r-raḥmānu maddā ḥattā ʾiḏā raʾau mā yūʿadūna ʾimmā l-ʿaḏāba wa-ʾimmā s-sāʿata fa-sa-yaʿlamūna man huwa šarrun makānan wa-ʾaḍʿafu ǧundā / wa-yazīdu llāhu llaḏīna htadau hudan wa-l-bāqiyātu ṣ-ṣāliḥātu ḫairun ʿinda rabbika ṯawāban wa-ḫairun maraddā] Der Schlußteil beginnt mit einer emphatischen Anweisung (qul) zu einer Antwort auf die von den Ungläubigen in V. 73 provokativ aufgeworfene Frage nach dem Status. Die Behauptung ihrer Privilegiertheit wird nun umgekehrt: Die Tatsache ihres Reichtums verdankt sich ihrem durch die satanischen Versuchungen verursachten Irregehen. Doch wird die eschatologische Zukunft ihnen zeigen, wer wirklich die schwächere Partei ist. Gott vermehrt den Frommen zwar nicht ihr irdisches Gut, stärkt sie aber in ihrer Rechtleitung. Bleibend sind nur Frömmigkeit und gute Taten (siehe zu dem mit bāqiyāt verwandten baqīya im Koran Spitaler 1998).
Der Schlußteil der erweiterten Sure folgt einem etwas erleichterten Reimschema auf 3CCā, das am ehesten durch Verbalnomina in Reimposition erreicht werden kann. Diese wiederum legen vielfach die Konstruktion von etymologischen Figuren wie yamdud maddā (V. 75) nahe, ein Mittel der Emphase, das im Folgenden zahlreich begegnet. Der Surenteil erhält dadurch eine besondere syntaktische Prägung. Nöldekes (GdQ1, S. 130) auf die Beobachtung des ab V. 75 lockerer werdenden Reimschemas aufbauendes Argument für eine Späterdatierung dieser Fortsetzung wird aber nicht nur formal, syntaktisch, sondern auch durch semantische Beobachtungen untermauert: Er enthält besonders emphatisch vorgebrachte Polemik. Dabei kommt dem Reimwort spezielles Gewicht zu, das in Einzelfällen eine ungewöhnliche phraseologische Verbindung eingehen kann wie im Fall von V. 76: wa-ḫairun maraddā (wörtlich: „besser hinsichtlich der Rückkehr“).
Der neue Schlußteil dürfte zusammen mit der in V. 33-40 eingeschobenen diskursiven Versgruppe angehängt worden sein. Diese Erweiterung sollte noch in der mittelmekkanischen Phase erfolgt sein, denn auch der Zusatz behält den Gottesnamen ar-Raḥmān bei (siehe oben „Literarkritik“).
V. 77-80ʾa-fa-raʾaita llaḏī kafara bi-ʾāyātinā wa-qāla la-ʾūtayanna mālan wa-waladā / ʾa-ṭṭalaʿa l-ġaiba ʾami ttaḫaḏa ʿinda r-raḥmani ʿahdā / kallā sa-naktubu mā yaqūlu wa-namuddu lahū mina l-ʿaḏābi maddā / wa-nariṯuhū mā yaqūlu wa-yaʾtīnā fardā] Vorführung eines exemplarischen Ungläubigen, der seine Zukunftshoffnung auf Reichtum und Familienclan setzt (vgl. Q 68:14: an kāna ḏā mālin wa-banīn, „hätte er auch Güter und Söhne“). Der Singular walad steht für das auch sonst mit māl/amwāl verbundene aulād („Söhne“), siehe Q 71:12: an yumdidkum bi-ʾamwālin wa-banīn („daß er euch mit Gütern und Söhnen versorge“), vgl. auch Q 71:21. Sie werden ihm am Jüngsten Tag nichts nützen, da er allein (fardā) vorgerufen werden wird. Zur Isolation des einzelnen am Jüngsten Tag vgl. Q 80:34-36: yauma yafirru l-marʾu min aḫīhi / wa-ʾummihi wa-ʾabīhi / wa-ṣāḥibatihi wa-banīhi („am Tage, da der Mann flieht vor seinem Bruder, / seiner Mutter und seinem Vater / und seiner Gattin und seinen Söhnen“).
Die ironische Frage nach dem Zugang zum ġaib, dem „Verborgenen“, wurde bereits in Q 52:41 = Q 68:47: am ʿindahumu l-ġaibu fa-hum yaktubūn („Haben sie etwa Einsicht in das Verborgene, so daß sie es niederschreiben könnten?“) und Q 53:35: a-ʿindahu ʿilmu l-ġaibi fa-huwa yarā („Kennt er vielleicht das Verborgene, daß er es durchblickte?“) an die Ungläubigen gerichtet. Das „Verborgene“ ist eng mit der transzendenten Schrift verbunden, über deren Zugang die Ungläubigen nicht verfügen; auch der schriftliche Vertrag mit Gott, von dem in V. 87 wieder die Rede ist, wird nur hypothetisch erwogen (vgl. ähnlich Q 37:156-157: am lakum sulṭānun mubīn / fa-ʾtū bi-kitābikum in kuntum ṣādiqīn, „Verfügt ihr etwa über eine deutliche? / Dann bringt eure Schrift herbei, wenn ihr aufrichtig seid“). Vielmehr ist Gott es, der die Rede des Ungläubigen niederschreiben läßt (vgl. zu den Tatenregistern Q 69:19, Q 69:25 und öfter, zu den Schreibern Q 80:15, siehe dazu Neuwirth 2017).
V. 81-82wa-ttaḫaḏū min dūni llāhi ʾālihatan li-yakūnū lahum ʿizzā / kallā sa-yakfurūna bi-ʿibādatihim wa-yakūnūna ʿalaihim ḍiddā] Auch die als Helfer erwarteten Nebengötter werden nutzlos sein, sich sogar von den Ungläubigen lossagen und zu ihren Gegnern werden. Entsprechende Szenarien wurden bereits in Q 37:27-32 und Q 38:59-64 ausgemalt.
V. 83-84ʾa-lam tara ʾannā ʾarsalnā š-šaiāṭīna ʿalā l-kāfirīna taʾuzzuhum ʾazzā / fa-lā taʿǧal ʿalaihim ʾinnamā naʿuddu lahum ʿaddā] Die Entgegnung wird durch zweimalige Figura etymologica emphatisiert. Gott selbst hat die Šaiṭāne ausgesandt, um die zu Verführenden aufzustacheln. – Die Ankündigung des Zählens dürfte sich – wie auch von Paret (KKK, S. 329) angenommen – auf die den Gegnern noch zugestandenen Jahre beziehen. Mit taʾuzzuhum azzā liegt vielleicht ein Wortspiel, eine klanglich annähernde Wiederaufnahme von ʿizza aus V. 81, vor.
V. 85-87yauma naḥšuru l-muttaqīna ʾilā r-raḥmāni wafdā / wa-nasūqu l-muǧrimīna ʾilā ǧahannama wirdā lā yamlikūna š-šafāʿata ʾillā mani ttaḫaḏa ʿinda r-raḥmāni ʿahdā] Neues Bild vom Jüngsten Tag, an dem die Gottesfürchtigen eine ehrenvolle Delegation zu Gott anführen werden, während die Frevler zur Hölle wie Tiere zu einer Tränke herabgetrieben werden. Wird bezeichnet sowohl die Tränke als auch das „Zur-Tränke-Führen“.
Die erhoffte, aber nicht oder nur im Ausnahmefall gewährte Fürsprache ist bereits Topos; vgl. frühmekkanisch Q 74:48: fa-mā tanfaʿuhum šafāʿatu š-šāfiʿīn („Nun nützt ihnen die Fürsprache keines Fürsprechers mehr!“), mittelmekkanisch: Q 53:26: wa kam min malakin‚…‘ lā tuġnī šafāʿatuhum šaiʾan illā min baʿdi an yaʾḏana llāhu li-man yašāʾu wa-yarḍā („wie manchen Engel gibt es ‚…‘,dessen Fürsprache nichts nützt, es sei denn, Gott gestattete es ihm und wollte es und wäre es zufrieden“), wo explizit von Engeln die Rede ist, Q 26:100: fa-mā lanā min šāfiʿīn („Da ist kein Fürsprecher für uns“), Q 20:109: yaumaʾiḏin lā tanfaʿu š-šafāʿatu illā man aḏina lahu r-raḥmānu („An jenem Tag nützt die Fürsprache nichts, außer wenn es der Barmherzige erlaubt“). Für die hier vorausgesetzten Fürsprecherengel siehe Schäfer 1975:28-30.
V. 88-91wa-qālū ttaḫaḏa r-raḥmānu waladā / la-qad ǧiʾtum šaiʾan ʾiddā / takādu s-samāwātu yatafaṭṭarna minhu wa-tanšaqqu l-ʾarḍu wa-taḫirru l-ǧibālu haddā / ʾan daʿau li-r-raḥmāni waladā] Mit V. 88-96 wird der bereits im Zusatz V. 34-40 geführte Disput um den Status Jesu in den Kontext der paganen Vorstellung von einem Pantheon gestellt. Die von – nicht spezifizierten – Ungläubigen vertretene Meinung, Gott habe ein Kind oder besser – nach der Lesart wuld von al-Kisaʾi und Ḥamza – „Nachkommenschaft“ angenommen, wird mit Entrüstung zurückgewiesen. Die Vorstellung mag mit der Bezeichnung der gefallenen Engel als bene ēlōhīm zu tun haben (siehe zu den Referenzen auf das „Wächterbuch“ [1 Hen 1-36] Crone 2013). Schon Q 37:158 bemängelt, daß die Paganen einen nasab, ein Verwandtschaftsverhältnis, zwischen Gott und den Geistwesen herstellen (siehe den Kommentar zur Sure). Da die Zurückweisung der Gotteskindschaft unmittelbar auf die von Nebengottheiten, eben den Geistwesen, folgt, sollte es sich auch hier nicht um eine Auseinandersetzung mit der christlichen Glaubenswahrheit der Gottessohnschaft Jesu handeln, dessen Name auch nicht fällt. Es könnte um die Erhebung von Engeln in den Rang von „Kindern“ Gottes gehen, vergleichbar dem Status, den die Ungläubigen für ihre weiblichen Gottheiten, die gleichzeitig als Engel figurieren, beanspruchen (siehe dazu HK1 zu Q 53). Der Streit um die Göttinnen flammt auch in Q 43:15-19 noch einmal auf. Das christologische Insistieren auf einem Sohn Gottes als „gezeugt, nicht geschaffen“ wird dagegen erst in der medinischen Sure 112 explizit zurückgewiesen (Q 112:3: lam yalid wa-lam yūlad, „Er zeugte nicht und wurde nicht gezeugt“).
Die Ungeheuerlichkeit der Annahme, daß Gott Nachkommenschaft haben könnte, müßte Himmel und Erde erschüttern. Die Einblendung dieser Erschütterung erinnert an eschatologische Szenerien (vgl. Q 73:18; Q 82:1).
V. 92-96wa-mā yanbaġī li-r-raḥmāni ʾan yattaḫiḏa waladā / ʾin kullu man fi s-samāwāti wa-l-ʾarḍi ʾillā ʾāti r-raḥmāni ʿabdā / la-qad ʾaḥṣāhum wa-ʿaddahum ʿaddā / wa-kulluhum ʾātīhi yauma l-qiyāmati fardā / ʾinna llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilu ṣ-ṣāliḥāti sa-yaǧʿalu lahumu r-raḥmānu wuddā] Die Annahme der Vaterschaft verträgt sich nicht mit der Würde Gottes, dem alles im Himmel und auf Erden zu Diensten ist, so daß er über alles Kontrolle hat. Alle werden am Tag der Auferstehung gezählt (vgl. V. 84) und auf sich allein gestellt zu ihm kommen. Das in der etwas späteren Sure Q 43 vorgebrachte und im Zusatz zu Q 19:34-40 wiederholte Argument, er brauche, um Jesus zu erschaffen, nur – wie beim ersten Adam – das Schöpfungswort zu sprechen, steht hier im Hintergrund.
Die tröstende Botschaft, daß Gott den Rechtschaffenen Neigung, Liebe, entgegenbringt, ist im Koran selten. Siehe dazu Q 85:14, wo Gott al-wadūd („der Liebevolle“) genannt wird; sie begegnet nur noch ein einziges weiteres Mal: Q 11:90: inna rabbī raḥīmun wadūd („Mein Herr ist barmherzig und liebevoll“). In Q 19 steht sie im Kontext der Theodizee: Der Übermacht der Ungläubigen wird mit der Verheißung göttlicher Liebe begegnet.
V. 97-98fa-ʾinnamā yassarnāhu bi-lisānika li-tubaššira bihi l-muttaqīna wa-tunḏira bihī qauman luddā / wa-kam ʾahlaknā qablahum min qarnin hal tuḥissu minhum min ʾaḥadin ʾau tasmaʿu lahum rikzā] Kurze Offenbarungsbestätigung – das suffigierte Personalpronomen -hu bezieht sich hier wie in vielen anderen Suren auf „das Wort“, „die Lesung“. Sie nimmt Rekurs auf lisān, wobei sowohl – wie in Q 54:17, Q 54:22, Q 54:32, Q 54:40 und Q 44:58 – von der Sprache wie auch von dem Sprechorgan, der Zunge, des Verkünders die Rede sein kann, die anders als im Fall Moses keinen „Knoten“ aufweist. Er ist gesandt, ein aufsässiges Volk zu mahnen, nachdem bereits Frühere vernichtet worden sind. Die Sure schließt mit der Erinnerung an das die Geschichten von Zacharia und Maria durchziehende Motiv des Unhörbaren, indem sie die Schlußfrage nach dem Verbleib der Bestraften mit dem Fehlen jeder hörbaren Erinnerung an sie verbindet.
Die Sure, die in ihrem Kerntext von einem zuversichtlichen Tenor getragen ist, wird durch einen polemischen Zusatzteil zu einer Mahnung. Nachdem ihre Erzählungen durchweg von göttlicher Barmherzigkeit – unter Ausklammerung von Verfehlungen und Vergeltungen – kündeten, schließt der polemische Zusatzteil mit einer melancholischen Rückfrage, einem ubi sunt qui ante nos in mundo fuere, die freilich zugleich eine Bestätigung der in Mittelmekka immer wieder angedrohten göttlichen Strafgerechtigkeit enthält.
Literaturliste
Die Sure markiert eine Zäsur in der narrativen Entwicklung des Koran: Vor ihr sind weder mythisch anmutende Geschichten erzählt worden, noch kamen Figuren außerhalb der alttestamentlichen und altarabischen Tradition zu Wort. Auch treten in der die Erzählungen abschließenden Liste ganz neue Figuren dazu. Vor allem aber stehen die Erzählungen in Q 19 unter dem Motto der göttlichen Barmherzigkeit, die sich bei sieben der neun Erzählfiguren in ihrer Erhebung in den Rang eines Propheten manifestiert. Dem versöhnlich-hinwendungsvollen Tenor der göttllichen Reden entsprechen zwischenmenschliche Loyalitätsbezeugungen bzw. sensible Zurechtweisungen von irregeleiteten Personen durch ihre Verwandten.
Im Fokus stehen zwei ganz neue Geschichten: von Zacharia und Johannes sowie von Maria und Jesus, die durch eine auffallende Motivverknüpfung miteinander verbunden sind. Der Kanon der Erzählungen erweitert sich damit, zugleich begegnen neue Erzählstrategien: Der Bericht über Hergänge ist nicht nur von poetischen Metaphern und Stilfiguren durchzogen, er erhält durch wörtlich zitierte göttliche Verheißungen (im Fall Johannes’) oder eine entsprechende von Verheißungen getragene Selbstvorstellung (im Fall Jesu) eine transzendente Aura, zweimal (V. 5 und V. 13) expliziert durch min ladunnā („von uns her“).
Bemerkenswerterweise stehen die Erzählungen in Q 19 nicht im Mittelteil – die Sure ist ohne Einleitung und setzt sich aus nur zwei Teilen zusammen. Der unvermittelte Einsatz mit den beiden Parallelerzählungen über die Geburt des Johannes, im Koran Yaḥyā genannt (V. 3-15), und Jesu (V. 16-33) entspricht dem im Lukasevangelium (Lk 1,5-80); in beiden Fällen werden zwei wunderbare Geburtsgeschichten parallelisiert. Anders als der Evangelienbericht verbindet jedoch die koranische Erzählung die beiden Geschichten nicht zu einem einzigen heilsgeschichtlichen Ereignis. Johannes ist nicht der ‚Vorläufer‘ Jesu, er spielt in Jesu weiterem Wirken keine Rolle. Diese Zertrennung des historischen Zusammenhangs muß als ‚negative Intertextualität‘, als Absage an die Deutung von Johannes’ Auftreten in Vorbereitung von Jesu Wirken, verstanden werden. Die beiden Geschichten sind dennoch in ihrem stark an der psychischen Situation der Protagonistenfiguren interessierten Erzählstil sowie durch analoge Motive, wunderbare Geburt eines Kindes und temporäre Stummheit des Vaters/der Mutter, eng verbunden.
Der Erzählteil wird unterbrochen durch eine später nachgetragene Erklärung (V. 34-40), die in polemischer Diktion und unter Verwendung des leicht zu erreichenden Reims auf 2n/m eine inzwischen entzündete Kontroverse um den Rang Jesu beleuchtet. Gleich eingangs wird klargestellt, daß Jesus Mensch, nämlich Sohn Marias, nicht Gottes, ist. Denn Jesus wird offenbar von den Gegnern, die seinen göttlichen Rang bei den Christen kennen, auf einem ähnlichen Rang wie ihre Göttinnen angesiedelt. Die Auseinandersetzung mit dieser Debatte, die den narrativen Text in einen diskursiven überführt, zeigt, daß Q 19 zu einem späteren Zeitpunkt, nach Zuspitzung der Positionen bezüglich der Gott zuzuschreibenden Nachkommenschaft, nicht mehr als erbauliche Geschichte gelesen werden konnte.
Der Zusatz ist in den meisten seiner Ideen neu, wenn auch die Zweifelshaltung der Gegner (V. 34) schon früher beklagt wurde (siehe Q 15:63: yamtarūn; Q 44:50: tamtarūn) und wenn auch die Devise hāḏā ṣirāṭun mustaqīm (V. 36) ebenso wie das Verdikt des Irregangs (ḍalāl, V. 38) aus der Fātiḥa bekannt sind. Auch Weherufe wie V. 37 begegneten bereits frühmekkanisch in Q 104:1, Q 107:4, Q 83:1, Q 83:10, Q 77 (10mal), Q 51:60, Q 52:11, mittelmekkanisch in Q 38:27. Die polemische Nennung der aḥzāb, der „Parteien“, ist offenbar unabhängig von Q 38:11, Q 38:13, wo es bei den aḥzāb um Leugner auch aus der Vorzeit ging, während hier – wie auch in dem den V. 37 wiederaufnehmenden Vers Q 43:65 – christliche Streitparteien gemeint sind. Der Zusatz hat also keinen Vorgängertext, er wird selbst für spätere Suren Referenz. So begegnet später kun fa-yakūn noch siebenmal.
Auf die Maria-Geschichte folgt mit Abrahams Abkehr von seinem dem Götzendienst anhängenden Vater eine weitere Eltern-Kind-Erzählung. Anders als in Q 37:90-100 wird Abraham jetzt von dem Makel gereinigt, seinen Vater verlassen zu haben; denn dieser selbst trennt sich von ihm. Auch tritt Abraham erstmals – nach dem Vorgang Noahs in Q 71:28 – mit einem Fürbittgebet für den Vater ein, offenbar ein Verhalten, das für die Gemeinde beispielgebend sein soll. Mose wird erstmals unabhängig von Pharao erwähnt, er steht daher nicht mehr im Kontext einer Straflegende, sondern wird mit dem Privileg besonderer Gottesnähe ausgezeichnet. In der anschließenden Liste von weiteren Propheten – der Rang nabī ist, von Jesus abgesehen, den alttestamentlichen Figuren vorbehalten, die in Q 19 alle mit Zeichen göttlicher Barmherzigkeit geehrt werden – fehlen konsequent die Gesandten, die halbinselarabischen Völkern zur Warnung geschickt worden waren. Neu ist die Figur des Ismael wie auch die des Idrīs, der entweder unter Henoch oder mit dem Visionär des 4. Esra Buches identisch sein dürfte.
Wie das Prophetenbild in Q 19 neu war, so ist auch die Klage über den Niedergang der Frömmigkeit nach dem Auftreten der Propheten (V. 59) neu. Wenn Erzählungen bis dahin zumeist abschreckende Beispiele für verhängnisvoll verfehltes Verhalten abgegeben hatten, so ist es nun die Jetztzeit, die gegenüber der Zeit der Früheren abfällt. Dagegen bleibt die kurze Paradiesbeschreibung eng an den vorgegebenen Modellen.
Der erste Teil (V. 1-74) bietet also eine Umkehrung der früher eher zur Warnung erzählten Geschichten aus der Vorzeit, die nun als Beweise der göttlichen Barmherzigkeit figurieren, wenn am Ende auch eine wehmütige Äußerung über die Versäumnisse der Zeitgenossen steht.
Mit dem zweiten Teil, der unter anderem den späteren Zusatz zur Maria-Jesus-Erzählung (V. 34-40) weiter ausführt, liegt eine ausführliche Polemik vor. Sie richtet sich gegen stolze, privilegierte Gegner, deren soziale Vorteile als nur scheinbare erwiesen werden, da sie sich der Verführung des Šaiṭān verdanken – ein Argument, das bereits in Q 15 geführt wurde, das aber nun mit größerer Emphase vorgetragen wird. Die in V. 88-95 aus V. 34-40 wiederaufgenommene Debatte um die Möglichkeit, daß Gott Nachkommen haben könnte, hat sich nun zugespitzt; die Zuschreibung von Nachkommen stößt auf derart heftige Entrüstung, daß auf apokalyptische Bilder zurückgegriffen werden muß, wie sie in den Sureneinleitungen der frühmekkanischen Zeit, etwa Q 81 oder Q 82, begegneten – ein neuer Ton in der Polemik. Vor allem aber hebt sich Teil II, der sich zur Erzielung des Reimschemas 3CCā oft der Konstruktion Verb + Verbalnomen bedient, durch die damit vorgegebene Emphase stilistisch stark von früheren Polemiken ab.
Sure 19 baut also argumentativ auf Q 15 auf, sie enthält vereinzelte Erinnerungen an Q 20 und Q 76, erweist sich aber insgesamt als eine Sure neuen Typs.
Sure 19 stellt strukturell einen Sonderfall dar, insofern sie – ohne einen auf die Situation der Gemeinde gemünzten Einleitungsteil, nur mit einer Rezitationsanweisung: ḏikru raḥmati rabbika („Gedacht sei deines Herrn Barmherzigkeit“) eingeleitet – sogleich mit der ‚Lesung‘, einer biblischen Erzählung, beginnt. Im narrativen ersten Teil (V. 1-65) entfaltet die Sure zunächst die Erzählung von Zacharia und seinem ihm spät geschenkten Sohn Johannes (V. 1-15), dann von Maria und Jesus, der ohne menschliche Zeugung zur Welt kommt (V. 16-40), schließlich eine Serie von kurzen Berichten über weitere Propheten (V. 41-57). Der erste Teil dieses Kerntextes wurde zunächst durch eschatologische Verheißungen und eine Offenbarungsbestätigung (V. 58-65) beschlossen. Ein Schlußteil mit Klagen über den Menschen mit negativer Offenbarungsbestätigung folgt (V. 66-74). Dieser Text wurde später um einen neuen Teil (V. 75-98) erweitert, der sich nicht nur durch den dialektisch auf den ersten Teil antwortenden drohenden Ton, sondern auch nun durch seinen neuen Reim und besondere, durch den Reim bedingte – emphatische – Konstruktionen deutlich vom Vorausgehenden abhob. Damit rückte die Zäsur zwischen den Hauptteilen in die Fuge zwischen den Kerntext und die Erweiterung.
Der mit zwei narrativ kunstvoll entfalteten Episoden beginnende Text spiegelt den Anfang des Lukasevangeliums. Die beiden Erzählungen stechen durch ihre poetische Prägung hervor, die Verse mittlerer Länge tragen den auffallenden, im Koran nicht wiederkehrenden Reim auf -īyā, der von V. 75 an zu dem lockereren, aber immer noch markanten Schema 3CCā erleichtert wird. Die Einzelerzählungen sind nicht einfach hintereinandergereiht, sondern durch gemeinsame Themen wie die dreimal behandelte Eltern-Kind-Beziehung – negativ noch einmal reflektiert in der Polemik gegen die Vaterschaft Gottes – oder gemeinsame Verhaltensmuster wie das sich wiederholende leise/geheime Sprechen bzw. Verstummen von Protagonisten eng miteinander verbunden. Der Erzähl-/‚Lesungsteil‘ der Sure verdankt seinen feierlichen Tenor nicht zuletzt ungewöhnlich poetischen Formulierungen wie in Zacharias Selbstbeschreibung, die abgesehen von einer auffallend expressiven Metapher auch eine dichterische Syntaxkonvention aufnimmt: innī wahana l-ʿaẓmu minnī wa-štaʿala r-raʾsu šaiban („Mein Gebein ist schwach geworden und mein Haupt schlohweiß“, V. 4). Hinzu kommen Tropen wie Paronomasien (taǧnīs), etwa in den Versen V. 23, V. 79, V. 83 und V. 84, Parallelismen (V. 15, V. 20, V. 30-31 und V. 33) und eine chiastische Konstruktion (V. 13) – sämtliche Phänomene, die auf eine relativ frühe Komposition deuten, wie bereits Nöldeke (GdQ1, S. 130) sie annahm.
Dieser Eindruck einer besonders kunstvollen Gestaltung wird jedoch durch mehrere Einschübe gestört, zunächst durch eine diskursive Versgruppe (V. 34-40), die unmittelbar auf die Geschichte von Maria folgt. Sie trägt den einfachen Reim späterer Suren, -ūn/-īn, und führt außerdem den Gottesnamen Allāh anstelle von ar-Raḥmān ein. Die Frage nach der Stellung dieses Textes in der Sure kann durch den Vergleich mit der wenig späteren Sure Q 43 beleuchtet werden. Noch auffallender ist der überlange prosaische Vers V. 58, der die Erzählungssequenz abschließt und sich inhaltlich deutlich als Eintrag aus einer medinischen Maria-Geschichte ausweist. – Diese Art von Erweiterungen des Textes sind nicht – wie in der bisherigen Forschung verstanden – bloße Nachträge oder Glossen zu einem schriftlich feststehenden Text, vielmehr demonstrieren sie den fortdauernden liturgischen Gebrauch der jeweiligen Sure und damit die Notwendigkeit, sie im sich wandelnden gemeindlichen Kontext dem jeweils neu erreichten Wissensstand um die theologischen Implikationen des Erzählten anzupassen.
Die polemisch-erklärende Versgruppe V. 34-40 hatte eine Serie von Prophetengeschichten unterbrochen. Eine unter ihnen – ebenfalls zu einem Vater-Kind-Verhältnis – ist thematisch eng mit der Zacharia- und der Maria-Geschichte verbunden, nämlich die Auseinandersetzung Abrahams mit seinem Vater (V. 41-50). Abraham will als pflichtschuldiger Sohn seinen Vater vom Götzendienst abbringen, muß aber aufgeben und trennt sich friedlich von ihm: qāla salāmun ʿalaika („Er sprach: Friede sei mit dir!“ im Sinne von „Leb wohl!“, V. 47). Wie Maria, die ihre Angehörigen verläßt, verzichtet auch er auf die genealogische Bindung, um eine transzendente Bindung einzugehen. Die Reihe der Prophetenerzählungen fährt mit einer Geschichte über Moses enge Beziehung zu Gott (V. 51-53) und einer kurzen Reminiszenz an Ismael ( V. 54-55), der hier aber nicht als Abrahams Sohn auftritt, sowie zu Idrīs, der wohl mit Henoch zu identifizieren ist (V. 56-57), fort. All diese Propheten haben nicht vermocht, den nach ihrem Auftreten einsetzenden moralischen Niedergang zu verhindern. Die jedoch Treue zu den prophetischen Botschaften bewahrt haben, werden mit dem Paradies belohnt werden (V. 60-63). Der narrative Surenteil schließt mit einer unverbundenen direkten Rede der Engel (V. 64), die bestätigen, ganz und gar von Gottes Anweisungen abhängig zu sein – eine implizite Zurückweisung ihres Status als Töchter Gottes und damit als Fürsprecher, der in einigen früheren Suren (besonders Q 53) ausführlich diskutiert worden war. Der Schlußvers (V. 65) des ersten Surenteils ist eine Ermutigung des Verkünders, geduldig mit seinem Gottesdienst fortzufahren; seine resignative Grundhaltung entspricht dem pessimistischen Abschluß der Prophetenerzählungen (V. 59).
Was nun folgt, ist eine im selben Reimschema bleibende Polemik (V. 66-74), wie sie konventionell den auf die Erzählungen folgenden Schlußteil füllt. Sie beginnt mit einer Rüge des an der Auferstehung zweifelnden Menschen, auf die mit emotionsgeladenen Gerichtsvoraussagen geantwortet wird. Sie endet mit einer Klage über den mangelnden Respekt gegenüber dem Koranvortrag (V. 73), einer indirekten Offenbarungsbestätigung, an die die Erinnerung an frühere Vernichtungsakte anschließt.
Damit besteht die Sure in ihrem Kernbestand aus zwei Teilen: Erzählungen mit Ausklang (V. 1-65) und verhaltene Polemik (V. 66-74). Denn der folgende Text (V. 75-98) ist ein späterer Zusatz. Er liefert aber nicht nur wichtige Gedanken nach, sondern verschiebt auch – mit seinem abweichenden Reim und den durch diesen Reim bedingten syntaktischen Strukturen – die Zäsur zwischen den Hauptteilen nach hinten.
Diese Zäsur liegt jetzt zwischen den beiden formal verschiedenen Teilen. Der erste Teil der Sure, nun aus Erzählungen und längerer Polemik (bis V. 74) bestehend, wird jetzt durch einen zweiten – durchweg heftig polemischen – ergänzt. Er knüpft an das Ende des ehemaligen Schlußteils wieder an. Die herausfordernde Frage nach dem Status der Gläubigen einerseits, der Ungläubigen andererseits (V. 73) wird beantwortet: Die nur vermeintliche Überlegenheit der Gegner, die täuschende Beständigkeit von Reichtum und Nachkommenschaft (V. 77: walad), wird sich am Jüngsten Tag enthüllen. Vielmehr werden ihre falschen Behauptungen (in den himmlischen Registern) festgehalten (V. 79), alles wird verzeichnet (V. 84).
Wähend diese Anklagepunkte schon Topoi sind, nur mit gesteigerter Vehemenz ausgesprochen werden, wird mit V. 88-95 das gravierendste Delikt, die von der Erweiterung der Jesus-Geschichte (V. 34-40) nahegelegte Unterstellung (V. 35), Gott könnte Nachkommenschaft haben, noch einmal thematisiert: Diese unterstellte Vaterschaft wird als so skandalös hingestellt (V. 88-89) wie die außereheliche Mutterschaft Marias in den Augen ihrer Angehörigen (V. 28). Der mit V. 75 beginnende zweite Teil der erweiterten Sure kehrt das im ersten Teil zentrale positive Bild des Eltern-Kind-Verhältnisses also um, indem er den blasphemischen Charakter der Projektion eines solchen Verhältnisses auf Gott aufzeigt.
Es ist in diesem Kontext, daß die Ungläubigen mit dem Ausspruch ittaḫaḏa r-raḥmānu wuldā („Der Erbarmer hat Kinder angenommen“, V. 88) zitiert werden. Dies ist wiederum keine Evokation des christlichen Dogmas von der Gottessohnschaft Jesu, sondern angesichts des Gebrauchs von wuld kollektiv für Nachkommen im allgemeinen – die Lesart wuld wird von kanonischen Lesern neben dem von Ḥafṣ ʿan ʿĀṣim gelesenen walad überliefert - eine Polemik gegen das pagane Pantheon, in dem der höchste Gott Nachkommen hat. Der Ausspruch könnte auf Gottestöchter anspielen, die die Ungläubigen für sich in Anspruch nehmen (Q 53:19-21).
Die Annahme, daß der Schlußteil seinerseits erst mit dem Zusatz V. 34-40 an die Sure angehängt sein könnte, liegt daher nahe. Der Kerntext der Sure (V. 1-33, V. 41-74) ist an dem Problem der Vaterschaft Gottes noch nicht interessiert. Es bleibt aber zu betonen, daß beide Erweiterungen – die stilistisch und hinsichtlich der Verslänge nicht vom Kerntext abweichen – noch in derselben mittelmekkanischen Periode hinzugefügt worden sein dürften.
Die Schlußverse der Sure (V. 97 und V. 98) bringen noch einmal den Gedanken der Widerspenstigkeit auf: Während die Figur des Johannes für Milde (ḥanān) stand und Jesus wie Johannes auf Herrschsucht (ǧabbār) verzichtete, ist der Satan widerspenstig (ʿaṣīyan, V. 44). Am Jüngsten Tag werden die Widerspenstigen (aiyuhum ašaddu ‚…‘ ʿitīyā) ausgesondert (V. 69), der Verkünder soll die Widerspenstigen warnen (qauman luddā, V. 97). Er vermag das kraft der tröstenden Erinnerung, daß sich über die Widerspenstigkeit der Früheren bereits Schweigen gelegt hat (V. 98): Die kurze Offenbarungsbestätigung, die die Sure beschließt, blendet noch einmal die für die Sure so charakteristische Antinomie von Sprechen (V. 3-4, V. 30, V. 48, V. 52) und Verstummen (V. 10 und V. 26), „verständlich“ bzw. „unhörbar sein“, ein, wenn es heißt: „Wir haben es leichtgemacht – in deiner Sprache –, damit du den Gottesfürchtigen frohe Kunde bringst und warnst ein widerspenstiges Volk. / Wie viele Geschlechter ließen wir vor ihnen zugrunde gehen – nimmst du noch etwas von ihnen wahr oder hörst du von ihnen noch einen Laut?“ (V. 97-98).
Literaturliste
Die Sure beginnt mit einer ‚Lesung‘, die ganz Bericht ist, in diesem Fall auch keine Reflexe der Gemeindesituation aufweist. Der die Erzählung unterbrechende diskursive Exkurs zu Jesus (V. 34-40) stellt die Natur Jesu als Gegenstand des Zweifels einer ungenannten Gruppe dar, bei der an die Paganen zu denken ist, die in V. 88-96 als Vertreter eines Pantheons, in dem Gott Nachkommenschaft hat, zitiert werden. Vor dieser Gruppe von Gegnern dürfte der Kerntext vorgetragen worden sein; denn ihre Debatte war es, die die Klarstellung V. 34-40 erforderte. Auch der Schluß des Kerntexts (V. 73) spricht von der Anwesenheit von Gegnern bei der Koranrezitation, die ihren sozialen Status als Beweis ihrer Überlegenheit gegenüber den Hörern der Verkündigung ins Feld führen. Der weitere Text – des Kernteils wie auch des Zusatzteils – spricht jedoch keine Hörer direkt an. Präsent vorzustellen sind aber die Anhänger des Verkünders, die in indirekter Rede ermutigt werden (V. 76), wenn direkt auch nur der Verkünder selbst angesprochen wird.
Als Autorisierung wird nur einmal auf Schrift verwiesen (V. 79), wo himmlische Schreiber mit der Aufzeichnung der Äußerungen der Ungläubigen betraut sind. Sonst gilt die Erinnerung an bereits bestehende gottesdienstliche Strukturen als Autorisierung, explizit wird zum Gottesdienst (V. 65) und zur Rezitation (V. 97) aufgefordert. Die Lesung als Geschenk Gottes ist die Quelle höchster Autorität.