بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
تَبَّتۡ يَدَآ أَبِی لَهَبٍۢ وَتَبَّ |
11 Verderben sollen die Hände des Flammenmannes! Verderben soll er! |
مَآ أَغۡنَىٰ عَنۡهُ مَالُهُۥ وَمَا كَسَبَ |
2 Sein Besitz und seine Taten nützen ihm nichts. |
سَيَصۡلَىٰ نَارًۭا ذَاتَ لَهَبٍۢ |
23 Er wird in flammendem Feuer schmoren |
وَٱمۡرَأَتُهُۥ حَمَّالَةَ ٱلۡحَطَبِ |
4 während seine Frau - Brennholzträgerin! - |
فِی جِيدِهَا حَبۡلٌۭ مِّن مَّسَدٍ |
5 um ihren Hals als Schmuck einen Strick aus Palmfasern trägt. |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
tabbat yadā ʾabī lahabin] Die Verbindung ʾabū + Substantiv im Genitiv dient dazu, jemanden als Besitzer einer bestimmten Eigentümlichkeit zu charakterisieren (so kann ein gastfreundlicher Mann z. B. als ʾabŭ l-ʾaḍyāf, „Gastvater“, bezeichnet werden; Lane, Bd. 1, 11c); eine ähnliche Funktion hat im Plural ʾaṣḥāb + Genitiv, vgl. etwa Q 85:4, wo von den „Leuten des Grabens“ (ʾaṣḥāb al-ʾuḫdūd) die Rede ist. Horovitz vermutet, dass die Wendung „Vater der Flamme“ (ʾabū lahab) „kein eigentlicher Name“ sei, sondern eine erst von Q 111 geprägte „uneigentliche Kunja“, die den Betreffenden „als der Hölle verfallen kennzeichnet“ (Horovitz, Koranische Untersuchungen, 88 und 78). Falls der Ausdruck wirklich mit der islamischen Exegese auf Muḥammads Onkel ʿAbd al-ʿUzzā zu beziehen ist, der sich öffentlich von Muḥammad losgesagt haben soll (zu ihm s. Montgomery Watt, „Abū Lahab“, EI2), so dürfte der Beiname „Vater der Flamme“ ihm erst im Gefolge der vorliegenden Koransure beigelegt worden sein (so bereits Lohmann, vgl. Rubin 1979, 18). Aus diesem Grund und auch um den Bezug zur nār ḏāt lahab aus V. 3 zu erhalten sollte der Ausdruck nicht, wie bei Paret, unübersetzt gelassen werden (die Übersetzung "Flammenmann" ist von Neuwirth inspiriert, vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 142). Keineswegs auszuschließen ist allerdings, dass sich die Sure ursprünglich gar nicht gegen eine bestimmte Einzelperson richtet, sondern lediglich das jenseitige Ergehen eines prototypischen Verdammten, eben eines „Mannes der Flammen“ beschreibt, so wie es etwa in Q 92:15 heißt, „der Unselige“ (ʾal-ʾašqā) würde im Höllenfeuer brennen (vgl. zu einer ähnlichen Problematik den Kommentar zu 108:3). Die Einengung der Verfluchung auf ʿAbd al-ʿUzzā wäre dann eine spätere, erst im Verlaufe der frühislamischen Koranrezeption eingetretene Entwicklung, die durchaus im Einklang mit der auch anderswo zu beobachtenden anekdotischen Tendenz des frühen tafsīr stünde.
Rubin, der die Sure primär im Rückgriff auf außerkoranische Traditionen deutet, will yad im Sinne von „Verdienst“ verstehen und übersetzt: „Verloren sind Abū Lahabs Verdienste“ („Abū Lahab’s credit for his grand deeds has been lost“; Rubin 1979, 18); er beruft sich dafür auf eine von al-Wāqidī überlieferte Tradition, derzufolge ʿAbd al-ʿUzzā sein Gelübde, die Pflege des Heiligtums von al-ʿUzzā zu übernehmen, mit den Worten begründet haben soll: „Ich habe dann ein Verdienst bei ihr gut“ (kuntu qad ittaḫḏtu yadan ʿindahā; vgl. Rubin 1979, 13 und Anm. 7). Zwar kann yad tatsächlich im Sinne von niʿma, „Verdienst“, gebraucht werden (vgl. die Belege Rubin 1979, 15 f.), doch ist August Fischers Verständnis der beiden Hände von ʾabū lahab“ als einer Synekdoche für die gesamte Person des Verfluchten wahrscheinlicher, da der Dual nicht gut zu der von Rubin angenommenen abstrakteren Bedeutung yad = „Verdienst“ passt. Der Einwand, dass bei einer synekdochischen Interpretation unverständlich würde, warum der Koranvers dann im Folgenden mit den Worten wa-tabba noch einmal eigens auf den Verfluchten selbst Bezug nimmt, ist nicht stichhaltig: Das den Vers abschließende wa-tabba ist am ehesten als eine bekräftigende Wiederholung der vorangehenden Verwünschung aufzufassen (s. u.), die keineswegs eine „clear distinction between the ‚hands’ of Abū Lahab and the person himself“ impliziert (Rubin 1979, 22, Anm. 53).
Das Verb tabba selbst wird von islamischen Exegeten sowohl mit ḫasira („Verlust erleiden“ oder „verloren gehen“) als auch mit halaka („verderben, zu Grunde gehen“) umschrieben. Rubin konstatiert hier eine Überlagerung der seiner Ansicht nach ursprünglichen Bedeutung ḫasira, „verloren gehen“ durch das sekundäre halaka (Rubin 1979, 21). Diese These setzt jedoch offensichtlich seine Interpretation von yadā ʾabī lahabin als „Abū Lahabs Verdienste“ voraus. Auf der Grundlage von Fischers synekdochischem Verständnis des Verses hingegen wäre sowohl die Paraphrase von tabba mit halaka als auch die mit ḫasira = „Verlust erleiden“ möglich; es handelt sich bei den beiden Glossen deshalb wohl eher um unterschiedliche semantische Nuancen als um miteinander konkurrierende Bedeutungen.
wa-tabba] Von Ibn Masʿūd, al-Aʿmaš und Ubayy b. Kaʿb wird die Lesart wa-qad tabba überliefert (Muʿǧam, ad loc.), die sicherlich als nachträgliche Vereindeutigung des sowohl als Verwünschung („verderben soll …“) wie auch als Feststellung („verdorben ist …“) interpretierbaren wa-tabba anzusehen ist; wa-tabba muss deshalb aufgrund seiner Ambivalenz als die lectio difficilior gelten (Paret, Kommentar, 529). August Fischer übersetzt das zweite tabba nicht als Imprekativ („verderben soll …“), sondern präterital mit „und tatsächlich hat ihn bereits das Verderben getroffen“: „[D]ie Verwünschung wird emphatisiert durch die ihr unmittelbar folgende Behauptung, dass sie bereits in Erfüllung gegangen sei“ (s. Fischer, Sure 111; vgl. Paret, Kommentar, ad loc.). Paret macht jedoch zu recht geltend, dass dieses zweite wa-tabba eher als bekräftigende Wiederholung aufzufassen ist; vgl. ähnlich die Wiederholung von qutila („getötet sei …“ bzw. „Tod über …“) in Q 74:19.20, dort allerdings mit vorangehendem ṯumma.
mā ʾaġnā ʿanhu māluhū] Auf die Nutzlosigkeit irdischen Reichtums im Jenseits insistieren frühmekkanisch – z. T. in wörtlicher Überschneidung mit dem vorliegenden Vers – auch 69:28 (mā ʾaġnā ʿannī māliya), 92:11 (wa-mā yuġnī ʿanhu māluhū ʾiḏā taraddā) und 104:1–3 (wailun li-kulli humazatin lumazah / allaḏī ǧamaʿa mālan wa-ʿaddadah / yaḥsabu ʾanna mālahū ʾaḫladah). Vgl. a. die allgemeineren Besitzkritiken in 100:8 (wa-ʾinnahū li-ḥubbi l-ḫairi la-šadīd), 102:1.2 und Q 107. Die letztendliche Nutzlosigkeit irdischer Reichtümer ist bereits ein biblischer Topos, vgl. Psalm 39:7 („er sammelt Reichtümer und weiß nicht, wer sie ernten wird“) sowie im Neuen Testament den 1. Brief an Timotheus 6:17–19 („Ermahne die, die in dieser Welt reich sind, nicht überheblich zu werden und ihre Hoffnung nicht auf den unsicheren Reichtum zu setzen, sondern auf Gott, der uns alles gibt, was wir brauchen“) und Lukas 18:18–30 = Markus 10:17–31.
Grammatik: Wie auch in 69:28 und 92:11 kann mā hier sowohl als Fragepronomen („Was hat ihm sein Besitz geholfen?“) wie auch als Verneinungspartikel („Sein Besitz hat ihm nichts geholfen“) aufgefasst werden (vgl. Bergsträßer 1914, 29), doch ist mit Bergsträßer davon auszugehen, dass „die große Anzahl der Parallelen […] auch hier die Negation als wahrscheinlicher erscheinen“ lässt (ebd., 31, Anm. 2). Mit Paret ist das Perfekt wohl resultativ zu verstehen und hat somit einen Gegenwartsbezug (Kommentar, ad loc.), zumal die ganz ähnliche, ebenfalls im Kontext jenseitiger Verdammnis stehende Aussage 92:11 (s. den vorangehenden Absatz) statt des Perfekts das Imperfekt enthält, ohne dass ein offenkundiger Bedeutungsunterschied spürbar wäre.
mā kasab] Es wäre prima facie auch möglich, māluhū und mā kasab synonym aufzufassen, mā kasab also wörtlich als „was er erworben hat“ zu deuten; vgl. a. 7:48, wo in ganz ähnlichem Zusammenhang ǧamaʿa statt kasaba verwendet wird (mā ʾaġnā ʿankum ǧamʿukum, „euer Ansammeln nützt euch nichts“). Doch würde eine solche Lesart der sonst im Koran dominierenden übertragenen Bedeutung von kasaba „begehen“ zuwiderlaufen, die auch schon in der vorkoranischen Dichtung belegt ist (vgl. dazu die Anmerkung zu 74:38). Rubin geht noch einen Schritt weiter und will die mit mā kasab, „was er begangen hat“, intendierten Handlungen auf der Grundlage der prophetenbiographischen Tradition näher bestimmen: „The phrase wa-mā kasaba refers to Abū Lahab’s grand deeds, namely his service to al-ʿUzzā and his protection of Muḥammad [die er später aufkündigte]“ (Rubin 1979, 22). Genau wie in anderen frühkoranischen Texten (vgl. die Anmerkungen zu 93:3, 93:6–8 sowie zu 108:3) besteht hier aber die Gefahr einer letztlich in der anekdotischen Tendenz der frühislamischen Koranrezeption wurzelnden übertriebenen Konkretisierung koranischer Aussagen.
sa-yaṣlā nāran ḏāta lahab] „Das Feuer“ (an-nār) ist in Gruppe I und II der frühmekkanischen Texte die vorherrschende Bezeichnung für die Hölle (111:3, 104:6, 101:11, 92:14, 90:20, 88:4, 87:12, 85:5) und bleibt noch bis in medinensische Zeit häufig; frühmekkanisch s. noch 52:13.14 und 51:13 (alle Gruppe IIIb) sowie den Einschub 74:31. Neben an-nār erscheinen bereits ab Gruppe I noch die Begriffe ǧaḥīm (vgl. 102:6 mit Anmerkung) und saʿīr (84:12), ab Gruppe IIIa dann auch das biblische Wort ǧahannam (erstmals in 78:21, s. die Anmerkung ebd.). – Neuwirths Annahme, bei dem hier erwähnten „flammenden Feuer“ handele es sich „ noch nicht um die Hölle als kollektiven Ort für die Verdammten“ und die Sure ‚spiele‘ lediglich mit dem Bild der Flamme (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 144 ist gerade im Lichte dieser Parallelen überhaupt nur dann haltbar, wenn man mit ihr davon ausgeht, dass Q 111 aufgrund seiner Anklänge an die altarabische Spottdichtung notwendigerweise früher als die oben genannten Suren zu datieren und einer vor-eschatologischen Phase der Koranverkündigungen zuzuweisen sei (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 45). Angesichts der Tatsache, dass der Ausdruck an-nār sonst durchweg das Höllenfeuer bezeichnet, erscheint es jedoch wenig überzeugend, Q 111 nicht als genuine Jenseitsbeschreibung gelten zu lassen, auch wenn der Text Motive der altarabischen Schmähdichtung aufgreift.
ḥammālata l-ḥaṭab] Überliefert wird sowohl die Lesung im Nominativ als auch die im Akkusativ (vgl. Muʿǧam, ad loc.). Die erstere Variante ist dabei zweifellos die lectio facilior (vgl. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 141): „Seine Frau“ (imrāʾatuhū) wäre Subjekt eines gegenüber V. 3 eigenständigen Nominalsatzes mit ḥammālatu l-ḥaṭab als Prädikat („Seine Frau ist die Brennholzträgerin“). Folgt man der zweiten Variante, so ist der Akkusativ ḥammālata l-ḥaṭab am ehesten als Interjektion zu erklären (Wright, Bd. 2, 86. Imrāʾatuhū kann entweder als zum folgenden Vers gehörige Topikalisierung aufgefasst werden („Seine Frau ..., um ihren Hals ein Strick aus Palmfasern“) oder aber als zweites Subjekt des vorangehenden Verses (vgl. Fischer 1937): „Er wird in flammendem Feuer schmoren / und [ebenso] seine Frau – Brennholzträgerin!“. In letzterem Fall dürfte V. 5 am ehesten einen Relativsatz darstellen, s. die folgende Anmerkung.
fī ǧīdihā ḥablum min masad] „The word jīd usually denotes a woman’s neck from the aesthetic viewpoint, i.e. the place on which ornaments and the like are hanging“ (Rubin 1979, 27, mit Anm. 78). Daraus folgt jedoch keineswegs, dass es sich bei dem „Palmfaserstrick“ (ḥabl min masad) um eine regelrechte Halskette handelt (ebd., 27). Die Verwendung von ǧīd dürfte die Erwartung der Hörer sicherlich auf die Nennung eines wertvollen Schmuckstücks gelenkt haben – eine Erwartung, die sich gleich im Anschluss als Ironie entpuppt. Die Übersetzung versucht, diesen Effekt durch das Prädikat „ist geschmückt“ nachzubilden. – Der gesamte Vers lässt sich auch, mit August Fischer, als an imrāʾatuhū anschließender Relativsatz auffassen (vgl. Paret, Kommentar, 530): „Er wird in flammendem Feuer schmoren / und [ebenso] seine Frau – Brennholzträgerin! –, deren Hals ein Strick aus Palmfasern schmückt“).
Literaturliste
Der Text entwickelt sich aus der einleitenden Verwünschung eines als „Vater der Flammen“ bezeichneten Gegners heraus, auf die sich mit Ausnahme von V. 5 alle Verse der Sure pronominal zurückbeziehen. An den Eröffnungsvers schließt sich ein erstes, unbestimmtes Drohwort (V. 2) an, welches die Nutzlosigkeit des durch den Verfluchten angesammelten Besitzes aussagt – ein Jenseitsverweis, wie in V. 3 („Er wird in flammendem Feuer schmoren“) deutlich wird. Die Sure greift damit wie auch andere frühmekkanische Texte den Topos prophetischer Besitzkritik auf, der auch in der Hebräischen Bibel eine wichtige Rolle spielt (vgl. die Verweise in den Anmerkungen).
Es folgt ein zweites Drohwort, das zu einer knappen Höllenbeschreibung erweitert ist (V. 3–5). Während V. 1.2 noch offen lassen, von welcher Art das dem „Vater der Flamme“ angesagte Unheil ist (und insbesondere ob es im Diesseits oder Jenseits zu lokalisieren ist), löst das folgende Jenseitsbild diese Unbestimmtheit eschatologisch auf. Dieser strukturelle Zusammenang zwischen V. 1.2 und V. 3–5 zeigt sich auch in der Wortwahl: Die zentrale sprachliche Pointe des Textes besteht darin, dass „das prägnante Abū Lahab von V. 1 erst durch V. 3 ‚ausgeredet’“ wird (Neuwirth, Studien, 235); die zunächst änigmatische Bezeichnung ʾabū lahab, „Vater der Flamme“, wird also durch die Höllenbeschreibung in V. 3, in der vom „flammenden Feuer“ (nār ḏāt lahab) die Rede ist, nachträglich motiviert. Eine vergleichbare Aufeinanderfolge zweier Drohworte, bei der die erste, referentiell noch unbestimmte Drohung durch eine zweite konkretisiert wird, findet sich in Q 102:3–8; auf dem Einsatz von Änigmatisierung zur Erzeugung rhetorischer Spannung basieren aber auch Schwurserien wie zu Beginn von Q 100 sowie die u. a. in 90:12–16, 97:2–4, 101:1–9, 101:10.11 und 104:5–9 stehenden Lehrfragen.
Interpretative Fragen werfen insbesondere V. 4.5 auf. Rubin, dessen Deutung einzelner Textstücke bereits in den Anmerkungen referiert wurde, erblickt das thematische Zentrum der Sure in dem götzendienerischen Kultverhalten des Verfluchten und seiner Ehefrau; er bezieht deshalb neben V. 1.2 auch V. 4.5 auf den besonderen Eifer, mit dem Muḥammads Onkel ʿAbd al-ʿUzzā und seine Frau den ʿUzzā-Kult gepflegt haben sollen. Sowohl das Sammeln von Brennholz (V. 4) als auch das Anlegen magischer Halsketten aus Palmfaserstrick (V. 5) seien Bestandteile dieses Kults gewesen: „both verses reprove the pagan practices carried out by the wife of Abū Lahab who participated with her husband in the veneration of al-ʿUzzā“ (Rubin 1979, 27). Allerdings wird der Vorwurf des Götzendienstes von der Sure selbst gar nicht erhoben, sondern V. 2 zufolge scheint das Fehlverhalten des „Vaters der Flammen“ vor allem mit seinem Reichtum zusammenzuhängen; und auch in anderen frühmekkanischen Texten ist die Verurteilung paganer Rituale nicht prominent.
Nicht als Kultkritik, sondern als hiǧāʾ im Stile der altarabischen Dichtung deutet August Fischer die beiden fraglichen Verse 4 und 5: Ihm zufolge wird die Frau des Verfluchten hier „in dem bekannten Stile beschimpft, in dem die alten Dichter ihre Gegner, Männer wie Frauen, zu verunglimpfen pflegten: sie sei keine Frau vornehmen Standes, sondern eine verächtliche Brennholzträgerin, d. h. eine Sklavin oder sonst eine Frau in tiefster sozialer Stellung“ (Fischer 1937, 35). Diese Interpretation hat allerdings das Manko, die thematische Bindung von V. 4.5 an V. 3 zu zerschneiden: V. 4.5 erscheinen als vom vorangehenden Vers losgelöste und auf die irdische Gegenwart, nicht auf die jenseitige Verdammnis zu beziehende Schmähung des sozialen Standes der Frau. Eine befriedigendere, weil den Sinnzusammenhang des Textes maximierende Deutung bestünde darin, V. 4.5 als Fortführung des in V. 3 begonnenen eschatologischen Bildes zu werten, welche die Frau des Verdammten auf perfide Weise in die jenseitige Bestrafung ihres Gatten einbezieht: Der Mann brennt im Höllenfeuer, während seine Frau das Brennholz dafür heranschleppen muss. Wichtig bleibt auf jeden Fall Fischers Beobachtung, dass der abschließend erwähnte Palmfaserstrick angesichts der in V. 5 verwendeten Bezeichnung für Hals (ǧīd) mit ihrer Konnotation von Schmuck (s. o.) sicher auch als polemisches Gegenstück zu einem „Perlen- oder Juwelen-Collier“ fungiert, wie es eine Frau von hohem gesellschaftlichen Stand im Diesseits tragen würde (Fischer 1937, 35). Neuwirth verweist in diesem Zusammenhang auf die „Prominenz der Darstellungen von schmucktragenden Frauen in der Ikonographie der hellenistischen Göttinenbilder“ (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 143, mit weiteren Literaturverweisen) .
Literaturliste
Die Kürze des Textes insgesamt sowie der einzelnen Verse (im Durchschnitt 10,4 Silben) legen nahe, ihn zu Beginn der frühmekkanischen Periode anzusetzen – am ehesten innerhalb der Gruppe kurzer, aus kleinen Versgruppen bestehender Droh- und Scheltworte Q 95, 102, 103, 104 und 107, die chronologisch nach Q 105 und Q 106 und vor detaillierteren Ausmalungen des Jüngsten Gerichts wie Q 100 und 101 stehen dürften (vgl. die Einleitung zu Q 105). Insbesondere dürfte die Sure älter als Q 85 sein, wo in V. 4 ff. eine dem Eröffnungsvers ähnelnde Verwünschung als Teilform innerhalb eines umfassenderen Kompositionszusammenhanges begegnet. – Zu Neuwirths fraglicher Annahme, Q 111 sei früher anzusetzen als etwa Q 95, 102, 103 oder 104 s. die Anmerkung zu V. 3 weiter unten sowie den Abschnitt zur Datierung von Q 108.
Der Korankodex Ibn Masʿūds soll zwischen V. 1 und 2 einen zusätzlichen Vers enthalten haben: ḥālafa l-baita l-waḍīʿa ʿală l-baiti r-rafīʿi fa-šuġila bi-nafsihi ṯumma šuġila (Jeffery 1937, 180; Rubin 1979, 15: „He became allied to the inferior house against the exalted house, and he was occupied only with himself, and indeed he was“). Wie bei verschiedenen anderen im Namen von Ibn Masʿūd tradierten Lesevarianten handelt es sich um eine deutende Erweiterung, die auch aufgrund ihrer Verslänge kein ursprünglicher Textbestandteil sein dürfte. Der zusätzliche Vers trägt die im textus receptus nicht ausgeführte Ursache für die Verfluchung Abū Lahabs nach: Er spielt darauf an, dass dieser sich während des auf die Isolierung Muḥammads zielenden Boykotts des Hāšim-Klans durch die übrigen Quraischiten von den Hāschimiten losgesagt haben solllll (vgl. Montgomery Watt, „Abū Lahab“, EI1).