بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
أَلَمۡ تَرَ كَيۡفَ فَعَلَ رَبُّكَ بِأَصۡحَٰبِ ٱلۡفِيلِ |
1 Hast du nicht gesehen, wie dein Herr an den Leuten des Elefanten gehandelt hat? |
أَلَمۡ يَجۡعَلۡ كَيۡدَهُمۡ فِی تَضۡلِيلٍۢ |
2 Hat er ihre Pläne nicht in die Irre geleitet |
وَأَرۡسَلَ عَلَيۡهِمۡ طَيۡرًا أَبَابِيلَ |
3 und Vögelschwärme über sie gesandt, |
تَرۡمِيهِم بِحِجَارَةٍۢ مِّن سِجِّيلٍۢ |
4 die sie mit Steinen aus Lehm bewarfen, |
فَجَعَلَهُمۡ كَعَصۡفٍۢ مَّأۡكُولٍ |
5 und sie so abgefressenem Gras gleichgemacht? |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
ʾa-lam tara] Vgl. dieselbe Formulierung in 89:6 (ʾa-lam tara kaifa faʿala rabbuka bi-ʿād). Die Frageform ʾa-lam wird auch in 93:6 und 94:1 zur Vergegenwärtigung vergangener göttlicher Wohltaten gebraucht, die dort allerdings die Person des Verkünders und nicht das Kollektiv der Quraiš betreffen.
kaifa faʿala rabbuka] Zum Gottestitel rabb s. die Anmerkung zu 95:8.
ʾa-lam yaǧʿal kaidahum fī taḍlīl] Die Aussage, dass Gott menschliche Machenschaften zunichte macht, findet sich frühmekkanisch auch in 52:42 (ʾam yurīdūna kaidan fa-llaḏīna kafarū humu l-makīdūn) und 86:15 (ʾinnahum yakīdūna kaidan), wo der menschliche kaid jeweils durch einen göttlichen kaid überboten wird. Taḍlīl wird hier wohl aufgrund des Reimes als Ersatz für ḍalāl, „irregehen; verschwinden, zu Grunde gehen“ (vgl. Ambros, Dictionary, 170 ) verwendet, das in ähnlichen Konstruktionen bezeugt ist ( Friedrun Müller 1969, 46–50 ; vgl. insb. 40:25: wa-mā kaidu l-kāfirīna ʾillā fī ḍalāl, „Die Machenschaften der Ungläubigen gehen in die Irre“).
wa-ʾarsala ʿalaihim ṭairan ʾabābīl] Zur Wurzel r-s-l (ʾarsala, rasūl) s. die Anmerkung zu 91:13. Abābīl (in Apposition zu ṭair, „Vögel“) weist dieselbe Wurzel wie ʾibl (f.), ʾābāl, „Kamel“, auf; vgl. a. ʾabila, was u. a. „sich (wie Kamele) vermehren“ bedeuten kann ( Lane, Bd. 1, 7c ). Der Ausdruck entspricht der Pluralform faʿālīl, die vorwiegend bei vier- oder fünfkonsonantigen Wurzeln auftritt (z. B. yanābīʿ, von yanbūʿ, „Quelle“, und šayāṭīn, „Teufel“), jedoch auch für dreiradikalige Wurzeln belegt ist ( Wright, Bd. 1, 228 f. ). Die Lexikographen erklären das Wort als Plural von ʾibāla, „Schar, Herde“ ( Jeffery, Foreign Vocabulary, 43 f. ). Dass es sich tatsächlich um ein im koranischen Milieu gebräuchliches arabisches Wort handelt, zeigen die von Muth 2007 gesammelten Belege für den Gebrauch von ʾabābīl in der vorkoranischen Dichtung, wo sich der Ausdruck generell mit „Schwärme“ bzw. (angewandt auf Pferde) „Herden“ übersetzen lässt; die Spekulationen, die koranische Wendung könne auf eine Verlesung von tīr (pers., „Pfeile“) bābīl zurückgehen, also „babylonische Pfeile“ bedeuten (Carra de Vaux; vgl. Jeffery, Foreign Vocabulary, 44 ) oder das Wort sei von akk. ʾibbiltu, der Bezeichnung einer nicht näher bekannten Vogelart, abzuleiten ( Viré 1986 ), dürften sich von daher erübrigen. Obwohl der Ausdruck folglich in einer für 105:3 passenden Bedeutung auch im vorkoranischen Arabisch gebräuchlich ist, plädiert Muth dennoch für eine Ableitung von syr. ebāltā. Diese müsste dann jedoch bereits in vorkoranischer Zeit stattgefunden haben und ist insofern für die Interpretation des Koranverses nur bedingt relevant. Zu fragen wäre auch, ob nicht gerade bei einem mit der Kamelzucht, einer nomadischen Wirtschaftsdomäne, assoziierten Begriff eher ein umgekehrtes Entlehnungsverhältnis denkbar ist.
tarmīhim bi-ḥiǧāratin min siǧǧīl] Überliefert wird auch die Lesung yarmīhim, wodurch Gott zum Subjekt des Werfens würde ( Muʿǧam, ad loc. ). – Eine ähnliche Wendung findet sich in 11:82.83 (... wa-ʾamṭarnā ʿalaihim ḥiǧāratan min siǧǧīlin manḍūḍ / musawwamatan ʿinda rabbika ...) und ähnlich in 15:74. In enger Entsprechung zu 11:82–83 spricht 51:33 von ḥiǧāra min ṭīn. Da der narrative Kontext in allen genannten Stellen derselbe ist, scheint siǧǧīl im koranischen Gebrauch mehr oder weniger synonym mit ṭīn, „Lehm“, zu sein, auf alle Fälle aber den Stoff zu bezeichnen, aus dem die Steine bestehen ( de Blois 1999 ). Traditionell wird diese Deutung mit einer Ableitung von siǧǧīl aus pers. sang, „Stein“, und gil, „Ton“ begründet, die de Blois jedoch in Frage stellt. Vor dem Hintergrund von Genesis 19:24, einer 105:3 strukturell verwandten Beschreibung der Vernichtung von Sodom und Gomorrha („Und Gott ließ auf Sodom und Gomorrha Schwefel und Feuer vom Herrn vom Himmel herabregnen“,וַֽיהוָ֗ה הִמְטִ֧יר עַל־סְדֹ֛ם וְעַל־עֲמֹרָ֖ה גָּפְרִ֣ית וָאֵ֑שׁ מֵאֵ֥ת יְהוָ֖ה מִן־הַשָּׁמָֽיִם), argumentiert er dafür, der Ausdruck min siǧǧīl sei ursprünglich Bestandteil einer vorkoranischen arabischen Nacherzählung der Zerstörung von Sodom und Gomorrha gewesen und habe hier als Pendant zu meʾet yahweh fungiert; siǧǧīl habe eine Art Racheengel bezeichnet, der die von Gott verhängte Strafe ausgeführt habe und den de Blois hypothetisch mit einer in Taymāʾ und Hatra bezeugten Gottheit š-n-g-l-ʾ identifiziert. Dieser ursprüngliche Sinn von siǧǧīl sei aber in koranischer Zeit bereits in Vergessenheit geraten; die sekundäre Bedeutung von siǧǧīl im Koran als Materialbezeichnung habe sich möglicherweise unter dem Einfluss von arab. siǧill (lat. sigillum, gr. sigillion), „(Ton-)Siegel“, entwickelt. Wenn in 51:33siǧǧīl durch ṭīn ersetzt wird, so werde hier in der aus vorkoranischer Zeit überlieferten Wendung ḥiǧāra min siǧǧīl ein für die Adressaten des Textes verständlicherer Ausdruck eingesetzt. – Eine alternative Deutung schlägt Leemhuis 1982 vor; vgl. hierzu die Kritik von Sima 1998 .
fa-ǧaʿalahum ka-ʿaṣfin maʾkūl] Neuwirth verweist als Parallele auf Psalm 37:1–2 („Errege dich nicht über die Bösen / wegen der Übeltäter ereifere dich nicht! // Denn sie verwelken schnell wie das Gras, / wie grünes Kraut verdorren sie“) und 58:8 („Sie sollen vergehen wie verrinnendes Wasser, / wie Gras, das verwelkt auf dem Weg“) und stellt fest: „Die Episode ... wird somit biblisch eingefärbt.“ ( Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 115 .
Literaturliste
Horovitz bezeichnet die Sure als das „früheste Beispiel einer Straflegende“ ( Horovitz, Koranische Untersuchungen, 10 f. ), doch unterscheidet sich ihre Akzentsetzung deutlich von der späterer Koranpassagen, in denen Gott den Unglauben der Zeitgenossen früherer Propheten ahndet. Zwar könnte die Beschreibung des Vorgehens der ʾaṣḥāb al-fīl als kaid (V. 2) eine moralische Wertung ihres Vorgehens konnotieren, so dass Birkelands Feststellung „[n]ot a word is said of any punishment“ ( Birkeland 1956, 101 ) zu kategorisch erscheint (vgl. Marshall 1999, 41 ); da jedoch ein expliziter Vorwurf des „Leugnens“ oder der „Aufsässigkeit“ fehlt, wie er in späteren Straflegenden stereotyp wiederholt wird (vgl. die vielleicht früheste genuine Straflegende 91:11–15, insb. V. 11, kaḏḏabat ṯamūdu bi-ṭaġwāhā, und V. 14, fa-kaḏḏabū ...), steht im Mittelpunkt der vorliegenden Sure ganz offenkundig nicht das von den ʾaṣḥāb al-fīl begangene Unrecht, sondern vor allem die sich in der Abwehr ihres Angriffs erweisende göttliche Macht. Primäres Interesse des vorliegenden Textes ist es deshalb nicht, die fatalen Konsequenzen einer Zurückweisung von Gottes Gesandten zu exemplifizieren, sondern den besonderen göttlichen Schutz zu belegen, unter dem das mekkanische Heiligtum steht – es geht weniger um „Strafe“ als um „Rettung“ (ich verdanke diese erhellende Formulierung Arno Schmitt), wobei die Sure auf eine in Mekka gängige Legende anspielen dürfte (s. den Kommentar zu Sure 106). Die Tatsache, dass spätere koranische Straferzählungen sich in der Wortwahl an Sure 105 anlehnen (s. die Anmerkungen zu V. 1 und V. 4), lässt allerdings vermuten, dass die Sure eine prototypische Rolle bei der Herausbildung des koranischen Genres der Straflegende gespielt hat.
Wie Q 106 macht der Text die – in der altarabischen Dichtung weitgehend von Kontingenz bestimmte – Sphäre menschlichen Tuns und Ergehens als Stätte göttlichen Wirkens lesbar: Beide Suren insistieren, dass Gott in die Sphäre menschlichen Tuns und insbesondere in das Schicksal des mekkanischen Gemeinwesens eingreift – und dass folglich bestimmte irdische Geschehnisse nicht als Auswirkungen innerweltlicher Kausalzusammenhänge, sondern als Taten Gottes zu deuten sind. Zwar wurde Allāh bereits in vorkoranischer Zeit in besonderer Weise mit dem mekkanischen Heiligtum assoziiert (vgl. Wellhausen 1897, 74 f. ), doch eignete ihm der Charakter eines weitgehend inaktiven Hochgotts (s. hierzu Ammann 2001 ). Wenn Q 105 deshalb die Vernichtung der „Leute des Elefanten“ als unmittelbare Tätigkeit Allāhs selbst deutet, so ist dies keineswegs eine Trivialität. Denn bevor Gott wie in späteren Koransuren moralische Normen einfordern und über ihre Verletzung richten kann, muss zunächst einmal seine prinzipielle Wirkmächtigkeit erwiesen sein: „Bevor der Gott sich entfernt, muss er dagewesen sein, in seiner Anwesenheit erfahren sein, muss er in seiner um den Menschen besorgten Initiative erkannt sein.“ ( Gottfried Müller 1988, 342 ). Q 105 betont diese innerweltliche Aktivität Gottes durch die Verwendung der Verben faʿala und ǧaʿala und durch die hypotaktische Unterordnung von V. 4 unter V. 3, die das Werfen der Vögel von einer scheinbar selbständigen Handlung zur Konsequenz einer vorgängigen Initiative Gottes macht.
Anhang: Weitere Literatur zum Feldzug Abrahas:Altheim, Franz, und Ruth Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike, Frankfurt 1957, 145–148 ; Beeston, A. F. L., „Notes on the Muraighān Inscription“, BSOAS 16 (1954), 289–292 ; Conrad, Lawrence, „Abraha and Muḥammad: Some Observations Apropos of Chronology and Literary Topoi in the Early Arabic Historical Tradition“, BSOAS 50 (1987), 225–240 ; EI2, „Abraha“ ; Kister, M. J., „The Campaign of Ḥulubān: a New Light on the Expedition of Abraha“, Le Muséon 78 (1965), 427–428 ; Kister, M. J., „Some Reports Concerning Mecca from Jāhiliyya to Islam“, in Journal of the Economic and Social History of the Orient 15 (1972), 61–93 (zu Abraha S. 63 ff.) , Nachdruck in M. J. Kister, Studies in Jāhiliyya and Early Islam, London 1980 ; Nöldeke, Theodor, Geschichte der Perser und Araber zur Zeit der Sasaniden, Leiden 1879, 204–219 ; Peters, F. E. „Introduction“, in F. E. Peters (Hg.), The Arabs and Arabia on the Eve of Islam, Aldershot 1999 (S. lii ff. zu Abraha) ; Prémare, Alfred-Louis de, „’Il voulut détruire le temple’: L’attaque de la Kaʿba par les rois yéménites avant l’Islam, aḫbār et histoire“, Journal Asiatique 288/2 (2000), 261–367 ; Ryckmans, Gonzague, „Inscriptions sud-arabes“, mit einem Kommentar von Jacques Ryckmans, Le Muséon 66 (1953), 267–317, 326–342 .
Literaturliste
Nöldeke ordnet die Sure ohne weitere Erläuterungen der frühmekkanischen Periode zu ( GdQ, Bd. 1, 93 ). Hierfür sprechen die Kürze der allesamt aus einem einzigen Verbalsatz bestehenden Verse (durchschnittliche Silbenzahl pro Vers: 12), die vor allem für die frühmekkanische Zeit charakteristische Gottesbezeichnung rabb + Suffix und das Fehlen jeglicher struktureller Binnendifferenzierung in Gesätze und Gesätzgruppen, wie sie den Aufbau späterer Korantexte bestimmt.
Gleichwohl unterscheidet sich Q 105 in verschiedener Hinsicht von den übrigen Texten der frühmekkanischen Periode. Der mekkanische Lokalbezug von Q 105 steht in deutlichem Kontrast zum geweiteten Horizont späterer koranischer Erzählperikopen, in denen entweder biblische Figuren wie Abraham, Noah oder Moses agieren oder zumindest ihnen typologisch entsprechende arabische Warnergestalten wie Šuʿaib. Darüber hinaus fehlt jeder Bezug auf ein endzeitliches Strafgericht – Gottes Vernichtung der ʾaṣḥāb al-fīl erscheint primär als ein Akt des Schutzes Mekkas, nicht, wie die in späteren Texten erzählten göttlichen Strafhandlungen, als Vergeltung religiösen oder ethischen Fehlverhaltens. Q 105 ähnelt darin Q 106: Auch dort tritt Gott nicht als universaler Schöpfer und Richter auf, sondern als gütiger Schutzherr des mekkanischen Gemeinwesens, und auch dort fehlt jeder Hinweis auf die massive Störung des Gott-Mensch-Verhältnisses, die in anderen frühmekkanischen Texten so prominent ist (vgl. Q 100:6 ff. oder Q 103:1.2). Auch das auffällig affirmative Verhältnis zum mekkanischen Gemeinwesen ist beiden Suren gemeinsam: Während Gott in Q 105 als Beschützer Mekkas gegen eine auswärtige Bedrohung agiert, erscheinen die später zumeist als „Ungläubige“ (allaḏīna kafarū) verunglimpften Mekkaner in Q 106 noch neutral als „die Quraiš“ (s. Bell 1926, 73 ) und werden ohne jeden polemischen Unterton zur Abstattung des Gott gebührenden Dankes aufgerufen. Auf den Kontrast zwischen Sure 105 und 106 einerseits und den meisten anderen frühmekkanischen Texten andererseits hat erstmals Harris Birkeland hingewiesen, der Q 105 und 106 mit den an den Verkünder gerichteten Trostsuren Q 93, 94 und 108 zusammenstellen und in allen fünf Texten ein einheitliches theologisches Profil entdecken will ( s. Birkeland 1956 ). Zentrales Thema der genannten Suren sei es, so Birkeland, „von der Gnade des Herrn zu berichten“ (Q 93:11), d. h. Gottes Involviertheit in die Sphäre menschlichen Handelns aufzuzeigen: „The experience which became decisive for Muhammed’s whole future activity must have been the recognition of God’s merciful guidance in the life of himself and his people, that means in history. Before God could appear as a judge he had to be a reality, and the Surahs treated in this paper reveal a stage in which Muhammed had not yet severed from Arab paganism, but had only experienced the divine power as a historic force, which meant a force active in the historic life of Quraiš and the personal life of Muhammed himself. A divine activity of this kind was unknown to Arab paganism ...“ ( Birkeland 1956, 5 ; vgl. Gottfried Müller 1988 ).
Birkelands Hypothese leistet zweifellos einen wichtigen Beitrag zu der Frage nach dem thematischen Einsatzpunkt der koranischen Verkündigung (vgl. Paret 1975, 219–224 ). Tatsächlich wird der „Leitgedanke“ der frühen koranischen Verkündigungen kaum im monotheistischen Bekenntnis, d. h. in der Behauptung der Irrealität aller anderen Gottheiten, bestanden haben; dies legt schon die Tatsache nahe, dass die später so zentralen Begriff širk, ʾašraka, šurakāʾ in den von Nöldeke als frühmekkanisch eingestuften Texten weitgehend fehlen (mit Ausnahme von 52:43 und 68:41). Tor Andrae hat deshalb die Ansicht vertreten, der Einsatzpunkt der Korangenese sei im Gedanken des Jüngsten Gerichts zu suchen (vgl. Andrae 1926 ). Dagegen macht Gottfried Müller im Rückgriff auf Birkeland geltend: „Im Gedanken des drohenden Gerichts den Ausgangspunkt zu sehen, ist insofern problematisch, als der Gott, der sich in der Drohung als Feind erweist, sich zuerst in seiner Zuwendung bekundet haben muss. Bevor der Gott sich entfernt, muss er dagewesen sein, in seiner Anwesenheit erfahren sein, muss er in seiner um den Menschen besorgten Initiative erkannt sein.“ ( Gottfried Müller 1988, 342 ) Birkeland und Müller zufolge führen die fünf o. g. Dank- und Trostsuren allererst jene umfassende Aktivierung des vorkoranischen Hochgottes Allāh (vgl. Ammann 2001 ) durch, die der frühmekkanischen Gerichtsbotschaft logisch und chronologisch vorausgeht.
Allerdings erweist sich die Gruppe der von Birkeland behandelten fünf Kurzsuren bei näherer Betrachtung als recht heterogen. Während Q 105 und 106 das Kollektiv der Quraiš in den Mittelpunkt rücken, steht in Q 93, 94, 108 der individuelle Zuspruch an die Person des Verkünders im Vordergrund. Tatsächlich stehen die letzteren drei Suren in erheblich größerer Kontinuität zu anderen frühmekkanischen Texten: 93:4 spielt auf das Jenseits und damit mittelbar auch auf das Jüngste Gericht an, und Anreden des Verkünders am Surenanfang finden sich auch in Q 73, 74, 87 und 96 (wobei es sich dort allerdings nicht um Trostreden, sondern um hymnische Aufrufe zum Gottesdienst o. Ä. handelt). Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, Birkelands Vermutung einer chronologischen Vorgängigkeit der von ihm untersuchten fünf Suren auf Q 105 und 106 einzuschränken, die im Gegensatz zu späteren Korantexten noch eine grundsätzliche affirmative Haltung zum mekkanischen Gemeinwesen einnehmen, und die drei Trostsuren in ein späteres Stadium der frühmekkanischen Periode zu setzen (zu Angelika Neuwirths Übernahme von Birkelands These s. den Abschnitt zur Datierung von Q 108). Kurze Droh- und Scheltworte wie Q 95, 102, 103, 104, 107 (vielleicht auch Q 111), die eine fundamentale Störung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch ansagen und damit erstmals die Kernthematik der frühmekkanischen Periode (die ethisch-religiöse Unzulänglichkeit des Menschen und die Realität des Jüngsten Gerichts) anschneiden, wären dann Ausdruck einer sich an Q 105 und 106 anschließenden theologischen Neuorientierung, gleichsam Resultat einer ‚eschatologischen Wende’, die auch einen wesentlich kritischeren Blick auf das mekkanische Gemeinwesen mit sich gebracht haben dürfte (die Bezeichnung Mekkas als „diese sichere Ortschaft“ in 95:3 lässt sich dabei noch als Nachhall von Q 105 und 106 verstehen).
S. den Kommentar zu Q 106 zu der Hypothese, Q 105 und 106 hätten ursprünglich einen einzigen Textzusammenhang gebildet.
Die nur aus fünf Versen bestehende Sure vergegenwärtigt in Form zweier Fragen – von denen die zweite mehrgliedrig ist (V. 2–5) – Gottes Vernichtung der „Leute des Elefanten“, den ʾaṣḥāb al-fīl (V. 1: erste Frage in der 2. P. Sg., Einführung der ʾaṣḥāb al-fīl, V. 2–5: zweite, mehrgliedrige Frage, Gottes Vorgehen gegen die ʾaṣḥāb al-fīl). Der historische Hintergrund der Sure ist wohl tatsächlich in einem Feldzug des südarabischen Herrschers Abraha zu sehen, bei dem Elefanten mitgeführt worden sein sollen (vgl. Horovitz, Koranische Untersuchungen, 96–98 , der auf vom Koran unabhängige Verarbeitungen des Ereignisses in der Dichtung hinweist und daraus schließt, „daß auch bereits in vorkoranischer Zeit in Mekka die Erzählung von dem von einem Elefanten begleiteten Zuge der Abessinier verbreitet war“; zum historischen Hintergrund siehe die Literaturangaben im Anhang). Die zweite, nicht mehr durch ʾa-lam tara kaifa ... eingeleitete Frage beantwortet indirekt die erste Frage, indem sie das Ergehen der „Leute des Elefanten“ genauer schildert. Der Text reimt auf 3K(K)2l (Variante in V. 3: āK2l). Jeder der fünf Verse enthält einen Verbalsatz (in V. 1 ist der Verbalsatz in die Frageform ʾa-lam tara kaifa ... eingebettet), dessen Subjekt nur in V. 4 nicht Gott ist (sofern hier nicht doch yarmīhim zu lesen ist, s. o.); dieser Vers steht als einziger in Hypotaxe. Besonders prominent sind in Q 105 die unspezifischen Verben faʿala, „tun“ (V. 1) und ǧaʿala, „machen zu“ (V. 2 und 5).