بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
وَٱلۡعَٰدِيَٰتِ ضَبۡحًۭا |
11 Bei den schnaubend Rennenden, |
فَٱلۡمُورِيَٰتِ قَدۡحًۭا |
2 dann Funken Schlagenden, |
فَٱلۡمُغِيرَٰتِ صُبۡحًۭا |
3 dann in der Morgendämmerung Angreifenden; |
فَأَثَرۡنَ بِهِۦ نَقۡعًۭا |
4 da wirbeln sie dann Staub auf, |
فَوَسَطۡنَ بِهِۦ جَمۡعًا |
5 da dringen sie dann mitten in die Schar! |
إِنَّ ٱلۡإِنسَٰنَ لِرَبِّهِۦ لَكَنُودٌۭ |
26 Der Mensch ist undankbar gegen seinen Herrn |
وَإِنَّهُۥ عَلَىٰ ذَٰلِكَ لَشَهِيدٌۭ |
7 und er selbst ist dafür Zeuge; |
وَإِنَّهُۥ لِحُبِّ ٱلۡخَيۡرِ لَشَدِيدٌ |
8 heftig liebt er den Besitz. |
أَفَلَا يَعۡلَمُ |
39 Weiß er denn nicht? |
إِذَا بُعۡثِرَ مَا فِی ٱلۡقُبُورِ |
Wenn freigelegt wird, was in den Gräbern ist |
وَحُصِّلَ مَا فِی ٱلصُّدُورِ |
10 und hervorgeholt wird, was in den Herzen ist, |
إِنَّ رَبَّهُم بِهِمۡ يَوۡمَئِذٍۢ لَّخَبِيرٌ |
11 an jenem Tag ist ihr Herr ihrer kundig! |
bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm] Zur Basmala s. die entsprechende Anmerkung zu 93; zum Gottesnamen raḥmān s. die Anmerkung zu 55:1.
Der Passus stellt zusammen mit 103:1, 95:1–3 und 93:1.2 (ebenfalls Gruppe I der frühmekkanischen Texte) eine der frühesten koranischen Schwurpassagen dar (zu den koranischen Schwüren s. Kandil 1996, 16–158, wo ausführlich sowohl die westliche Forschungsgeschichte als auch islamische Deutungsansätze vorgestellt werden, sowie die nach wie vor grundlegende Bearbeitung in Neuwirth, „Horizont“; eine vollständige Auflistung der relevanten Stellen findet sich im Textsorten-Register). Obwohl üblicherweise vorausgesetzt wird, dass die koranischen Schwüre ein charakteristisches Ausdrucksmittel altarabischer Seher (kuhhān) aufgreifen, steht eine detaillierte Sammlung, Authentizitätsprüfung und literaturwissenschaftliche Analyse der in der islamischen Literatur überlieferten kuhhān-Sprüche noch aus (vgl. die bislang ausführlichste Erörterung des Verhältnisses von koranischen Schwüren und kuhhān-Sprüchen in Kandil 1996, 162–181; vgl. a. Neuwirth 1993 und Hoyland 2001, 220–222; zum altarabischen Orakelwesen s. umfassend Fahd 1966 und knapper Serjeant 1983, 122–127). Innerkoranisch lassen sich zwei distinkte Typen von Schwüren unterscheiden. Die erste Kategorie besteht aus solchen Schwüren, deren Gegenstände ausdrücklich benannt werden und die zumeist – wie schon in den frühen Suren 91:1–8 und 92:1–3 (Gruppe II) – ‚akkumulative’ Serien bilden, die eine Reihe separater, oft zu komplementären Paaren kombinierte Einzelphänomene (Sonne und Macht, Nacht und Tag etc.) auflisten (s. hierzu die Anmerkung zu 93:1.2). Die zweite Kategorie, zu der auch der vorliegende Passus zählt, besteht aus Serien von aktiven Partizipien femininum Plural, sog. fāʿilāt-Serien, wie sie sich noch zu Beginn von Q 79, 77, 51 und 37 finden (zu den altarabischen Sehern zugeschriebenen fāʿilāt-Schwüren s. Kandil 1996, 162–166). Wie Neuwirth in einer ausführlichen Analyse der einschlägigen Passagen herausgearbeitet hat („Horizont“, 6 ff.), skizzieren fāʿilāt-Serien in enigmatischer Umschreibung verschiedene Stadien eines einzigen Geschehensablaufs (signalisiert durch Progress-fa, s. 100:2.3, 51:2.3.4, 77:2.4.5, 79:3.4), der als eine aus der diesseitigen Erfahrung genommene prototypische Veranschaulichung des eschaton fungiert. Ihre morphologische Gestalt – Partizip femininum Plural – verweist innerkoranischer Konvention zufolge auf unheilvolle und bedrohliche Erscheinungen (s. Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 168), vgl. etwa die – wie die fāʿilāt-Schwüre bereits ab Gruppe I belegte – Bezeichnung des Weltendes durch aktive Partizipien femininum, beispielsweise al-qāriʿa, al-wāqiʿa oder al-ġāšiya (Stellenangaben in der Anmerkung zu 101:1–3). Wie in solchen partizipialen Umschreibungen des Jüngsten Tages wird auch in fāʿilāt-Schwurserien der intendierte Gegenstand selbst nicht genannt, sondern lediglich durch Eigenschaften charakterisiert, woraus sich eine gewisse Nähe zu den für die altarabische Dichtung charakteristischen metonymischen Umschreibungen ergibt (etwa „das scharfe Weiße“ für „Schwert“; s. zu diesem Stilmittel ausführlich Bauer 1992, 172–180). Die Erwähnung von „Laufen“ und „Funkenschlagen“ in V. 1.2 macht wahrscheinlich, dass im vorliegenden Fall wie in dem späteren Passus 79:1–5 eine angreifende (vgl. V. 3–5) Reiterschar intendiert ist (s. die Analyse in Neuwirth, „Horizont“, 6–8 sowie jetzt Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 169). Eine teilweise ähnliche Beschreibung einer heranrückenden Kriegerschar findet sich im Buch Jesaja, wo sie den drohenden Untergang Judas versinnbildlicht (Jesaja 5:26–30, s. dazu Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 170), doch sind die Berührungspunkte wohl zu lose, um von einer bewussten Anspielung zu sprechen.
Wie 100:1–5 lassen sich auch die übrigen drei frühmekkanischen fāʿilāt-Serien als prototypische Vergegenwärtigungen des Weltendes anhand konkreter Gegenwartserfahrungen deuten (51:1–4 und 77:1–5 beschreiben anders als 100:1–5 und 79:1–5keine Reiterschar, sondern einen heraufziehenden Sturm). Die spätere (mittelmekkanische) Passage 37:1–3 fällt hingegen insofern aus dem Rahmen, als sie sicherlich auf Engel zu beziehen ist und damit kein Phänomen innerweltlicher Erfahrung mehr beschreibt.
fa-ʾaṯarna bihī naqʿā] Bihī (auch im nächsten Vers) lässt sich plausibel als Bezugnahme auf den Ort des Geschehens auffassen (vgl. Ṭabarī, ad loc.: wa-l-hāʾu fī qaulihī bihī kināyatu smi l-mauḍiʿ). Naqʿ wird in der islamischen Exegese üblicherweise mit ġubār bzw. turāb, „Staub“ gleichgesetzt (vgl. Ṭabarī, ad loc.), doch steht diese Erklärung in den arabischen Lexika etwas isoliert da; u. U. wäre vielleicht die vom Lisān gegebene Erläuterung im Sinne von „angesammeltem Wasser“ (an-naqʿu l-māʾu n-nāqiʿu ʾay al-muǧtamiʿ) vorzuziehen.
fa-wasaṭna bihī ǧamʿā] Wasaṭa l-qaum: „He sat (or was, or became) in the middle, or midst, of the people, or company of men” (Lane, Bd. 8, 2940c).
kanūd] Zu kanūd s. WKAS, s. v. k-n-d. Zum hier implizierten Gedanken der Undankbarkeit vgl. frühmekkanisch auch 80:17.
wa-ʾinnahū ʿalā ḏālika la-šahīd] Vgl. inhaltlich den späteren (zu Gruppe IIIa gehörigen) Vers 75:14 (bali l-ʾinsānu ʿalā nafsihī baṣīrah).
wa-ʾinnahū li-ḥubbi l-ḫairi la-šadīd] Zur Liebe zum Besitz und zum Diesseits allgemein s. frühmekkanisch 89:20 (wa-tuḥibbūna l-māla ḥubban ǧammān), 76:8 (wa-yuṭʿimūna ṭ-ṭaʿāma ʿalā ḥubbihī miskīnan wa-yatīman wa-ʾasīrā), 75:20 (kallā bal tuḥibbūna l-ʿāǧilah).
Zu beiden Versen existieren auch aktivische Lesarten (Muʿǧam, ad loc.): ... ʾiḏā baʿṯara mā fĭ l-qubūr / wa-ḥaṣṣala mā fĭ ṣ-ṣudūr.
ʾa-fa-lā yaʿlamu] Eine ähnliche rhetorische Frage nach der eigentlich vom Menschen zu erwartenden Einsicht begegnet – wohl später – in 96:14 (ʾa-lam yaʿlam bi-ʾanna llāha yarā); das damit suggerierte Nichtwissen (oder Nichtwissenwollen) des Menschen kontrastiert dort mit einem ihm zuvor von Gott mitgeteilten Wissen (V. 5: ʿallama l-ʾinsāna mā lam yaʿlam).
ʾiḏā buʿṯira mā fĭ l-qubūr] Vgl. 82:4 (wa-ʾiḏă l-qubūru buʿṯirat). Das Motiv einer eschatologischen Entleerung der Erde begegnet in anderer Formulierung auch in 99:2.6 (wa-ʾaḫraǧati l-ʾarḍu ʾaṯqālahă / yaumaʾiḏin yaṣduru n-nāsu ʾaštātan ...) und 84:4 (wa-ʾalqat mā fihā wa-taḫallat); vgl. auch den mittelmekkanischen Vers 50:44 (yauma tašaqqaqu l-ʾarḍu ʿanhum sirāʿan ḏālika ḥašrun ʿalainā yasīr). Alle vier Stellen berühren sich eng mit einem Gedicht Jakobs von Sarūg, das Yousef Kouriyhe ausfindig gemacht hat (Text in Bedjan 1906, 849, Übersetzung von David Kiltz; s. TUK, Nr. 539): „Dann, aus der Stille, treffen die Erde Wehen, so dass sie niederkniet und verborgene Missetäter gebiert, mit denen sie schwanger war. Die gesamte Erde wimmert vor Schmerzen wie eine Gebärende in ihren Wehen, da sie ununterbrochen in ihr Begrabene hervorbringt. Gräber speien ihre Toten hervor wie Quellen. Die Felsen zersplittern, um Platz für die Mächte zu machen.“ Dass die Erde am Jüngsten Tag die Toten ausspeit, lehrt bereits die Offenbarung des Johannes 20:13: „Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren; und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken.“
wa-ḥuṣṣila mā fĭ ṣ-ṣudūr] Wörtl.: „... was in den Brüsten ist“. Als neutestamentlichen Intertext vgl. den 2. Clemensbrief 16:3: „Dann werden offenbar sein die geheimen und sichtbaren Taten der Menschen.“
yaumaʾiḏin] Vgl. die Anmerkung zu 102:8.
Literaturliste
Der Surenbeginn adaptiert die altarabische Textsorte des Seherschwurs, über den wir freilich nur aus islamischen Quellen informiert sind (vgl. zu einem Textbeispiel Neuwirth 1993, 96 f.). Als charakteristische Form ‚mantischer’, d. h. übernatürlich inspirierter Rede dienen Schwüre wohl zunächst einmal dazu, den koranischen Offenbarungsanspruch auf eine in altarabischen Kontexten vertraute Weise zu markieren. Die magisch-orakelhafte Funktion solcher Schwüre ist im Koran nicht mehr zentral: Es geht nicht um die Vorhersage innerweltlicher Einzelereignisse, sondern um eine Veranschaulichung des alle Menschen gleichermaßen erwartenden Jüngsten Tages; die durch die Textsorte Schwur mit ihren enigmatischen Verschlüsselungen erzeugte rhetorische Spannung wird damit in ihrer koranischen Verwendung einer eschatologischen Botschaft dienstbar gemacht. Konkret stellt die Q 100 einleitende Schwurserie (in V. 4.5 mit satzwertiger Fortführung) einen in der Morgendämmerung angreifenden Reitertrupp in verschiedenen Bewegungsstadien dar (s. o., Anmerkungen). Dass die Angegriffenen aus dem Schlaf gerissen werden, lässt sich mit Neuwirth als Sinnbild „der am Jüngsten Tag plötzlich aus ihrem Todesschlaf Erweckten“ verstehen (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 174). Eine ähnliche Transposition eines aus der Lebenswelt bzw. der altarabischen Dichtung vertrauten Phänomens in die eschatologische Zukunft findet sich auch in 101:5, s. die Anmerkung und den kursorischen Kommentar dazu). „Was dann geschieht, bleibt ungesagt – anders als im literarischen Vorbild des altarabischen Seherschwurs, auf den eine Auflösung des Schwurrätsels unmittelbar folgt“ (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 174; s. Neuwirth 1993). Diese Auflösung erfolgt erst am Schluss der Sure (V. 9–11) durch einen ausdrücklichen Verweis auf den Jüngsten Tag.
Die eschatologische Auflösung der enigmatischen Schwureinleitung wird durch einen – später zum Topos werdenden – ʾinsān-Spruch retardiert (vgl. Neuwirth 1993, 100), der die menschliche Besitzgier rügt. Sprachlich stehen V. 6–8, welche die strukturelle Mitte der Sure bilden, in deutlichem Kontrast zur dynamischen Aufgewühltheit von V. 1–5 und V. 9–11: Sie stellen die einzigen Nominalsätze der Sure dar, die sonst aus Verbalsätzen und Partizipialformen (in V. 1–3) besteht. Inhaltlich werden dem Menschen eine öffentlich „Bezeugung“ von Undank gegen Gott (V. 6–7) sowie Besitzgier (V. 8) vorgeworfen. Neuwirth sieht hierin exemplarische Stellvertreter für den anthropozentrischen Wertekanon der vorislamischen Zeit (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 174 f.), doch kritisiert der Text nicht ausdrücklich bestimmte altarabische Tugenden.
V. 9 knüpft mit einer rhetorischen Frage (ʾa-fa-lā yaʿlamu) an die zuvor konstatierten moralischen Defizite des Menschen an: Ein Beharren auf den verurteilten Verhaltensweisen erscheint angesichts der Möglichkeit, um die Realität eines unausweichlichen Endgerichts zu „wissen“, geradezu irrational. Die Sequenz aus einer Anklage menschlichen Fehlverhaltens (Q 100:6–8) und dem Aufweis der daraus folgenden eschatologischen Konsequenzen (Q 100:9–11) findet sich in anderer literarischer Gestalt auch in Q 104 und erinnert an die Grundform alttestamentlicher Unheilsprophezeiungen (s. den Kommentar zu Q 104). Zugleich entschlüsselt die Schlusspassage mit ihren eindeutig eschatologischen Signalen (Entleerung der Gräber, also Auferweckung der Toten, in V. 9, Verweis auf „jenen Tag“, also den Tag des Jüngsten Gerichts inV. 11) den Sinn des in der Schwureinleitung entfalteten Rätselbildes: Die attackierende Reiterscharf fungiert als „ein aus der sozialen Erfahrung genommenes ‚verständliches‘ Bild für die der Erfahrung noch entzogenen einzelnen Phasen der Gerichtsvorbereitung“ (vgl. Neuwirth 1993, 7). V. 9–11 haben insofern den Charakter einer Rätsel-Auflösung. Die Sure weist damit die auch für die in der islamischen Literatur überlieferten kāhin-Sprüche charakteristische Zweitaktigkeit von enigmatisch chiffrierter Rede und anschließender Dechiffrierung auf (vgl. Neuwirth 1993). Zugleich lässt sich die Schlusspassage, wie Neuwirth unterstreicht (Neuwirth, Frühmekkanische Suren, 175), als Abschluss der Schwurserie verstehen: Denn „die Schwurserie hatte das Bild da enden lassen, wo der eigentliche Überfall begann (V. 5: fa-wasaṭna bihī ǧamʿā, „dringen in der Scharen Mitte“), dessen Wirkung aber nicht ausgeführt“, während V. 9–11 ein weiteres Bild entwerfen, das „eine heftige Erschütterung, einen alles umstürzenden Angriff als bereits stattgefunden voraussetzt“.
Literaturliste
Sure 100 gehört eng mit Q 99 und 101 zusammen, die gleichfalls kurze eschatologische Schilderungen von relativ geringer struktureller Komplexität darstellen (vgl. im Unterschied dazu etwa die bereits zweiteiligen Suren 81 und 82) und die sich z. T. in ihrem Motivbestand überschneiden (so ist Q 99 und Q 100 etwa das Motiv einer eschatologischen Entleerung der Erde gemeinsam, s. u. den Kommentar zu V. 9–11; zur relativ großen Schwankungsbreite in der Verslänge der drei Suren vgl. den Kommentar zu Q 101). Die drei Suren lassen sich am ehesten als Entfaltungen der in den kurzen, nur aus kleinen Versgruppen bestehenden Droh- und Scheltworte Q 95, 102, 103, 104, 107 und 111 der angerissenen Thematik des Jüngsten Gerichts verstehen und sind folglich Gruppe I zuzuordnen. Q 99, 100 und 101 dürften dabei etwas später als diese Suren anzusetzen sein. Hierfür spricht einerseits die Tatsache, dass Q 99 bis 101 bereits aus kurzen Gesätzen und nicht nur aus Versgruppen bestehen. Andererseits ist der Aufbau von 100:1–8 analog zu Sure 103; geht man von der Hypothese einer graduellen strukturellen Ausdifferenzierung der frühmekkanischen Suren aus, so dürfte Q 100 der spätere Text von beiden sein (s. u., Aufbau und Inhalt). Erwähnenswert ist, dass die Sure zugleich auch strukturelle Bezüge zu späteren Korantexten aufweist: Eine an Q 100 erinnernde Kombination von Schwurabschnitt (V. 1 ff.) und eschatologischem Temporalsatz (mit Nachsatz) (V. 9–11) liegt auch dem Aufbau von Q 75, 81 und 84 zugrunde, wobei letztere beiden Suren die Reihenfolge dieser Strukturelemente umkehren.
Die Sure ist als Einheit zu betrachten, sie bietet keine stilistische oder inhaltliche Handhabe für literarkritische Scheidungen.
Die Sure besteht aus einer Schwurserie mit paränetisch erweiterter Aussage und angeschlossenem eschatologischen Temporalsatz (mit Nachsatz). Der Text weist zwar insgesamt vier verschiedene Reime auf, doch unterscheiden sich die Ausgänge von V. 1–5 (3Kḥā, 3Kʿā) einerseits und V. 6–11 (3K2d, 3K2r) andererseits jeweils nur in ihren Konsonanten; sie lassen sich damit als ein Fall von „Reimabwandlung“ charakterisieren (Neuwirth, Studien, 99 f.). Die Hauptzäsur der Sure liegt demnach zwischen V. 5 und 6, also zwischen Schwur und als Schwuraussage fungierendem, rügendem ʾinsān-Spruch. Diese beiden Elemente finden sich auch in der kürzeren Sure 103 (V. 1: Schwur, V. 2: ʾinsān-Spruch), die ebenso wie der vorliegende Text zu Gruppe I der frühmekkanischen Verkündigungen gehört:
Q 103 (V. 3 ist späterer Einschub): | Q 100: |
1 Schwur | 1–3 Schwurserie |
4.5 Fortführung der Schwurserie | |
2 ʾinsān-Spruch (eingliedrig) | 6–8 ʾinsān-Spruch (dreigliedrig) |
9–11 eschatologischer Temporalsatz mit Nachsatz |
Q 100 erweitert diese Aufeinanderfolge von Schwur und Schwuraussage noch um einen abschließenden eschatologischen Temporalsatz (mit Nachsatz), baut den einleitenden Schwur zu einer Schwurserie mit zwei syndetisch angeschlossenen Verbalsätzen aus und erweitert die in Q 103 eingliedrige Rüge zu einer dreigliedrigen. Wahrscheinlich deutet die höhere strukturelle Komplexität von Sure 100 darauf hin, dass es sich bei ihr um den späteren Text handelt. – Inhaltlich kreist der Text um das verschlüsselt (V. 1–5) oder explizit (V. 9–11) thematisierte Jüngste Gericht; die in der Mitte stehende Rüge (V. 6–8) verdeutlicht das dieses Gericht erforderlich machende menschliche Fehlverhalten.