بِسۡمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
1Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers! |
ٱلۡحَمۡدُ لِلَّهِ رَبِّ ٱلۡعَٰلَمِينَ |
I12 Lob sei Gott, dem Herrn der Welten, |
ٱلرَّحۡمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ |
3 dem barmherzigen Erbarmer, |
مَٰلِكِ يَوۡمِ ٱلدِّينِ |
4 dem König des Gerichtstags! |
إِيَّاكَ نَعۡبُدُ وَإِيَّاكَ نَسۡتَعِينُ |
25 Dir dienen wir und dich rufen wir um Hilfe an! |
ٱهۡدِنَا ٱلصِّرَٰطَ ٱلۡمُسۡتَقِيمَ |
36 Führe uns den geraden Weg, |
صِرَٰطَ ٱلَّذِينَ أَنۡعَمۡتَ عَلَيۡهِمۡ |
7 den Weg derer, denen du Huld erwiesen hast, |
غَيۡرِ ٱلۡمَغۡضُوبِ عَلَيۡهِم |
nicht derer, auf denen dein Zorn lastet, |
وَلَا ٱلضَّآلِّينَ |
und nicht derer, die irregehen. |
Der kurze poetische Text ist offenbar mit einer Formabsicht von der ʿuṯmānischen – oder späteren – Redaktion dem Korankodex vorangestellt worden. Der vor-ʿuṯmānische Kodex von Ibn Masʿūd enthält die fātiḥa ebenso wenig wie die beiden – unter dem Sammelnamen al-muʿawwiḏatān zusammengefassten – letzten Suren, Q 113, Q 114, siehe Jeffery 1937, 21. Diese im kanonischen Korpus den Rahmen bildenden Texte, der erste ein Gebet, die beiden letzten apotropäische Sprüche, verweisen auf die zeremoniale Dimension des Schriftkorpus, in das der Leser mit einem Gebet eintritt, und dessen Unberührbarkeit durch Kräfte des Bösen er mit einem Abwehrspruch sichert. Die fātiḥa, die als Gebet – und nicht Anrede an den Verkünder - selbst aus dem Rahmen der Suren als Gottesreden herausfällt, könnte bei vergleichendem Blick auf andere signifikante Schriftcorpora der Spätantike (vgl. etwa Virgils Aeneis, erstes Buch, V. 1–7) buchkompositionstechnisch als eine Art Proömium verstanden werden, ein Vorspann, der nicht zum Text gehört, diesem aber präludiert.
Die hier als erster Vers begegnende basmala, die Formel bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm („Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers“) ist in Analogie zu ihrer nur-Vorspann-Funktion in den übrigen Suren nicht selbst als Teil des Textes zu betrachten, siehe unten Versabteilungsdifferenzen.
Versabteilungsdifferenzen
Wenn die basmala in der kufischen Zählung als Vers gerechnet wird, so mit der Absicht, die für die fātiḥa traditionell angesetzte Siebenzahl voll zu machen. Drei Verszähltraditionen – Basra, Damaskus und Medina – zählen sie nicht als eigenen Vers, setzen dafür aber in V. 7 nach ʿalaihim ein Versende an, so dass sich wieder die geforderte Siebenzahl ergibt, siehe dazu Spitaler 1935, 31, und zur Problematik Neuwirth 1991, 335. Die Mitrechnung der basmala unter die Verse der Sure geht auf Q 15:87 zurück, wo auf die fātiḥa mit sabʿan mina l-maṯānī („sieben Wiederholte“, „sieben Wiederholverse“) rekurriert wird, siehe KKK, 11f., Neuwirth 2000, und unten Kommentar zu V. 1. Die Zahl sieben ist hier jedoch, wie Rubin 1993 und 2006, gezeigt hat, nicht als präzise numerische Angabe zu verstehen, sondern steht für eine „runde Zahl unter 10“, siehe auch Neuwirth 2000. An der Identifikation der „sieben Wiederholelemente“ mit der fātiḥa ist angesichts der zahlreichen weiteren fātiḥa-Referenzen in Q 15, siehe unten Entwicklungsgeschichtliche Einordnung, nicht zu zweifeln, doch ist eine Herstellung von präzise sieben Versen nicht erforderlich, um sie aufrecht zu erhalten.
Literaturliste
Die der Übersetzung zugrunde gelegte Textvariante malik („König“) in V. 4 wird in der sonst befolgten Lesart Ḥafṣ nach ʿĀṣim nicht vertreten. ʿĀṣim und al-Kisāʾī unter den sieben kanonischen Lesern lesen mālik („Besitzer/Regierender“), die übrigen fünf lesen malik. Exegeten und Philologen diskutieren beide Lesarten (siehe die Dokumentation der Lesarten zu Q 1:4). Handschriftliche Evidenz ist aufgrund der Schadensanfälligkeit des Anfangs und Schlusses der frühen Kodizes kaum verfügbar. Lediglich in dem von Graf von Bothmer 1987 untersuchten „Umayyadischen Prachtkoran aus Yemen“ ist die fātiḥa erhalten, wo malik ohne ʾalif vorkommt, siehe das entsprechende Bild in der Handschriften zu Q 1:4. Da in den frühen Handschriften der lange ā-vokal nur selten durch ein ʾalif notiert wird, stellt dies jedoch keinen Nachweis dar.
Für malik („König“) sprechen nicht nur liturgische Texte aus der Umwelt des Korans, sondern auch das in der Spätantike ikonographisch und textuell geläufige Bild des thronenden Königs, der über die Menschen am Jüngsten Tag richtet, siehe unten Kommentar zu V. 4
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bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm]
Der Vers ist späterer Zusatz. Die Invokationsformel, mit dem Akronym „basmala“ benannt, wird – wohl ab mittelmekkanischer Zeit – allen Suren vorangestellt. Mit ihren drei Evokationen Gottes entspricht sie der Trinitätsformel „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, die im christlichen Gebrauch der Zeit liturgischen Kontexten vorbehalten ist. In einer südarabischen Inschriftenstele am Staudann von Marib, aufgestellt von Abraha, der sich als christlicher König verstand, findet sich "mit der Kraft und der HIlfe und der Barmherzigkeit des Raḥmānān und seines Gesalbten und des hieligen Geistes", siehe TUK, Nr. 1259, zu weiteren Inschriften zwischen dem 4. und 6. Jht. mit formelharten Erwähnungen des Raḥmānān siehe TUK, Nr. 1262. Nach Gignoux 1979 ist die basmala auch zu vergleichen mit der numismatisch und epigraphisch bezeugten mittelpersischen Invokaitonsfomel "im Namen der Götter", siehe TUK, Nr. 1257. Mit der basmala wird die Trinitätsformel im Sinnne einer universalmonotheistischen Formel, reformuliert (siehe TUK, Nr. 417). Innerhalb eines Surentexts begegnet die Formel einzig in der mittelmekkanischen Sure Q 27:30, wo sie einen – im Koran zitierten – Brief Salomos an die Königin von Saba einleitet, woraus evtl. auf die in dieser Periode üblich gewordene Einsetzung der Formel als Anfang eines Schriftdokuments zu schließen ist. Auf ihre mittelmekkanische Herkunft verweist vor allem der Gottesname ar-Raḥmān, der in der Gruppe der sog. Raḥmān-Suren (Q 17, Q 19, Q 20, 21, Q 25, Q 36, Q 43, Q 67, Q 68) an die Stelle des vorher üblichen ar-rabb/rabbuka getreten ist, siehe KTS, 472–474. In V. 1 verbindet er sich mit dem ab Spätmekka beherrschend werdenden Gottesnamen Allāh, der vorher sporadisch neben dem üblicheren ar-rabb/rabbuka gebraucht worden war. Der auch in jüdischen liturgischen und epigraphischen Texten geläufige Gottesname ar-Raḥmān (hebr. ha-raḥaman) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit über Südarabien in die nordarabische Liturgiesprache gelangt, siehe dazu KU, 201–203, und jetzt Robin 2004. Der älteste Beleg für den Namen Raḥmān im Aramäischen findet sich in einer Statue aus Tell Fakheriye, datiert auf 9. Jh. v. Chr., siehe TUK, Nr. 607. Die etymologisch und semantisch eng verwandte Prädikation raḥīm „übersetzt“ den Namen noch einmal in das gebräuchliche Arabisch.
Seine Prädominenz in einer mittelmekkanischen Surengruppe, den sog. „Raḥmān-Suren“, ist mit dieser Genealogie aber noch nicht erklärt. Der Eintritt des Gottesnamens ins Arabische ist am ehesten aus seiner Einbettung in eine Arabisch-Sprechern zugängliche benachbarte Liturgiesprache zu erklären, deren wichtigste Elemente aufgrund der Verwandtschaft der semitischen Sprachen ja überregional verständlich gewesen sein dürften. Bedenkt man, dass bei dem ersten Vorkommen des Gottesnamens ar-Raḥmān in der am Ende der frühmekkanischen Periode stehenden Sūrat ar-Raḥmān (Q 55), offenbar Liturgie-Erfahrung instrumental gewesen ist, siehe HK I, 595–597 und den Kommentar zu Q 55, so möchte man auch bei dem Vorkommen des Gottesnamens in der basmala an einen Anstoß aus liturgischer Richtung denken. Man denke etwa an die in der christlichen Liturgie ubiquitäre Formal kyrie eleison („Herr, erbarme dich“). Da die Wurzel RḤM in den mit der Familie Jesu befassten Raḥmān-Suren besonders häufig ist, könnten sich mit dem Gottesnamen Assoziationen an die christliche Heilsgeschichte verbinden, siehe den Kommentar zu Q 19. Das mit dem Gottesnamen ar-Raḥmān und der basmala insgesamt herausgehobene Attribut Gottes als „barmherzig“ trägt der in Mittelmekka auch sonst in den Vordergrund gestellten emotionalen Dimension göttlichen sowie vorbildlichen menschlichen Handelns Rechnung, siehe dazu die Einleitung zu mittelmekkanischen Suren. Zur näheren Beschreibung der basmala siehe die ausführliche Anmerkung zu Q 93:0. Zur Problematik der Mitrechnung der basmala unter die Verse der Sure siehe oben Versabteilungsdifferenzen.
al-ḥamdu li-llāhi rabbi l-ʿālamīn]
Mit dieser hymnischen Preisung beginnt der eigentliche Text, siehe zu ihren liturgiegeschichtlichen Vorläufern unten Kommentar zu V. 7. Die Doxologie al-ḥamdu li-llāh war bereits frühmekkanisch, so in Q 52:48, in Gebrauch, hier wie in den weiteren mittelmekkanischen Texten Q 37:182, Q 39:75, oder in dem spätmekkanischen Q 10:10 verbindet es sich mit dem Epithet rabb al-ʿālamīn. Dieses bereits frühmekkanische Epithet Gottes, siehe Q 83:6, Q 81:27, Q 69:43, Q 68:52, Q 56:80, Q 52:48, wird von den Übersetzern verschieden gedeutet: Paret (KKK, 12), betont, dass dabei zumeist an die Herrschaft Gottes über die Menschen gedacht ist – das Wort ʿālamīn, im Koran stets flektiert gebraucht, begegnet gelegentlich auch unabhängig von rabb, siehe Q 26:165, 29:6, und bezeichnet dann Menschen – und vertritt die Übersetzung „Herr der Menschen/Weltbewohner“. Das mag sachlich gemeint richtig sein, doch blendet diese Wiedergabe die eschatologische Dimension des Ausdrucks aus: für die Bezeichnung „Herr der Menschen“ stände rabb an-nās, wie in Q 114:1 zur Verfügung. Vielmehr entspricht das Epithet rabb al-ʿālamīn dem aus der jüdischen Liturgie bekannten hebräischen ribbon ʿolam, „Herr der Welt“, das eschatologisch konnotiert ist, denn ʿolam steht sowohl für die diesseitige als auch die jenseitige Welt, siehe TUK, Nr. 349, siehe auch TUK, Nr. 596. Es ist bemerkenswert, dass die syrische Entsprechung māryā d-ʿālmā („Herr der Welt“), dagegen keine eschatologische Konnotation hat, siehe TUK, Nr. 1246.
Paret hat damit recht, dass al-ʿālamīn nicht nur für „Welten“, sondern auch schon früh für „Menschen“ steht, in diesen Fällen also die Stelle von an-nās vertritt. Das ist kein Zufall; wie auch in anderen Fällen, siehe die Einleitung zu Mittelmekka, wird damit ein säkularer Begriff durch einen theologisch befrachteten ersetzt: der in Frühmekka durchweg negativ konnotierte Mensch, al-ʾinsān, wird mit der Einführung des Kollektivbegriffs al-ʿālamīn, das ja zumeist mit einer Nennung Gottes (rabb) als des Herrschers über die hiesige und die jenseitige Welt verbunden ist, neu als homo eschatologicus, als den beiden Welten zugehörig, ausgewiesen. Bei diesem Verständnis lässt sich auch morphologisch der Plural ʿālamīn erklären, er dürfte eine Kontraktion von al-ʿālamiyyīn sein. Dennoch greift die von Paret vorgeschlagene Übersetzung „Weltbewohner“, „Menschen in aller Welt“ zu kurz. Will man bei rabb al-ʿālamīn die über eine bloße Autoritätsangabe hinausgehende eschatologische Dimension nicht unterschlagen, so hat man mit „Herr der Welten“ übersetzen, vgl. FVQ, 208f.
ar-raḥmāni r-raḥīm]
Da V. 1 nicht Teil des Textes ist, siehe Versabteilungsdifferenzen, ist die Prädikation an dieser Stelle nicht Wiederholung sondern emphatische Einführung des neuen Titels.
māliki yaumi d-dīn]
Zur Präferenz der Lesart malik gegenüber mālik siehe oben Textkritik. Die Prädikation evoziert das Bild des am Gerichtstag thronenden Gottes, siehe Rippin 2006 sowie TUK, Nr. 165, TUK, Nr. 260 und TUK, Nr. 553. Vor dessen Furchteinflößenden Thron zu bestehen, ist Gegenstand kirchlicher Bittgebete, siehe etwa das Gebet nach der Vorbereitung der Gaben in der Chrysostomos-Liturgie … kai kalen apologian epi tou phoberou bematos tou Christou aitesometha, arab.: … wa-ǧawāban ḥasanan ladā minbari l-masīḥi l-marhūb nasʾal, ("… und eine gute Rechtfertigung vor dem furchterregenden Thron Christi erbitten wir“). Das hier angesprochene eschatologische Königtum wird vor allem im Introitus der Sonntagsliturgie abgerufen, siehe TUK, Nr. 1249. Yaum ad-dīn, wie syrisch (Pschitta) yoma de-dina, siehe dazu GdQ I, 113f., Anm. IV. Yaum ad-dīn (Q 56:56, Q 70:26), wie auch al-yaum (Q 69:35) war bereits frühmekkanisch für den Gerichtstag geläufig. Dagegen wird die Vorstellung vom Königtum Gottes wie auch seines Hofstaats erst in mittelmekkanischer Zeit ein zentrales Thema, siehe dazu die Kommentare zu Q 54:55 und Q 76.
ʾiyyāka naʿbudu wa-ʾiyyāka nastaʿīn]
Mit dieser doppelten Wir-Aussage erweist sich der Text explizit als Gebet einer Glaubensgemeinde. Er verstößt damit gegen die für Suren geltende Regel, dass der Sprecher Gott und der Angesprochene/die Angesprochenen der Prophet bzw. seine Gemeinde ist. Viele ähnlich litaneihafte Anrufungen aus anderen Liturgien ließen sich nennen, etwa aus der Chrysostomos-Liturgie (als Antwort auf das Hochgebet): se hymnoumen, se eulogoumen, soi eucharistoumen, kyrie, kai deometha sou, ho theos hemon; arab.: ʾiyyāka nusabbiḥ, ʾiyyāka nubārik, ʾiyyāka naškuru yā rabbanā wa-minka naṭlubu, yā ʾilāhanā, („Dich loben wir, dich preisen wir, und dir danken wir, unser Herr, an dich richten wir unsere Bitten, unser Gott“) doch entspricht die fātiḥa als ganze eher einem Introitus-Gebet, siehe unten Inhalt und Struktur. Zu der Position der fātiḥa innerhalb des Koran siehe KTS, 192–197, zu ihrer liturgischen Funktion siehe unten Entwicklungsgeschichtliche Einordnung.
ihdina ṣ-ṣirāṭa l-mustaqīm]
Das letztlich auf die christliche Zwei-Wege Lehre zurückverweisende Bild des rechten Weges erhält durch die fātiḥa seine Standardformulierung, siehe TUK, Nr. 1253. Es entspricht fast wörtlich Ps. 27,11, neheni be-orah mišor („Leite mich auf dem geraden Weg“), siehe TUK, Nr. 548 und GdQ I, 114, Anm. V, siehe auch TUK, Nr. 690. Zu ṣirāṭ – ursprünglich lateinisches Lehnwort aus strata via , „geebnete/gerade Straße“ - siehe FVQ, 196f. Der Ausdruck ṣirāṭ mustaqīm wird in Q 15:41 noch vor-terminologisch, im Sinne von „rechtes Vorgehen“ gebraucht: hāḏā ṣirāṭun ʿalayya mustaqīm („das ist mir ein rechtes Vorgehen“); Mit dem Durchdringen der fātiḥa wird er offenbar für die göttliche Leitung der Menschen insgesamt reserviert.
ṣirāṭa llaḏīna ʾanʿamta ʿalaihim ġairi l-maġḍūbi ʿalaihim wa-la ḍ-ḍāllīn]
Die mit Konkatenation an den vorausgehenden Vers angeschlossene Spezifizierung des rechten Weges dient der Abgrenzung gegen konkurrierende Gruppen, die gleichfalls als auf einem Wege zu Gott vorgestellt werden, deren Zuordnung nicht unproblematisch ist. Die erste Gruppe, allaḏīna ʾanʿamta ʿalaihim („[…] denen du Huld erwiesen hast“) ist nicht eindeutig zu bestimmen; die Formulierung bezeichnet anderswo von Gott ausgezeichnete Gerechte allgemein, hier könnte aber speziell an die in Mittelmekka in den Vordergrund tretenden Christen gedacht sein, deren Geschichten in mittelmekkanischer Zeit im Zentrum des Interesses stehen, und deren Protagonisten explizit mit göttlicher Huld oder Barmherzigkeit (raḥma) in Verbindung gebracht werden, so etwa Zacharias in Q 19:2. In Q 19:58, einem medinischen Zusatz, werden unter den mit Huld Bedachten, allaḏīna ʾanʿama llāhu ʿalaihim, die Christen besonders hervorgehoben: ʾiḏā tutlā ʿalaihim ʾāyātu r-Raḥmāni ḫarrū suǧǧadan wa-bukiyyā („die, wenn ihnen die Verse des Erbarmers rezitiert werden, sich demütig und weinend zu Boden werfen“). Ebenso kann aber auch generell an von Gott ausgezeichnete monotheistische Vorläufer der Gemeinde gedacht sein.
Sollte die fātiḥa – wie Nöldeke, GdQ I, 110–117, vertritt – auf christlichen Traditionen aufbauen, so würde die zweitgenannte Gruppe ursprünglich auf die Juden zielen können, die in der christlichen Polemik dem Zorn Gottes verfallen sind. Auch innerkoranisch verbindet sich die Vorstellung des Gotteszorns im allgemeinen mit den Juden, dies jedoch erst in Medina, siehe Neuwirth 2004, so dass die Identifizierung mit ihnen in der fātiḥa für die Zeit ihrer Erstverkündigung ein Anachronismus wäre. Die Formulierung entspräche dann der Aufnahme eines vorgefundenen Topos ohne aktuelle religionspolitische Spitze, da gegnerische Juden in mittelmekkanischer Zeit noch gar nicht in den Horizont treten. Die Ausfüllung dieser Kategorie bleibt also dem Hörer/Leser überlassen. Aḍ-ḍāllīn („die Irregehenden“) ist dagegen in Mittelmekka als Standardbezeichnung für die paganen Gegner eindeutig (siehe Q 56:51, 92).
Das Gebet wäre - so verstanden - eine an christliche Vorbilder angelehnte Neuformulierung eines Gemeindegebets. Die Verwandtschaft zum christlichen Vaterunser (Mt 6:9–13, Lk 11:2–4) ist früh betont worden, siehe Winkler 1928 und Goitein 2009, siehe TUK, Nr. 409 und TUK, Nr. 342. Wenn das Vaterunser auch nicht mit einer Doxologie beginnt, sondern mit einer Anrufung, wie sie in der fātiḥa erst mit V. 6 erfolgt, so teilt es doch den Gedanken der eschatologischen Gottesherrschaft, man vergleiche zu: maliki yaumi d-dīn: eltheto he basileia sou, arab. li-yaʾtiya malakūtuk, syr. tiṯe malkuṯakh, („Dein Reich komme“) ebenso wie die dichotomisch formulierte Ausgrenzung des Bösen, man vergleiche zu ṣirāṭa llaḏīna ʾanʿamta ʿalaihim ġairi l-maġḍūbi ʿalaihim wa-la ḍ-ḍāllīn („den Weg derer, denen du Huld erwiesen hast, nicht derer, auf denen dein Zorn lastet und nicht der Irregehenden“) kai me eisenenkes hemas eis perismon, arab. wa-lā tudḫilnā fī taǧribah lākin naǧǧinā mina š-širrīr, syr. we-la taʿlan l-nesyona, ella pasan men bisha („und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“). Doch geht es um eine verschiedene Wahrnehmung des Bösen; van Ess 1984 hat auf die ganz verschiedene Verortung des Bösen – in der fātiḥa bei einer Gruppe von bereits dem Gotteszorn Verfallenen, im Vaterunser in der Seele des einzelnen Menschen, die vor Versuchung bewahrt werden muss, hingewiesen.
Ganz geht die Gleichung also nicht auf, man wird das Hauptargument für die Ähnlichkeit der fātiḥa mit dem Vaterunser daher am ehesten in der gemeinsamen Gattung des Gemeindegebets sehen müssen. Näher liegen die Parallelen zwischen der fātiḥa und dem christlichen Gottesdiensteinsatz, dem Introitus. Die entscheidenden liturgiegeschichtlichen Beobachtungen hat Baumstark 1927 vorgetragen, der im Kontext seines Versuches, die koranischen Gotteslobformeln typologisch einzuordnen, eine monotheistische ‚Genealogie’ auch für die fātiḥa rekonstruieren kann. Ihr Anfang bildet nach Baumstark 1927, 242–248, in Formulatur und Struktur einen altchristlichen Lobpreis ab, die Doxologie des griechischen Tagzeitengebets – dem gloria in excelsis der lateinischen Messe entsprechend, die wie die fātiḥa selbst ein Herzstück des täglichen Gebets gewesen ist, siehe TUK, Nr. 1255. Denn geht man davon aus, dass wie in einzelnen Riten bis heute üblich, die fātiḥa im Kultus ohne die basmala oder mit nur leise gesprochener basmala auskommt (siehe Neuwirth 1991), so lautet der Anfang des Gebetsrituals: al-ḥamdu li-llāhi rabbi l-ʿālamīn („Lob sei Gott, dem Herrn der Welten“). Dies entspricht – in universalistische Diktion überführt – der Doxologie, mit der etwa die Chrysostomos- und Basilios-Liturgie beginnen: eulogemene he basileia tou patros kai tou hyiou kai tou hagiou pneumatos, nyn kai aiei kai eis tous aionas ton aionon, arab.: mubāraka hiya mamlakatu l-ʾabi wa-l-ʾibni wa-ruḥi l-qudusi, al-ʾāna wa-kulla ʾawānin wa-ʾilā dahri d-dāhirīn („Gepriesen sei das Königtum des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, jetzt und immer und in alle Ewigkeit.“). In beiden Liturgien, der koranischen wie auch der byzantinischen, haben wir einen hymnischen Einsatz vor uns, der in der fātiḥa durch zwei mehrgliedrige Prädikationen (V. 2 und V. 3) fortgeführt wird. In der griechischen Liturgie füllt er dagegen einen komplexen Satz, der zusammen mit dem unmittelbar folgenden antiphonisch respondierenden kyrie eleison („Herr, erbarme dich“) alle wesentlichen Elemente des ersten Teils der fātiḥa enthält: Die Preisung eulogein – ḥamida (V. 1), die Herrschaft über Jetztzeit und Ewigkeit: (nyn kai aiei kai eis tous aionas ton aionon) – rabbi l-ʿālamīn (V. 2), bzw. den Gedanken der Barmherzigkeit, kyrie eleison – ar-raḥmān ar-raḥīm (V. 3) und den Verweis auf das eschatologische Königtum: he basileia tou theou – malik yaum ad-dīn (V.4). Ähnliche Parallelen lassen sich zwischen dem zweiten Teil der fātiḥa in der in der Liturgie an den Hymnus anschließenden Ektenie, dem Bittgebet, nachweisen, siehe Neuwirth 1991, so dass die Annahme, die fātiḥa stehe als Gottesdienst-Einleitung in der Tradition älterer Gottesdienst-Anfangsteile, - zusätzlich zu der von Winkler 1928 und Goitein 2009 vertretenen Hypothese, die fātiḥa sei ein islamisches Vaterunser - erheblich an Plausibilität gewinnt. Die fātiḥa dürfte während des Korangeneseprozesses beide Funktionen, die eines Gemeindegebets und des Eingangsteils einer Liturgie, besetzt haben. Sie markiert damit einen wichtigen Schritt in der Gemeindeentwicklung.
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Die fātiḥa chronologisch einzuordnen ist schwierig. Da bereits die frühesten mittelmekkanischen Suren Anklänge an die fātiḥa aufweisen, siehe die Kommentare zu Q 54:55 und Q 37:87, 118, 182, erscheint es berechtigt, sie ganz an den Anfang der mittelmekkanischen Surenfolge zu stellen. Erwähnt, wenn auch nicht explizit, wird sie in Q 15, wo in triumphalem Ton das Vorliegen von sabʿan mina l-maṯānī („sieben Wiederholten/Wiederholversen“) konstatiert wird. Dass mit diesen nur die fātiḥa gemeint sein kann, wird durch zahlreiche fātiḥa-Referenzen in Q 15 nahegelegt. Wären tatsächlich, wie die Mehrzahl der kritischen Forscher gegen die einstimmige islamische Tradition annimmt, mit den sieben Wiederholten, sieben Straflegenden gemeint – siehe zu dieser Hypothese Rubin 2006, KU, und Paret 1956 – so müsste man Q 15 wesentlich später datieren, da in der mittelmekkanischen Raḥmān-Periode vor Q 26 noch keine sieben solcher Geschichten vorliegen. Auch bliebe der Verweis auf gerade sieben solcher koranischer Erzählungen gänzlich unbegründet und würde kaum eine so triumphale Erwähnung der maṯānī, der „Wiederholten“, als ein Textkorpus zusätzlich zum Koran (sabʿan mina l-maṯānī wa-l-qurʾān) rechtfertigen. Die hier entscheidende Beobachtung ist aber die, dass die fātiḥa selbst, deren Einzelelemente in mehreren mittelmekkanischen Suren ‚zitiert’ werden, in Sure Q 15 mit nicht weniger als sieben Reminiszenzen evoziert wird, so dass von einer sehr engen Verbindung zwischen beiden Texten ausgegangen werden kann, siehe SKMS, 340–341. Da die fātiḥa in Q 15:87 als bereits in Umlauf befindlich attestiert wird und in noch früheren Suren auf sie angespielt wird, sollte ihre Formulierung noch früher angesetzt werden.
Das bedeutet, dass die sich in Mittelmekka herausbildende Wahrnehmung, eine durch göttliche Erwählung ausgezeichnete Gemeinde zu sein, der Ausschnitte aus dem himmlischen Buch vorgetragen werden, schon früh mit dem neuen Bewusstsein verbindet, zusätzlich zur Koranrezitation noch ein wichtiges zweites liturgisches Textkorpus zu besitzen: ein Gemeindegebet. Denn beides, gemeindliches Selbstbewusstsein und eine tragfähige Gottesdienststruktur gehören zusammen. Mit der fātiḥa ist nun ein Element gegeben, das anders als die Rezitation der Suren der Gemeinde selbst eine Stimme verleiht. Man kann daher in der fātiḥa sowohl eine Entsprechung zum christlichen Vaterunser, siehe Winkler 1928 und Goitein 2009, sehen als auch eine Reformulierung dessen, was im christlichen Gottesdienst als Introitus am Anfang steht, siehe Neuwirth 1991.
Dass die fātiḥa – obwohl ein offenkundig mündlicher Gebetstext – in der Forschung bisher stets als Teil des Koran, als eine der Offenbarungen/Verkündigungen wahrgenommen und nicht als erst redaktionell dem Kodex als eine Art Proömium vorangestellter Paralleltext zu ihm erkannt worden ist, erklärt sich aus der vorherrschenden Sicht auf den Koran als eines schriftlich verfassten Textes, nicht aber als eines Korpus von liturgischen Vortragstexten, die im Gottesdienst auf weitere komplementäre Texte angewiesen sind.
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Der kurze Text beginnt mit einer Doxologie (V. 2), die Gott zuerst unter Rekurs auf ein bereits vorliegendes monotheistisches Formular als „den Herrn der Welten“, d.h. der diesseitigen wie auch der jenseitigen preist. Als zweite Preisung (V. 3) erscheint fast antithetisch zu dem Allmachtgedanken die in der – vielleicht kurz vorher eingeführten – basmala thematisierte Prädikation Gottes als barmherziger Erbarmer. Damit ist das die Raḥmān-Phase beherrschende Gottesbild als eines emotional am Schicksal der Menschen beteiligten mitfühlenden Gottes eingeblendet, in dessen Händen laut der dritten Prädikation (V. 4) das gerechte Urteil am Jüngsten Tag liegt. Seine aus der rabbinischen Tradition geläufigen Eigenschaften (strafende) Gerechtigkeit – middat ha-din – und Huld – middat ha-hesed – wiegen einander auf. Obwohl der Gottesname Raḥmān selbst als Eigenname aus dem zeitweise jüdisch geprägten Südarabien nach Nordarabien gelangt sein sollte, dürfte er der Gemeinde durch liturgische Kontexte bekannt geworden und von ihr als sprechender Name rezipiert worden sein, der durch eine nachgestellte Übersetzung, raḥīm, als Bezeichnung eines den Menschen barmherzig zugewandten Gottes gewissermaßen eindeutig gemacht wurde. Erst danach folgt (V. 5) die Selbstidentifikation der Sprecher als Gottesdiener und auf die Hilfe Gottes Hoffender. Denn die fātiḥa ist kein freier Hymnus wie etwa Q 17:1 subḥāna llaḏī ʾasrā bi-ʿabdihī („Gepriesen sei, der nachts seinen Diener ausziehen ließ […]“), sondern ein Text im Munde von menschlichen Sprechern, die ihr eigenes Gebet vortragen. Das anaphorische ʾiyyāka (V. 6) betont die Exklusivität des Angerufenen, der anders als im Fall der paganen mušrikūn, die Gott zwar in extremen Situationen um Hilfe rufen, ihm aber nicht dienen, vgl. Q 17:67, Adressat sowohl von Hilferufen als auch von Gottesdienst ist.
An diese im Zentrum stehende Affirmation der Alleinverehrung Gottes schließt die Bitte um Rechtleitung an (V. 7). Der hier erhoffte ‚gerade Weg‘ soll demjenigen der bereits von Gott mit Huld bedachten Vorläufern folgen. Sie werden nicht explizit gemacht und dürften zur Zeit der Entstehung der fātiḥa auch unbestimmt intendiert sein. Erst später – mit der Herausbildung von Kollektivbildern - ließen sich die Zielgruppen ex silentio erschließen. Doch wurde die allgemeinere Deutung der mit Huld Bedachten im Sinne von positiven monotheistischen Vorläufern, der dem Zorn Verfallenen im Sinne von negativen Vorläufern und der Irrenden im Sinne von Nicht-Monotheisten in der Exegese ebenfalls aufrechterhalten.
Auffallend sind die neuen Prädikationen Gottes zum einen als barmherzigem Erbarmer, eine Eigenschaft, die den Text in die Nähe zu Sūrat Maryam, Q 19, rückt, in der raḥma („Barmherzigkeit“) und Derivate von raḥma besonders zahlreich sind. Zum anderen die von Gott als eschatologischem Herrscher, der das in der ebenfalls christlichen Johannes-Apokalypse entfaltete Bild evoziert.
Die fātiḥa ist einer der wenigen Korantexte, bei denen die Gattung und damit die performative Funktion – Gemeindegebet oder gemeindlich gesprochener Introitus – den Schlüssel zur Kontextualisierung liefert. Der Text ist nicht nur semantisch sondern vor allem liturgisch mit anderen prominenten Texten der Spätantike verwandt, deren Einsatz mit einem Ausruf sich – nach Abtrennung der basmala - in der fātiḥa reflektiert.
Der gesamte Text ist Rede der Hörergemeinde. Die Ballung der Gottes-Epitheta, V. 2–4, setzt bereits die Bekanntheit der Hörer mit einem sowohl gnädigen als auch gerechten Gott voraus.