Die im Istanbuler Topkapi Palast (Topkapı Sarayı) aufbewahrte Pergamenthandschrift ist eine der berühmtesten dem Kalifen Osman zugeschriebenen Koranhandschriften. Die 408 Blätter, von denen einige nur teilweise erhalten sind (wie z.B. fol. 1) enthalten – mit Ausnahme von Q 5: 3-8 und Q 17: 17-33 – den vollständigen Text des Korans. Der fehlende Text würde auf zwei Blätter passen, so dass die Handschrift ursprünglich wahrscheinlich 410 fol. umfasste. Die Handschrift ist im Museum des Topkapı Palastes als Koran des Kalifen Osman in einer Vitrine ausgestellt. Einige Bilder der Handschrift sind unter https://www.islamic-awareness.org/quran/text/mss/topkapi.html einsehbar. Sie wurde vom ägyptischen Gouverneur Muḥammad ʿAlī (1769-1849) dem osmanischen Sultan Maḥmūd II im Jahre 1811 als Geschenk nach Istanbul geschickt, wo sie seitdem in der Abteilung der Heiligen Reliquien (türk.: Kutsal emanetler) zusammen mit anderen Reliquien des Propheten und seiner Familie aufbewahrt wird, die vom 16. Bis ins 19. Jahrhundert den osmanischen Sultanen geschickt wurden. Bereits Ṣalāhaddīn al-Munaǧǧid hielt die Zuschreibung der Handschrift für legendenhaft (S. al-Munaǧǧid, Dirāsāt fī taʾrīḫ al-ḫaṭṭ al-ʿarabī munḏu bidāyatihī ʾilā nihāyat al-ʿaṣr al-ʾumawī (Études de Paléographie Arabe, Beirut: Kitāb al-ǧadīd, 1972, S. 55). Schriftstil und Schreibungen deuten auf das 8. Jh., so dass die frühe Abbasidenzeit als Entstehungszeit angesetzt werden soll, siehe F. Déroche, The Abbasid Tradition, S. 60 mit einem anderen Beispiel, Fragment KFQ 33 der Khalili Collections London, für den Schriftstil kūfī C I. Tayyar Altıkulaç hat eine Edition der Handschrift zusammen mit einer Transliteration des enthaltenen arabischen Textes 2007 publiziert. Seine Transliteration des Handschriftentextes gibt den arabischen Text mit allen diakritischen Punkten wieder, so wie sie heute verwendet werden. Der vorliegende Katalogeintrag beinhaltet nur eine kleine Auswahl von Seiten in Transliteration: (fol. 1r-fol. 2v und fol. 196r-203r). Die Transliteration hat Laura Hinrichsen nach den Richtlinien des Vorhabens erstellt.

Der Grundtext in schwarzer Tinte ist mit einer dicken Linie geschrieben, wie es in abbasidischer Zeit üblich wurde. Im Vergleich zu späteren Koranhandschriften im Kūfī-Duktus ist die Schrift jedoch von einer bemerkenswerten Schlichtheit: Die Linienführung des Schreibers ist in aller Regel gut erkennbar. Die Hasten der Oberlängen (alif, lām), die senkrecht zur Grundlinie stehen, sind kürzer als in den älteren Manuskripten und bleiben in der eigenen Zeile. Die Schriftart lässt sich der C-Gruppe (der Typologie nach F. Déroche) zuordnen. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass (1) die Buchstaben mīm und hāʾ nicht unter die Grundlinie greifen und (2) das nūn einer Klammer (etwa ], aber leicht abgerundete Ecken) ähnelt, welche nach links geöffnet ist. Das späte B II, das dem noch ziemlich nahekommt, greift bei der Schreibung des Buchstaben hāʾ deutlich unter die Grundlinie - was in der vorliegenden Handschrift erkennbar nicht der Fall ist. Innerhalb der C-Gruppe kommt dem Istanbuler Kodex dann der Duktus C I am nächsten, dessen andere Vertreter ins 8. Jahrhundert zu datieren sind (vgl. dazu die Beispiele in F. Déroche, The Abbasid Tradition, S. 36). Zur paläographischen Beschreibung vgl. E. İhsanoǧlu: "An examination of the Topkapı Muṣḥaf shows that it was written with a developed kufic script. The shape of the letters does not confirm to the writing style of the early Muṣḥafs attributed to Caliph ʿUthmān, which were written on vellum in his period and therefore known as the Muṣḥafs of Caliph ʿUthmān. [...] Apparantly this Method of Abū al-Aswad al-Duʾalī [invented after the death of Caliph ʿUthmān] was carefully followed in placing the vowel marks of the Topkapı Palace copy. Single dots were placed in red ink above, beside or below the letters." (Altıkulaç, al-Muṣḥāf al-Sharif, S. 9). Zur Differenzierung der Homographen dienen auf und unter den Buchstaben dünne Striche, die offenbar mit einem anderen Stift als der Grundtext geschrieben wurden. Für die Vokalisierung wurden rote Punkte verwendet. Es waren also mindestens drei Schreibgeräte bei der Herstellung des Textes beteiligt. Diese Beobachtung wird durch Korrekturen im Text unterstützt: zu Beginn von Q 5:53 wurde zwischen dem Vertrenner und dem ersten Wort nachträglich ein wāw eingefügt (fol. 71 v, Zeile 15). Die Handschrift wird dem Kalifen Osman zugeschrieben, vgl. dazu: "According to the evaluation of Munadjdjid, neither this Muṣḥaf nor the Muṣḥafs located in Tashkent, al-Mashhad al-Ḥusayn in Cairo and in the Museum of Turkish and Islamic Works in Istanbul were the Muṣḥafs attributed to Caliph ʿUthmān; however considering the differences in their script, the centuries when they were copied and their different dimensions, they must have been copied from the Muṣḥafs attributed to Caliph ʿUthmān. For this reason, each of them was called the (Muṣḥaf ʿUthmān)" (Altıkulaç, al-Muṣḥaf al-Sharif, S. 80). - Altıkulaç dokumentiert einige Stellen, die seiner Meinung nach fehlerhaft zu sein erscheinen: "The Muṣḥaf contains a small number of mistakes which may be attributed to the scribes. - The word كلو, which was written as the last word in folio 5a in Sūrat al-Baqara (2/57), was repeated as the first word of folio 5b;  - the word اذا in Sūrat al-Anʿām (6/152) was spelled as اذ.; - the word ولا was written as وولا in Sūrat al-Aʿrāf. (7/192); - the word انى اخاف in Sūrat al-Anfāl (8/48)was spelled with two alifs as اني ااخاف.; - the word صديد was spelled as صدد in Sūrat Ibrāhīm (14/16); - the word لا in the phrase اولاالالبب in Sūrat al-Zumar (39/18) was dropped; - the alif at the end of the word اعدا in Sūrat Fuṣṣilat (41/19) was forgotten; - the phrase يااولى was written as يالاولى and the phrase لانتم was written as لاانتم in Sūrat al-Ḥashr (59/2,13)." (Altıkulaç, al-Muṣḥaf al-Sharif, S. 75)